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Nachhaltiger Ackerbau: Nur ein Wunschtraum?

Lesezeit: 8 Minuten

Agrarwirtschaft und Umweltverbände tun sich schwer, gemeinsam über Probleme des Ackerbaus zu diskutieren. Mehr Dialog statt Konfrontation – das war das Ziel der top agrar-Veranstaltung „Landwirtschaft im Dialog“ in Berlin.


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Ein ertragreicher, wirtschaftlicher Ackerbau bei gleichzeitigem Schutz von Boden, Wasser, Luft und Biodiversität. „Das machen wir schon“ oder „Wir sind auf einem guten Weg“, sagen die einen. „Das reicht aber nicht“, sagen die anderen.


Fakt ist: Geht es um die Themen Artenvielfalt, Boden- und Gewässerschutz oder Klimaziele befrachten sich Vertreter von Agrar- und Umweltorganisationen oft mit Maximalforderungen. Nicht selten geht es in den hitzigen Debatten darum, mit der Brechstange die eigenen Positionen durchzuboxen – in der Sache kommt man dabei häufig nur wenig oder gar nicht voran.


Um dies zu ändern und tragfähige Lösungen für einen noch nachhaltigeren Ackerbau mit allen Beteiligten zu erarbeiten, fand Ende September erstmalig das neue Veranstaltungsformat „Landwirtschaft im Dialog“ statt, zu dem top agrar nach Berlin eingeladen hatte.


Probleme klar benennen:

Dass ein Umdenken im Ackerbau erforderlich ist, meinte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gleich zu Beginn in ihrem Impulsreferat. „Der für die EU-Agrarpolitik zu erhebende Vielfaltsindikator steht derzeit auf seinem Tiefstand. Dabei geht es auch um die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft.“ Nicht zuletzt belege auch die viel diskutierte Insektenstudie aus Krefeld, dass es um die Artenvielfalt nicht gut bestellt sei.


Zusätzlich verwies die Ministerin auf Studien, die zeigten, dass die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft derzeit kaum sinken. Auch auf die Nitratproblematik machte sie aufmerksam. Doch wie lassen sich diese Herausforderungen meistern?


Fördersystem verbessern:

Wichtig – so Schulze – sei es vor allem, das Fördersystem zur kommenden EU-Agrarreform ab 2020 zu ändern. „Dabei geht es mir ausdrücklich um verbessern, nicht um abschaffen“, sagte sie. Sie wolle keine Kürzungen bei den EU-Agrarzahlungen hinnehmen, aber innerhalb des Systems umverteilen. Das bedeute für sie: Mehr Geld an Betriebe, die mehr Umweltleistungen erbringen als andere.


Den Naturschutz für total unterfinanziert hält Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes (Nabu). Es könne z.B. nicht sein, dass EU-weit Vogelschutzgebiete ausgewiesen werden und später die finanziellen Mittel dafür fehlen. Klar sei zudem, dass Tierarten und Nutzpflanzen um die gleiche Fläche konkurrieren. Daher müssten die Landwirte auch mit Naturschutzleistungen Geld verdienen können. „Dass oberste Ziel der Landwirtschaft muss aber nach wie vor die Nahrungsmittelproduktion bleiben“, entgegnete daraufhin Dr. Helmut Schramm, Geschäftsführer Bayer CropScience Deutschland.


Der Nabu und andere Umweltverbände forderten daher die Einrichtung eines eigenständigen EU-Naturschutzfonds mit einer Finanzausstattung von 15 Mrd. €. Dafür gibt es bislang in der EU aber keine Mehrheit.


Die Direktzahlungen mehr an Nachhaltigkeits-Indikatoren festmachen – dafür plädierte Prof. Teja Tscharnke von der Uni Göttingen. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV) gab allerdings zu bedenken, dass bereits jetzt 30% der Zahlungen über das Greening nicht an die Fläche, sondern an Umweltzielen geknüpft seien.


Greening auf den Prüfstand:

Genau dort sehen Svenja Schulze und Olaf Tschimpke dringenden Handlungsbedarf. „Das derzeitige Greening verdient den Namen nicht“, so die Ministerin. Der Artenrückgang gehe trotzdem weiter. „Für mehr Arten brauchen wir mehr Strukturelemente und keine ausgeräumten Landschaften“, erklärt Wissenschaftler Tscharnke. Vielfältige, weite Fruchtfolgen seien gefragt. Zudem bringe der Anbau von Zwischenfrüchten im Rahmen des Greenings in puncto Biodiversität nicht viel. Um Biotope besser vernetzen zu können, sind für ihn 7% Greening erstrebenswert.


Davon hält Bernhard Krüsken vom DBV nichts. Biodiversität müsse man organisieren. Daher sei es wichtig, dass bestehende Greening und die Agrarumweltmaßnahmen weiterzuentwickeln. „Diese Instrumente haben noch viel Potenzial“, sagte er.


Einig waren sich die Experten darin, dass sich der Erfolg von Biodiversitätsmaßnahmen auf die Artenvielfalt messen lassen muss. „Das tun wir auf unseren sogenannten Forward Farms“, erläuterte Dr. Helmut Schramm von Bayer. „Das sind Betriebe, auf denen wir neue Ansätze und Maßnahmen zur Erhöhung der Artenvielfalt entwickeln und prüfen. Wir führen dort z.B. ein Monitoring von Blühflächen durch, um deren Wirkung auf die Arten beurteilen zu können. „Dabei zeigt sich, dass intensiver Ackerbau und ein Mehr an Biodiversität gemeinsam möglich sind“, lautete sein Fazit.


Ist mehr Öko die Lösung?

Welche Lösungspotenziale eine stärkere Umstellung auf Ökolandbau für mehr Nachhaltigkeit im Ackerbau bietet, beurteilten die Experten unterschiedlich. „Der Markt ist nicht unbegrenzt aufnahmefähig“, sagte Krüsken vom DBV. Bei größeren Umstiegswellen befürchtet er, dass die Preise für Ökoprodukte sinken. Zudem habe der Wissenschaftliche Beirat ermittelt, dass Öko nicht per se das Klima verbessert. Es kommt vielmehr darauf an, wie man es macht.


Dass der Ökolandbau nicht generell die nachhaltigere Alternative im Vergleich zu „konventionell“ ist, belegte Prof. Matin Quaim von der Uni Göttingen in seinen Untersuchungen. „Die Wirtschaftsweisen sind von den Klima- und Umwelteffekten fast ähnlich zu beurteilen, wenn man die niedrigeren Erträge pro ha des ökologischen Anbaus mit einbezieht“, sagte er. Daher solle das Ziel in Deutschland aus seiner Sicht nicht 20% Ökolandbau heißen, sondern 100% nachhaltige Landwirtschaft. International – so Quaim weiter – liegt der Ökoanteil derzeit bei 1%. Vor einem starken Anstieg warnt der Experte. „Steigt der Ökoanteil weltweit, wird für die Nahrungsmittelproduktion mehr Fläche benötigt und die Preise ziehen an.“ Der Landnutzungswandel durch den höheren Flächenverbrauch sei dann ein Killer natürlicher Biodiversität. Daher sei ein deutliches Hochschrauben des Ökoanteils weltweit in Bezug auf Nachhaltigkeit nicht der große Wurf.


Anders sieht das Stefan Palme, Geschäftsführer des Biobetriebes Gut Wilmersdorf im brandenburgischen Angermünde. „Öko finanziert sich über den Verbraucher und ist ein geschlossenes System“, sagt er. Weil laut FAO derzeit für 12 Mrd. Menschen Kalorien produziert werden, gebe es mit der Versorgung kein Problem. Problematisch sei aber die Lebensmittelverschwendung.


Die Züchtungspotenziale heben:

Umden Ackerbau nachhaltiger zu gestalten, spielt auch die Züchtung eine wichtige Rolle – darin waren sich die Podiums-teilnehmer einig. Gefragt sind neben gängigen Merkmalen wie Gesundheit und Qualität zunehmend auch Trockentoleranz und Nährstoffeffizienz.


„Mit dem EuGH-Urteil, neue Züchtungsmethoden wie Crispr/Cas9 als Gentechnik einzustufen, wurde ein großes Potenzial verschenkt“, erklärte Dr. Helmut Schramm von Bayer. Mit den neuen Verfahren hätte man den dringend benötigten Zuchtfortschritt deutlich beschleunigen können, und zwar von 10 bis 15 Jahren auf nur noch 2 bis 5 Jahre. Man solle doch mehr die Chancen sehen, als immer nur Angst zu haben.


Ministerin Svenja Schulze und Olaf Tschimpke befürworten das Urteil dagegen. „Bevor man über neue Züchtungsmethoden nachdenkt, ist es besser, auf Gene von Nichtkulturpflanzen zurückzugreifen“, erklärte der Nabu-Präsident.


Ob das der richtige Weg ist, bezweifelt Bernhard Krüsken vom DBV. „Greift man auf alte Kulturpflanzen zurück, lässt sich z.B. zwar die Trockentoleranz verbessern, mit Sicherheit leidet darunter aber der Ertrag“, sagte er. Nach seiner Meinung ist es an der Zeit, dass veraltete Gentechnikrecht zu überarbeiten, weil es nicht geeignet sei, neue Methoden zu bewerten. Die Wissenschaft, so Prof. Quaim, kann die Risiken derzeit nicht beurteilen. Für ihn ist allerdings klar, dass die Ökoverbände diese neuen Methoden ablehnen. „Für die Verbände ist es doch wichtig, die Marktnische als Label zu erhalten“, sagt er.


Den Strukturwandel bremsen:

Wer mehr Naturschutz will, benötigt wirtschaftlich starke ländliche Räume. „Ein riesen Problem für die Bauern sind zurzeit die immer höheren Auflagen. Sie treiben den Strukturwandel“, gibt Bernhard Krüsken zu bedenken. „Um wasserrechtliche Auflagen zu erfüllen, sollen einige Betriebe z.B. 250000 € in die Hand nehmen – und das ohne eine zusätzliche Wertschöpfung“. Hier besteht nach seiner Ansicht dringender Handlungsbedarf seitens der Politik.


„Auch die Wettbewerbsverzerrungen schwächen den ländlichen Raum“, so Dr. Helmut Schramm. „Während bestimmte Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln in der EU infrage stehen, sind sie in anderen Ländern gang und gäbe“, betont er. Die EU und insbesondere Deutschland hängen sich damit vom Weltmarkt ab. Dass es neben dem chemischen Pflanzenschutz weiter in Richtung biologischer Präparate gehen soll, darüber waren sich die Experten einig.


Ausblick:

Unbestritten gibt es Verbesserungspotenzial im derzeitigen Ackerbau. Diese offen anzusprechen und über Lösungen zu diskutieren, war Ziel der Veranstaltung. Folgende Gemeinsamkeiten lassen sich feststellen:


  • Der EU-Agrarhaushalt darf nicht gekürzt werden.
  • Mit Naturschutzmaßnahmen müssen Landwirte Geld verdienen können.
  • Der Ökolandbau ist nicht die alleinige Lösung der Probleme.Kontakt:


matthias.broeker@topagrar.com

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