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Prof. Jessel: „Wir brauchen das Grünland“

Für die Biodiversität ist Grünland unentbehrlich. Wie auch artenreiche Flächen besser geschützt werden können, erklärt Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).

Lesezeit: 6 Minuten

Frau Prof. Dr. Jessel, wie steht es um das Grünland in Deutschland?

Jessel: Nach den uns vorliegenden Zahlen konnte der Schwund der Dauergrünlandflächen bundesweit weitgehend gestoppt oder zumindest deutlich verlangsamt werden. Regional schwanken diese Entwicklungen aber teilweise erheblich. Insgesamt gingen von 1993 bis 2013 ca. 630000 ha Grünland verloren. Große Verluste gab es bis 2013 etwa in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, später auch in Teilen Brandenburgs und der Eifel. Doch ab 2015 nahm die Fläche gerade in Schleswig-Holstein wieder leicht zu. Genaue Verluste lassen sich flächendeckend und dabei regional differenziert vermutlich erst ermitteln, wenn die Fernerkennung weiter fortgeschritten ist. Derzeit führen Analysemodelle und unterschiedliche Beobachtungsansätze zu verschiedenen Ergebnissen und decken die Flächendynamiken nicht umfassend ab.

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Wie entwickelt sich die Qualität der Flächen?

Jessel: Es ist vor allem die anhaltende qualitative Verschlechterung des Grünlands, die uns Sorge bereitet. Verschiedene Erhebungen zeigen uns eindeutig, dass immer mehr Grünlandflächen immer weniger Tier- und Pflanzenarten aufweisen. Die Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen belegt, dass mittlerweile 83% der Grünlandlebensräume gefährdet oder von Vernichtung bedroht sind! Der High Nature Value Farmland-Indikator, also das Monitoring der Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert, bestätigt dies: Zwischen 2009 und 2016 gingen gut 85200 ha Grünland mit einem hohen Naturwert verloren. Von diesen Verlusten sind nicht nur eher extensiv bewirtschaftete Flächen betroffen, sondern massiv auch mittlere Standorte mit blütenreichen Mähwiesen. Auffällig ist dabei: Flächen auf Grenzertragsstandorten werden häufig aufgegeben, während vor allem in typisch grünlandgeprägten Regionen Flächen intensiver genutzt werden.

Wie steht es um die nationale Grünlandstrategie, die Sie im ersten Grünlandreport des BfN 2014 forderten?

Jessel: Diese ist nach wie vor notwendig. Die Rufe nach einer Grünlandstrategie des wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2013 wurden in den eigenen Reihen bis heute nicht gehört. Wir stehen einem Dialogprozess und einer engen ressortübergreifenden Zusammenarbeit offen gegenüber.

Warum sind Grünlandflächen so wichtig für die Biodiversität?

Jessel: Mit seiner Vielfalt an Strukturen und zeitlich gestaffelten Blühabfolgen bietet entsprechend bewirtschaftetes Grünland viele Lebensräume für Pflanzen, Insekten, Kleinsäuger und Vögel. Beispielsweise haben rund 40% der in Deutschland als gefährdet eingestuften Farn- und Blütenpflanzen ihr Hauptvorkommen im Grünland – das entspricht 822 Arten. Ohne das Grünland können wir unsere nationalen, europäischen und internationalen Ziele zum Schutz der Biodiversität nicht erreichen.

Welchen Wert hat Restgrünland, also Grünlandflächen, die noch in den Ackerregionen liegen?

Jessel: Selbst in intensiv genutzten Ackerbauregionen ermöglichen Brachflächen, Saumstrukturen oder Restgrünland das Überleben von Arten, die auf den Äckern keinen Lebensraum mehr finden. Extensiv bewirtschaftetes Restgrünland ist besonders wertvoll. Diese Flächen stellen wichtige „Trittsteine“ dar, um die vorkommenden Tiere und Pflanzen zu vernetzen. Wenn immer mehr dieser Strukturen verschwinden, geht die Funktion verloren, was unweigerlich zum Artenverlust führt. Restgrünland ist sehr divers, es gibt keine geregelte Definition. Leider liegen uns auch keine umfassenden Daten über den Anteil an Restgrünlandflächen in Deutschland vor.

Besonders schützenswert sind extensive Grünlandflächen. Was können Landwirte dafür tun?

Jessel: Für extensives Grünland gibt es gute Maßnahmen: Etwa ein reduzierter Düngereinsatz, besser noch ein Verzicht, nur ein bis zwei an die Brut- und Setzzeiten angepasste Mahdtermine und bei Weiden ein geringer Viehbesatz (0,3 bis 1 RGV/ha). In den Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) engagieren sich bereits 40% aller Betriebe freiwillig. Die aktuelle Förderkulisse ist jedoch weder für Landwirte wirtschaftlich attraktiv noch für den Naturschutz so zielführend, dass messbare Erfolge zu verzeichnen sind. Aufgrund der vielfältigen Naturräume und Ansprüche der jeweiligen Tier- und Pflanzenarten gibt es auch nicht das eine, für alle Regionen und Bodenklimaräume ideale, Modell.

Wie lässt sich der Status quo verbessern?

Jessel: Wesentlich wären Maßnahmen, die etwa über die 2. Säule der Agrarförderung finanziell so gestützt sind, dass sie einkommenswirksam sind und sich gut in unterschiedliche Betriebsabläufe integrieren lassen. Zudem könnte man den Absatz von Milch- und Fleischprodukten aus extensiver Weidewirtschaft fördern. Eine ganz wesentliche Rolle kommt einer maßgeschneiderten betrieblichen Beratung zu, die auch die Aspekte der Biodiversität abdeckt. Zu guter Letzt brauchen wir mehr engagierte Landwirte und Landwirtinnen, die als Vorbilder agieren, aktiv am Wissenstransfer mitwirken und dabei helfen, gegenseitige Vorbehalte abzubauen und die Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen zu erhöhen.

Landwirte stehen unter teils starkem wirtschaftlichen Druck, hinzu kommt die neue Düngeverordnung. Wie könnte man die Landwirte entlasten?

Jessel: Unterstützen könnten wir vor allem dadurch, dass wir denen, die besonders umsichtig mit unseren natürlichen Ressourcen umgehen, besseren Zugriff auf Fördergelder gewähren. Im Kontext der Düngeproblematik könnte dies etwa heißen, die Förderung daran zu knüpfen, ob der Viehbesatz an die Betriebsfläche angepasst ist. Hilfreich wäre zudem, Betriebe beim Aufbau von diverseren Vermarktungsketten zu unterstützen. Produkte einer vielfältigen Landwirtschaft können schließlich nur wirtschaftlich vertrieben werden, wenn sie auch beim Verbraucher ankommen.

Was können Verbraucher beitragen?

Jessel: Unsere bundesweiten Umfragen zum Naturbewusstsein von 2015 zeigen: Für 64% der Befragten ist es sehr wichtig, dass die Landwirtschaft bei ihren Entscheidungen die Auswirkungen auf die Natur berücksichtigt. Hier sehe ich hohes Potenzial – der Verbraucher kann mit einer bewussten Kaufentscheidung den Markt beeinflussen. Damit das gelingt, müssen die Wertschöpfungsketten transparent gestaltet und entsprechend kommuniziert werden.

Kann die europäische bzw. deutsche Politik dem Grünland helfen?

Jessel: Die europäische Agrarpolitik (GAP) und ihre nationale Umsetzung sind eine wesentliche Stellschraube. Würden die Zahlungen an die Landwirtschaft konsequent an dem Grundsatz „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ ausgerichtet, könnte man Landwirte für ihre Leistungen im Natur-, Umwelt- und Klimaschutz stärker honorieren. Uns wird häufig vorgeworfen, wir wollten der Landwirtschaft ihre Subventionen wegnehmen, das aber wollen wir ganz sicher nicht. Wir sehen aber auch, wie wichtig eine Umstrukturierung des derzeitigen agrarpolitischen Modells ist, wie sehr wir eine stärkere Umverteilung der Finanzmittel, effektivere AUKM und eine insgesamt naturverträglichere Landwirtschaft brauchen! Dies kann und muss auch den Betrieben zugute kommen, vor allem im Hinblick auf die niedrigen Preise, die sie für ihre Erzeugnisse am Markt erhalten.

Wie könnten politische Vorgaben Ihrer Meinung nach ausgestaltet sein?

Jessel: Die derzeit in der Diskussion stehenden Eco-Schemes für die GAP nach 2020 könnten ein möglicher Ansatz sein. Dies hängt jedoch wesentlich von der inhaltlichen Ausgestaltung der Maßnahmen, dem zur Verfügung stehenden finanziellen Budget sowie den weiteren Vorgaben – wie der neuen Konditionalität – ab. Wir brauchen Konzepte, die von den Landwirten umsetzbar sind und gleichzeitig einen wirklichen Mehrwert für die biologische Vielfalt haben. Dabei müssen Landwirtschafts- und Umweltbehörden zusammenarbeiten.

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