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Lasst die Flächen bei den Bauern!

Lesezeit: 9 Minuten

Jeden Tag gehen in Deutschland fast 100 ha wertvolle Agrarfläche verloren. Die Politik kann oder will nicht gegensteuern. Jetzt macht der Bauernverband Druck.


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Hier ein weiteres Gewerbegebiet, da eine neue Landstraße: Es sind die vielen kleinen Nadelstiche, die in ihrer Gesamtheit zu einem echten Problem werden. Jeden Tag gehen den deutschen Landwirten rund 90 ha wertvolle Fläche verloren, weil sie für Gewerbe-, Wohn- oder Verkehrsflächen überbaut werden oder teils ineffizienten Ausgleichsmaßnahmen zum Opfer fallen. Wie Übersicht 1 zeigt, sind allein in den vergangenen 20 Jahren mehr als 800 000 ha verloren gegangen. Das entspricht der gesamten landwirtschaftlichen Fläche der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland.


Das Versagen der Politik:

Kann oder will die Politik nichts für den Schutz unserer Flächen tun? Fragt sich so mancher Landwirt in den Speckgürteln von Kiel bis München, dem die neue Landstraße den Schlag in zwei Dreiecke zerschneidet oder dem der Pachtvertrag platzt, weil auf einem 80er-Lössboden eine Streuobstwiese für das neue Gewerbegebiet angelegt werden soll. Der Flächenklau trifft vor allem die Pächter doppelt hart. Denn besonders in den Ballungszentren treibt die Flächenknappheit die Pachtkosten in schwindelerregende Höhen. Besteht kein langjähriger Pachtvertrag, gibt es für den Bewirtschafter so gut wie keine Chance, gegen den Eingriff vorzugehen.


Dabei ist das Problem des Flächenverbrauchs eigentlich lange bekannt. Bereits 2002 im Rahmen der „Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie“ hatte die damalige Bundesregierung dem Flächenfraß den Kampf angesagt. Bis 2020 wollte man den Verbrauch auf 30 ha pro Tag eindämmen, hieß es vollmundig. Ein ehrgeiziges, aber folgerichtiges Ziel, wenn man bedenkt, dass weltweit immer mehr Menschen auf immer weniger Fläche satt werden müssen, und in Deutschland die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten spürbar zurückgehen wird.


Passiert ist seitdem allerdings so gut wie nichts. „Während es gelungen ist, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, ist beim Flächenverbrauch noch immer das Gegenteil der Fall“, bringt es Steffen Pingen, Fachreferent beim Deutschen Bauernverband auf den Punkt und ergänzt: „Selbst in Regionen mit Bevölkerungsrückgang werden noch immer reichlich Flächen neu versiegelt.“


Immerhin: Selbst die Mehrheit der Bevölkerung hat inzwischen das Problem des Flächenverlustes erkannt. In einer repräsentativen Umfrage des Osnabrücker Meinungsforschungsinstituts „Produkt und Markt“ befürchten rund 80 % der Befragten einen Verlust von Landschaft, Natur und Artenvielfalt durch den Flächenverbrauch. Fast 70 % sprachen sich für einen gesetzlichen Schutz von Äckern und Grünland aus. Und drei Viertel forderten statt dem Neubau auf der grünen Wiese verstärkt auf die Innenentwicklung von Städten und Dörfern zu setzen.


Jetzt reicht’s!

Weil bislang so wenig passiert ist, macht der Bauernverband Druck auf die Politik. Mit einer umfangreichen Gesetzesinitiative und einer Petition im Deutschen Bundestag soll der Flächenfraß eingedämmt werden. Kern der Initiative ist ein Flächenschutzgesetz, angelehnt an Vorgaben des Bundeswaldgesetzes sowie eine Reihe von Änderungen in bestehenden Gesetzen (siehe Kasten Seite 34). Ähnlich wie beim Wald soll die landwirtschaftliche Fläche wegen ihrer Bedeutung für die Gesellschaft geschützt werden. Vier Punkte stehen besonders im Fokus:


  • Die Flächenentnahme für Bau- und Gewerbegebiete sowie den Straßenbau,
  • der fehlgesteuerte Ausgleich,
  • der Netzausbau für die Energiewende
  • und das Greening der Direktzahlungen im Zuge der Agrarreform.


1. Entnahme eindämmen:

Das Kernproblem bleibt die zügellose Flächenentnahme selbst. Es gibt zwar den Grundsatz der Flächenschonung in der Bauleitplanung, haben Städte und Kommunen aber die Möglichkeit neue Wohn- und Gewerbegebiete auszuweisen, ist dieser schnell vergessen. Deutschlandweit werden jedes Jahr große Flächen „auf Vorrat“ aus der Produktion genommen, um als Reserve für neue Bau- und Gewerbegebiete oder die dazugehörigen Ausgleichsmaßnahmen zu dienen. Irgendjemand verkauft immer und statt die innerstädtische Entwicklung voranzutreiben, muss dann häufig die grüne Wiese herhalten.


Um Abhilfe zu schaffen, fordert der Bauernverband unter anderem Änderungen im Baugesetzbuch und dem Raumordnungsgesetz. Konkret geht es darum, den Grundsatz der Flächenschonung und den Schutz der Agrarstruktur zu stärken. Neue Wohn- und Gewerbegebiete sollen nur ausgewiesen werden dürfen, wenn nachgewiesen ist, dass alle Potenziale der Innenentwicklung ausgeschöpft sind. Hier muss die Wiederverwendung bereits genutzter Grundstücke und die Verdichtung im Innenbereich Vorrang haben. Das ist auch vor dem Hintergrund der immer älter werdenden Bevölkerung sinnvoll. Sonst droht in vielen Regionen demnächst eine Verödung der Dorf- und Stadtzentren. Abhilfe schaffen


  • ein verpflichtendes Leerstands- und Baulückenkataster in allen Kommunen;
  • eine bessere Abstimmung zwischen den Gemeinden und den höheren Verwaltungsebenen und
  • die Schaffung von Anreizen zur Sanierung und Nutzung von Altbauten über das Einkommenssteuerrecht.


Die größten Sünder beim Flächenverbrauch sind in aller Regel jedoch weniger die Häuslebauer aus der Nachbarschaft sondern der Bundes- und Landesstraßenbau. Besonders für große Infrastrukturprojekte ist der Flächenhunger noch immer immens. Hier sollten die Länder auf eine verstärkte Bündelung der Verkehrs-trassen setzen und dem Ausbau bestehender Projekte Vorrang vor dem Neubau geben. Ist ein Projekt unumgänglich kommt es auf die Ausgestaltung an. In Hessen übernimmt beispielsweise die dortige Landgesellschaft den Flächenerwerb für den gesamten Straßenbau und kann so bereits im Vorfeld auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht nehmen.


2. Ausgleich optimieren:

Die Überbauung von Flächen ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen für den ökologischen Ausgleich erhöhen den Flächenverbrauch mitunter um ein Vielfaches. Gehen laut den Landgesellschaften beim Wohnbau pro verbautem Quadratmeter rund 0,3 m2 für den Ausgleich verloren, ist dies im Straßenbau deutlich dramatischer. Trauriger Höhepunkt beim Bau der A 20: Ein Verhältnis von 6,5 ha Ausgleichsfläche für 1 ha Baumaßnahme.


Werte, die beim Artenschutz-Ausgleich für besonders geschützte Arten und Biotope im Rahmen der FFH-Richtlinie noch deutlich übertroffen werden. Jüngstes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Ein geplanter Flächenverlust von rund 700 ha für die Anlage einer offenen Parklandschaft und die Aufforstung von Wäldern als Ausgleich für die Zerstörung von Waldflächen mit seltenen Fledermäusen (Tagebau Hambach).


Der Bauernverband fordert auch beim Ausgleich den Grundsatz der Flächenschonung über eine Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes zu stärken. Gezielte Naturschutzmaßnahmen in Kooperation mit den Landwirten sollen Vorrang vor großflächigen Schutzgebieten haben. Dabei sollen bereits bei der Auswahl der Ausgleichsflächen berufsständische Organisationen wie Kreisbauernverbände oder die Landwirtschaftskammern verpflichtend miteinbezogen werden.


Die Landgesellschaften plädieren für eine Verdichtung und Qualifizierung der Ausgleichmaßnahmen, etwa durch die Aufwertung von Biotopen, die Konzentration auf Natura-2000-Flächen und die Ausweitung der produktionsintegrierten Kompensation (PIK) nach dem Motto: Schützen durch Nutzen. Zudem kombinieren sie die Kompensation mit Maßnahmen, die im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie zu erbringen sind. Sie sprechen sich wie auch der DBV für eine bundesweite Vereinheitlichung der Bewertungssysteme aus, um diese transparenter und effizienter zu gestalten.


Inzwischen gibt es eine Reihe von produktionsintegrierten Maßnahmen mit Vorbildcharakter, die die Flächen für die Landwirtschaft erhalten und die betroffenen Landwirte durch den kooperativen Ansatz auch noch „mitnehmen“. (Beispiele und weitere Infos ab Seite 36).j


3. Netzausbau anpassen:

Praktikable Lösungen braucht es insbesondere auch mit Blick auf die anstehende Energiewende. Noch weiß niemand genau, wie die Industriezentren im Süden von den Energiestandorten im Norden versorgt werden sollen. Fest steht nur, wenn die süddeutschen Industriekerne nicht in den Norden umgesiedelt werden sollen, braucht es nicht nur viele neue Windkraft- und Biogasanlagen sondern auch zusätzliche Stromtrassen und Gasleitungen. Hier lässt das mit heißer Nadel gestrickte Netzausbau-Beschleunigungsgesetz erahnen, was den Bauern droht, wenn zwischen Nordsee und Alpen rund 4 000 km neue Leitungen entstehen:


  • Neuer Flächenverlust,
  • Streit um Entschädigungssätze und
  • im schlimmsten Fall eine Vervielfachung der beanspruchten Fläche durch den ökologischen Ausgleich.


Gerade beim Bau von Energietrassen muss dem Grundsatz der Flächenschonung oberste Priorität eingeräumt werden. Ein heikler Punkt ist hier vor allem der ökologische Ausgleich. Aus Sicht der Landwirte sollte die ökologische Kompensation für Leitungsnetze, Strom- und Erdgas-Trassen flächenneutral erfolgen inform von Geldzahlungen durch die Netzbetreiber. Hierbei ist zu verhindern, dass die Gelder an anderer Stelle wieder für einen Flächenkauf eingesetzt werden können. Um die Akzeptanz unter den Landwirten zu sichern, drängt der Bauernverband außerdem auf angemessene Entschädigungssätze für die Landwirte.


4. Greening zähmen:

Wer sich Flächenschutz und grüne Energiegewinnung auf seine Fahnen schreibt, darf nicht zugleich 7 % der Ackerfläche aus der Produktion nehmen, wie Agrarkommissar Ciolos kürzlich im Rahmen des Greenings der Direktzahlungen vorgeschlagen hat. Eine solche Stilllegung ist nicht nur vor dem Hintergrund von Zielen wie Versorgungssicherheit absurd: Hier schafft Ciolos ein neues Bürokratiemonster und verstärkt den Druck für die ohnehin angespannten Pachtmärkte.


Soll ein 100-ha-Betrieb in Weser-Ems, 7 ha zu Preisen von 800 €/ha und mehr zupachten, um die Greening-Voraussetzungen zu erfüllen? Und was ist in Naturräumen, die von Natur aus „ausgeräumt“ sind und in denen sich keine Landschaftselemente wie Tümpel und Hecken anrechnen lassen? Und überhaupt: Sollte es nicht ohnehin das Ziel sein, auf 100 % der Fläche nachhaltig zu wirtschaften und nicht nur auf 7 %?


Fakt ist, auch ein temporärer Flächenentzug wie das Greening erhöht den Flächendruck. Hier liegt es an Landwirtschaftsministerin Aigner bei den Verhandlungen zur Agrarreform einige Brocken aus dem Weg zu räumen. Dabei geht es auch um Fragen der Ausgestaltung: Warum erfüllen nur Öko-Betriebe die Greening-Voraussetzung? Warum nicht auch die Landwirte, die Agrarumweltmaßnahmen und Vertragsnaturschutz betreiben? Und weshalb gilt z. B. eine längere Hecke plötzlich als Wald und ist damit nicht mehr als ein Land-schaftselement anrechenbar?


Jetzt ist der richtige Zeitpunkt:

Fest steht, egal ob Brüssel oder Berlin, jetzt öffnet sich das Zeitfenster, um mit dem Flächenschutz ernstzumachen. Gute Vorschläge liegen genug auf dem Tisch, jetzt gilt es auf allen Kanälen politischen Druck aufzubauen. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, startet der Deutsche Bauernverband deshalb am 20. Januar ein Petitionsverfahren im Internet. Wenn mehr als 50 000 Befürworter mitmachen, ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, sich mit den Vorschlägen im Parlament auseinander zu setzen.


Wie DBV-Präsident Gerd Sonnleitner die Politik zum Handeln bringen möchte und wie auch Sie zum Erfolg beitragen können, lesen Sie in unserem Interview.

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