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Schweinepest: Impfen, nicht keulen

Lesezeit: 6 Minuten

Im Auftrag der EU hat Berlin das Konzept für die Bekämpfung der Schweinepest überarbeitet. Notimpfung und Freitesten könnten endlich salonfähig werden – wenn das Vermarktungsproblem nicht wäre!


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Keulungstrupps, die mit ihren Elektrozangen innerhalb weniger Tage ganze Mast- und Zuchtbestände ausradieren, randvoll mit Tierkadavern beladene Container und lange LKW-Schlangen vor den Abdeckereien: Die Schweinepest-Seuchenzüge der 90er Jahre sind vielen Schweinehaltern und Tierärzten noch in grausiger Erinnerung.


Allein zwischen 1993 und 2002 wurden EU-weit mehr als 15 Millionen Schweine getötet. Von denen waren jedoch nur knapp 5 % direkt von der Seuche betroffen. Der überwiegende Teil wurde vorsorglich gekeult, um die weitere Übertragung des Erregers zu stoppen.


Neue Markerimpfstoffe:

Das massenhafte Töten überwiegend gesunder Schweine lässt sich jedoch weder ethisch noch wirtschaftlich länger vertreten. Deshalb wurde der Protest gegen die Keulungspolitik der EU mit jedem Seuchenzug größer. Zumal inzwischen neue diagnostische Verfahren und moderne Markerimpfstoffe entwickelt wurden, die ganz neue Bekämpfungs- und Vermarktungschancen eröffnen.


Beispiel Impfstoffe: Neben der bewährten C Stamm-Vakzine, die bereits in den 80er Jahren bei Schutzimpfungen zum Einsatz kam und die schon nach einmaliger Verabreichung innerhalb weniger Tag für eine belastbare Immunität sorgt, gibt es inzwischen auch so genannte E2 subunit-Vakzinen.


Bei diesen neuen Marker-Impfstoffen kann man anhand der Antikörper im Blut genau unterscheiden, ob das Tier geimpft wurde, oder ob es sich mit dem Schweinepest-Feldvirus infiziert hat. Allerdings stellt sich der Schutz bei der E2 subunit-Vakzine erst nach drei Wochen ein. Und es muss zweimal geimpft werden, um einen belastbaren Schutz zu erzielen.


Die positiven Effekte beider Impfstoffe – schneller Impfschutz und sichere Unterscheidung zwischen infizierten und geimpften Tieren – soll eine neue, gentechnisch veränderte Chimären-Vakzine in sich vereinen. Dieser Impfstoff befindet sich jedoch noch in der Erprobung und wird nach Ansicht von Experten frühestens 2014 zugelassen.


Auch in puncto Diagnostik hat sich viel getan: Mit der Polymerase-Kettenreaktion in Echtzeit (RT-PCR) steht inzwischen ein Nachweisverfahren zur Verfügung, mit dem man die Erregerfreiheit sofort bestätigen kann. Man muss nicht mehr abwarten, bis das infizierte Schwein Antikörper gebildet hat. Und das Ergebnis ist genauso sicher wie bei der Anzüchtung des Erregers.


Impfen und freitesten:

Mithilfe der RT-PCR können gesperrte Tierbestände endlich zeitnah „freigetestet“ werden. In Kombination mit neuen Markerimpfstoffen können bei der Schweinepestbekämpfung also ganz neue Wege beschritten werden. Deshalb hat die EU-Kommission die Bundesregierung im Sommer 2010 beauftragt, ein neues Konzept für die Bekämpfung der Klassischen Schweinepest (KSP) zu erarbeiten. Dieses Konzept soll im neuen Tiergesundheitsrecht der Gemeinschaft verankert werden.


Am 19. September 2011 hat die Bundesregierung das mit den Bundesländern abgestimmte Konzept an die EU-Kommission weitergeleitet. Die Notimpfung ist darin fester Bestandteil des Bekämpfungs-Instrumentariums. Im Falle eines Schweinepest-Ausbruchs könnte künftig so vorgegangen werden:


  • Der Seuchen-Ursprungsbetrieb und alle Kontaktbetriebe werden unverzüglich gekeult.
  • Ebenfalls gekeult werden – je nach epidemiologischen Gegebenheiten – alle im 500-m-Radius rund um den Seuchenherd gelegenen Bestände.
  • Um das Virusgeschehen schnell „einzufrieren“ und die Zahl der zu tötenden Schweine so gering wie möglich zu halten, könnten alle Bestände im 1-km-Radius notgeimpft werden – bei Bedarf auch alle Bestände im Sperrbezirk (3 km).
  • Die Entscheidung zur Impfung fällt das jeweilige Bundesland, in dem der Seuchenausbruch auftritt.


Die Kriterien, die für die Notimpfung erfüllt sein müssen, sind im Anhang 6 der Schweinepest-Richtlinie der EU definiert. Ausschlaggebend ist z. B, wenn die Kapazität der Tierkörperbeseitigung überschritten wird oder wenn das Seuchengeschehen aus dem Ruder läuft.


  • Das betreffende Bundesland entscheidet auch, welcher Impfstoff zum Einsatz kommt (C Stamm- oder E2 subunit-Vakzine).
  • Zuchtbestände sollen nach dem jetzigen Entwurf möglichst von der Impfung ausgenommen werden – insbesondere Betriebe mit wertvollen Zuchttieren (z.B. Zuchteberbestände). Voraussetzung ist allerdings, dass dadurch eine 80 %-ige Impfabdeckung nicht unterschritten wird. Die ungeimpften Zuchtbestände unterliegen zudem einer intensiven Überwachung (Antikörper-ELISA und PCR).
  • Die geimpften Schweine werden entweder gekeult, das wäre die Hau-Ruck-Variante. Oder aber sie werden mithilfe der RT-PCR freigetestet. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es werden komplette Gebiete freigetestet. Oder aber die Schweine werden nach und nach untersucht, wenn sie die Schlachtreife erreichen.


Darüber hinaus plädiert das Landwirtschaftsministerium dafür, dass im 10-km-Beobachtungsgebiet wieder das „Belgische Modell“ zum Einsatz kommt. Das heißt: Schlachtschweine dürften nach klinischer und serologischer Untersuchung innerhalb des Beobachtungsgebietes transportiert und geschlachtet werden. Auch Ferkel sollten innerhalb des Impfgebietes in geräumte und vorschriftsmäßig gereinigte und desinfizierte Mastställe verbracht werden dürfen, mit Ausnahmegenehmigung eventuell auch nach außerhalb.


Exporte könnten wegbrechen.

Das Problem ist jedoch nicht die Impfung, sondern die Vermarktung. Denn die EU verlangt, dass die Schlachthälften der notgeimpften Schweine mit dem so genannten Kreuzinnenstempel gekennzeichnet werden – unabhängig davon, ob sie mit der alten C Stamm- oder mit der E2 subunit-Vakzine geimpft wurden. Das heißt, dass das Fleisch aus der Impfregion mindestens sechs Monate lang nur innerhalb Deutschlands vermarktet werden darf. Ausnahmen sind derzeit nur bei Einsatz der E2 subunit-Vakzine und vorheriger Genehmigung durch die EU-Kommission möglich.


Darauf wollen sich Schlachtbranche und Lebensmitteleinzelhandel jedoch nicht einlassen (siehe Interview). Solange es innerhalb Europas genug Fleisch von ungeimpften Schweinen zu kaufen gibt, erwarten sie deutliche Preiseinbrüche.


Die Schlachtunternehmen fürchten aber auch um ihre Exporte. Denn wichtige Abnehmer in Osteuropa und Asien wollen kein Fleisch pestgeimpfter Schweine. Sie glauben, sich auf diese Weise das Virus ins Land zu holen.


Auf diese Exporte ist die Schlachtbranche jedoch angewiesen. Denn der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch liegt im Moment bei geschätzten 115 %. Die Ausfuhren sind wichtig, um im Inland die Preise zu stabilisieren.


Kreuzinnenstempel muss weg!

Bauernverband, ZDS und ISN fordern daher, dass der Kreuzinnenstempel weg muss. Im Fall einer Schweinepest-Notimpfung müssen die geimpften Schweine ohne Wenn und Aber frei handelbar sein. Das geht jedoch nur mit Zustimmung der EU. Und die ist kaum zu erwarten, weil sich Impfgegner wie Großbritannien und Dänemark sperren.


„In einer so wichtigen Frage wie der Vermarktung von geimpften Tieren verlangt die EU jedoch ein einstimmiges Votum aller EU-Mitglieder, ein Mehrheitsentscheid reicht nicht“, gibt Dr. Karin Schwabenbauer zu bedenken, die Leiterin der Unterabteilung Tiergesundheit im Bundeslandwirtschaftsministerium.


Bleibt die Möglichkeit, direkt mit den Drittländern Kontakt aufzunehmen, um sie von der Unbedenklichkeit der Pest-Notimpfung überzeugen. Doch auch hier stehen die Chancen nach Ansicht von Frau Dr. Schwabenbauer schlecht. „Drittländer wie Russland oder China orientieren sich stark an den Vorgaben der Welt-Tiergesundheitsorganisation OIE. Die strebt aber nach wie vor die Antikörperfreiheit der Tiere an“, gibt die Veterinärin zu bedenken.


Die OIE davon zu überzeugen, dass der PCR-Nachweis sogar sicherer ist, kann nach Ansicht von Frau Dr. Schwabenbauer aber allenfalls ein mittelfristiges Ziel sein. Sinnvoller ist es ihrer Meinung nach, die importierenden Drittländer im direkten Gespräch von der Unbedenklichkeit des Fleisches KSP-geimpfter Tiere zu überzeugen.


„Glaubhaft sind wir dabei jedoch nur“, gibt Frau Dr. Schwabenbauer zu bedenken, „wenn wir selbst mit gutem Vorbild vorangehen. So lange sich aber der Lebensmitteleinzelhandel weigert, das Fleisch von geimpften Schweinen zu vermarkten, werden wir auch die Drittländer kaum überzeugen können.“


Henning Lehnert

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