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Schweiz: Milchprofis auf Wachstumskurs

Lesezeit: 10 Minuten

Fallende Milchpreise, steigende Umweltauflagen, zunehmende Extensivierung. Wie sehen Schweizer Milcherzeuger ihre Zukunft?


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Wer im neuen Stall von Daniel Häfliger in Sursee steht, wird sich von der Schweizer Postkarten-Idylle mit Kühen auf der Weide vor Alpenpanorama verabschieden: Der Betrieb hat seinen Bestand gerade von 45 auf 100 Kühe aufgestockt und dafür einen top-modernen Laufstall mit Tiefboxen, Gummimatten auf den Laufgängen und einem 20er-Melkkarussell gebaut.


Ein ähnliches Bild 100 Kilometer weiter nördlich bei Frauenfeld: Adrian Tobler melkt 85 Kühe im Laufstall. Vor zehn Jahren waren es noch 16 Kühe in Anbindung. Vor kurzem wurde der neue Futtermischwagen geliefert und ein neues Hochsilo gebaut.


Der Mut der beiden Junglandwirte zum Wachstum in der Milchproduktion ist erstaunlich, denn der Druck auf die Betriebe ist in der Eidgenossenschaft sehr hoch. In wohl kaum einem anderen europäischen Land haben sich die Bedingungen für die Milchwirtschaft so rasant verschlechtert wie in der Schweiz.


Hoher Anpassungsdruck:

Der Gegenwind, dem Wachstumsbetriebe ausgesetzt sind, kommt gleich von mehreren Seiten:


  • Sinkende Milchpreise: Nicht erst seit der Abschaffung der Milchquoten im Jahr 2009 sind die Preise für Molkereimilch von 75 bis 80 Rappen pro kg auf ein Niveau von 55 bis 60 Rappen ge-sunken. Bei einem Kurs von 1 € zu 1,23 Schweizer Franken (CHF) bedeutet das ein Minus von etwa 16 Ct auf circa 45 bis 49 Ct!
  • Flächenknappheit: Durch die extrem hohen Direktzahlungen von rund 1045 CHF (ca. 850?€) pro ha wird für Wachstumsbetriebe kaum Fläche frei. Der Strukturwandel lag zuletzt bei nur 1,6 %! Vor allem die ertragreicheren Tallagen werden oft im Nebenerwerb weiter bewirtschaftet. Und in Ackerbaugebieten können Milchviehhalter bei Preisen von bis zu 1200 CHF/ha für die Pacht (975 €) und bis zu 70 000 CHF für den Kauf (57 000 €) oft nicht mithalten. Zulässig sind maximal 2,5 GVE pro ha.
  • Futterzukauf: Weil Flächen knapp sind, müssen Betriebe Futter oder Einstreumaterial zukaufen. Verschärft wurde dieses Problem durch die jahrelang geförderte ökologische Extensivierung. Vor allem Eiweißfuttermittel wie Soja- und Rapsschrot müssen importiert werden, was durch den Zollschutz teuer ist.
  • Hohe Produktionskosten: Vor allem durch hohe Stall-, Lohn- und Maschinenkosten haben die Schweizer die höchsten Produktionskosten in Europa. Im Schnitt kostet ein neuer Kuhplatz derzeit rund 20 000 CHF inkl. Melktechnik, Silofläche und Güllelagerraum (16 300 €). Durch neue Auflagen ist die Tendenz steigend.
  • Steigende Auflagen: Die Agrarpolitik setzt verstärkt auf Tierschutz und Ökologie in der Tierhaltung und beschert den Betrieben Jahr für Jahr neue Auflagen. An viele davon sind Direktzahlungen gekoppelt. Im September 2013 läuft die Übergangsfrist für eine neue Tierschutzverordnung ab. Sie wird die Produktionskosten weiter nach oben treiben. Neue Grenzwerte für Nährstoffeinträge verstärken den Flächendruck zusätzlich.
  • Fehlende Arbeitskräfte: Obwohl die Ausbildungszahlen stabil sind, fehlt es an guten, motivierten Lohn-Arbeitskräften, die längerfristig bleiben. Zudem muss der Lohn mit dem anderer Branchen konkurrieren. 60 000 CHF jährlich (49 000 €) für eine Fremd-Arbeitskraft kann sich kaum ein Betrieb leisten.


Die Situation ist angesichts dieser zahlreichen Handicaps in vielen Betrieben prekär: Ohne die Direktzahlungen würden in den Betrieben oft 20 bis 25 % zur Deckung der Vollkosten fehlen. Auch Betriebe, die niedrige Kosten aufweisen, benötigen etwa 19 Rappen pro kg Milch (15,5 Ct) aus den Direktzahlungen für die Kostendeckung, rechnet Milchviehberaterin Nicole Amrein-Scherrer vom Landwirtschaftszentrum Liebegg im Kanton Aargau vor. Bei schwächeren Betrieben und im Berggebiet ist die Abhängigkeit deutlich höher.


Im Schnitt lagen die Vollkosten in Amreins Arbeitskreis-Betrieben im Jahr 2009 bei 1,02 CHF pro kg Milch (83 Ct), die Besten erreichten 80 Rappen (Übersicht 1, S. R 10). Bei einem Milchpreis von etwa 65 Rappen und Direktzahlungen von ca. 21 Rappen fuhren die Betriebe einen Verlust von 16,6 Rappen pro kg ein (13,5 Ct). Der Einkommensdruck war selten so hoch wie in letzter Zeit.


Die Suche nach kostengünstigeren Produktionssystemen ist deshalb in der Schweiz seit Jahren im Gange. Diskutiert wird vor allem die Vollweide mit saisonaler Abkalbung als Alternative zur ganzjährigen Stallhaltung. Doch obwohl Versuche dem Vollweide-System ein höheres Einkommen bescheinigen, sind bisher nur etwa 10 % der rund 26 000 Milchviehbetriebe auf Vollweide umgestiegen. Der Hauptgrund dafür ist, dass arrondierte Flächen fehlen. Der Großteil der Betriebe hält die Tiere weiterhin im Stall und gewährt ihnen Halbtagsweide.


Noch wenig Spezialisten:

Jungen Landwirten wie Daniel Häfliger oder Adrian Tobler ist aber klar: Zukunftsorientierte Betriebe müssen ihre Produktion ausweiten, um die Fixkosten zu reduzieren. Nur dann sind sie im freien Markt wettbewerbsfähig.


Milchspezialisten in ihrer Größenklasse mit 90 bis 130 Kühen gibt es in der Schweiz noch nicht viele. Man schätzt, dass es landesweit etwa 100 Betriebe sind. Derzeit liegt die Kuhzahl pro Betrieb im Schnitt bei 22 Tieren. Die Mehrzahl hält zwischen 20 und 25 Kühen, wobei es zwischen den Regionen große Unterschiede gibt. Kleinere Höfe werden oft im Nebenerwerb bewirtschaftet oder sie haben mehrere Standbeine, wie z. B. Agrotourismus oder Sonderkulturen.


Schätzungen gehen davon aus, dass landesweit 20 bis 30 % der Milcherzeuger in den nächsten Jahren in der Milch wachsen wollen. „In der Tendenz wachsen etwas größere Betriebe stetig weiter. Kleine Betriebe im Talgebiet mit weniger als 20 Kühen bleiben dagegen eher stabil oder sind Auslaufbetriebe“, berichtet Nicole Amrein-Scherrer. Sie betreut in ihren Arbeitskreisen Betriebe mit 10 bis zu 100 Kühen. Darunter sind zurzeit mehrere, die von der Anbindehaltung in den Laufstall wechseln und ihren Bestand dabei aufstocken. Über die Hälfte der rund 566 000 Kühe in der Schweiz steht noch im Anbindestall.


Günstige Lösungen gesucht:

Wer weiter Milch produzieren will, muss die Hürde der neuen Tierschutzverordnung 2013 nehmen, die neue Mindestmaße für die Stallhaltung vorschreibt. Dabei kommen viele Betriebe mit Anbindehaltung nicht um eine Investition herum: „Hier sind günstige Lösungen notwendig, um auch in Zukunft fit zu bleiben“, erklärt Jenifer van der Maas, Milchviehberaterin im Thurgau. Eine gängige Lösung ist z. B. der Bau einer Liegehalle, wobei der alte Anbindestall weiterhin zum Füttern oder Melken genutzt wird. In den letzten drei Jahren wurden nach Angaben der Schweizer Milchproduzenten (SMP) landesweit zwar über 1 000 Um- und Neubauten realisiert. Dennoch gehen Experten davon aus, dass die Verordnung viele zum Ausstieg aus der Milchproduktion bewegen wird.


Über Kooperationen wachsen.

Der einfachste Weg zu wachsen, ist über eine Kooperation mit anderen Betrieben als Betriebszweiggemeinschaft. Es gibt immer mehr Kooperationen mit drei oder vier Partnern. Mit einfachen Verträgen regeln sie zwar die Zusammenarbeit. Dennoch bleibt oft jeder Betrieb als eigenständige Produktionseinheit bestehen, um weiterhin Direktzahlungen zu erhalten.


Der Wachstumsweg über die Einstellung einer Fremd-AK ist aufgrund der hohen Lohnkosten und der mangelnden Arbeitskräfte eher die Ausnahme. An Nachfolgern für die Höfe fehlt es bisher noch nicht. Pro Jahr schließen gut 1 000 Landwirte eine Berufsausbildung ab. Üblich ist, dass der Sohn den Betrieb vom Vater zum Ertragswert übernehmen kann.


Die Betriebsentwicklung hängt allerdings auch sehr stark vom jeweiligen Abnehmer der Milch ab. So sind z. B. die Betriebe im Thurgau im Vergleich zu anderen Regionen überdurchschnittlich stark gewachsen, weil hier der Milchhändler grünes Licht für die Abnahme größerer Mengen gegeben hat.


Im Auge haben wachsende Betriebe auch das seit 2009 gültige Dreipreis-System, das die Milchmengen begrenzen soll. Die Wirkung ist bisher noch zweifelhaft, denn nach wie vor leidet der Markt an zu viel Milch (s. S. R 15). Für A-Milch bekommen die Erzeuger derzeit 64 Rappen, für B-Milch 53 und für C-Milch nur noch 28 Rappen (52 bis 23 Ct). Viele Betriebe versuchen deshalb etwa 90 % zum A-Preis und 10 % zum B-Preis anzuliefern.


Wer Bio-Milch produziert, kann dagegen derzeit so viel liefern, wie er möchte. Sie bekommen in der Regel über 10 Rappen (8 Ct) mehr als konventionelle Betriebe. Trotzdem ist der Preisabstand für viele konventionell wirtschaftende Bauern für einen Umstieg noch nicht attraktiv genug. Oftmals eigne sich auch die vorhandene Betriebsstruktur nicht für eine Umstellung auf Biomilch, so die Berater.


Not macht erfinderisch!

Den Milchprofis in der Schweiz ist klar: Wer wachsen will, muss beweglich sein und nach neuen Lösungen suchen.


So wird zunehmend Flächentausch praktiziert, um bessere Fruchtfolgen zu erzielen. In angespannten Regionen werden Gülleabnahmeverträge abgeschlossen. Mittlerweile gibt es Dienstleistungsbetriebe, die sich um die Güllevermittlung kümmern. Einige denken zur Verwertung ihrer Gülle auch über den Einstieg in die Biogas-Produktion nach. In der Schweiz dürfen ausschließlich Gülle oder Abfallstoffe in eine Biogasanlage wandern. Der GVE-Besatz im Betrieb kann durch die Sömmerung des Jungvieh auf der Alp reduziert werden. Den hohen Futter-, Betriebsmittel- und Maschinenkosten begegnen die Milcherzeuger mit Einkaufsgemeinschaften oder Maschinenringen. Um die Arbeitswirtschaft zu verbessern, lagern viele Betriebe im Talgebiet einen Teil der Außenwirtschaft oder die Jungviehaufzucht aus. Vom zweiten oder gar dritten Standbein wollen sie sich aber trotz hoher Belastung nicht trennen: „Wir wollen das Risiko verteilen und den Betrieb z. B. für Lehrlinge attraktiv halten“, erklärt Fritz Stettler-Hübscher aus Frauenfeld, der neben der Milchproduktion Geflügel aufzieht sowie Kartoffeln und Erdbeeren anbaut.


Konsolidierungsphase:

Durch den starken Preisdruck sind viele Betriebe dabei, ihre Reserven zu mobilisieren. Mit der Berechnung der Vollkosten kommen jetzt Einsparmöglichkeiten auf den Tisch: „Wir arbeiten daran, dass jeder Betrieb eine klare Strategie hat“, so Jenifer van der Maas. Großes Potenzial steckt nach Ansicht der Berater in der Verbesserung der Arbeitseffizienz: „Manche kommen bei den Arbeitskosten auf 28 Rappen pro kg Milch. Das entspricht einem Stundenlohn von nur 1 bis 2 Franken!“ Ziel sollten 27 bis 28 Franken sein (22 bis 23 €). Und auch bei der Reduktion der Maschinenkosten ist noch Luft.


Eine weitere Reserve für höhere Erlöse ist die Steigerung der Milchleistung. Der Landesschnitt der MLP-Betriebe liegt aktuell bei ca. 7 340 kg Milch pro Kuh und Jahr. „Viele könnten die Grundfutterleistung noch steigern und damit den Kraftfutteraufwand reduzieren“, erklärt Nicole Amrein-Scherrer. Erhebungen aus den Arbeitskreisen im Kanton Aargau haben gezeigt, dass eine Kraftfuttereffizienz von 130 g pro kg Milch möglich ist. Durch Luxuskonsum und hohe Importpreise schlagen die Kraftfutterkosten zum Teil bis zu 18 Rappen pro kg Milch (14,5 Ct) zu Buche! Das ergibt eine Kraftfuttereffizienz von über 200 g pro kg Milch. Allein aus dem Grundfutter seien je nach Region bis zu 6 500 kg Milch möglich.


Die Kraftfutterimporte zu senken ist aktuell eines der wichtigsten Themen in der Branche. Landauf landab sucht man nach Alternativen zu Soja, weil der Verbraucher die Importe sehr kritisch sieht. Das Bundesamt für Landwirtschaft und der Bauernverband planen deshalb, die Selbstversorgung mit Kraftfutter von heute 15 auf 65 % zu steigern. Dazu sollen die Anbauflächen für Futtergetreide um 25 000 ha und für pflanzliches Eiweiß um 15 000 ha gesteigert werden.


In Deckung gehen:

Aber nicht nur die Futterimporte sondern auch die Wachstumsbetriebe selbst haben einen schweren Stand in der Öffentlichkeit: „Wenn ich an Fläche Interesse zeige, heißt es oft: Warum sollst Du den Zugriff bekommen, Du bist doch schon so groß!“, berichtet Daniel Häfliger aus Sursee. Wer zu aggressiv auftritt, wird abgestraft.


Viele Wachstumsbetriebe haben Angst, dass sich das Klima für sie in Zukunft weiter verschlechtert: Die Schweizer Politik will im Agrarprogramm für die Jahre 2014 bis 2017 ökologische Maßnahmen noch stärker honorieren. Die Flächenbeiträge sowie die tierbezogene Förderung von 300 bis 690 CHF/GVE (je nach Tierart; 240 bis 560 €) sollen zwar entgegen erster Pläne in der bestehenden Höhe erhalten bleiben. Erklärtes Ziel des Schweizer Bundes ist aber nach wie vor, die Direktzahlungen von 3,7 Mrd. Franken pro Jahr (ca. 3 Mrd. €) weiter zu senken.


Kein Wunder, dass sich die Betriebe verstärkt nach Alternativen umschauen. Einige liebäugeln mit dem Einstieg in Biogas oder Photovoltaik als zusätzliche Standbeine. Milcherzeuger Claude Dumas sieht noch großes Potenzial im Zuchtgeschäft: „Die Nachfrage nach problemlosen Tieren für die Milchproduktion ist im In- und Ausland sehr groß.“

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