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Tierwohl: Zieht der Handel mit?

Lesezeit: 7 Minuten

Tönnies will Westfleisch und Vion mit einem Branchenlabel für Tierwohl rechts überholen. Der Vorteil: Das neue Konzept nimmt den Handel stärker in Pflicht. Doch gelingt das?


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Die Tierwohl-Debatte in Deutschland dreht sich immer schneller. Der Druck von NGOs und Politik auf Fleischwirtschaft und Erzeuger steigt. Viele erwarten, dass die Tierhaltung in Deutschland schon bald ganz anders aussieht. Überall wird derzeit an neuen Tierwohl-Labeln „gebastelt“. Nur den Durchbruch schaffte bisher noch keines.


So ist die Westfleisch mit ihrem Programm „Aktion Tierwohl“ zwar gut gestartet, tritt nun aber auf der Stelle. Gerade beim Umsatzbringer Frischfleisch mauert der Handel. Mit 400 000 Tieren pro Jahr ist man von der Zielmarke 1 Million weit entfernt.


Die Vion möchte mit dem Label des Deutschen Tierschutzbundes punkten. Den Start des Programms hat das ungleiche Paar allerdings schon mehrfach verschoben. Bis heute ist noch kein Stück „Tierschutzbund-Fleisch“ über den Tresen gegangen. Zumindest sollen nun aber die ersten 20 Ställe dem Label-Standard entsprechen – ein Volumen von etwa 40 000 Tieren pro Jahr. Im Januar 2013 soll das erste Fleisch endlich in der Theke liegen.


Kommt es zum Schulterschluss?

Als Drittes steigt nun Deutschlands größter Schlachter in den Ring. Zusammen mit ProVieh, Böseler Goldschmaus, ThönesNatur und der Rewe-Gruppe hat er ein neues Konzept entwickelt. Anders als die Konkurrenz, verkauft Tönnies sein Konzept aber erst gar nicht als hauseigenes Label, sondern versucht von vornherein alle mit ins Boot zu holen. Die Ankündigung reichte, um die gesamte Branche wachzurütteln. „Wir müssen einen Wettlauf um das beste Label verhindern“, ist Dr. Wilhelm Jaeger von Tönnies Fleisch überzeugt. Nur zusammen sei ein Durchbruch möglich.


Ein gemeinsamer Antritt hätte sicherlich mehr Vor- als Nachteile. Denn eine Labelflut würde die Verbraucher nur verwirren. Das Ziel, mehr Tierwohl nach außen zu kommunizieren und Vertrauen beim Konsumenten zurückzugewinnen, würde im „Label-Dschungel“ verpuffen. Die Botschaft an den Kunden muss stattdessen klar und deutlich sein.


Die weitere Koordination der Initiative hat Tönnies mittlerweile an die Qualität und Sicherheit GmbH (QS) übergeben. Der Grund: QS ist Treffpunkt der Branche. Das ist nicht ungeschickt, denn einem Label unter Führung von Tönnies würden Westfleisch und Vion sicherlich nicht folgen. Den ersten Erfolg kann das Projekt schon verbuchen. Die Absichtserklärung der so genannten „Initiative zum Tierwohl“ haben Ende August auch Westfleisch, Vion und der Verband der Fleischwirtschaft unterzeichnet. Auch der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist gut vertreten. Mit Edeka, Rewe und Kaufland sind immerhin drei der vier größten deutschen Einzelhändler an Bord. Zusammen mit DBV, ISN und ZDS einigten sich alle darauf, den Ansatz einer Branchenlösung weiter zu verfolgen. Wörtlich heißt es: „Wir wollen die Landwirte durch finanzielle Anreize in die Lage versetzen, Tierwohl noch stärker zu berücksichtigen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen.“


Wie ernst ihre Absichten allerdings sind, muss sich noch zeigen. Denn viel risikieren tun alle zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Trotzdem ist Dr. Hermann-Josef Nienhoff, Geschäftsführer von QS, der das Treffen auf Bitten der Branche in Bonn organisiert hat, vorsichtig optimistisch, dass man zu einer gemeinsamen Lösung kommt. Vor allem die Tatsache, dass die drei großen Schlachtunternehmen und auch der Verband der Fleischwirtschaft den Willen erkennen ließen, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, mache ihm Mut.


Wie fließt das Geld?

Soll es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben, sind viele Fragen zu klären. Wie fließt das Geld? Wer überprüft die Einhaltung der Kriterien auf den Betrieben?


Vertreter des LEH plädieren dafür, einen Fonds einzurichten. Dieser könnte unabhängig von der Marktpreisbildung gefüllt werden. Im Idealfall sähe das Prozedere wie folgt aus: Der LEH überweist seine Mehreinnahmen an den Fonds. Dieser prüft dann, welcher Landwirt wie viele Bonuspunkte erreicht hat. Je nach Ergebnis wird dem Schweinehalter der entsprechende Zusatzerlös überwiesen.


Organisiert und kontrolliert werden könnten die Zahlungen durch eine unabhängige Instanz. „All das sind bislang aber nur Gedankenspiele. Einzelheiten bis hin zu kartellrechtlichen Fragen müssten geklärt werden“, erklärt Hermann-Josef Nienhoff.


Ähnliches gilt für die Kontrollarbeit auf den Höfen. Bislang ist völlig offen, wer die Einhaltung höherer Tierschutzstandards überprüfen soll. Viele Beteiligte sind der Meinung, das QS diese Arbeit übernehmen muss. Das wollen landwirtschaftliche Vertreter zwar nicht ausschließen. Sie bestehen allerdings darauf, dass die mögliche Initiative Tierwohl außerhalb des QS-Systems verankert sein muss. „Beim Thema Tierwohl reden wir über freiwillige Maßnahmen der Landwirte, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen. Das hat nichts mit den QS-Leitfäden zu tun“, warnt der ISN-Vorsitzende Heinrich Dierkes.


Zu viel Nähe zu QS birgt zudem die Gefahr, dass die vereinbarten Zuschläge am Ende doch aufweichen und die erhöhten Auflagen zum Standard werden. Das Ergebnis wären Abschläge für die Nicht-Einhaltung. Die Preisfindung am Schweinemarkt muss sich weiterhin am gesetzlichen Standard orientieren, fordern Erzeuger. Nur so lassen sich auch die nötigen Zuschläge sauber kalkulieren.


Woher kommt das Geld?

Entscheidend ist aber wohl, wie man den Fonds mit ausreichend Geld ausstattet. „Diese Frage ist noch völlig offen und muss in Arbeitsgruppen beantwortet werden“, stellt der strategische Einkäufer der Rewe-Gruppe Dr. Ludger Breloh klar.


In der Branche wird trotzdem spekuliert: Einige wünschen sich, dass die Landwirte das Startkapital vorschießen. Denkbar ist auch eine Abgabe „à la CMA“, die aus der Wertschöpfungskette kommt. Vielleicht geht aber auch der LEH diesmal in Vorleistung. Handelsketten in den Niederlanden haben gezeigt, dass es funktioniert. Bei dem Label des niederländischen Tierschutzbundes „Beter leven“ bekommt der Landwirt ebenfalls Zuschläge. Dem LEH gelingt es aber bisher nicht, für die Einstiegsstufe des Labels höhere Preise zu erzielen.


Das dürfte in Deutschland nicht anders sein. Das bestätigt auch Sven Euen, der bei der Handelskette Tegut das Schweinefleisch-Programm Landprimus aufgebaut hat. Er analysiert immer wieder, wie der Verbraucher auf Angebote zwischen konventionell und bio reagiert. „Am Ende greift dann doch ein großer Teil zum billigsten Angebot“, ist er sicher.


Das sieht man in der Initiative offenbar ähnlich. Ziel ist es deshalb auch nicht ein neues Label zu etablieren, sondern die Haltungsbedingungen insgesamt zu verbessern. Ohne eine Marktdifferenzierung kostet konventionelles Schweinefleisch genauso viel wie Tierwohl-Fleisch. Das geht, weil der Fonds den Wettbewerbsnachteil ausgleicht. Angebot und Nachfrage würden wie bisher den Basispreis bestimmen. Die Fonds-Kosten würden dann auf die gesamte Fleischmenge umgelegt und am Ende zahlt der Konsument durch insgesamt etwas höhere Fleischpreise die Zeche – theoretisch.


Einige befürchten allerdings, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Denn je mehr Landwirte mitmachen, desto teurer wird das System bzw. die Verkaufspreise im Supermarkt. Auch ohne Tierwohl ziehen die Fleischpreise wegen gestiegener Futterkosten bereits kräftig an.


Hinzu kommt, dass in Deutschland nur 30 % des Schweinefleischs direkt über den LEH verkauft werden. Etwa 40 % der Ware geht in die Verarbeitung und nochmal 30 % in den Export. Dort dürfte es noch schwerer sein, Geld für den Fonds einzusammeln. Die Mehrkosten des Systems müssten dann auf gerade mal ein Drittel der Ware verteilt werden. Ob der Kunde diesen Preisschub mitmacht oder lieber verzichtet, ist fraglich.


Kartellamt muss zustimmen.

Man darf auch gespannt darauf sein, wie das Kartellamt zu so viel Abstimmung in der Branche steht. Die Wettbewerbshüter werden sicherlich aufpassen, dass der Preiskampf zwischen den Handelsketten genauso intensiv weiterlaufen kann wie bisher.


Die Initiative hat somit noch viel zu tun. Das Problem: Viel Zeit bleibt ihnen nicht, denn Politik, NGOs und Verbraucher halten den Druck aufrecht. Anfang 2013 soll deshalb bereits ein schlüssiges Konzept vorliegen. Unabhängig von dem Erfolg dieser Initiative müssen sich Tierhalter aber in den nächsten Jahren wohl auf Veränderungen einstellen.

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