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Wenn Eisman wieder zuschlägt

Lesezeit: 6 Minuten

Viele Biogaserzeuger verzichten auf eine Entschädigung, wenn der Netzbetreiber die Anlage abgeregelt hat. Denn das Verfahren ist aufwendig. Jetzt will ein Dienstleister helfen.


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Thomas Thomsen wundert sich: Wieder einmal steht das Blockheizkraftwerk (BHKW) an der Biogasanlage in Uhlebüll im Nordwesten Schleswig-Holsteins still. Dabei hat der BHKW-Hersteller die Anlage gestern erst gewartet. Schon wieder eine Störung? Nein, das Display verrät ihm: „Abschaltung EVU“. Das bedeutet: Das Stromnetz ist wieder einmal überlastet. Per Fernsteuerung hat das Energieversorgungsunternehmen (EVU) in dieser Region alle Wind-, Solar- und Biogasanlagen mit mehr als 100 Kilowatt (100 kW) Leistung vom Netz genommen – nichts Neues für Thomsen.


„Im Jahr 2011 haben wir wegen der vielen Abschaltungen rund zehn Prozent des produzierten Stroms nicht einspeisen können, das geht schon ans Eingemachte“, betont Dr. Peter Brodersen, Geschäftsführer der Uhlebüll Biogas GmbH sowie des Dienstleistungsunternehmens iTerra aus Niebüll.


Zu diesen Abschaltungen nach dem sogenannten Einspeisemanagement (Kurz: Eisman) sind die Stromnetz­betreiber nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) berechtigt, wenn das Netz zu überlasten droht. Alle Anlagen über 100 kW müssen daher mit einer Fernsteuerung ausgestattet sein, auf die der Netzbetreiber zugreifen kann.


Während bei Wind- und Solaranlagen die Leistung in mehreren Stufen auf 60, 30 und 0 % heruntergefahren werden kann, gibt es für Biogasanlagen in Schleswig-Holstein eine Sonderregelung: Hier werden die Anlagen nur auf 50 % heruntergeregelt oder ganz abgeschaltet. „Ein BHKW kann zwar auf 30 % fahren. Das führt aber sehr schnell zu Schäden am Motor. Daher haben wir uns mit den EVU so geeinigt“, erklärt Brodersen.


Krisenregion Westküste:

Gerade an der Westküste sind die Anlagenbetreiber wegen der vielen Windparks und dem gleichzeitig sehr schwachen Stromnetz besonders betroffen. Über 300 Eisman-Schaltungen hat es nach Brodersens Aufzeichnungen im Jahr 2011 gegeben. Im Jahr 2012 hatte sich die Lage etwas entspannt: Eine neue 110 kV-Stromtrasse zwischen Breklum und Flensburg verbindet Nordfriesland jetzt mit dem Höchstspannungsnetz. „Damit sind die Eisman-Schaltungen deutlich weniger geworden. Aber neue Windparks an der Küste sorgen für die nächsten Engpässe“, erklärt der Geschäftsführer.


Biogasanlagenbetreiber sind von diesen Abschaltungen in mehrfacher Hinsicht betroffen:


  • Sie können keinen Strom einspeisen und erhalten demnach auch keine Vergütung. Zwar steht ihnen eine Entschädigung zu. Aber das Verfahren ist sehr bürokratisch und kostet viel Zeit. Daher verzichten viele Betreiber darauf.
  • Wenn die BHKW länger stehen, produzieren sie keine Wärme. Das stört nicht nur den Vergärungsprozess, sondern auch die Wärmeabnehmer, die an die Anlage angeschlossen sind.
  • Der Wärmeerlös geht den Landwirten für diese Zeit ebenfalls verloren.
  • Um weiter heizen zu können, müssen sie eine zusätzliche Heizung betreiben und Brennstoffe dafür kaufen.


Entschädigung vereinfacht:

Auch die Biogasanlage in Uhlebüll mit 1,2 MW Leistung ist davon betroffen. Damit sie zumindest finanziell keine Verluste macht, haben Brodersen und seine Kollegen ein Verfahren zur schnellen Berechnung der Entschädigungsbeträge entwickelt – zunächst für die eigene Anlage und jetzt als Dienstleistung auch für andere. Denn das System, das die Netzbetreiber anbieten, hat sich als kaum nutzbar erwiesen.


Der Betreiber muss beispielsweise nach jeder Schaltung schauen, welcher Netzbetreiber ihn wann vom Netz genommen hat. „Besonders schwierig ist das, wenn sich die Schaltungen von mehreren Netzbetreibern aus dem Höchst-, Hoch- und Mittelspannungsnetz überlagern“, beschreibt Brodersen die Situation.


Der Biogaserzeuger bekommt in der Regel auch keine Nachricht über die Maßnahme oder wenn, dann nur in den schwer zu findenden Veröffentlichungen der Netzbetreiber. Darin ist dann auch nicht etwa seine Anlage, sondern nur das Umspannwerk angegeben, an dem er angeschlossen ist. Er muss nachweisen, in welchem Zustand seine Anlage eine Stunde vor der Abschaltung war. In Abhängigkeit davon wird die Entschädigung berechnet. Ist der Antrag falsch oder fehlerhaft, dauert es lange, bis er sein Geld sieht.


Was besonders bitter ist: Der Aufwand für den Entschädigungsantrag nimmt für Ungeübte schnell zwei bis drei Stunden in Anspruch, egal, ob die Anlage nur eine Stunde oder zwei Tage gestanden hat. Die Vergütung und damit die Entschädigungshöhe für eine Biogasanlage mit 250 kW liegt dagegen bei nur 45 € pro Stunde. Gerade bei kurzzeitigen Eisman-Schaltungen stehen Aufwand und Entschädigung also in keinem Verhältnis.


Diese Sisyphusarbeit kann iTerra übernehmen. Zu Beginn muss der Anlagenbetreiber seine Stammdaten angeben, die einmal erfasst werden müssen. Dazu gehören z. B. die Vergütungshöhe, die ihm zusteht, oder der Netzverknüpfungspunkt, also das Umspannwerk und der Trafo, an dem die Anlage angeschlossen ist. Alle weiteren Daten wie z. B. die Lastgangdaten des BHKW holt sich die iTerra-Software automatisch oder sie werden von den Mitarbeitern ins System eingepflegt. Die Lastgangdaten müssen beispielsweise vorliegen, damit der Antragsteller nachweisen kann, mit wie viel Leistung das BHKW vor der Abregelung eingespeist hat.


Etwas komplizierter ist es bei der Wärmeabrechung. Denn hierfür gibt es keine Leistungsdaten beim Netzbetreiber. Die Wärme kann erst ein Jahr später abgerechnet werden. Dazu ermittelt iTerra, wie viel Kilowattstunden Wär-me im Verhältnis zur Strommenge erzeugt wurden. Ein Beispiel: Produziert ein BHKW 2 Mio. kWh Strom und hat der Landwirt laut Umweltgutachter 1 Mio. kWh Wärme verkauft, ist der Berechnungsfaktor für dieses Jahr 0,5. Wenn er jetzt nach einer Eisman-Schaltung 20 000 kWh Strom weniger verkaufen konnte, würde bei dieser Beispielanlage pauschal angenommen, dass auch 10 000 kWh Wärme nicht verkauft werden konnten. Dieses Verfahren ist zwar sehr pauschal, aber dafür praktikabel.


Am Bonus orientiert:

Die Entschädigung, die der Betreiber für den Ausfall erhält, bemisst sich u.a. nach dem Bonus für Kraft-Wärme-Kopplung (KWK-Bonus). Das betrifft Anlagen, die vor 2012 ans Netz gegangen sind, also unter das EEG 2004 oder EEG 2009 fallen. „Zur Berechnung der Wärmeentschädigung ist es daher wichtig, dass der KWK-Bonus nicht mit der Stromvergütungs-Entschädigung ausgezahlt wird“, rät der Geschäftsführer.


Als Weiteres erhält der Betreiber einen Zuschlag für die Aufwendungen, die er beim Ausfall des BHKW hatte. Denn wenn er ein Wärmenetz oder ähnliches betreibt, muss er ja während der Eisman-Schaltung alternative Brennstoffe zum Heizen einsetzen.


Zur Preisfindung hat sich iTerra mit den Netzbetreibern auf folgendes Modell geeinigt: Als Basis wird der Ölpreis genommen, der in dem jeweiligen Monat im Internet (Basis: Hamburg, Verbrauchsmenge 3 000 l) veröffentlicht ist. Davon zieht iTerra dann noch einmal einen pauschalen Sicherheitsabschlag von rund 10 % ab. Aus diesem Preis multipliziert mit der benötigten Wärmemenge errechnet sich dann die Entschädigung für die zusätzliche Heizmaßnahme.


Wenn feststeht, wie lange die Leistungsreduzierung gedauert hat und welche Vergütung dem Biogaserzeuger entgangen ist, erstellt iTerra eine Rechnung an den Netzbetreiber und schickt diese per Email an den Anlagenbetreiber. Dieser muss sie nur noch ausdrucken, unterschreiben und abschicken.


Pro Abrechnung zahlt er 30 €. Dazu kommen die Kosten für die Erfassung der Stammdaten, die iTerra nach Aufwand berechnet.


Diese Dienstleistung bietet iTerra im Norden Schleswig-Holsteins selbst an. Im übrigen Bundesgebiet arbeitet iTerra beim Vertrieb mit dem Anlagenhersteller MT Energie aus Zeven zusammen. Bislang nehmen rund 30 Anlagenbetreiber mit 50 BHKW diese Dienstleistung in Anspruch (weitere Informationen: www.iterra.de oder www.mt-energie.de).

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