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„Wir müssen über neue Haltungsverfahren reden!“

Lesezeit: 8 Minuten

Die moderne Nutztierhaltung steht in der Kritik. Die Deutsche Agrarforschungs-Allianz (DAFA) sucht daher nach Alternativen. top agrar sprach mit einem ihrer Sprecher, Prof. Dr. Thomas Jungbluth vom Institut für Agrartechnik der Uni Hohenheim.


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In den Medien werden Schweinehalter häufig als gewissenlose Tierquäler dargestellt, die die Umwelt verschmutzen und flächendeckend Antibiotika einsetzen. Was läuft falsch?


Prof. Jungbluth: Erstens vermitteln wir dem Verbraucher nicht glaubwürdig genug, warum die Tierhaltung im Moment so ist wie sie ist. Bislang musste Fleisch vor allem gesund und preiswert sein. Jetzt rückt zusätzlich das Wohl der Nutztiere in den Fokus. Wir tun zwar schon einiges für den Tierschutz. Die Botschaft kommt aber nicht beim Verbraucher an. Wir brauchen deshalb dringend ein glaubwürdiges Kommunikationskonzept, das der Berufsstand selbst erarbeiten muss!


Und zweitens verfügen viele Betriebe noch über reichlich Verbesserungspotenzial. Zwar werden die meisten erstklassig geführt, arbeiten rentabel und erfüllen die Vorgaben des Tierschutzes perfekt. Es gibt aber auch Betriebe, die nicht optimal laufen. Und gerade die werden von den Kritikern der modernen Nutztierhaltung immer wieder in den Fokus gerückt.


Hat die Agrarforschung jahrelang in die falsche Richtung gearbeitet? Haben Sie und Ihre Kollegen zu viel auf Rentabilität und Arbeitswirtschaft geachtet, das Wohl der Tiere dabei aber vernachlässigt?


Prof. Jungbluth: Nein, wir haben die Zeit nicht verschlafen! Wir untersuchen schon länger, wie wir das Wohlergehen der Nutztiere verbessern können, bislang allerdings nicht in der Intensität, wie dies aktuell gefordert wird. Hier hat sich ein Wertewechsel vollzogen. Bis zum Jahrtausendwechsel standen in der Politik und bei der Gesetzgebung Emissionen und Umweltschutz im Vordergrund, heute das Wohl der Tiere.


Außerdem dürfen wir bei alledem, was wir für die Tiere tun, auch nicht vergessen, dass die Schweinehalter unter dem Strich mit den Haltungsverfahren auch noch Geld verdienen müssen!


Vor vier Jahren wurde die Deutsche Agrarforschungsallianz gegründet. Wer ist die DAFA, welche Ziele hat sie, und wie will sie vorgehen?


Prof. Jungbluth: Die DAFA ist ein Zusammenschluss von derzeit 55 öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen, also Unis, Fachhochschulen und Forschungsinstituten. Ihr Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf die deutsche Agrarforschung zu erhöhen und die Forschung zu Top-Themen zu bündeln.


Eines der derzeit dringlichsten Themen ist die Kritik an der Nutztierhaltung, so wie sie heute betrieben wird. Um die Haltungsverfahren zu verbessern und damit auch die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, wurde deshalb von den DAFA-Mitgliedern im Januar 2011 das so genannte „Fachforum Nutztiere“ gegründet.


Die Arbeitsschwerpunkte wurden gemeinsam in Form so genannter Cluster definiert. Cluster 1 soll herausfinden, was der Verbraucher wirklich will. Cluster 2 erarbeitet Messgrößen zur Bewertung von Haltungsverfahren. Cluster 3 beschäftigt sich mit der regionalen Konzentration der Tierhaltung in den Veredelungshochburgen. Und die Cluster 4, 5 und 6 widmen sich speziell den Haltungsverfahren für Rinder, Schweine und Geflügel.


Das hört sich alles sehr theoretisch an. Wo bleibt die Praxis? Wo werden die Erfahrungen und Anregungen der Landwirte berücksichtigt?


Prof. Jungbluth: Im „Fachforum Nutztiere“ sind alle Interessengruppen vertreten: Wissenschaftler ebenso wie Vertreter der Wirtschaft, der Politik, der Verbände und Mitglieder von Erzeugergemeinschaften und Beratungsorganisationen. Die Arbeitsschwerpunkte werden ganz demokratisch von allen gemeinsam festgelegt.


Die Steuerungsgruppe, die die Forschung koordiniert, setzt sich zwar nur aus Mitgliedern öffentlich geförderter Forschungseinrichtungen zusammen. Das ist wichtig, um die Neutralität zu wahren. Im Beirat, der demnächst gegründet werden soll, werden jedoch alle Interessengruppen vertreten sein, neben Tierschützern, Politik und Industrie auch die Landwirte über ihre Verbände und Berater.


Gibt es überhaupt „den“ Verbraucher? Und wie erfahren wir, welche Wünsche er hat?


Prof. Jungbluth: Diese Frage soll im Cluster 1 geklärt werden. Hier wollen wir herausfinden, welche Prozesseigenschaften dem Verbraucher wirklich wichtig sind. Ich halte jedoch nichts von allgemeinen Verbraucherumfragen. Viele Verbraucher sind durch die Berichte in den Medien geprägt. Die Umfragen sind daher nur Momentaufnahmen, die unter fachlich uninformierten Personen durchgeführt werden. Das Ergebnis sind dann häufig widersprüchliche Wünsche: Auf der einen Seite sehnt man sich zurück zu traditionellen Haltungsformen z.B. auf Stroh oder mit Weideauslauf. Gleichzeitig wünscht man aber auch preiswerte Nahrungsmittel und minimale Emissionen. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz.


Wir setzen deshalb auf die Meinung aufgeklärter Verbraucher. Für die Befragung müssen jetzt die entsprechenden Methoden entwickelt werden.


Wo sehen Sie in der Schweinehaltung derzeit dringenden Handlungsbedarf?


Prof. Jungbluth: Die dringlichsten Baustellen sind der Verzicht aufs Kastrieren und aufs Kupieren der Ferkelschwänze. Viele Hoffnungen werden zurzeit in die Ebermast gesetzt. Doch wie viele Stinker fallen tatsächlich an? Was passiert mit ihnen? Und auch verfahrenstechnisch gibt es bei der Ebermast noch viele ungeklärte Fragen (siehe Beitrag ab Seite S 18).


Das gleiche gilt für das Kupieren der Ferkelschwänze. Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die ein oder zwei Faktoren untersucht haben, die offensichtlich einen Einfluss auf die Häufigkeit des Schwanzbeißens haben. Diese Erfahrungen müssen aber noch zusammengetragen und analysiert werden, damit wir am Ende Haltungsverfahren herauskristallisieren können, bei denen die Schwänze nicht mehr kupiert werden müssen.


Zurzeit stehen 80 % unserer Schweine auf Vollspalten, wohl weil dies arbeitswirtschaftlich und hygienisch die beste Lösung ist. Es gibt aber auch gute alternative Lösungen mit Stroheinstreu und Auslaufmöglichkeit.


Heißt das zurück zum Teilspaltenstall?


Prof. Jungbluth: Nein, Teilspalten sind für mich überhaupt keine Alternative. Mit der Rückkehr zu Teilspaltensystemen würden wir keine Probleme lösen, sondern nur neue schaffen. Es gibt aber inzwischen eine ganze Reihe schöner Stallgrundrisse, bei denen Vollspalten – auch mit schlitzreduzierter Liegefläche – mit einem Auslauf kombiniert wurden. Allerdings wissen wir bislang noch zu wenig über Kosten, Arbeitswirtschaft und Emissionen in diesen Ställen. Hier brauchen wir mehr objektiv erfasste Daten.


Die Kapazitäten der Lehr- und Versuchsanstalten sind begrenzt. Wäre es nicht sinnvoll, mehr Versuche in Praxisbetrieben durchzuführen, ähnlich wie die „Rollenden Tests“ in Dänemark?


Prof. Jungbluth: Das ist unser Ziel. Ergänzend zur Grundlagenforschung in den Lehr- und Versuchsbetrieben wollen wir Praxisbetriebe stärker in die Forschung mit einbinden. Es gibt genug Landwirte, die sich gern an derartigen Feldprüfungen beteiligen würden. Fünf bis sechs Betriebe oder auch mehr könnten ihren Tieren z. B. mehr Platz anbieten, andere einen Auslauf nach draußen.


Voraussetzung ist allerdings, dass den Landwirten die baulichen Mehrkosten und die Minderleistungen, die im Zweifelsfall auftreten können, erstattet werden. Hier müssen wir die Politik ins Boot holen. Denn dafür reichen die klassischen Forschungsgelder, die uns zur Verfügung stehen, nicht aus.


Nach ersten Schätzungen benötigen wir pro Jahr etwa 15 bis 20 Mio. Euro für die Forschung. Wenn es gesellschaftlich gewünscht ist, alternative Haltungssysteme zu erproben, dann muss die Politik auch bereit sein, dafür Fördermittel umzuschichten. Denkbar wäre zum Beispiel, AFP-Mittel nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern gezielt den Betrieben zur Verfügung zu stellen, die in ihren Ställen alternative Haltungsverfahren erproben.


Wollen Sie die Haltungs-verfahren komplett umkrempeln? Und was passiert mit den Betrieben, die erst kürzlich investiert haben?


Prof. Jungbluth: Ich plädiere für die Strategie der zwei Geschwindigkeiten: Kurz und mittelfristig müssen wir Lösungen finden, wie wir die vorhandenen Ställe so anpassen können, dass z. B.keine Schwänze mehr kupiert werden müssen oder sich in den Gebäuden auch problemlos Eber mästen lassen. Diese Lösungen müssen bezahlbar sein – auch für die Betriebe, die erst kürzlich investiert und sich dabei an geltenden Rechtsvorschriften orientiert haben.


Darüber hinaus ist es jedoch auch wichtig, langfristig ganz neue, unkonventionelle Ideen zu entwickeln. Wir wollen bewusst querdenken. Man könnte z. B. einen Ideenwettbewerb für neue Stallformen ausschreiben. In diesem Punkt können wir von den Niederländern viel lernen. Wir Fachleute, Wissenschaftler ebenso wie Berater, sind häufig zu sehr in unserem System gefangen. Deshalb müssen wir uns bewusst Anregungen von fachfremden Leuten holen und im zweiten Schritt dann bewerten, was sich davon in der Praxis umsetzen lässt.


Werden Ihre Ideen dazu führen, dass sich die Tierschutz-Standards für die gesamte Nutztierhaltung erhöhen?


Prof. Jungbluth: Das ist unser Ziel. In puncto Tierschutz kann und darf es keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Schweinen, Geflügel und Rindern geben, von dem nur die Tiere profitieren, die das Glück haben, für ein Tierwohllabel produziert zu werden.


Zusätzliche Auflagen verteuern die Produktion. Können wir uns das leisten, solange wir im Inland und beim Export mit Anbietern konkurrieren, für die diese Auflagen nicht gelten?


Prof. Jungbluth: Hier sehe ich das größte Problem, das es zu lösen gilt. Durchsetzen kann man die höheren Standards zwar auch per Verordnung oder dauerhafte Subventionierung. Etablieren werden sich die höheren Standards und neuen Haltungsverfahren aber nur, wenn der Mehraufwand auch durch einen Mehrerlös gedeckt ist. Hier ist der Lebensmittel-Einzelhandel gefragt und letztlich auch die gesamte Gesellschaft: Wenn der Verbraucher höhere Tierschutzstandards will, dann muss er auch bereit sein, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Mehr Tierkomfort gibt es nicht zum Nulltarif!


Das Interview führten Henning Lehnert und Marcus Arden.

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