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Cola-Flasche aus Zichorie

Lesezeit: 8 Minuten

Bioplastik, flüssiges Biomethan oder Trockeneis – hergestellt aus Gras, Gärresten oder Gülle. Die Industrie sucht nach nachhaltigen Rohstoffen. Das eröffnet Chancen für die Landwirtschaft.


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Autoreifen aus Löwenzahnkautschuk, Vanillearoma aus Holz, Milch aus Lupinen: Es gibt viele Verwertungspfade für Biomasse in der chemischen Industrie. Zur Produktion werden komplexe Anlagen benötigt. In Anlehnung an Erdölraffinerien, die den fossilen Rohstoff fast vollständig verwerten, wird dieser neue Anlagentyp Bioraffinerie genannt.


Rund 60 davon gibt es heute schon in Deutschland. Sie produzieren aus Rohstoffen wie Holz, Gras oder Biomüll wertvolle Rohstoffe. Doch meist handelt es sich dabei um großtechnische Anlagen wie das Verbundunternehmen der Südzucker in Zeitz (Sachsen-Anhalt). Dort verarbeitet die Südzucker AG nicht nur Rüben zu Zucker, sondern gewinnt auch Stärke aus Weizen. Nebenprodukte aus beiden Produktionen werden zur Herstellung von Bioethanol genutzt, das als Biokraftstoff oder in der Lebensmittelindustrie verwendet wird. Das an mehreren Stellen im Prozess anfallende CO2 wird verflüssigt und u.a. als Kohlensäure in Lebensmitteln bzw. Getränken genutzt.


Chance für Biogasanlagen:

Aber neben großtechnischen Anlagen könnten künftig auch Biogasanlagen als kleine Bioraffinerien dienen. „Das ist vor allem dann interessant, wenn die Biogasanlagen das Ende ihres ersten Förderzeitraums erreichen“, unterstreicht Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas. Denn mit dem Verkauf von Chemikalien und anderen Produkten könnten sich die Anlagenbetreiber ein weiteres Standbein aufbauen. „Es gibt Forschungsprojekte, um aus der Silage bereits vor der Vergärung Milchsäuren abzutrennen“, berichtet Prof. Iris Lewandowski von der Universität Hohenheim.


Ebenso könnten sich künftig Gärreste stofflich verwerten lassen: Die Firma Botres Global aus Österreich arbeitet an einem Forschungsprojekt, bei dem eine Biogasanlage mit Gärrestaufbereitung künftig auch Algen als Fischfutter erzeugen will. Diese Bioraffinerie nutzt den umweltschädlichen Stickstoff und andere Komponenten des Biomülls zur Zucht von Algen, die sich von organischer Substanz ernähren.


Trockeneis aus Gas:

Eine andere Möglichkeit wäre es, flüssiges Biomethan und Trockeneis aus CO2 herzustellen. Forscher der Hochschulen Landshut und Weihenstephan-Triesdorf haben dazu in einem Forschungsprojekt Biogas in mehreren Schritten auf -162°C abgekühlt. Das im Gas enthaltene CO2 fällt dabei in Form von Trockeneis an und kann vermarktet werden. Wie Prof. Josef Hofmann von der Hochschule Landshut erklärt, lassen sich damit Preise von 25 bis 30 ct/kg erzielen.


Außerdem fällt flüssiges Biomethan (Liquified Biomethan, LBM) an. Es hat eine rund 1000 mal höhere Energiedichte als gasförmiges Biomethan. In der flüssigen Form ist es als Kraftstoff, aber auch als Langzeitspeicher für die Stromerzeugung sinnvoll. „Hierfür könnte man Wind- oder Solarstrom im Sommer nutzen, um LBM herzustellen und so zu speichern“, erläutert Hofmann. Das Projekt soll jetzt weiterentwickelt werden, damit auch kleinere Biogasanlagen mit 40 bis 50 kW Leistung wirtschaftlich Biomethan und Trockeneis herstellen können.


Nach einer Studie des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) nutzen Chemieunternehmen heute schon 2,7 Mio. t pflanzliche Fette, Öle, Zucker und andere erneuerbare Rohstoffe. Die Menge soll laut VCI bis zum Jahr 2030 um 50% erhöht werden. Grund: Viele Unternehmen wollen die Nachhaltigkeit von Produkten und Prozessen verbessern – auch aus Marketinggründen. Gefragt sind „grüne“ Ausgangsmaterialien in Körperpflegeprodukten, Waschmitteln, Farben, Beschichtungen, Pflanzenschutzmitteln oder bei Kraftstoffadditiven. „Am aussichtsreichsten ist derzeit der Verpackungsmarkt. Hier spielen abbaubares Material und Bioplastik eine wichtige Rolle“, sagt Lewandowski. Weiteren Schub könnte das Verpackungsgesetz 2019 bringen. Es soll u.a. Händler stärker in die Pflicht nehmen, um die Verwendung von ökologisch vorteilhaften und recycelbaren Verpackungen voranzutreiben.


Neue Produkte:

Beim Umstieg auf pflanzliche Rohstoffe gibt es zwei Wege: Zum einen der identische Ersatz von Produkten, die bisher auf fossilen Rohstoffen beruhen. Ein Beispiel wäre PET (kurz für Polyethylen-Terephthalat), das sich auch aus Kohlenhydraten herstellen lässt, die pflanzlichen Ursprungs sind. „Das ist nur dann wirtschaftlich interessant, wenn die ‚grünen’ Produkte einen Mehrwert gegenüber den fossilen bieten“, sagt Dr. Wolfgang Kraus, der für die Forschungsaktivitäten des Südzucker-Konzerns verantwortlich ist. Der Hersteller Coca-Cola beispielsweise will bis zum Jahr 2020 seine PET-Flaschen komplett auf Basis pflanzlicher Rohstoffe herstellen lassen.


Zum anderen gibt es den Weg, komplett neue Produkte auf den Markt zu bringen, die sich nicht durch die meist günstigeren, fossilen Produkte austauschen lassen. Ein Beispiel dafür wäre Polyethylenfuranoat (PEF), das vollständig aus pflanzlichen Rohstoffen produziert wird. Damit ist es wieder verwertbar. „Es hat zudem den Charme gegenüber PET, dass die Flaschen gasdichter sind und so auch die Lagerstabilität der Getränke erhöhen“, sagt Kraus.


Wissenschaftler der Universität Hohenheim nutzen in einem Forschungsprojekt Chicorée-Wurzelrüben, die als Reststoff bisher in der Biogaserzeugung verwertet wurden. Die nicht genießbare Wurzelrübe macht 30% der Pflanze aus. Aus ihr gewinnen die Forscher Hydroxymethylfurfural (HMF), das zur Herstellung der PEF-Flaschen verwendet werden kann. HMF ist ein typisches Beispiel für eine „Plattformchemikalie“, die die chemische Industrie zu verschiedenen Produkten verwerten kann.


Bernsteinsäure als Rohstoff:

Auch in Zeitz geht die Forschung weiter: Aus dem anfallenden CO2 soll künftig mit Wasserstoff u.a. Bernsteinsäure hergestellt werden, die sich vielfältig in der chemischen Industrie nutzen lässt. Der Wasserstoff soll aus der Elektrolyse stammen, für die Strom aus Windparks genutzt wird. „Das wäre eine weitere Kombination aus Energieerzeugung und stofflicher Nutzung sowie die Speicherung regenerativer Energien“, erklärt Kraus.


Dass nachwachsende Rohstoffe auch heute schon wirtschaftlich verwertet werden können, zeigt die Firma Novamont aus Italien: Sie produziert biologisch abbaubare Werkstoffe für Plastiktüten oder Mulchfolien für die Landwirtschaft. Der Markt ist riesig, da z.B. in Italien und Frankreich nichtkompostierbare Tüten verboten sind. Außerdem produziert Novamont auch Pelargonsäure aus Distelöl, das sich als Bio-Herbizid verwenden lässt.


Erst eine Nische:

Allerdings wird es nach Meinung von Experten noch dauern, bis es eine erhöhte Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen zur Produktion dieser Stoffe geben wird. Heute werden nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) bundesweit etwa 2,3 Mio. ha Energiepflanzen angebaut, dagegen nur 300000 ha als Industriepflanzen. Das Gros macht dabei Raps für industriell genutztes Rapsöl (131000 ha) und Pflanzen für Industriestärke (128000 ha) aus.


Direkte Nachfragen könnten künftig von Bioraffinerien kommen, die beispielsweise Gras zu Verpackungen oder anderen Formpressteilen verwerten und gleichzeitig Proteine gewinnen. Bislang gibt es allerdings nur wenige Anlagen.


Dauerkulturen interessant:

Aus dem gleichen Grund gibt es derzeit keine generelle Anbauempfehlung für Landwirte bei den Rohstoffpflanzen. „In der Regel bezieht die Industrie Rohstoffe vom Erfassungshandel. Nur bei Arznei- oder Färberpflanzen, Miscanthus, Kurzumtriebsplantagen oder Mais gibt es direkte Lieferverträge“, erklärt Birthe Dehmel, Projektmanagerin bei der FNR. Die Absatzpreise entsprechen dabei heute den Marktpreisen.


„Wenn, dann sind künftig aber möglichst nachhaltige Pflanzen gefragt, die mehrfachen Nutzen bieten“, ergänzt Prof. Lewandowski. Dazu zählt sie beispielsweise Miscanthus als mehrjährige Pflanze, die sich sowohl im Oktober grün geerntet in Biogasanlagen verwerten oder im Februar geerntet als Brennstoff verwerten lässt. Das verholzte Material wäre ein Rohstoff für Bioraffinerien auf Basis von Lignocellulose.


Andere mehrjährige Pflanzen wären die Blühpflanze Silphie oder Wildpflanzen als Rohstoff für Biogasanlagen, die nicht nur Energie liefern, sondern auch zur Förderung der Insekten beitragen können.


Akteure zusammenbringen:

„Wir halten die dezentrale Produktion von Rohstoffen für die chemische Industrie für eine sinnvolle Alternative zu den großen, zentralen Bioraffinerien. Bei diesem Ansatz spielen Landwirte eine entscheidende Rolle“, erklärt Prof. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der Landesgesellschaft Biopro Baden-Württemberg. Hierzu gehört auch die Rohstoffwende in der chemischen Industrie. „Gerade in Baden-Württemberg haben wir viele Industriebetriebe, für die es individuelle Ansätze gibt. Wir wollen jetzt dafür sorgen, die Akteure zusammen zu bringen“, sagt Kindervater.


Ein weiterer Ansatz sind Rohstoffbörsen. „Um Anbieter und Nachfrager im Bereich Bioraffinerie zusammen zu bringen, sind heutige Agrarbörsen ungeeignet, sie handeln mit Massenprodukten. Außerdem verzerren Spekulanten außerhalb der Landwirtschaft oft die Preise“, hat Simone Hörrlein vom Kompetenzzentrum für Ernährung (KERN) aus Freising festgestellt. Darum arbeitet das KERN gerade im Auftrag des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums an einer Rohstoffbörse speziell für nachwachsende Rohstoffe. Sie soll bis zum Februar 2020 fertig sein. Die Börse soll nicht nur Rohstoffe für Bioraffinerien vermitteln, sondern auch für Biogasanlagen.


„Künftig wird die energetische Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen am Ende stehen, nicht mehr wie heute am Anfang“, prognostiziert Hubert Bittlmayer vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium.


Genau wie die dezentrale Energieproduktion heute wird seiner Meinung nach auch die Bioraffination von Rohstoffen im ländlichen Raum stattfinden: „Denn hier fallen die Produkte an.“ Darum sei die Bioraffinerie sowohl eine Chance für Landwirte zu mehr Wertschöpfung auch für Reststoffe als auch für mehr Arbeitsplätze.


Kontakt: hinrich.neumann@topagrar.com

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