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Frühförderung: Wo hört der Spaß auf?

Lesezeit: 8 Minuten

Kinder sollen heute früh gefördert werden. Dafür braucht man nicht unbedingt teuren Nachmittagsunterricht, ergaben unsere Gespräche mit jungen Müttern von den Höfen.


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Meterweise Ratgeberliteratur und ein umfangreiches Angebot an Nachmittagsunterricht schon für die Kleinsten zeigen: Eltern wollen ihre Kinder heute schon früh optimal fördern. Schließlich sollen sie die besten Entwicklungschancen haben, ihre Talente und Fähigkeiten früh entdecken und sich weiterentwickeln.


Musikalische Früherziehung, Englisch für Kleinkinder und Babyschwimmen geben Eltern diese Möglichkeit. Noch nie gab es so viele Nachmittagsangebote neben Schule und Kindergarten wie heute.


So schön das ist: In vielen Familien löst das Angebot auch Stress aus. Während man sich früher nur zwischen Kinderturnen und Musikunterricht entscheiden konnte, fragen sich viele Eltern heute ratlos: „Welche und wie viel Förderung braucht mein Kind eigentlich?“


Nicht selten lassen Eltern sich dabei vom Eifer anderer Mütter verunsichern: „Wenn der Nachbarsjunge schon mit drei Klavierunterricht nimmt – sollte ich meinen Sohn dann auch anmelden?“, fragen sich Eltern besorgt. Schließlich kann man überall nachlesen, dass musikalische Kinder später intelligenter werden.


Doch ein vollgestopfter Kinderalltag ist nicht immer der optimale Ansatz, warnen Experten. Ein Übermaß an Kursen und Terminen hat oft das genaue Gegenteil des Gewünschten zur Folge: Sie erzeugen Lustlosigkeit und Überforderung. Viele Kinder im Vorschul- und Grundschulalter sind oft noch nicht reif für die vollgepackten Bildungspläne ihrer Eltern.


Spielen ist keine Zeitverschwendung


Fachleute fordern deshalb mehr Gelassenheit – zum Wohl der Kinder und ihrer Eltern. Wichtige Lebenskompetenzen lernen Kinder nämlich ebenso beim freien Spielen, lautet die einhellige Meinung.


Das Buddeln in der Sandkiste oder das Vater-Mutter-Kind-Rollenspiel sind also keineswegs nutzloser Zeitvertreib. Stattdessen setzt sich das Kind mit seiner Lebenswirklichkeit und der eigenen Persönlichkeit auseinander. Lernprozesse laufen beim Spielen allerdings so unbewusst ab, dass sie keine messbaren „Ergebnisse“ bringen.


Doch Fachleute versichern: Zweckfreies Spielen ist eine gute Vorbereitung auf das Leben. Im Prinzip verbirgt sich dahinter nämlich nicht weniger als das „Üben für später“, also für die Erwachsenenwelt. Experten bezeichnen Spielen deshalb häufig auch als die „Arbeit des Kindes“.


Unsere Gesprächspartnerinnen aus dem Weserbergland sehen das ähnlich. „Beim Spielen mit Gleichaltrigen bringen sich Kinder untereinander mehr fürs Leben bei, als sie in jedem Kinderkurs lernen könnten“, glaubt etwa Bäuerin Karin Osterhage aus Vahlbruch.


Die Frauen sind überzeugt: Wertvoller als Kinderkurse und Nachmittagsunterricht ist die Förderung im Elternhaus. Basteln Eltern mit ihren Kindern, lesen vor oder spielen öfter mal Brettspiele im Familienkreis, ist das für Kinder die ideale Frühförderung. „Entscheidend ist doch, dass die Kinder nicht ständig vor dem Fernseher geparkt und berieselt werden, weil niemand Zeit für sie hat“, ergänzt Bianca Brinkmann.


Wichtig sind spezielle Förderangebote allerdings für Kinder mit Entwicklungsdefiziten oder speziellen Begabungen, wie z. B. Hochbegabung oder besondere Musikalität. Sie fühlen sich im normalen Alltag sonst schnell unterfordert oder überlastet. Und auch für altersgerecht entwickelte Kinder gilt: Solange es Spaß macht, gelingt das Erlernen eines Instruments oder einer Fremdsprache nie wieder so leicht wie im Kleinkindalter.


Der Hof als Lebensschule


Doch Bauerneltern dürfen in puncto Frühförderung locker sein. Der Hof ist das Pfund, mit dem sie wuchern können. „Auf einem Hof aufzuwachsen ist ein großes Privileg“, glaubt Marion Schomburg. „Wo sonst haben die Kinder so viele Möglichkeiten, ihre Kreativität und Fantasie auszuleben?“, fragt sich die Mutter von zwei Kindern. Viele begeisterte Spielkameraden und Nachbarskinder bestätigen ihre These. Ganz nebenbei lernen Kinder im Hofalltag zudem, Verantwortung zu übernehmen und Aufgaben pflichtbewusst zu erledigen. „Im Gegensatz zu vielen Stadt-eltern können wir noch richtige Aufgaben verteilen und die Kinder zur Mithilfe anhalten. Ich sehe das als Riesenvorteil“, gibt Stephanie Meyer zu bedenken. „Der Hof wird dadurch zur Lebensschule.“


Zweifel kennen Bauerneltern trotzdem: Manche fühlen sich durch das ausgeklügelte Nachmittagsprogramm einiger Turbo-Eltern unter Druck gesetzt. Sie fürchten, dass ihre Kinder in puncto Bildung und Zukunftsaussichten ins Hintertreffen geraten.


Experten wiegeln ab: Für die meisten Kinder wäre es besser, die Eltern würden sie auch mal in Ruhe und allein mit Gleichaltrigen auf dem Hof, im Wald oder in der Straße spielen lassen, so ihre Meinung.


Denn es ist erwiesen: Nie zuvor haben Kinder so viel Zeit in der Gesellschaft Erwachsener verbracht. Mit Gleichaltrigen kommen viele Kinder nur noch geplant in Schulen, Kindergärten oder bei organisierten Treffen zusammen.


„Die armen Kinder haben kaum noch Zeit für sich, sie haben keinen erwachsenenfreien Raum, wie meine Generation ihn noch hatte“, sagte der 61-jährige Familientherapeut und Autor zahlreicher Erziehungsratgeber Jesper Juul kürzlich dem „Zeitmagazin“. Dabei fördere gerade das ihre Selbstständigkeit, Kreativität und Sozialkompetenz.


Doch Eltern finden gute Gründe, die Freiheit der Kinder zu beschränken: Einerseits haben sie Angst, dass der Nachwuchs in einer kinderfeindlichen Umgebung buchstäblich unter die Räder kommt.


Andererseits wollen sie, dass die Kinder viel Zeit mit Lernen oder den Hausaufgaben verbringen. Denn noch nie wurde seitens Schulen, Behörden und Gesellschaft so viel Wert auf eine gute Bildung und Ausbildung gelegt.


Doch Experten raten: Eltern sollten sich hüten, diesen Druck schon an Vorschulkinder oder Grundschüler weiterzugeben. In diesem Alter verstehen sie ohnehin kaum, was gute Noten für sie bedeuten. Dazu leben sie viel zu sehr in der Gegenwart.


Auch Nicola Grupe hat mit Gelassenheit gute Erfahrungen gemacht. „Ich habe mich einmal ertappt, wie ich zu meinem Sohn sagte: ,Wir müssen noch Englisch lernen‘, erinnert sich die dreifache Mutter. „Dann dachte ich: Moment mal! Ich muss gar nichts! Er soll Englisch lernen, nicht ich. Seither lasse ich ihn in Ruhe. Seine Noten sind zwar schlechter geworden, aber wir sind beide zufriedener und haben viel weniger Stress.“


Ausloten: Was macht den Kindern Spaß?


Neben der Schule finden Mütter heute Hobbys wichtig. Sie sollen den Kindern Spaß machen und ihre Talente fördern.


Die Wahl der Hobbys überlassen sie dabei dem Nachwuchs. „Kinder wissen oft ganz genau, was gut für sie ist“, berichtet Stephanie Meyer. „Unser Sohn wollte unbedingt Melodica lernen. Obwohl der Kurs schon einige Monate lief, stieg er noch ein – und hat innerhalb kürzester Zeit den Rückstand aufgeholt“, berichtet sie.


Wer hingegen versucht, den Kindern die eigenen Wünsche unterzujubeln, macht häufig eine Bauchlandung. „Ich wollte früher unbedingt Klavier lernen, durfte aber nicht. Also arrangierte ich Stunden für unsere Tochter. Das war keine gute Idee“, schmunzelt eine Mutter.


Grenzen setzen Eltern jedoch bei der Anzahl der Hobbys. „Mehr als zwei Hobbys gleichzeitig finde ich für Vor- und Grundschüler sehr viel“, gibt Bianca Brinkmann zu bedenken. „Schnell kann das zu Termindruck führen“, ergänzt sie.


Allerdings: Wie viele Termine pro Woche und Kind gut sind, ist ganz verschieden. „Unser Jüngster puzzelt am liebsten ungestört mit dem Vater auf dem Hof. Der ist richtig genervt, wenn er los soll. Andere Kinder blühen auf, je mehr sie vorhaben“, berichtet Nicola Grupe.


Erfahrungsgemäß steigt die Anzahl der Hobbys mit dem Alter – und damit auch die Fahrbereitschaft der Mütter. „Als die Kinder noch kleiner waren, fand ich es übertrieben, für die motorische Früherziehung in die Stadt zu fahren. Das Kinderturnen im Nachbarort tut es doch auch“, meint eine Mutter. Ihre Haltung änderte sich, als die Kinder älter wurden. „Unser Großer holt sich seine Bestätigung zurzeit bei den Treffen mit seinen Freunden“, sagt sie. „Ich kann ihm unmöglich abschlagen, ihn dorthin zu fahren.“


Neben Hobbys belasten Termine bei der Krankengymnastik, dem Logopäden oder Ergotherapeuten heute das Zeitkonto der Kinder. Denn im Laufe der Kindheit nimmt fast jedes Kind diese Förderung einmal in Anspruch. Und das auch, weil Eltern heute besonders sensibel für Entwicklungsstörungen sind. Sie beobachten ihre Kinder genau und reagieren schnell.


Aber der Umgang mit den Schwächen der Kinder erfordert Fingerspitzengefühl. „Unsere Tochter ging wegen einer Lernstörung zur Ergotherapie. Das hat sie sehr gestresst, so dass wir die Therapie abgebrochen haben. Die Lernstörung hat sich verwachsen, und das Mädchen ist viel fröhlicher“, berichtet eine Mutter.


Doch meistens hilft die spezielle Förderung den Kindern: „Im ersten Moment war ich ziemlich erschrocken, als es hieß, unser Sohn braucht Sprachtherapie“, berichtet eine Mutter. „Aber sie hat ihm gut getan. Er ist jetzt viel selbstbewusster.“


Kathrin Hingst

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