Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Maisaussaat Stilllegung 2024

topplus Aus dem Heft

China zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Lesezeit: 8 Minuten

1,4 Milliarden Menschen ernähren, die Lebensmittelqualität verbessern und Umweltprobleme lösen. Ob China das gelingen kann, hat top agrar vor Ort recherchiert.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Lachend kommt Herr Wang aus dem Stall. Das Hemd noch fleckig empfängt er uns freundlich aber mit großen Augen. Was deutsche Landwirte bei ihm wollen, versteht der Schweinehalter nicht. Mit seinen 700 Schweinen in zwölf Jahre alten Gebäuden sei er doch kein Vorzeigebetrieb der neuen chinesischen Landwirtschaft!


Doch deshalb sind wir hier. Die Volksrepublik ist zwar bekannt für Schweinehochhäuser, hundertausende Hektar große Staatsfarmen und vertikal integrierte Milchunternehmen. Doch die durchschnittliche Größe der rund 200 Mio. Betriebe beträgt schätzungsweise 10 Mu oder 0,6 ha (1 Mu = 669 m2). Die Strukturunterschiede sind riesig.


Dabei steht die Landwirtschaft vor großen Herausforderungen: Die Bevölkerung hat sich innerhalb von 50 Jahren verdoppelt. Mit 1,38 Mrd. Menschen ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt (s. Übersichten S. 21). Hinzu kommt eine wachsende Mittelschicht mit neuen Essgewohnheiten.


Obwohl das Land seine Getreideerträge in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat und mit 54 Mio. t Schweinefleisch pro Jahr weltweit an der Spitze steht, reichen die Lebensmittel für eine Selbtversorgung nicht aus. Woran liegt das und welche Lösungsansätze gibt es?


Wenig Ackerflächen:

Der begrenzende Faktor für eine steigende Produktion ist die knappe Fläche. Zwar ist China etwa 27 Mal so groß wie Deutschland. Doch das Land verfügt nur über schätzungsweise 10% landwirtschaftliche Nutzfläche, die zunehmend mit den wachsenden Großstädten konkurriert. Und während der Süden durch hohe Niederschläge und Temperaturen geprägt ist, bestimmen im Westen Trockenheit und Wüstenklima den Anbau. Im Norden begrenzen eisige Winter mit Temperaturen bis -50°C die Vegetation.


So lag der Fokus der letzten Jahre darauf, mehr Lebensmittel auf weniger Fläche zu produzieren. Das belastet die Boden- und Wasserqualität und reduziert die Anbaufläche zusätzlich. Verschärft werden die Umweltprobleme, weil Ackerbau und Tierhaltung in der Regel getrennt sind. Schweinehalter kaufen Soja aus Brasilien, Milcherzeuger Luzerne aus den USA. Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) bringen Landwirte im Schnitt über 250 kg Stickstoff und knapp 130 kg Phosphat pro ha auf die Flächen. „In den östlichen Provinzen drängen sich Tierbestände und Bevölkerung. Im Bereich Peking werden zum Teil über 15 Großvieheinheiten (GV) je ha gehalten“, so Dr. Sven Grupe, der im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaf (BMEL) ein Kooperationsprojekt für die Rinderzucht leitet und regelmäßig in China ist.


Folgen der Planwirtschaft:

Zudem begrenzen politische und gesellschaftliche Strukturen die Produktivität.


Nach der kommunistischen Planwirtschaft wurde die Landwirtschaft Ende der 70er Jahre reformiert. Bis heute gibt es kein Grundeigentum. Stattdessen erhalten Landwirte für zugeteilte Flächen Bewirtschaftungsrechte. Weil so Kleinbauern kaum Kredite bekommen, investieren sie wenig. Schätzungen des BMEL zufolge gibt es nur 25 Mio. Traktoren (12% der Betriebe) und nur etwa 60% des Getreideanbaus sind mechanisiert.


Auf den kleinstrukturierten Flächen ist ein effizientes Wirtschaften sowieso kaum möglich. Die durchschnittlichen Erträge für Weizen liegen bei 6 t/ha. Seit 2015 dürfen Landwirte ihre Bewirtschaftungsrechte weitergeben oder zu Kooperativen zusammenlegen. „Dieser Prozess läuft aber erst langsam an. Was fehlt, ist eine landesweites Kataster, aus dem die verfügbaren Flächen sowie die Nutzungsrechte klar hervorgehen“, so Rainer Klepper, Landwirtschaftsreferent an der Botschaft in Peking.


Um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, erzwingt die Regierung einen Strukturwandel. Unter anderem subventioniert sie große Tierhaltungen mit bis zu 90%. Nur diese seien in der Lage, moderne Hygiene- und Qualitätsstandards einzuhalten. Hinterhofhaltungen und Familienbetriebe werden geschlossen – dazu zählen auch Betriebe mit weniger als 200 Kühen. Zudem spielen bei der Förderung soziale Aspekte eine größere Rolle als ökonomischer Erfolg. Im ländlichen Raum sollen die Betriebe Arbeitskräfte schaffen.


Auch der Ackerbau ist subventioniert. So gelang es, die Selbstversorgung mit Getreide zu erreichen. Aber um die Produktion auf hohem Niveau zu halten, werden Übermengen bei Reis, Weizen oder Mais aufgekauft. So liegt der Stützpreise für Weizen seit Jahren bei knapp 300 €/t, während dieser auf dem Weltmarkt zeitweise nur die Hälfte erlöste.


Beim Soja führt das zum Dilemma. Zwar ist man mit einem Importanteil von 90% oder etwa 95Mio. t von den USA und Brasilien abhängig. Doch die günstige Importware gefährdet die heimische Produktion.


Arbeitskräfte fehlen.

Zu diesen Herausforderungen kommt hinzu: Dem bevölkerungsreichste Land der Welt fehlt es an qualifizierten Arbeitskräften.


Eine staatliche, landwirtschaftliche Ausbildung gibt es nicht. Wer die Möglichkeit hat, geht an die Uni und hofft auf einen Job in einer Behörde oder einem staatlichen Unternehmen. „Wer einmal an der Uni war, geht selten zurück aufs Land. Und vor allem nicht in den Stall. Diese Jobs sind schlecht angesehen und meist schlecht bezahlt “, sagt Klepper. Einige Betriebe sind gezwungen, hohe Löhne für kaum ausgebildete Mitarbeiter zu zahlen. Fortbildungen gibt es kaum. Die Gefahr ist groß, dass die Mitarbeiter bei der nächsten Gelegenheit beim Nachbarn anheuern.


Im Ackerbau verschärft das mangelnde Fachwissen die Umweltprobleme. „Selbst auf Betrieben mit tausenden Hektar und teuer importierter Technik müssen wir erklären, was eine optimale Saatdichte ist oder weshalb eine Fruchtfolge sinnvoll ist“, so Grupe. Die Folgen sind Monokulturen mit Getreide und mehreren Reisernten pro Jahr oder überdüngte Flächen. Auch beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist die Volksrepublik mit jährlich rund 2 Mio. t oder 14 kg pro ha weltweit an der Spitze. Zum Vergleich: Deutschland nutzt laut FAO im Schnitt 3,8 kg pro ha.


Durch fehlende staatliche Unterstützungen, Flächen und Ausbildung haben Kleinbauern oft keine Perspektiven. Arbeitsplätze in den Städten locken mit fast dreifachen Löhnen, die 2017 laut dem „China Agricultural Outlook“ im Schnitt bei 4700 €/Jahr lagen. Das treibt immer mehr Landwirte in die Städte. Bis 2020 sollen etwa 60% der Bevölkerung in den Städten leben, während es vor 40 Jahren etwa 20% waren.


Dabei ist die Landflucht ein hohes Risiko: Das sogenannte Hukou-System registriert und steuert den Wohnsitz. Wer auf dem Land geboren wird, darf ohne Erlaubnis nicht umziehen. Doch weil viele Bauern keine andere Wahl haben, gibt es fast 300 Mio. illegale Wanderarbeiter in den Städten. Sie haben keine Arbeitsverträge, Versicherungen und keinen Zugang zu Bildung oder andere Sozialleistungen. Eltern und Kinder bleiben deshalb auf dem Land zurück.


Produktiver und nachhaltiger:

Diesen Herausforderungen ist sich Präsident Xi Jinping bewusst. Die Landwirtschaft soll effizienter, nachhaltiger und marktorientiert werden.


Den Rahmen bildet der „Nationale Plan zur nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft bis 2030“. Darin festgehalten ist unter anderem eine Reduktion der Subventionen, damit sich Mengen und Preise stärker an die Nachfrage anpassen. So sind 2017 erstmals seit Jahren die Stützpreise für Reis und Getreide um 2 bis 3% gesenkt sowie die Abnahmeverpflichtung bei Futtermais aufgehoben worden.


Gleichzeitig soll die Landwirtschaft aber attraktiv bleiben, um hohe Beschäftigung und Erträge zu gewährleisten. „Es ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen des Landes, 200 Mio. Bauern sozialverträglich in wirtschaftlich tragbare Strukturen zu überführen, ohne Unruhen im Land herbei zu rufen“, so Grupe.


Die Regierung erkennt auch die Folgen der intensiven Produktion für Umwelt und Bodenqualität und nimmt den Umweltschutz auf die Agenda. Geplant sind Aufforstungsprogramme und das Umwandeln von Acker- in Grünland. Der vergleichsweise hohe Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln soll nicht weiter steigen bzw. bei Sonderkulturen bis 2020 um 20% sinken. Das soll die Bodenqualität verbessern und langfristig für steigende Erntemengen mit höheren Qualitäten sorgen. „Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Bemerkenswert ist aber, dass die Regierung erstmals das Ziel einer möglichst hohen Selbstversorgung zugunsten des Umweltschutzes zurückstellt“, sagt Klepper.


Tierhaltung wird umgesiedelt:

Um die intensiven Tierhaltungsregionen zu entlasten und stärker in den Futteranbau zu integrieren, sollen landwirtschaftliche Betriebe verlegt werden. Unter anderem sollen 145 Mio. Schweine in die weniger stark besiedelten nordöstlichen Provinzen Jilin, Innere Mongolei und Heilongjiang umsiedeln. „Die Umsetzung dieser Pläne ist im vollen Gange und stellt die lokalen Behörden vor große Aufgaben. Diese Stallanlagen haben auch am neuen Standort keine eigenen Flächen und bleiben abhängig“, berichtet Grupe.


Der Modernisierungsplan soll außerdem für Wassereinsparungen und eine kreislauforientierte Produktion sorgen. Mit Blick auf die sinkende Zahl landwirtschaftlicher Betriebe will China die Mechanisierungen weiter fördern. Digitale und automatische Systeme sollen zukünftig Arbeitskräfte ersetzen.


Aber auch die Ausbildung der Landwirte will die Regierung mit verschiedenen Maßnahmen verbessern. Hierbei setzt China auf Fachwissen aus dem Ausland über private Kooperationen oder politische Zusammenarbeit.


Größer, effizienter, besser: Welchen Einfluss diese Pläne auf die chinesische Landwirtschaft haben, ist schon heute erkennbar. Für kleine Familienbetriebe, wie den von Herrn Wang und seinem Sohn, wird es eng. Seine Antwort auf unsere Frage nach Preisen und Erlösen verstehen wir auch ohne Übersetzung – in Westfalen hätten wir wohl die gleiche Antwort bekommen: „Immer zu wenig natürlich!“

Die Redaktion empfiehlt

top + Zum Start in die Maisaussaat keine wichtigen Infos verpassen

Alle wichtigen Infos & Ratgeber zur Maisaussaat 2024, exklusive Beiträge, Videos & Hintergrundinformationen

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.