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Streitgespräch

Dürfen wir Tiere nutzen und töten?

Ein Streitgespräch zwischen der Philosophin und Tierrechtlerin Hilal Sezgin und der Präsidentin des Westfälisch-Lippischen Landfrauenverbandes Regina Selhorst.

Lesezeit: 16 Minuten

Ein Streitgespräch zwischen der Philosophin und Tierrechtlerin Hilal Sezgin und der Präsidentin des Westfälisch-Lippischen Landfrauenverbandes Regina Selhorst.


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Nutztiere begleiten den Menschen seit vielen Tausend Jahren. Sie liefern Fleisch, Milch, Wolle, Eier, werden als Zug-, Last- und Reittiere genutzt oder als Schutz- und Hütehunde eingesetzt. Und noch länger essen Menschen Fleisch. Warum ist das plötzlich problematisch?


Sezgin: Lange Zeit konnten die Menschen gar nicht anders existieren. Heute brauchen wir die Tiere nicht mehr als Arbeitstiere und auch nicht als Nahrungsgrundlage. Das wirft neue Fragen auf: Dürfen wir andere empfindungsfähige Lebewesen nutzen, sie einsperren, ihnen die Kinder wegnehmen, ihnen Körperteile amputieren und sie schließlich gewaltsam töten? Ich meine Nein. Am Ende werden Nutztiere immer geschlachtet – auch Legehennen und Milchkühe. Es ist daher kein Unterschied, ob wir nur Milch und Eier nutzen oder auch das Fleisch.


Frau Selhorst, können Sie die Argumentation nachvollziehen?


Selhorst: In keinster Weise. Mein Verständnis von Tierhaltung ist ein ganz anderes. Die Nutztiere werden geboren, um den Menschen zu dienen, ihnen gesunde und sichere Lebensmittel zu liefern. Dass auch Legehennen und Milchkühe am Ende geschlachtet werden, halte ich auch für ein Gebot der Fürsorge. Würden wir das nicht tun, würden die Tiere leiden, bis sie unter Umständen unter Qualen an Altersschwäche eingehen.


Sezgin: Wenn das stimmt, würde man auch Menschen einen Gefallen tun, wenn man sie nicht alt werden lässt.


Selhorst: Da mache ich zwischen Tieren und Menschen einen sehr großen Unterschied! Menschen helfen einander, Tiere lassen sich im Stich. Sie haben kein Bewusstsein dafür, dem anderen Tier zu helfen.


Sezgin: Wir haben nicht das Recht, die Lebewesen in Nutzungskategorien einzuteilen. Und Tiere sind keine Gegenstände. Sie empfinden Trauer, Schmerzen oder Langeweile. Deshalb darf man ihnen nicht ohne Grund Leid zufügen.


Selhorst: Das ist für mich selbstverständlich. Natürlich dürfen wir Tieren keine Schmerzen zufügen. Wir sind sogar verpflichtet, ihnen zu helfen, z. B. wenn sie krank sind.


Sezgin: Aber die Tiere leiden doch, wenn sie geschlachtet werden oder wenn sie als Ferkel oder Kalb der Mutter weggenommen werden. Das ist großer Stress für die Tiere.


Selhorst: Das sehe ich völlig anders. Die Landwirte und Schlachter gehen mit den Tieren so schonend wie möglich um, weil sie wissen, dass der Stress auf die Gesundheit der Tiere und die Qualität des Fleisches geht.


Die eigentliche Frage lautet doch: Haben Tiere eigene Rechte?


Sezgin: Nur Menschen, die Rechte verstehen, können diese auch verleihen und beachten. Aber auch ein schmerz- empfindliches Lebewesen hat ein Recht darauf, keine Schmerzen zugefügt zu bekommen. Es hat ein Recht darauf, sein Leben ungehindert ausleben zu können. Das müssen wir Menschen beachten. Draußen in der Natur zwischen Wolf und Reh macht dieses Konzept keinen Sinn, weil der Wolf keine Rechte versteht.


Selhorst: Ich unterscheide ganz klar zwischen Tier- und Menschenrechten. Tiere haben ein Recht darauf, tiergerecht behandelt zu werden. Wir dürfen Tiere nicht vermenschlichen. Tiere haben einen Anspruch auf Futter und auf ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen. Aber sie haben nicht das Recht, als Mensch behandelt zu werden.


Sezgin: Aber sie haben das Recht, sich artgerecht verhalten zu können. Hausschweine benähmen sich wie Wildschweine, wenn man sie ließe. Dann würden sie 75 % ihrer Wachzeit mit Wühlen verbringen. Sie würden suhlen und vieles mehr. Das können sie in unseren Ställen nicht und deshalb haben sie kein tier- und artgerechtes Leben.


Da klingt die Kritik von Frau Sezgin durch, dass es Ihren Schweinen im Stall möglicherweise nicht gut geht. Wann sind Ihre Schweine zufrieden?


Selhorst: Das weiß ich sehr genau. Wenn sie mich mit wachen Augen angucken, wenn ihr Fell glatt ist und die Ohren stehen, wenn sie neugierig an meinen Stiefeln knabbern, wenn sie sich eng aneinanderkuscheln und wohlig ausstrecken.


Ist das so viel anders als bei Ihren Schafen, Frau Sezgin?


Sezgin: Das glaube ich schon. Meine Schafe können sich frei bewegen, sie können auf ihrer 2 ha großen Weide mit Bäumen und Sträuchern allen ihren Bedürfnissen nachgehen. Bei Frau Selhorst haben die Schweine nur ihr Spielzeug. Das ist eine kompensatorische Maßnahme, weil der Spaltenboden nichts anderes zulässt. Ich bin sicher, dass meine Schafe mit ihren über Jahre gewachsenen sozialen Beziehungen ein besseres Leben haben als die Schweine von Frau Selhorst.


Selhorst: Einspruch! Woher wissen Sie das? Nur weil sich unsere Schweine nicht in der Natur aufhalten, geht es ihnen nicht automatisch schlechter.


Der Lebensraum Ihrer Schafe endet auch am Weidezaun.


Sezgin: Natürlich. Aber ich darf ja auch nicht einfach in den Garten des Nachbarn laufen. Aber meine Schafe müssen keinen fremden Interessen dienen, sie sind keiner Gewalt oder Willkür unterworfen.


Empfinden die Tiere dabei so etwas wie Glück und Lebensfreude?


Sezgin: Ganz sicher. Das kann man z. B. beobachten, wenn die Schafe aus purer Lebensfreude über die Weide jagen. Vielleicht sind sie beim Wiederkäuen nicht unbedingt euphorisch, aber zumindest zufrieden. In jedem Fall haben sie Empfindungen. Deswegen darf man ein Tier nicht einfach töten.


Selhorst: Lebensfreude und Glück ordne ich ganz klar den Menschen zu. Ein Tier kann nach meinem Verständnis zufrieden, aber nicht glücklich sein. Das ist ein Zustand, den wir Menschen in das Verhalten eines Tieres hinein- interpretieren.


Sezgin: Aber der Hund freut sich schon, wenn er Herrchen oder Frauchen wiedersieht.


Selhorst: Weil es eine intensive soziale Beziehung gibt. Das hat nichts mit Lebensfreude und Glück zu tun. Das ist eine natürliche Verhaltensweise.


Die großen Weltreligionen, Christentum, Islam und Judentum, erlauben, Tiere zu nutzen und Fleisch zu verzehren, wenn besondere Regeln beachtet werden und die Produkte z. B. halal bzw. koscher sind. Ist das nicht ein ethisch-moralischer Fingerzeig, dass die Nutzung und Tötung von Tieren erlaubt ist?


Sezgin: Das muss man im Kontext der damaligen Zeit sehen. Damals gehörten Tiere essenziell zur Nahrung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Religion nicht verbietet, Tiere zu nutzen und zu töten. Gleichzeitig finden sich im Koran und in der Bibel Hinweise, die einen respektvollen Umgang mit Tieren einfordern.


Selhorst: Das sehe ich ähnlich. Ich lege die Bibel so aus, dass wir Tiere nutzen dürfen – aber mit großem Respekt und in Dankbarkeit.


Sezgin: Am Anfang der Genesis darf der Mensch noch keine Tiere essen. Gott erschafft am sechsten Tag sowohl die Tiere als auch die Menschen. Zunächst gibt er den Menschen nur die Pflanzen zur Nahrung frei. Erst nach der Sintflut, als Noah mit Gott einen Bund geschlossen hat, dürfen sie auch Tiere essen. Im Paradies gab es nur pflanzliche Kost.


Selhorst: Ich bin keine Theologin, finde es aber schwierig, das Recht auf den Verzehr oder Verzicht von Fleisch mit der Schöpfungsgeschichte zu begründen.


Viele Katholiken haben zumindest früher jeden Freitag auf Fleisch verzichtet. Am Sterbetag Jesu sollte bewusst gefastet werden. Vor allem ältere Gläubige praktizieren das noch heute. Ist der Konsum von Fleisch für uns zu selbstverständlich geworden?


Selhorst: Fleisch war früher ein Luxusgut. Es heißt nicht umsonst Sonntags-Braten. Heute können sich auch Leute mit geringem Einkommen ein gutes Stück Fleisch leisten. Jeder hat die Freiheit zu entscheiden, wie er sich nach seinen Bedürfnissen gut und richtig ernährt. Das dürfen wir niemandem vorschreiben. Auch nicht den Christen. Ich bin gläubige Katholikin, esse aber trotzdem freitags auch mal ein Stück Fleisch. Mir ist die Freiheit, das für mich und meine Familie entscheiden zu können, ganz wichtig. Andererseits finde ich es auch nicht richtig, dass Fleisch im Überfluss genossen wird. Wir brauchen eine gute Wertschätzung für unsere Lebensmittel. Das gilt besonders für Fleisch.


Sezgin: Ich finde es auch wichtig, dass die Menschen wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen. Viele würden aber nicht mehr so gerne Fleisch essen, wenn sie erführen, wie die Tiere gehalten werden. Wenn das Robert-Koch-Institut empfiehlt, Puten- und Hühnerfleisch nicht mehr ohne Handschuhe zu verarbeiten, weil da z. B. die gefährlichen multiresistenten MRSA-Keime drin sind, kann doch etwas nicht stimmen. Wenn die Leute das wüssten, würden sie sich ganz schön ekeln.


Selhorst: Vom Fleisch selber geht keine Gefahr aus, wenn es ordnungsgemäß behandelt und erhitzt wird und die Küchenhygiene stimmt.


Sezgin: Allerdings gibt es die gefährlichen Keime, die in der Massentierhaltung ausgebrütet werden, trotzdem. Sie finden sich in der Luft, in der Gülle und in und auf den Menschen, die mit den Tieren umgehen.


Selhorst: Aber bei weitem nicht nur dort. Es gibt auch andere Quellen.


Mir geht es heute um die moralische und emotionale Seite der Tierhaltung. Wie eng ist die emotionale Bindung zu Ihren Schafen, Frau Sezgin?


Sezgin: Wir sind schon sehr vertraut miteinander. Einige Schafe wollen gekrault werden, andere halten Distanz. Manche kennen ihren Namen, manche nicht. Ich respektiere das. Meine Tiere werden nicht zwangsgestreichelt.


Gelten für Hobby- und Nutztiere die gleichen Grundsätze?


Selhorst: Alle Tiere müssen mit Respekt behandelt werden. Das gilt für Nutz- und Haustiere gleichermaßen.


Sezgin: Das tun wir aber gerade nicht. Bei Hund und Katze halten wir es für Tierquälerei, wenn sie nicht genug Bewegung bekommen. Beim Schwein ist uns das nicht so wichtig, weil es eben ein Nutztier ist. Tatsächlich ist das Leid für das Schwein genau dasselbe wie für den Hund oder die Katze. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.


Selhorst: Erstens leiden unsere Schweine nicht. Und zweitens müssen wir zwischen Haus- und Nutztieren unterscheiden. Ein Haustier, das als Luxustier gehalten wird, hat einen anderen Anspruch auf Zuwendung als ein Nutztier. Aber gut behandeln müssen wir beide.


Sezgin: Das mögen die Menschen so sehen – die Tiere aber garantiert nicht!


Entwicklungsgeschichtlich ist der Mensch ein Alles-Esser. Gehören damit zu einer ausgewogenen Ernährung nicht pflanzliche und tierische Produkte?


Sezgin: Alles-Esser heißt nur, dass wir nahrungsmäßig sehr flexibel sind. Solange wir noch keinen Ackerbau hatten und Vorräte anlegen konnten, gehörte Fleisch zwangsläufig auf den täglichen Speiseplan, vor allem im Winter. Das ist Geschichte. Alles-Esser heißt nicht, dass man alles essen muss. Man kann sich auch vegan gesund ernähren – selbst in Schwangerschaft und Stillzeit.


Schaffen die Menschen das? Wir haben jede Menge Essstörungen.


Selhorst: Da habe ich Zweifel. Wir haben heute schon viele fehlernährte Menschen. Viele wollen und können sich nicht mehr ausgewogen ernähren. Eine vegane Ernährung macht das noch komplizierter.


Sezgin: Man kann sich mit und ohne Fleisch fehlernähren. Dann müssen wir eben intensiver aufklären.


Selhorst: Bisher zeigt die Politik kein großes Interesse daran. Deshalb fordert der Landfrauenverband auch die Einführung des Schulfachs „Ernährungs- und Verbraucherbildung“.


Mit der veganen Ernährung für alle ist es nicht so einfach. Laut FAO sind weltweit zwei Drittel der Agrarfläche Grünland, wenn man Steppen und Halbwüsten dazuzählt. Diese Flächen kann man nur mit Tieren nutzen. Was wird dann aus unseren Bergbauern?


Sezgin: Wer betreibt denn heute noch reine Grünlandwirtschaft? Auch die Milchkühe bekommen Kraftfutter. Es gibt nur noch ganz wenige Bereiche, in denen ausschließlich Raufutter verwertet wird. Dazu zählen die Schafe auf den Deichen. Die Deichpflege könnten wir fortsetzen, ohne die Tiere zu schlachten. Auf jeden Fall hätten wir genügend Ackerfläche, um die Einwohner Deutschlands zweifach zu ernähren, wenn wir das rein pflanzlich täten.


Trotzdem haben wir 4,4 Mio. ha Grünland. Was machen wir damit?


Selhorst: Wir brauchen dieses Grünland, um die Menschen zu ernähren. Wir dürfen nicht nur an Deutschland denken. Die Weltbevölkerung wächst und wir werden jeden Hektar brauchen, um die wachsende Zahl der Menschen nach ihren Bedürfnissen und Wünschen angemessen zu ernähren. Wir können uns da nicht einfach ausklinken. Wir stellen nur knapp 1 % der Weltbevölkerung. Mit welchem Recht geben wir vor, wie sich der Rest der Welt zu ernähren hat?


Sezgin: Das tun wir doch gar nicht. Wenn wir die Nahrungsmittel besser in der Welt verteilen wollen, müssen wir bei uns sofort mit der Tierhaltung aufhören. Wir verfüttern viele Mio. t Getreide und Soja an unsere Schweine, Hühner und Kühe. Das treibt weltweit die Preise so hoch, dass sich einige Entwicklungsländer die Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können, vor allem wenn die Ernte mal schlecht ausfällt. Weil andere Industriestaaten und die Schwellenländer genauso handeln, werden die Flächen in Südamerika langsam knapp. Jetzt geht man nach Afrika und die Probleme beginnen von Neuem. Nein, die Massentierhaltung sichert nicht die Ernährung der Armen. Im Gegenteil: Sie bedroht sie.


Selhorst: Das ist doch eine völlig einseitige Sichtweise. Sie glauben doch nicht wirklich, dass die intensive Tierhaltung den Hunger in der Welt verstärkt? Politik, Korruption, Missmanagement und fehlendes Know-how spielen eine viel größere Rolle und verhindern in den Hungerregionen eine effiziente Landwirtschaft.


Die EU verbietet die Umwandlung von Grünland zu Ackerland. Wenn wir es nicht nutzen, wird es zu Wald. Wollen wir das?


Sezgin: Gegen mehr Wald ist nicht grundsätzlich etwas zu sagen. Natürlich müssten einige Bauern, die wirklich nur von Grünland leben, ihre Existenz umstellen. Aber eine gesellschaftliche Veränderung geht nicht ohne Einschnitte. Darum sage ich ja immer: Das Ganze ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für Einzelne! Denn den Verlierern müssen wir natürlich beim Aufbau einer neuen Existenz helfen. Einen Teil der Grünlandflächen, indem wir sie beweiden lassen, können wir weiterhin erhalten, aber ohne die Tiere zu schlachten. Wir betreiben schon heute Landschaftspflege durch Mähnutzung. Die kostet auch Geld.


Macht es sich Frau Sezgin nicht zu einfach, wenn sie fordert, einige Landwirte müssten sich neu orientieren?


Selhorst: Ganze Regionen wären nutzlos. Das wirft viele Fragen auf: Was machen wir mit dem überzähligen Grünland? Was machen wir mit Rindern und Schafen, die wir nicht mehr nutzen? Was machen wir mit den Bauern, die wir nicht mehr brauchen? Und wer soll das bezahlen? Fest steht, dass uns die Veredlung des Grünlands zu Milch und Fleisch deutlich günstiger kommt. Und ich bleibe dabei. Wir brauchen sie auch für Ernährung und für die Erhaltung der Kulturlandschaft.


Weltweit wächst die Nachfrage nach Fleisch. Dürfen wir den Chinesen zurufen: Macht es nicht so wie wir?


Selhorst: Nein! Natürlich hat jedes Land die Freiheit, seine Landwirtschaft so zu gestalten, wie es das für richtig hält. Das muss auch so bleiben.


Sezgin: Aber vielleicht können andere aus unseren Fehlern lernen? Und wir müssen unser System nicht mit aller Kraft exportieren. Wir machen Imagekampagnen für Fleisch und Milch aus Deutschland, wir liefern Stalltechnik und Zuchttiere in die Welt und wir geben auch noch Hermes-Bürgschaften für Käfighaltungs-Systeme, die in der EU verboten sind. Das ist der falsche Weg.


Vor der Bundestagswahl gab es bei uns eine heftige Debatte über Veggie-Days. Darf der Staat uns vorschreiben, wann wir uns wie ernähren?


Selhorst: Ganz klar Nein.


Sezgin: Da sind wir nicht auseinander. Ich will kein Gesetz, das das Töten von Tieren verbietet. Das ist in einer Demokratie die falsche Frage. Ich muss für meine Position werben, dafür eine Mehrheit gewinnen.


Davon sind Sie aber noch weit entfernt. Die Zahl der Vegetarier und Veganer ist noch klein. Muss es da nicht Ihr erstes Ziel sein, die Haltung der Tiere zu verbessern? Nehmen Sie den Bauern ab, dass sie sich darum bemühen?


Sezgin: Ich unterstelle nicht, dass die Landwirte aus Boshaftigkeit oder Gefühllosigkeit handeln. Sie sind das schwächste Glied in der Wertschöpfungskette. Sie müssen zum Teil mit Mini-Margen von wenigen Cent auskommen. Dafür kann man keine tier- und artgerechte Tierhaltung erwarten. Wenn die Verbraucher nicht mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben wollen, kommen wir auch in Zukunft aus diesem Teufelskreis nicht heraus. Das ist das Kernproblem und das muss die Gesellschaft kapieren. Nochmal: Das ist nicht die Schuld der Landwirte. Sie haben den geringsten Handlungsspielraum, von einigen schwarzen Schafen mal abgesehen.


Kommt das bei Ihnen so an?


Selhorst: Wir Landwirte fühlen uns stark unter Beschuss, obwohl wir eine ordnungsgemäße Tierhaltung betreiben. Wenn unsere Tiere nicht gesund wären und entsprechend Leistung brächten, könnten wir gar nicht überleben. Natürlich wollen wir unsere Tiere noch besser halten. Dafür arbeiten wir eng mit der Wissenschaft zusammen.


Sezgin: Ich sage gar nicht, dass unsere Nutztierhaltung nicht ordnungsgemäß ist. Ich finde es nur schlimm, dass sie in dieser Form erlaubt ist. Im Übrigen ist das Argument, die Tiere bringen Leistung, also geht es ihnen gut, nicht richtig. Viele Legehennen leiden nach 13 Monaten und über 300 Eiern an Entzündungen des Legedarms. Auch die Schlachtbefunddaten zeigen, dass viele Schweine im Laufe ihres Lebens krank waren. Das sind nur zwei Beispiele.


Selhorst: Das ist doch kein Argument dafür, dass die Tiere nicht gut gehalten wurden. In der Freilandhaltung treten diese Probleme auch auf, manchmal in noch größerem Ausmaß. Natürlich müssen wir daran arbeiten, die Haltungen noch weiter zu optimieren. Dazu gibt es keine Alternative. Wenn wir in Deutschland keine Nutztiere halten, wird trotzdem Fleisch gegessen. Wo kommt das dann her? Wohl aus dem Ausland. Wir haben einen globalen Markt und irgendwo finden sich Landwirte, die das Fleisch für die Deutschen produzieren. Wir haben dann weder Einfluss auf die Qualität noch auf die Haltung. Deshalb müssen wir unser System behutsam weiterentwickeln. Mit der Initiative Tierwohl tun wir das. Entscheidend ist, dass der Verbraucher den notwendigen Mehrpreis bezahlt.


Wo stehen wir in 20 Jahren mit unserer Nutztierhaltung?


Sezgin: Die Pessimistin in mir denkt, dass wir in 20 Jahren weltweit noch mehr Tiere halten und kein sauberes Wasser mehr haben. Die Optimistin wünscht sich dagegen das Ende der Ausbeutung und der Gewalt gegen Tiere. Schön, dass das heute ein Thema ist. Vor 10 Jahren war das noch anders.


Selhorst: Ich wünsche mir, dass die Verbraucher unsere Lebensmittel wieder mehr wertschätzen. Dann bekommen wir auch faire Preise. Das ist der Schlüssel für eine wirtschaftlich tragfähige Tierhaltung, die auch dem Tierwohl bestmöglich Rechnung trägt. Das müssen wir immer wieder klar machen. Dafür ist es wichtig, dass wir Landwirte mit den Verbrauchern ins Gespräch kommen und auch bleiben.


Vielen Dank für das intensive und emotionale Gespräch.-sp-

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