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Fracking: Gasboom auf Kosten der Landwirte?

Lesezeit: 11 Minuten

Für die Mineralölkonzerne sind es nur Nadelstiche in den Boden. Für Kritiker massive Eingriffe in die Umwelt. Selbst Experten sind sich über die Folgen des sogenannten Frackings nicht einig. Wer hat Recht und welche Gefahren kommen auf die Landwirtschaft zu?


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Markus Steverding aus Borkenwirthe ist ein typischer Westfale. Eigentlich bringt Ihn nichts so schnell aus der Ruhe. Vor etwa drei Jahren war es damit aber vorbei: ExxonMobil, einer der weltweit größten Mineralölkonzerne, wollte 600 m von seinem Hof entfernt nach Erdgas bohren.


Das Unternehmen mit Stammsitz in den USA (Texas) steckte mitten in den Vorbereitungen, als sich die Nachricht im Dorf wie ein Lauffeuer verbreitete. Die Amerikaner hatten sogar schon ein Grundstück gepachtet – ohne dass die Anwohnern ahnten, was genau auf sie zukommen sollte.


Vermutlich wäre es auch nie zum Aufstand der Bürger gekommen, wenn sich ExxonMobil für eine herkömmliche Bohrung entschieden hätte. Das aber ließen die geologischen Verhältnisse im Landkreis Borken nicht zu. Denn dort ist der Rohstoff fest in den Poren von Gesteinsformationen eingeschlossen (unkonventionelles Gas).


Für die Unternehmen sind das verschärfte Bedingungen: Mit den sonst üblichen Bohrtechniken, bei denen mit wenigen „Stichen“ eine Lagerstätte angezapft wird, lässt sich das Gas nämlich nicht bergen. Stattdessen müssen die Firmen die Schichten wie einen Schweizer Käse durchlöchern und sprengen das Gestein regelrecht auf. Experten nennen das Fracken (siehe Übersicht Seite 20).


Altbekannte Methode.

Die Amerikaner wenden diese Technik seit den 40er­Jahren an. Etwa zehn Jahre später entdeckten die Deutschen die Methode. Allerdings haben die hierzulande führenden Unternehmen wie RWE DEA, ExxonMobil oder Wintershall erst 320-mal auf diese Weise Erdgas gefördert. Im Vergleich zu den Tausenden Fracks in den USA spielte das Verfahren somit in Deutschland bislang kaum eine Rolle.


Das könnte sich allerdings ändern. Denn die weltweite Nachfrage nach dem kostbaren Rohstoff zieht an, während das Angebot aus konventionellen Quellen sinkt. Trotz der aufwendigen und teuren Bohrmethode rückt Fracking-Gas daher zunehmend ins Visier der Konzerne.


Die Technik ist dennoch umstritten. Kritiker stufen nicht nur das Fracking-Gas-Potenzial als gering ein, sondern halten die Technologie auch noch für eine Dreckschleuder, die Grund und Boden verseucht. Je mehr Steverding und seine Mitstreiter daher über das Fracken herausfanden, desto unwohler wurde ihnen dabei.


Dr. Jochen Thiering, Umwelt-Experte vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschafts-Verband (WLV) kann die Bedenken nachvollziehen. Auch er hat sich intensiv mit dem Thema befasst, drückt sich im Gespräch mit uns aber auffällig oft im Konjunktiv, der sogenannten Möglichkeitsform, aus. Denn über die Risiken wisse man noch viel zu wenig.


Methode umstritten.

Sowohl die Landwirtschaft als auch große Teile der Bevölkerung sorgen sich vor allem um die drei neuralgischen Punkte des Bodens: Fracken gefährdet womöglich das Trink- sowie Grundwasser, steht im Verdacht kleinere Erdbeben auszulösen und nimmt viel Fläche in Anspruch.


  • Trink- und Grundwasser: Die Mineralölkonzerne pumpen mit Druck große Mengen Wasser und Sand in die Schichten, um diese zu sprengen. In die Fracking-Flüssigkeit mischen sie zudem Stützmittel und Chemikalien. Das ist u.a. notwendig, weil sich die Spalten andernfalls unter dem Gewicht des Bodens wieder schließen würden. Umweltexperten sehen aber genau darin ein mögliches Problem. Denn die Flüssigkeit könnte bspw. durch Lecks in den Bohrlöchern ins Grundwasser gelangen.


„Für unsere Bauern wäre das der Gau“, warnt Thiering. Schließlich sind Landwirte oft auf eigene Wasserbrunnen angewiesen und sollte sich der Chemiecocktail unkontrolliert im Boden ausbreiten, ist auf den betroffenen Flächen nicht einmal mehr Ackerbau möglich. Die Sorgen kommen nicht von ungefähr. Schließlich liest sich der Mix, den die Firmen bislang verwendet haben, nicht gerade wie das Etikett einer Wasserflasche: Biozide, Lösungsmittel, Säuren, Schäume, Tenside usw. Rückendeckung erhalten Kritiker in diesem Zusammenhang auch vom Sachverstän-digenrat der Bundesregierung für Umweltfragen. In einem aktuellen Gutachten kommt dieser zu dem Schluss: Die Zusatzstoffe sind teilweise toxisch und dürfen weder in den Boden noch in das Grundwasser gelangen.


In den USA ist es scheinbar genau zu solchen Horror-Szenarien gekommen. So fanden Experten der amerikanischen Umweltbehörde in Wyoming im Umfeld einer Bohrstelle z. B. Glykole, Petroleumderivate und Schaummittel im Trinkwasser. An anderer Stelle stießen Experten sogar auf Methan. Für viele Kritiker in Deutschland sind das Beweise genug, um sich für ein generelles Verbot der Methode stark zu machen.


Prof. Dr. Heidi Foth, Toxikologin von der Universität in Halle und Mitglied des Sachverständigenrates warnt aber vor übertriebener Panik: „Die Vorkommnisse in den Staaten lassen sich nicht eins zu eins auf Deutschland projizieren.“ Die geologischen Verhältnisse in den USA seien zum einen nicht mit denen hierzulande vergleichbar. Zum anderen gebe es mittlerweile Hinweise darauf, dass in einigen Fällen die betroffenen Wasserbrunnen nicht richtig abgedichtet wurden. Dadurch konnten sich ohnehin im Boden vorhandene Schadstoffe in das Wasser mischen. Einen direkten Zusammenhang mit dem Fracking schließen die Wissenschaftler somit aus.


„Vermutlich lassen sich so auch die hohen Gasgehalte im Trinkwasser erklären“, fügt Foth hinzu. Denn im Boden kommt z.B. Methan in einigen Regionen auch außerhalb von Erdgaslagerstätten vor. Dieses biogene Gas, wie Experten es nennen, könnte sich ebenfalls durch die undichten Stellen ins Brauchwasser geschmuggelt haben.


Unfälle mit Folgen.

Gefahren für Grund und Boden gehen nicht nur durch die Chemikalien im Boden selbst aus. Viel größer ist aus Sicht von Foth die Gefahr durch sogenanntes Lagerstättenwasser. Je nach Methode und Gestein drücken die Bohrprofis nämlich bis zu 20 Mio. l Wasser in die Tiefe. Ein Großteil der Brühe gelangt nach dem Bohren wieder an die Oberfläche. Aber nicht nur das: In den Strom mischt sich in der Regel auch sogenanntes Lagerstättenwasser. Das stammt aus dem Untergrund und kann sowohl radioaktiv sein als auch unerwünschte Stoffe wie Salze, Schwermetalle, Arsen und Kohlenwasserstoffe (z. B. Benzol) enthalten.


Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, die Flüssigkeiten sorgfältig zu entsorgen. In der Regel verpressen sie diese daher wieder in den Boden (z. B. in leere Erdgaslagerstätten). Unproblematisch ist aber auch das nicht. So hat es in Deutschland bereits kleinere Unfälle dabei gegeben. Selbst die RWE DEA berichtet auf ihrer Internetseite von einem Vorfall. Dabei hatte eine vom Konzern beauftragte Spedition während eines Transports etwa 50 bis 100 l der giftigen Flüssigkeit verloren. Feuerwehr und Polizei mussten ausrücken, die Straße wurde zeitweise gesperrt. Ein weiteres Beispiel: Im Dezember 2011 fanden Experten an einer Lagerstättenwasser-Leitung einen erhöhten Gehalt an Benzol im Boden; 2 000 m3 Acker wurden ausgetauscht. Das Grundwasser war zwar nicht betroffen, dafür aber oberflächennahe Gewässer. Glück im Unglück: Die Behörden fanden kein Benzol im Aufwuchs der Flächen.


Undichte Leitungen sind keine Seltenheit. „Es gibt Untersuchungen, die belegen: 8 % der Lagerstätten-Pipelines haben womöglich Lecks“, so Foth.


  • Erdbeben: Offensichtlich kann es durch Fracken zu kleineren Beben kommen. Ein Zusammenhang mit der Erdgasförderung ist zwar nicht hundertprozentig erwiesen. Beim Ministerium für Wirtschaft in Han-nover ist man aber auf eine Auffäligkeit in der Statistik gestoßen: 33 von 41 Beben in Niedersachsen wurden von den Beamten im Umfeld von Förderfeldern lokalisiert. Das sei womöglich nicht dem Zufall geschuldet.
  • Flächenverbrauch: Pro Bohrloch werden etwa 1 ha Fläche geteert. Hinzu kommen Wege und Leitungen. Das Umweltministerium in NRW schätzt allein den Flächenbedarf für sein Hausgebiet auf bis zu 10 300 ha ein, wenn die Firmen 10 % des potenziellen unkonventionellen Gases bergen würden.


Konzerne widersprechen.

Die Konzerne beurteilen die Sachlage naturgemäß anders. So teilt ExxonMobil auf Anfrage von top agrar mit: „Fracking ist weltweit bisher 1 bis 2 Millionen Mal zum Einsatz gekommen.“ Dabei sei bislang keine Trinkwasser-Verunreinigung auf das Verfahren selbst zurückzuführen. Trotzdem arbeite man an ungiftigen Flüssigkeiten.


Der Konzern ist zuversichtlich, noch im Laufe dieses Jahres Alternativen zu entwickeln, die ohne giftige Substanzen auskommen. Die beim Fracking eingesetzte Energie reiche im Übrigen auch nicht aus, um ein Erdbeben zu verursachen. Wenn im Boden hingegen tektonische Spannungen vorhanden seien, könne ein Beben nicht ausgeschlossen werden. Daher meide man solche Gebiete.


Alles nur Schönfärberei? Nein, Foth bestätigt die Aussagen. Dennoch kommt sie zusammen mit ihren Kollegen vom Umweltrat zu einem unmissverständ-lichen Urteil: „Die Technologie darf wegen gravierender Wissenslücken vorläufig noch nicht kommerziell eingesetzt werden.“ Es bedürfe weiterer Pilotprojekte, um die Auswirkungen abschätzen zu können.


Veraltete Gesetze.

Es mangelt dabei nicht nur an belastbaren Fakten zum Fracking. Eine weitere Baustelle sind die derzeit geltenden Vorschriften. Denn diese stammen aus einer Zeit, in der die Methode kaum eine Rolle spielte. Das aktuelle Gesetz hat vor allem drei Schwachstellen:


  • Eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Bürgerbeteiligung (UVP) ist für die unkonventionelle Erdgasförderung nicht zwingend vorgeschrieben. Erst wenn das tägliche Fördervolumen 500 000 m3 Gas übersteigt, müssen die zuständigen Beamten ein solches Verfahren einleiten. Beim Fracking liegen die Erträge jedoch meistens unter dieser Grenze. Zwar prüfen die für Genehmigung zuständigen Landes-Bergbauämter die Umweltauswirkungen. Die Anforderungen sind aber oftmals nicht vergleichbar mit denen einer UVP.
  • Die Bergbauämter sind dazu verpflichtet, weitere Behörden in den Genehmigungs-Prozess einzubinden. Zum Beispiel die Wasserbehörden oder bei Bedarf beispielsweise auch die Landwirtschaftskammern. Wann das aber geschieht, bestimmen die Beamten selbst. „Womöglich kommen so wichtige Experten viel zu spät zu Wort“, befürchtet Foth. Unter Umständen sogar erst dann, wenn die Mineralölkonzerne bereits mit den Bauarbeiten für die Erdgasförderung begonnen hätten.
  • In der Regel haben die Firmen einige Probefracks hinter sich, bevor sie eine Genehmigung für die Bohrung beantragen. Das ist notwendig, um die geologischen Verhältnisse vor Ort und das Potenzial besser abschätzen zu können. Dabei gewinnen die Unternehmen Daten, die für Analyse der Umweltauswirkungen hilfreich wären. Dennoch sind sie nicht dazu verpflichtet, die Infos an die Bergbauämter weiterzuleiten. Für Kritiker ein unhaltbarer Zustand.


Die aktuelle Koalition aus CDU und FDP ist sich der Probleme durchaus bewusst. Sie will mit einem entsprechenden Gesetz dennoch bis nach der Wahl warten. Dabei drängt die Zeit. Auf Anfrage beim zuständigen Bergbauamt in Niedersachsen (Meppen) und bei ExxonMobil bestätigt man uns beispielsweise: Weitere Frack-Maßnahmen sind geplant oder in der Genehmigung.


Damit kann es nach wie vor vielen Landwirten wie Steverding ergehen. Er rät seinen Kollegen daher: „Wer vom Fracken betroffen ist, sollte zumindest alle Hebel in Bewegung setzen.“ Das gehe nur mit Druck gegenüber den Entscheidungsträgern in der Region – angefangen von den Bürgermeistern bis hin zu den Bundestagsabgeordneten. Auf rechtlichem Wege habe man kaum eine Chance. Im schlimmsten Falle könne die Fläche sogar enteignet werden. Denn wenn Bodenschätze geborgen werden, steht das Allgemeinwohl gegen das Interesse des Einzelnen.


Sofern sich die Konzerne darauf einlassen, sollten die Betroffenen zudem mit den Unternehmen eine Umkehr der Beweislast vereinbaren und Brunnen in dem Förder-Gebiet anlegen. So könnten die Landwirte von Zeit zu Zeit Wasserproben ziehen und diese auf mögliche Verunreinigungen in einem Labor untersuchen lassen. Sollten die Befunde tatsächlich positiv ausfallen, müssten die Firmen beweisen, dass sie nicht als Verursacher infrage kommen.


ExxonMobil vertrieben.

Steverding und seine Mitstreiter hatten Glück. Auf Druck einer eigens gegründeten Bürger-initiative konnte man ExxonMobil wieder zurückdrängen. Dem Eigentümer der verpachteten Fläche gelang sogar mit Unterstützung des WLV eine Rückabwicklung des Vertrages. „Im Zuge des zunehmend vehement kritischen öffentlichen Echos zum Fracking war dem Grundeigentümer nicht mehr ganz wohl mit diesem Entschluss“, erinnert sich Stephen Wolfert, Pressesprecher des Kreisverbandes, an die Ereignisse vor ein paar Jahren. Hinzu kam, dass die Regierung in NRW einen Erlass herausbrachte. Danach galt und gilt bis heute: Die Förderung von Gas wird so lange ausgesetzt, bis die Risiken des Frackens besser erforscht sind. Aufgrund dieser Umstände habe man den Vertrag daher aufheben können.


So viel Glück haben andere vielleicht nicht. Das Thema ist damit noch lange nicht ausgestanden. Diethard Rolink

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