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Interview

FORUM: "Wir müssen die Sprache der Verbraucher sprechen"

Der geschäftsführende Vorstand des Forum Moderne Landwirtschaft (FORUM), Dr. Christoph Amberger, und die Geschäftsführerin Lea Fließ über Sprache in der Online-Kommunikation, die Bedeutung echter Landwirte für die FORUM-Arbeit und Erfolgsgeschichten der Landwirtschaft.

Lesezeit: 11 Minuten

AGRA-EUROPE: Frau Fließ, wie geht es „Emilia“?

Fließ: „Emilia“ weiß dank uns mittlerweile ein bisschen mehr über moderne Landwirtschaft. Sie interessiert sich nach wie vor für das, was rund um die Themen Ernährung und Landwirtschaft passiert.

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AGRA-EUROPE: Woran messen Sie das gestiegene Wissen der Vertreterin ihrer wichtigsten Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen Großstädterinnen mit Interesse an Ernährung und einer Neigung zu Lifestyletrends?

Fließ: Wir sind zwei Jahren online und in Kontakt mit „Emilia“. Wir haben unsere Kommunikationsstrategie im Hinblick auf unsere Zielgruppe weiter angepasst. Wir stellen fest, dass „Emilia“ sehr viel dialogbereiter ist, wenn wir mit ihr in Kontakt treten. Wir machen die Erfahrung, dass mit jungen städtischen Verbraucherinnen und Verbrauchern Dialog über Landwirtschaft möglich ist, und zwar inzwischen wesentlich sachlicher als noch am Anfang. Zu merken ist das schon allein daran, dass viel weniger Hasskommentare bei uns eingehen.

AGRA-EUROPE: Wieviel solcher Kontakte haben Sie über das Jahr gerechnet?

Fließ: Wir liegen allein auf facebook bei einer Reichweite von 14 Millionen bis 15 Millionen Kontakten.

AGRA-EUROPE: Um welche Themen geht es vor allem?

Fließ: Überraschenderweise sind es nicht die Themen, die für die Landwirte gerade von besonderem Interesse sind. Nehmen sie das Beispiel „betäubungslose Ferkelkastration“, das zu Jahresende hochgekocht ist. Unsere Community interessieren die damit zusammenhängenden Fragen kaum. „Emilia“ möchte stattdessen viel lieber wissen, wie viel Platz im Stall ist. Es sind mehr die einfachen Fragen, die „Emilia“ beschäftigen.

AGRA-EUROPE: Herr Dr. Amberger, das FORUM ist ja nicht in erster Linie neu aufgestellt worden, um zu erfahren, wie junge Großstädter ticken, sondern insbesondere auch, um Themen zu setzen. Gelingt Ihnen das?

Amberger: Ich denke, das gelingt uns zunehmend besser. Wir haben gelernt, dass wir die Sprache der Verbraucher sprechen müssen, wenn wir mit ihnen in Kontakt kommen und Botschaften setzen wollen. Da müssen wir gelegentlich auch mal über unseren Schatten springen. Nehmen Sie das Beispiel „Massentierhaltung“. Landwirte tun sich sehr schwer mit diesem Begriff, weil er für viele negativ besetzt ist. Verbraucher sprechen aber von „Massentierhaltung“. Wir müssen das auch tun, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten wollen. Wir benutzten solche „Non-Begriffe“, die in unserer Zielgruppe gang und gebe sind.

AGRA-EUROPE: Selbst ausgewiesene Kritiker einer großstrukturierten Landwirtschaft wie Grünen-Agrarsprecher Friedrich Ostendorff lehnen „Massentierhaltung“ ab, weil das ein „Kampfbegriff“ sei, der jede sachliche Auseinandersetzung mit Landwirten unmöglich mache. Entfernen Sie sich mit dieser Sprache nicht zu sehr von der Landwirtschaft, in deren Namen Sie kommunizieren?

Fließ: Nein. Erst solche „Kampfbegriffe“ ermöglichen uns die angestrebte Kommunikation. Wir haben die beiden Begriffe „Intensivtierhaltung“ und „Massentierhaltung“ hinsichtlich der Sucheinträge bei Google verglichen und festgestellt, dass „Intensivtierhaltung“ so gut wie keine, „Massentierhaltung“ aber eine große Rolle spielt. Darauf müssen wir uns einstellen. Das Gleiche gilt für „Pflanzenschutzmittel“ und „Pestizide“.

AGRA-EUROPE: Das dürften nicht alle FORUM-Mitglieder so sehen…

Amberger: Das ist auch ein gewisses Dilemma. Es gibt Themen, die sind der Branche unangenehm, darüber will man am liebsten gar nicht sprechen. Wir kommendaran aber nicht vorbei. Wir können nicht den Verbraucher erziehen, so dass er den Begriff „Massentierhaltung“ nicht mehr gebraucht. Er tut es, das ist nun mal Realität. Und darauf müssen wir uns einstellen.

AGRA-EUROPE: Beim FORUM kommunizieren Nicht-Landwirte online mit Verbrauchern in deren Sprache. Die Emnid-Studie des Vereins information.medien.agrar (i.m.a) von 2017 hat allerdings gezeigt, dass für Verbraucher Landwirte die glaubwürdigste und zuverlässigste Informationsquelle sind und dem direkten Austausch ein besonderer Wert zukommt. Kommunizieren Sie damit nicht losgelöst von der eigentlichen Basis und am Bedarf vorbei?

Amberger: Nein. Wir kennen aber die Diskussion und nehmen sie ernst. Deshalb haben wir im letzten Jahr viele Gespräche mit Landwirten geführt, haben unseren Ansatz in den Regionen vorgestellt und vor allem zugehört, welche Erwartungen Landwirte an unsere Arbeit haben.

AGRA-EUROPE: Mit welchem Ergebnis?

Amberger: Mit dem Ergebnis, dass wir unser Agrarscout-Projekt weiterhin intensiviert und vor allem regionalisiert haben. Wir verfügen inzwischen bundesweit über 600 Agrarscouts. Das sind Landwirte, die für moderne Landwirtschaft stehen und in ihren Regionen Veranstaltungen machen.

AGRA-EUROPE: Das klingt nach Kurswechsel in der FORUM-Kommunikation…

Amberger: Ich würde eher sagen, wir lernen dazu und entwickeln uns weiter. Zum einen haben wir gelernt, dass wir die Sprache der Verbraucher sprechen müssen, um wahrgenommen zu werden. Zum anderen versuchen wir, Themen zu personalisieren. Das bedeutet, dass Landwirte sich mit bestimmten Fragestellungen auseinandersetzen und fortschrittliche Lösungen vorstellen.

AGRA-EUROPE: Wie schaffen Sie den Spagat zwischen der hippen Online-Kommunikation auf der einen und den „geerdeten Botschaften“ der Landwirte vor Ort auf der anderen Seite?

Amberger: Beides ist wichtig und beide Ansätze verfolgen wir. Inhaltlich gibt es keine Widersprüche. Es geht nur darum, unterschiedliche Wege der Kommunikation zu beschreiten. Das Ziel ist beide Male das gleiche: Wir wollen der Bevölkerung moderne Landwirtschaft näher bringen.

AGRA-EUROPE: Welcher Weg ist der erfolgversprechendere?

Fließ: Die Kommunikation über die Agrarscouts ist der richtige Weg, um Bekanntheit in der Branche zu erlangen. Um unsere Botschaften an den Verbraucher zu bekommen, brauchen wir aber die Online-Kommunikation. 90 % der Deutschen sind online. Es wäre daher geradezu fahrlässig, wenn wir diesen Ansatz nicht weiterverfolgen würden. Ebenso wichtig ist der direkte Kontakt zwischen Landwirten als authentische Gesprächspartner und Verbrauchern. Beides zusammen verspricht den größten Effekt: Mit der Online-Kommunikation erreichen wir viele städtische Verbraucher fernab der Landwirtschaft sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Mit den Agrarscouts geben wir der Marke „Moderne Landwirtschaft“ ein Gesicht.

Amberger: Als drittes kommt der ErlebnisBauernhof hinzu. Den haben wir mittlerweile so standardisiert, dass wir ihn nicht mehr nur auf der Grünen Woche aufstellen, sondern damit bundesweit auf „Erlebnistour“ gehen. Mit unserem Schweinemobil, dem Kuhmobil und einem neuen Geflügelmobil haben wir gerade diesen Bereich weiter professionalisiert.

AGRA-EUROPE: Es gibt verschiedene Einrichtungen, die für Landwirtschaft Kommunikation machen. Den i.m.a habe ich schon genannt, die Landesbauernverbände haben zum Teil eigene Initiativen, ich denke an den Tag des offenen Hofes und einiges mehr. Gibt es so etwas wie eine Gesamtstrategie für eine Kommunikation der Agrarbranche?

Amberger: Von einer übergeordneten Strategie würde ich nicht sprechen. Aber sehr wohl sind wir projektbezogen miteinander vernetzt. Das läuft mittlerweile sehr viel besser als früher. Unser Bestreben als FORUM ist es, die Marke „Moderne Landwirtschaft“ zu entwickeln und bekannt zu machen. Das ist das gemeinsame Interesse der gesamten Branche.

AGRA-EUROPE: Wie weit sind Sie mit der Marke?

Amberger: Ich sehe uns mit dem differenzierten Ansatz auf einem guten Weg. Wir sind dabei, unseren Bekanntheitsgrad zu steigern. Es gibt allerdings noch einiges zu tun.

AGRA-EUROPE: Sie haben die urbanen Verbraucher als ihre Hauptzielgruppe genannt. Welche Rolle hat das FORUM in der Auseinandersetzung mit Organisationen und Verbänden um die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft?

Amberger: Wir richten unsere Kommunikation an die urbane Bevölkerung. Wir richten uns nicht an Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Wir agieren also nicht politisch. Daher setzen wir uns auch nicht mit NGOs auf Podien und streiten über die Landwirtschaft der Zukunft.

AGRA-EUROPE: Aber sie verfolgen die Diskussion, um zu wissen, über welche Themen gerade mit welchen Argumenten gestritten wird?

Fließ: Selbstverständlich. NGOs haben ein Bestreben, Landwirtschaft zu verändern, zu verbessern, wie auch immer. Medien berichten über Landwirtschaft, decken tatsächliche oder vermeintliche Missstände auf. Unser Ansatz ist es, die Erfolgstories, die unsere Landwirte zahlreich hervorbringen, den Menschen nahe zu bringen und ihnen auf diese Weise zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild zu machen. Die Arbeit der NGOs verfolgen und respektieren wir, auch wenn wir in vielen Punkten nicht übereinstimmen.

AGRA-EUROPE: Ist das FORUM hinreichend bekannt, dass Medienvertreter auf Sie zukommen und nach diesen Erfolgsgeschichten fragen?

Amberger: Ich nenne ein Beispiel: Wir haben eine Fotoserie für Glyphosatanwendungen im Rahmen von Minimalbodenbestellung gemacht einer Presseagentur zur Verfügung gestellt. Wir stellen fest, dass diese Fotos in den Medien verwendet werden und nicht mehr irgendwelche Schreckensbilder, die mit der Realität nichts zu tun haben:

AGRA-EUROPE: Was erreichen Sie bei Themen von grundsätzlicher Natur wie etwa dem Pflanzenschutz, die kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert werden?

Fließ: Wir haben in der Online-Kommunikation das komplette Thema „Pflanzenschutz“ für unsere nicht-landwirtschaftsaffine Community aufbereitet und einen Monat lang auf unserer Website und unseren Social Media Kanälen präsentiert. Das reichte von der Erklärung, was ist Pflanzenschutz, bis zu Fragen, wozu ist er notwendig und wie läuft die Zulassung. Wir verleihen damit der modernen Landwirtschaft eine Stimme, wo sie heute kaum eine hat: in der Diskussion über Landwirtschaft mit dem Verbraucher selbst.

AGRA-EUROPE: Wie schätzen Sie die Wirkung ein?

Fließ: Wir sind in Kontakt und können bestimmte Aspekte verdeutlichen. Es geht dabei hauptsächlich um Emotionen und nicht darum, über Fakten zu streiten. Verbraucher haben Sorgen, die sie an uns adressieren. Wir nehmen das auf und tauschen uns darüber mit Ihnen aus. Ich würde den Effekt nicht gering schätzen, auch wenn er natürlich nicht messbar ist.

AGRA-EUROPE: Es hat im Herbst erneut eine Diskussion um die Kommunikationsbereitschaft von Landwirten gegeben. Auslöser war die Forderung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die Landwirte müssten offener werden und Kritik ernst nehmen. Hat sie Recht damit?

Amberger: Landwirte müssen Kritik ernst nehmen. Ansonsten werden sie von der Gesellschaft weder anerkannt noch wertgeschätzt.

AGRA-EUROPE: Tun sie das hinreichend?

Amberger: Nach meinem Eindruck ja. Allerdings - ich komme wieder darauf zurück - viele Landwirte tun sich noch schwer damit, die Sprache der Verbraucher zu sprechen. Wer Verbraucher überzeugen will, darf das nicht in der eigenen Fachsprache zu tun, die außerhalb der Branche niemand versteht.

Fließ: Für mich ist das große Interesse an einer Tätigkeit als Agrarscout ein Beleg dafür, dass viele Landwirte die Zeichen der Zeit erkannt haben. Wir haben beispielsweise ganz viele Bewerbungen von jungen Landwirtinnen und Landwirte, auf der Grünen Woche für uns tätig zu sein. Das sind Milcherzeuger ebenso wie Schweinehalter und Ackerbauern. Dieser Mix ist uns wichtig. Weil so viele mitmachen wollen, können wir leider nicht allen zusagen. Im letzten Jahr hatten wir mehr als 40 Agrarscout-Events in ganz Deutschland. Die Grüne Woche ist nur eins davon. Immer häufiger kommen junge Landwirte auf uns zu und schlagen vor, in ihrer Region eine Veranstaltung aufzugreifen. Das freut uns natürlich.

AGRA-EUROPE: Schulen Sie die Agrarscouts?

Fließ: Ja. Wir bieten eintägige Schulungen an. Bei der können Interessierte lernen, mit Verbrauchern in Kontakt zu kommen und auf ihre Fragen einzugehen. Das kommt sehr gut an und bietet Landwirten die Möglichkeit, mit dem Thema „Öffentlichkeitsarbeit“ in Berührung zu kommen. Ziel müsste eigentlich sein, dass jeder Landwirt einmal eine solche Schulung macht.

AGRA-EUROPE: Öffentlichkeitsarbeit kostet Geld. Wie weit sind Sie noch von Ihrer Zielmarke „10 Mio Euro“ entfernt?

Amberger: Noch ein gehöriges Stück. Wir liegen mit unseren finanziellen Mitteln zwischen 3 Mio Euro und 3,5 Mio Euro. Ich finde allerdings, dass wir damit einiges auf die Beine stellen.

AGRA-EUROPE: Wie ist die Mitgliederentwicklung?

Amberger: Wir sind jetzt bei 62. Vor einem Jahr hatten wir 58. Es hat einige Fusionen gegeben, so dass wir zufrieden sind. Wir bemühen uns aber, dass wir weiter wachsen.

AGRA-EUROPE: Verspüren Sie ausreichend Rückhalt in der Branche?

Amberger: Wir bekommen von unseren Mitgliedern viel Zuspruch. Der bestärkt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

AGRA-EUROPE: Die Grüne Woche steht vor der Tür. Was wird neu sein beim ErlebnisBauernhof?

Fließ: Wir werden die Agrarscouts noch stärker in den Vordergrund rücken und ihre Präsenz etwa auf der Bühne weiter verstärken. Insgesamt werden 100 Agrarscouts auf der Grünen Woche sein, zehn am Tag. Wir werden wieder viel Landtechnik in der Halle haben und unsere „ErlebnisTour “ anbieten. Leider haben wir weniger Tiere in der Halle als sonst. Schweine werden wegen der Afrikanischen Schweinepest auf der Grünen Woche ganz fehlen. Auf einen Milchviehstall werden wir wie bereits im Vorjahr aus Kostengründen verzichten.

AGRA-EUROPE: Wie gehen Sie mit dem abstrakten Thema „Digitalisierung“ um?

Fließ:Leider lässt sich das Thema auf der Messe nur schwierig visualisieren. Wir haben einen Landwirtschaftssimulator, der bei den Besuchern gut ankommt. Drohnen dürfen leider in der Halle nicht fliegen.

AGRA-EUROPE: Vielen Dank für das Gespräch! AgE

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