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„Blühstreifen sind nicht automatisch eine Verbesserung von Artenvielfalt“

Der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes, Franz-Josef Holzenkamp, will das Thema Artenvielfalt nicht aus der Hand geben. Beim Tierwohl schließt er sich der Forderung nach einer Haltungskennzeichnung an. Im Agrarexport sollte sich Deutschland breiter aufstellen. Ein Interview mit top agrar vor dem Raiffeisentag.

Lesezeit: 9 Minuten

Der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Franz-Josef Holzenkamp, will das Thema Artenvielfalt nicht aus der Hand geben. Beim Tierwohl schließt er sich der Forderung nach einer Haltungskennzeichnung an. Im Agrarexport sollte sich Deutschland breiter aufstellen. Ein Interview mit top agrar vor dem Raiffeisentag 2018, der heute in Berlin startet.


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Sie sind nach langer Zeit als Bundestagsabgeordneter nun seit einem Jahr DRV-Präsident. Gibt es etwas, was sie im neuen Amt noch überrascht hat?


Holzenkamp: Nach 12 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, in der ich nur Regierungszeiten erlebt habe, hatte ich in meiner Funktion als Agrarsprecher der Unionsfraktion sehr viel direkten und konkreten Einfluss. Das ist heute vollkommen anders. Als Verband agiert man viel mehr im Vorfeld. Ich kannte den Verband vorher, aber was mir so nicht bewusst war, ist die Vielfältigkeit des Raiffeisenverbandes, der unter dem Begriff vom Schwein bis zum Wein alles dabei hat. Mir gefällt der intensive Verbund, der auch gelebt wird.


Mitte Mai haben DRV, DBV und DLG mit einer gemeinsamen Ackerbaustrategie wieder einen gemeinsamen Vorschlag aufgelegt. Haben sich die Verbände, die in den vergangenen zwei Jahren etwas auseinander gedriftet waren, wieder zusammengefunden?


Holzenkamp:Die Idee zur gemeinsamen Ackerbaustrategie ist bei einer turnusgemäßen Sitzung des Zentralverbands der Deutschen Landwirtschaft aus DBV, DRV, DLG, Gartenbauverband und Landwirtschaftskammern entstanden. Den Zentralverband gibt es schon lange. Wir haben uns zu dem großen Thema Artenvielfalt schnell darauf verständigt, dass wir zum politischen Einstieg ein gemeinsames Positionspapier erstellen, um zu verdeutlichen, dass wir nicht rückwärtsgerichtet sind. Wir sehen Veränderungsbedarf für den Schutz der Artenvielfalt und haben eigene Vorschläge, wie wir zum Erhalt der Artenvielfalt mit der Unterstützung der Wirtschaft beitragen können.


Wo sehen Sie Veränderungsbedarf im Ackerbau?


Holzenkamp: Wir müssen bei der Artenvielfalt zu neuen Strategien kommen. Einen sehr großen Beitrag können dazu technische Innovationen und die Digitalisierung im Ackerbau leisten – im Pflanzenschutz wie in der Düngung. Mir ist es wichtig, dass wir möglichst objektive Parameter für den Artenschutz finden. Ein Blühstreifen sieht schön aus, ist aber nicht automatisch auch immer eine Verbesserung von Artenvielfalt.


Erwarten Sie, dass mit der Glyphosat-Minderungsstrategie von Frau Klöckner die weiter gehende Forderung nach einer generellen Pflanzenschutzreduktion abgeräumt ist?


Holzenkamp: Ich bin relativ sicher, dass das Thema politisch nicht abgeräumt ist. Im Prinzip arbeiten wir im Integrierten Pflanzenschutz schon seit 30 Jahren am Schadschwellenprinzip, nur dass das gesellschaftlich keine Anerkennung findet. Klar ist aber, dass wir Artenvielfalt für eine intakte Natur brauchen. Deshalb müssen wir uns im Pflanzenschutz immer wieder jeder Diskussion stellen. Konkrete Prozentsätze für eine Pflanzenschutzmittelreduktion werden der Sache aber nicht gerecht, sie sind zu pauschal und nicht differenziert genug. Man muss sich schon die Mühe machen, das wissenschaftlich abzuarbeiten.


Seit einem Treffen aller Beteiligten am Tierwohllabel Prozess mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner Anfang Mai hat das Thema deutlich an Bewegung gewonnen. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Diskussion?


Holzenkamp: Das Treffen bei Frau Klöckner im März war wirklich ein guter Start. Die ursprünglichen Kriterien des BMEL für das Tierwohllabel waren vielleicht wünschenswert, aber für die Praxis in der Breite nicht umsetzbar. Sie hätten zu einer Wettbewerbsverzerrung auf dem EU-Binnenmarkt geführt, die die deutschen Tierhalter nicht ausgehalten hätten. Wenn wir wirklich vorankommen wollen und uns nicht mit einem Placebo-Label zufrieden geben wollen, müssen sich die Kriterien ändern.


Was muss passieren, damit die Kosten nicht letztendlich beim Tierhalter hängen bleiben?


Holzenkamp: Wir müssen eine verpflichtende und verlässliche Zahlungsform finden. Denn wenn wir es einfach dem Verbrauchermarkt überlassen, würde wahrscheinlich der Erzeuger auf seinen Mehrkosten sitzen bleiben. Wir haben die ITW mit einem Marktanteil von 20 Prozent in der Schweinehaltung, die das einzige Modell ist, das zu einer Marktdurchdringung geführt hat. Klar ist, das Geld nur vom Verbraucher kommen kann. Wer meint, dass das aus Steuermitteln finanziert werden kann, der träumt.


Laut jetzigem Stand könnte ein ITW-Plus Standard Einstiegstufe beim Tierwohllabel werden. Ist das auch für Sie ein gangbarer Weg?


Holzenkamp:Die Frage ist, wie das Plus ausgestaltet wird. Man kann bei Beschäftigungsmöglichkeiten mehr machen als zum Beispiel beim Platz und beim Auslauf. Denn was bringen die anspruchsvollsten Kriterien, wenn anschließend keiner mitmacht?


Kann das Tierwohllabel, wenn es erst im Jahr 2020 im Laden steht, noch zu einem Erfolg werden, oder haben die Handelsketten bis dahin wie jetzt schon Lidl und Netto eigene Fakten geschaffen?


Holzenkamp: Das glaube ich nicht. Wenn man sich über die Bedingungen für das Label geeinigt hat, kann man sehr schnell anfangen. Vor allem, wenn man das staatliche Label mit der ITW verzahnt. Der Staat ist mit einem freiwilligen Label aus meiner Sicht auf dem richtigen Weg, weil die Verpflichtung so schnell nicht umsetzbar ist. Das Jahr 2020 ist ein realistischer Zeitpunkt für die Einführung des Labels und wird auch dadurch unterstrichen, dass die jetzige Vereinbarung zwischen dem LEH und der ITW bis 2020 läuft. Es passiert also auch bis 2020 schon was, nämlich über die ITW.


Wird es am Ende doch eine EU-Haltungskennzeichnung geben?


Holzenkamp:Die Erzeuger haben sich mittlerweile klar dafür ausgesprochen, dass sie eine Haltungskennzeichnung einführen wollen, um damit dem Verbraucher eine klare Orientierung zu geben. Dahinter steht auch der DRV. Wir möchten das als Branche einheitlich und praktikabel lösen. Das BMEL geht aber immer davon aus, nur das zu kennzeichnen, was über die gesetzlichen Standards hinausgeht. Das ist für mich der falsche Ansatz. Ich muss dem Verbraucher auch sagen, was gesetzlicher Standard ist und was mehr ist, wie zum Beispiel bei der ITW oder bei Bio. Wenn wir zu einem Kennzeichnungssystem kommen, müssen wir alles kennzeichnen, das zeigt auch die Erfahrung bei den Eiern. Das kommt auch dem LEH entgegen, der auch an einer einheitlichen Kennzeichnung, die er dem Verbraucher erklären kann, interessiert ist.


Wie bewerten Sie den Ende vergangene Woche vorgelegten Vorschlag von EU-Agrarkommissar Phil Hogan zur Reform der EU-Agrarzahlungen ab 2020?


Holzenkamp:Für den DRV spielt in der Diskussion um die auch vorgeschlagene Kappung der Direktzahlungen bei 100.000 Euro und die bereits ab 60.000 Euro einsetzende deutliche Degression die Gruppe der Agrargenossenschaften eine besondere Rolle. Das sind Mehrfamilienbetriebe, die auch eine Antwort auf den Strukturwandel sind. Es ist im Interesse des ländlichen Raumes, dass dort weiter gewirtschaftet werden kann. Es wäre fatal, wenn eine Kappung oder Degression käme und diese dann nicht für die Betriebe kompensiert würde.


Hilft den Agrargenossenschaften bei der Kappung denn nicht die geplante Anrechnung der Arbeitskosten?


Holzenkamp:Ja, die wird helfen, weil die Agrargenossenschaften oft ein breites Portfolio haben, in dem die Arbeitskosten eine große Rolle spielen. Ob das aber ausreichen wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewerten.


Was halten Sie davon, dass die Mitgliedstaaten nun mehr Einfluss auf die Umweltanforderungen für die erste Säule bekommen sollen? Ist das besser als das bisherige Greening?


Holzenkamp:Das derzeitige Greening hat mehrere Schwachpunkte: es ist sehr bürokratisch, gerade auch hinsichtlich der Kontrollen, und die damit verbundenen ökologischen Effekte sind begrenzt. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Überprüfung durchaus gerechtfertigt. Ob allerdings der neue Ansatz aus Sicht der Landwirtschaft wirkliche Fortschritte bringt, bleibt abzuwarten. Wichtig erscheint, dass das neue System nicht nur zu einer Verlagerung der Bürokratie führt. Und wir brauchen hier trotz grundsätzlich zu begrüßender größerer Subsidiarität ein ausreichendes Maß an gemeinsamen Regeln, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten und auch Regionen zu vermeiden.


Erwarten Sie, dass Deutschland von der von Hogan in Aussicht gestellten Umverteilung von den Direktzahlungen zu den Programmen der Zweiten Säule Gebrauch macht?


Holzenkamp: Ja, das erscheint durchaus möglich. Bereits in der laufenden Periode macht Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch. Aktuell werden 4,5 Prozent der Mittel aus der Ersten in die Zweite Säule umverteilt, wobei Deutschland damit den von der EU eingeräumten Spielraum in Höhe von 15 Prozent nicht ausnutzt. Das Thema dürfte in der Agrarministerkonferenz zu kontroversen Diskussionen führen. Die rot/grün regierten Bundesländer haben eine deutliche Präferenz hierfür und auch bereits in der Vergangenheit eine stärkere Umverteilung unter anderem hin zu Umweltprogrammen in der Zweiten Säule gefordert. Es muss aber auch eine Rolle spielen, wieviel Geld Deutschland im Rahmen des neuen GAP-Modells bereits über zusätzliche Förderung im Rahmen der Ersten Säule in Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz stecken wird. Und dann muss man sehen, inwieweit nach der Budgetkürzung, der Konvergenz und der internen Umverteilung der Prämien von großen zu kleinen Betrieben überhaupt noch Spielraum für weitere Einschnitte bei den Direktzahlungen ist.


Der DRV hat immer die Bedeutung des Agrarexportes hervorgehoben. Nun droht nicht nur der Brexit sondern vor allem der US-Präsident Donald Trump mit seiner Politik auch den weltweiten Agrarhandel durcheinander zu bringen. Was bedeutet das für die deutschen Erzeuger?


Holzenkamp:In Deutschland kommt etwa 30 Prozent des Einkommens der Landwirtschaft direkt oder indirekt aus dem Export. Der Agrarexport ist daher unverzichtbar und nichts Verwerfliches, sondern eine logische Folge von Änderungen bei Verzehrsgewohnheiten und demografischen Entwicklungen. Die Ukraine-Krise, das Auf und Ab mit China, die offenen Fragen beim Brexit und nun der Handelskrieg mit den USA lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Wir müssen unabhängiger von einzelnen Exportregionen werden und uns breiter aufstellen. Hier ist in besonderem Maße die Politik gefragt. Wir brauchen die politische Türöffnung und die regelmäßige Begleitung auf Fachebene, wenn es um Veterinärzertifikate und phytosanitäre Fragen bei pflanzlichen Produkten geht. Da braucht es noch eine bessere Vernetzung mit den Außenhandelskammern und hier in Deutschland eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Ich würde mir dafür eine eigene Plattform von Bund und Ländern und Wirtschaftsbeteiligten zum Agrarexport wünschen, um schneller reagieren zu können.


Das Gespräch führte top agrar Berlin Korrespondentin Stefanie Awater-Esper

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