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topplus Düngeverordnung

„Wir müssen über die 20 % Unterdüngung reden“

Die Verhandlungen zur Verschärfung der Düngeverordnung sind noch nicht abgeschlossen. Es könnte ein Abrücken von der 20 % Unterdüngung in den roten Gebieten geben. Das kündigt der Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Albert Stegemann im Interview mit top agrar an.

Lesezeit: 10 Minuten

top agrar: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihr Staatssekretär Dr. Hermann Onko Aeikens bezeichnen die erneute Novellierung der Düngeverordnung von 2017 als alternativlos. Sehen Sie das auch so?

Stegemann: Ja, denn die Alternative ist, in einem Zweitverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zu landen. Wenn wir das riskieren, drohen Strafzahlungen in Höhe von bis zu 858.000 Euro pro Tag. Das wäre keinem Steuerzahler zu vermitteln und würde der gesellschaftlichen Akzeptanz der Landwirtschaft einen Bärendienst erweisen. Es ist nicht besonders clever, so etwas jetzt gerade beim Thema Grundwasserschutz herauszufordern. In einem Zweitverfahren müssen wir außerdem befürchten, dass wir die Maßnahmen zur Erreichung der Nitratrichtlinie nicht mehr mitgestalten können, sondern von der Kommission aufgezwungen bekommen. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass statt 170 kg N nur noch 130 kg N als Grenzwert sofort, verpflichtend und für alle flächendeckend gelten.

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Für wie groß halten Sie die Bedrohung von Strafzahlungen?

Stegemann: Die Gefahr ist ganz real. Wir haben mit vereinten Kräften daran gearbeitet, dass das Zweitverfahren nicht schon auf der Tagesordnung der Kommission Anfang März gestanden hat. Die Strafzahlungen stehen vor der Tür. Sie wären in vier bis sechs Monaten fällig. Im Rückblick müssen wir sagen: Wir haben schon 2017 auf Zeit gespielt. Das war von allen Beteiligten ein riskantes Spiel. Wenn man aber riskant spielt, ist das Risiko auch groß, dass man nicht gewinnt. Das ist nun offensichtlich der Fall.

Gibt es nun überhaupt noch einen Verhandlungsspielraum? Und wenn ja wo?

Stegemann: Es gibt zwei Hauptanschuldigungen der Kommission. Einmal der Kontrollwert, den sie als erlaubte Überdüngung darstellt. Mit der flächenspezifischen Düngung nach Düngebedarfsermittlungswerten hat das Bundeslandwirtschaftsministerium dafür einen Kompromiss gefunden. Zweitens die Maßnahmen in den roten Gebieten. Die Forderung nach einer 20-prozentigen Unterdüngung ist hier die größte Herausforderung. Ich halte diese fachlich und strukturpolitisch für sehr problematisch. Dazu wird es Gespräche mit der Kommission geben. Beim Verbot der Herbstdüngung vor Sommerkulturen und beim Zwischenfruchtanbau müssen wir noch einmal genau hinschauen, ob es für einzelne Anbaukulturen Schwierigkeiten gibt.

"Es gibt Hoffnung, auf ein Stückchen Entspannung".

Und die Verbesserung der 20 % stellt die EU-Kommission dann nicht mehr in Frage?

Stegemann: Das ist im Rahmen der jetzigen Verhandlungen möglich. Die Kommission hat sich ja mit weiteren Punkten unzufrieden gezeigt. Sie will zum Beispiel die Sperrfristen für Festmist und Grünland verlängern. Auch in Hanglagen will sie wegen Verschlämmungsgefahr noch mal restriktiver vorgehen. Es gibt Hoffnung, wenn wir hier zu geeigneten Lösungen kommen, dass wir auch noch mal über die 20 Prozent reden können. Dann gäbe es da doch noch mal ein Stückchen Entspannung.

Also ein Tausch von längeren Sperrfristen gegen den Verzicht auf 20 % Unterdüngung?

Stegemann: Ich will den weiteren Gesprächen der Bundesregierung mit der Kommission nicht vorgreifen.

Die Sperrfristen würden dann aber wieder für alle Landwirte gelten, die 20 % waren ja nur für die roten Gebiete vorgesehen?

Stegemann: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Auch jede Regelung, die nur für die roten Gebiete gelten würde, wäre nicht trivial, wenn wir uns etwa Niedersachsen oder Bayern ansehen. Ich hielte das aber für verhältnismäßig und gerechtfertigt – und im Übrigen auch für eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Die Sperrfristen tun einzelnen Landwirten weh, mit entsprechenden flankierenden Maßnahmen ist das aber machbar.

Viele befürchten einen Einbruch des Qualitätsweizenanbaus als Folge der Verschärfung der Düngeverordnung. Erwarten sie das auch?

Stegemann: Nein, weil ich die Bereitschaft sehe, noch einmal über die 20 Prozent nachzudenken, denke ich, dass wir die Probleme nicht bekommen werden.

Wie intensiv haben BMEL und BMU die Agrarpolitiker der Union in die Verhandlungen um die erneute Verschärfung einbezogen? Der Berufsstand fühlte sich ja übergangen.

"Wir müssen dankbar sein, was Klöckner und Aeikens für die Landwirtschaft noch herausgeholt haben."

Stegemann: Wir waren nachrichtlich eingebunden, denn solche Abstimmungen laufen zwischen Bundesregierung und EU-Kommission. Es war also ein Verhandeln des BMEL mit dem BMU und der Kommission. Das BMU hat nach meiner Auffassung die Generaldirektion Umwelt angestachelt, den Druck zu verschärfen. Ich glaube, vor der ganzen historischen Entwicklung müssen wir dankbar dafür sein, was Ministerin Klöckner und Staatssekretär Aeikens für die Landwirtschaft noch herausgeholt haben. Ich kann daher Rücktrittsforderungen gegen Aeikens in diesem Zusammenhang überhaupt nicht nachvollziehen.

Die Rücktrittsforderung kam vom Vorsitzenden des WLV-Veredlungsausschusses, Hubertus Beringmeier. Wie finden Sie das?

Stegemann: Ich finde diese Rücktrittsforderungen ehrlich gesagt äußerst unglücklich. Man hat offensichtlich nicht erkannt, dass Treiber und Verschärfer dieser Situation das in dieser Sache federführende Bundesumweltministerium war und ist. Es wäre von den Verbänden politisch klüger gewesen, sich mit ihrer Kritik auf Bundesumweltministerin Schulze und ihren Staatssekretär Flasbarth zu konzentrieren, die auch tatsächlich die Verschärfungen forciert haben. Und sich nicht mit ihrer Hauptkritik an diejenigen zu wenden, die noch darum kämpfen, für die Landwirtschaft die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Der Bauernverband kritisiert, von der Entscheidung überrumpelt worden zu sein. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Stegemann: Das kann ich so nicht nachvollziehen. Es musste seitens der Bundesregierung zeitnah verhandelt werden, wegen der Androhung des Zweitverfahrens mit Nachschärfung plus Zwangsgeld.

Anfang April organisiert derWestfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV)eine Demonstration gegen die neue Düngeverordnung in Münster – mit ihrem Fraktionskollegen Johannes Röring an der Spitze. Wie stehen Sie als Agrarsprecher der Union dazu, dass er das tut?

Stegemann: Wenn es ein Ansinnen des Berufsstandes gibt, ein Ventil zu schaffen, um Druck abzulassen über politische Vorgänge, dann ist das gut. Wir werden genau beobachten, wie die Verlautbarungen dort sein werden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob eine solche Kundgebung als Instrument wirklich zur Deeskalation geeignet ist. Es hat darüber auch schon Gespräche innerhalb der Fraktion gegeben.

"Wir können den Aufwuchs der landwirtschaftlichen Tierhaltung und die Nährstofffrachten von Biogasanlagen nicht leugnen."

Die Situation ist dennoch sehr aufgeladen. Wie soll es denn jetzt weitergehen?

Stegemann: Deeskalation kann man kurzfristig nur mit dem sachlichen, nüchternen Erklären der Situation erreichen. Langfristig brauchen wir eine bessere und emotionalere Öffentlichkeitsarbeit der Branche. Ich habe viel mit Landwirten gesprochen dazu. Ich weiß auch, wie schwer die Situation für sie ist. Allerdings ist der Grund dafür, dass wir in den letzten Jahren einen ganz erheblichen Aufwuchs der landwirtschaftlichen Tierhaltung in einigen Regionen hatten. Auch die rasante Entwicklung bei den Biogasanlagen hat zu den Nährstofffrachten beigetragen. Das dürfen wir nicht vergessen. Beide Entwicklungen kann man nicht leugnen. Aus Sicht der Kommission hat Deutschland diese Problematik nie in ausreichendem Maße aufgegriffen. Wenn wir das mit dem Autofahren vergleichen, dürfen wir nur 100 km/h auf der Landstraße fahren, aus Sicht der Kommission fahren wir aber immer noch mit 130 km/h.

Noch sind die vor allem betroffenen roten Gebiete nicht zu 100 Prozent eingegrenzt. Sollte es aus Ihrer Sicht eine Verkleinerung der roten Gebiete geben?

Stegemann: Die Länder können die Gebietskulissen für die roten Gebiete so eingrenzen, dass 60 bis 70 Prozent der Fläche betroffen sind oder auch so, dass nur 30 Prozent dazu zählen. Wir als Unionfraktion wollen alles dafür tun, dass es zu einer scharfen Abgrenzung kommt. Selbst die Landeswasserschutzbehörden sagen, dass kleinere Gebietskulissen vollkommen ausreichen, um den Grundwasserschutz zu gewährleisten. Wir sollten da nicht über das Ziel hinausschießen. Wir müssen uns jedes rote Gebiet genau anschauen. In einigen Gebieten haben wir viele Tiere oder Sonderkulturen aber ein Verteilproblem. In anderen Gebieten haben wir nicht zu viele Nährstoffe, sondern zu wenige Niederschläge. Zudem müssen wir mit den übrigen Gebieten eng zusammenarbeiten, die durchaus noch Wirtschaftsdünger aufnehmen könnten.

Die bessere Verteilung soll ja das Bundesprogramm Gülle unterstützen. Welche Maßnahmen sollen darin enthalten sein?

Stegemann: Ich würde das lieber Bundesprogramm Gewässerschutz nennen. Dafür stehen in diesem Jahr erstmals fünf Millionen Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung. Unser Ziel in den anstehenden Haushaltsverhandlungen ist es, diese Mittel aufzustocken. Das Bundesprogramm Gewässerschutz umfasst Fördermaßnahmen, um einerseits Güllelagerraum zu erweitern, damit wir das bedarfsgerechte Ausbringen erleichtern. Andererseits müssen wir Gülleaufbereitungsanlagen fördern, um die Mobilität zu verbessern. Unser Hauptproblem ist, dass die Akzeptanz von Gülle in Ackerbauregionen bei den Landwirten nicht groß genug ist wegen der bürokratischen Auflagen für Wirtschaftsdünger und weil sie auch die Verfügbarkeit der Nährstoffe nicht konkret einschätzen können. Das müssen und können wir technisch ändern.

Erwarten Sie, dass Ackerbauern künftig wirklich Gülle und Gärreste aufnehmen und so die intensiven Tierhaltungsregionen entlasten?

Stegemann: Das hängt davon ab, wie man jetzt mit den Anrechenbarkeiten von Gülle verfährt. Die Ackerbauregionen sind nun auch von der flächenspezifischen Düngebedarfsermittlung betroffen. Durch ein effizientes Ausbringen von Wirtschaftsdüngern kann man sich ein kleines Plus bei der Nährstoffversorgung organisieren. Das könnte dazu führen, dass es in den Ackerbauregionen eine Chance für Wirtschaftsdünger gibt. Dazu muss aber die Qualitätssicherung, die Logistik, die Ausbringtechnik und die Aufbereitung stimmen.

"Wenn wir jetzt eine Lösung herbeiführen, werden wir für eine lange Zeit erstmal Ruhe haben."

Im Jahr 2020 wird es den nächsten Nitratbericht geben. Werden da schon Auswirkungen sichtbar sein? Oder gibt es dann die nächste Verschärfung?

Stegemann: Nein, das wird noch zu früh sein. Der Bericht wird sich ja auch auf den Zeitraum von 2015 bis 2018 beziehen und deshalb keine Auswirkungen haben. Wir werden verglichen mit Tierhochburgen wie den Niederlanden und Dänemark. Dort hat es tiefgreifende Veränderungen auf Verlangen der EU-Kommission gegeben. Deshalb schauen die Niederländer und Dänen auch aus Wettbewerbsgründen genau, was in Deutschland passiert. Ich bin davon überzeugt, wenn wir jetzt eine Lösung herbeiführen, werden wir für eine lange Zeit erstmal Ruhe haben.

Werden die Landwirte auch in Deutschland in den roten Gebieten ihre Tierbestände abstocken müssen?

Stegemann: Ich bin kein Freund von solchen Diskussionen. Am Ende sind es betriebswirtschaftliche Entscheidungen. Es gibt Betriebe, die mit dem Gedanken spielen, die Produktion einzustellen. Wir müssen das Verteilungsproblem der Gülle lösen und werden mit unseren Maßnahmen die Herausforderungen meistern. Die Nährstoffproblematik allein würde bei einer guten Wettbewerbssituation die deutschen Landwirte nicht aus der Bahn werfen. Aber wenn viele Faktoren zusammen kommen etwa bei den Schweinebetrieben mit dem Kastenstand, der Kastration und eventuell geplanten aber nicht genehmigungsfähigen Umbaumaßnahmen für mehr Tierwohl, dann kann das zur Verzweiflung führen.

Das BMEL versucht den Landwirten den Abschied von Kontrollwert und Nährstoffvergleich damit schmackhaft zu machen, dass mit der flächenspezifischen Düngebedarfsermittlung der Bürokratieaufwand kleiner wird. Sehen Sie das auch so?

Stegemann: Ich glaube, mit der guten Beratung die wir haben, ist das für die Landwirte machbar. Natürlich bedeutet das erneut eine Umstellung bei den Aufzeichnungen. Das ist lästig, aber nicht existenzbedrohend.

Wenn die Maßnahmen funktionieren, stellt das BMEL in Aussicht, dass es irgendwann wieder Erleichterungen bei den Düngevorschriften geben könnte. Glauben Sie auch daran?

Stegemann: Sie spielen an auf die Derogation an, die Erlaubnis auf Grünland mehr als 170 kg N/ha aus Gülle auszubringen. Ich bin da zurückhaltend. Für den jetzigen Zeitpunkt ist aber klar, wenn wir nie den Frieden mit der Kommission finden, dann werden wir später auch keine Entlastung mehr erwarten können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Seit Januar 2018 ist Albert Stegemann agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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