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Göttinger Diskussion um Agrarreform: Agrarprämien an Leistungen koppeln

Aktuell werden in Brüssel die Details der Agrarreform zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und dem Ministerrat verhandelt.

Lesezeit: 6 Minuten

Aktuell werden in Brüssel die Details der Agrarreform zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und dem Ministerrat verhandelt. Auf einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit Mitgliedern des Bundes- und Landtags kritisierten am vergangenen Montag Göttinger Agrarwissenschaftler den neuesten Verhandlungsstand der Reform, wie etwa die Abschwächung des Greenings durch EU-Parlament und Ministerrat, mit deutlichen Worten.

 

Zu Beginn der Tagung stellte Sebastian Lakner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Agrarpolitik, die Positionen vor und fasste die Kritik der Wissenschaftler zusammen: Die Reform und besonders das Greening sei durch die aktuellen Beschlüsse von EU-Parlament und Ministerrat verwässert worden. „Es stellt sich insgesamt schon die Frage, ob Greening für die Bürger in der EU ein überzeugendes Argument für eine Fortsetzung der Direktzahlungen sein wird", so Lakner.

 

Insgesamt würde die Strategie des ehemaligen Agrarkommissars Franz Fischler aus Liberalisierung der EU-Märkte in Verbindung mit dem Ausbau der Programme der ländlichen Entwicklung (2. Säule) und einer stärkeren Bindung der Agrarzahlungen an gesellschaftliche Leistungen nicht fortgesetzt. Die jetzige Reform enthalte mit der Möglichkeit der Mitgliedsstaaten, einen Teil der Zahlungen wieder an die Produktion zu koppeln, nun jedoch rückwärts gerichtete Elemente. Da sich EU-Parlament und Ministerrat in vielen Detailfragen nicht einigen konnten, verweisen sie in der neuen Förderperiode auf die Regelungskompetenzen der Mitgliedsstaaten. Daher begrüßte Lakner den Dialog mit den Politikern, denen jetzt bei der Umsetzung der Agrarreform eine größere Rolle zukomme.


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Stickstoffüberschüsse enormes Problem


Besonders enttäuscht von der Reform zeigte sich Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie, von den Umweltschutzbestrebungen in der EU-Politik. Das Ziel, einen Stopp des Artensterbens in der EU zu erreichen, sei trotz der EU-Biodiversitätsstrategie schon 2010 nicht erreicht und auf 2020 verschoben worden. Dennoch sei von dem ursprünglichen Ziel, 7% der Betriebsfläche als „ökologische Vorrangfläche“ auszuweisen, kaum etwas übrig geblieben.

 

Ein enormes Problem stellen auch die Stickstoffüberschüsse in der EU dar. Die Schäden an der Umwelt durch die Stickstoff-Überschüsse aus der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit würden für die Europäische Union auf ca. 70 bis 320 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt und wären damit deutlich größer als die Gewinne durch den Einsatz von Stickstoff-Düngemittel in der Landwirtschaft. Die nach der Reform ab 2014 geltenden Auflagen für die Direktzahlungen würden jedoch nur eine Minderheit der produzierenden Landwirte betreffen.

 

"Man kann das ursprünglich viel versprechende Greening inzwischen völlig vergessen", so Tscharntke. Wenn schon öffentliche Gelder an Landwirte fließen, sollten diese an solche Leistungen gekoppelt werden, die für die Gesellschaft einen Nutzen bringen, ist sich Tscharntke mit seinen Kollegen einig.


Zustimmung von Seiten der deutschen Politiker


Für diese Forderung erhielten die Göttinger Wissenschaftler Zustimmung von Wilhelm Priesmeier (SPD), Viola von Cramon-Taubadel (Grüne), Alexander Süßmair (Linke) und Hans-Georg von der Marwitz (CDU). Auch Hermann Grupe (FDP) fand sich in dieser Forderung wieder, wies jedoch darauf hin, dass die Direktzahlungen für höhere landwirtschaftliche Standards in der EU gezahlt würden.

 

Wilhelm Priesmeier hält Greening als Argument für eine Beibehaltung der Direktzahlungen nicht für überzeugend: „Vom ursprünglichen Konzept des Greenings bleibt kaum noch etwas übrig“. In der Perspektive nach 2020 fordert er einen schrittweisen Ausstieg aus den Direktzahlungen der ersten Säule.

 

Überrascht waren die anwesenden Studierenden allerdings, als der CDU-Politiker Hans-Georg von der Marwitz ebenfalls beipflichtete. Er befürwortet für den nächsten Förderzeitraum europaweit den schrittweisen Ausstieg aus den Direktzahlungen: „Ich bin da mittlerweile sehr radikal in meinen Forderungen“.

 

Von der Marwitz ist Geschäftsführer von drei landwirtschaftlichen Betrieben in Brandenburg und beobachtet dort gravierende Eigentumskonzentrationen. Denn die Direktzahlungen, die im Bundesdurchschnitt bei 340 Euro pro Hektar und Jahr liegen, fließen letztlich an die Landeigentümer. Dieses akkumulierende Kapital „vagabundiert“ und am Ende tragen fachfremde Investoren durch den Aufkauf von Betrieben zum Strukturwandel bei.

 

Der Liberale Hermann Grupe, Vorsitzender des Agrarausschusses des niedersächsischen Landtags, befürwortet den Beibehalt der Direktzahlungen für die europäischen Landwirte. Sie müssten mit ihrer Arbeit hohen Produktionsanforderungen standhalten und seien ohne Beihilfen nicht weltmarktfähig. Auch sei es unvertretbar, landwirtschaftliche Fläche in großem Umfang aus Naturschutzgründen aus der Produktion zu nehmen. Qualitativer Umweltschutz müsse vor quantitativem Umweltschutz gehen, denn in Zukunft müsse die Produktion noch gesteigert werden, um dem Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung gerecht werden zu können.

 

Alexander Süßmair von den Linken warnte Grupe sowie den anwesenden Bauernverbandsvertreter vor einem Pyrrhussieg: Wenn die Gelder wegen einer sich möglicherweise noch verschärfenden Wirtschafts- und Finanzkrise in Zukunft knapper würden, könnten die Zahlungen an die Landwirte eines Tages gänzlich zur Disposition stehen, wenn dafür keine weiteren sozialen oder ökologischen Leistungen für die Gesellschaft erbracht werden. Die Losung „wir müssen die Produktion steigern um die Welt zu ernähren“ sei ein Irrweg. Hunger sei heute vor allem ein Verteilungsproblem, die Welt könne sich selbst ernähren und gerade Überproduktion sei eine der Ursachen für die Finanz- und Wirtschaftskrise.

 

Viola von Cramon-Taubadel wies in ihrem Redebeitrag auf die schwierigen Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hin. Hier sei es schwer, überhaupt ein Verhandlungsmandat für den Agrarbereich zu bekommen, da es Konflikte im Bereich genetisch veränderter Organismen (GVO) und hormonbehandeltes Rindfleisch gebe. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EU-Kommission ihre Vorstellungen in diesem Bereich für ein geschätztes Wirtschaftswachstum von 0,2-0,5% in der EU über Bord wirft“, so die Grüne


Bilaterale Handelsabkommen schaden den Außenstehenden


Bernhard Brümmer, Professor für landwirtschaftliche Marktlehre, nahm die internationale Verantwortung der EU in den Blick. Noch immer gewähre die EU in geringem Maße Exportsubventionen mit negativen Auswirkungen auf Drittlandsmärkte. In diesem Zusammenhang appellierte er auch an die internationale Verantwortung der EU, sich von dem Instrument der Exportsubventionen zu verabschieden.

 

Brümmer kritisierte auch die starke Orientierung der EU auf bilaterale Handelsabkommen, da regionale oder bilaterale Handelsabkommen, wie sie derzeit beispielsweise EU und USA anstreben, häufig zulasten nicht beteiligter Dritter abgeschlossen werden. Er plädierte daher für eine Wiederaufnahme der WTO-Verhandlungen, da diese eher geeignet seien, einen gerechten Welthandel zu gewährleisten.

 

Zusammenfassend hielt Brümmer am Ende der Veranstaltung fest, dass es auf dem Podium mehrheitlich einen Konsens dahingehend gab, dass die derzeit geleisteten Direktzahlungen nicht geeignet seien, eine rationale Agrar-, Umwelt- und Sozialpolitik zu betreiben. Umso mehr sei bei der Umsetzung der jetzigen Beschlüsse auf nationaler Ebene darauf zu achten, dass ein Auslaufen der Direktzahlungen nach 2020 für die Landwirte nicht erschwert wird. (ad)

 

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