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„Vogelschutz und FFH überrollen uns!“

Kaum Mitsprache, kaum finanzieller Ausgleich, aber ganz konkrete Einschränkungen bei der Bewirtschaftung – der EU-Naturschutz verärgert immer mehr Landwirte.

Lesezeit: 10 Minuten

Kaum Mitsprache, kaum finanzieller Ausgleich, aber ganz konkrete Einschränkungen bei der Bewirtschaftung – der EU-Naturschutz verärgert immer mehr Landwirte. Eine Reportage von Gesa Harms für die neue top agrar 7/2017:


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Ackerbauer Peter Rodde ist frustriert: „Ich bin durchaus am Vogelschutz interessiert, doch die Behörden haben schon bei der Ausweisung unseres Gebietes den Bogen mehr als überspannt.“ Der Landwirt wirtschaftet auf einem Hochplateau oberhalb von Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Um uns herum wogen fast 100 ha Wintergetreide im Sonnenlicht – an dieser Stelle aus Naturschutzsicht ein Traum: Die steppenartige Stoppelfläche ohne Hecken und Wälder wird von Mitte August bis Ende September die perfekte Landebahn für den seltenen Mornellregenpfeifer sein, der auf der Durchreise einen Rastplatz braucht. Deshalb wirtschaftet Rodde bereits seit 2002 in einem Vogelschutzgebiet.


Heimlich vergrößert

 

Schon vor der Schutzgebietsausweisung war Rodde mit den Zuständigen im Gespräch. „Die Behörden haben offenbar relativ unkritisch die Zählungen eines Hobbyornithologen übernommen“, ist sich Rodde mittlerweile sicher.


Nach langen Gesprächen erhielt er zunächst die Zusicherung, dass das Gebiet verkleinert wird. Als er 2006 den nächsten Plan in die Hände bekam, fiel er aus allen Wolken. Das Gebiet war nicht wie versprochen kleiner, sondern sogar noch größer geworden – es umfasst nun noch 250 ha mehr.


Neuester Punkt in den Entwicklungen ist der „Bewirtschaftungsplan-Entwurf“. Er sieht u. a. in der Fruchtfolge einen Hackfruchtanteil von max. 20 % und min. 60 % Getreide vor. Derzeit ist das für Rodde kein Problem, doch er fragt sich: „Wer weiß, welche Kulturen in 20 Jahren lukrativ sind?“


Schon jetzt problematisch findet er den vorgeschriebenen Erhalt der Graswege und den Verzicht auf Baumaßnahmen. Das stößt allen Landwirten im ganzen Vogelschutzgebiet von 2 500 ha Größe bitter auf – sie befürchten, dass das die Entwicklung ihrer Betriebe komplett ausbremst. Außerdem sollen Wanderer, Reiter und Jagdhunde dem Gebiet möglichst fernbleiben.


Auch Landwirt Günter Weber bringt das Vogelschutzgebiet auf seinen Ackerflächen in Rage. Er bewirtschaftet mit seinem Sohn einen großen Ackerbaubetrieb in Faha im Saarland direkt an der französischen Grenze. Auch hier geht es um die Rastplätze für durchziehende Mornellregenpfeifer. Weber ärgert sich über den Vorschlag zur neuen Schutzgebietsverordnung, der ihn nicht nur auf Fruchtfolgen festnagelt.


„Statt wie versprochen nur die Erhaltung des Status zu fordern, ist jetzt von Wiederherstellung und Entwicklung die Rede.“ Weber sieht darin einen ganz klaren Wortbruch der Politik. Über die Bewirtschaftungsvorschläge kann er nur den Kopf schütteln: Er muss seine 20 ha in Zone eins des Gebietes bis zum 15. August abgeerntet haben. Zwischenfrüchte, Raps, Rüben oder Mais sind deshalb verboten. Für Weber ein Unding: „Ich frage mich, wie ich das mit den Greening-Vorschriften unter einen Hut bekommen soll!“


Dem Naturschutz ausgeliefert

 

Um hunderte Meter breite Einflugschneisen für die Vögel zu ermöglichen, ist die Umwandlung von Acker in Grünland, das Pflanzen von Hecken und der Wein- oder Obstanbau untersagt. Nicht nachvollziehbar ist für Weber, dass ein Teil der Fläche sowohl als Vogelschutz- als auch als Windvorrangfläche ausgewiesen ist. „Das avifaunistische Gutachten der Windmüller weist gar keine schützenswerte Vorkommen des Mornellregenpfeifers aus“, beklagt sich der Landwirt.


Weil er künftig für viele Nutzungsänderungen die Naturschutzbehörde fragen muss, fühlt er sich ausgeliefert. Denn die Schutzgebietsverordnung verweist auf weitere Managementpläne, ausgearbeitet von der zuständigen Naturschutzbehörde. Ein Mitspracherecht der Bewirtschafter ist nicht ausdrücklich festgelegt – lediglich von einer „Anhörung“ ist die Rede. „Wie soll der Betrieb wirtschaftlich bleiben, wenn die Naturschutzbehörde die Vorschriften über die Managementpläne immer weiter verschärft?“ fragt er sich.


Finanzieller Ausgleich unklar

 

Ungeklärt ist auf Webers Flächen genauso wie im Betrieb Rodde der finanzielle Ausgleich. In Webers Fall war zwar schon von einer Ausgleichszahlung in Höhe von rund 250 €/ha die Rede. Peter Rodde wurde von den Behörden allerdings mit dem Hinweis auf die ohnehin laufenden Landesprogramme abgespeist. „Doch keines der Programme passte wirklich und zudem sind diese Fördermittel keineswegs langfristig gesichert“, beklagt Rodde. Völlig ignoriert wird zusätzlich der Verkehrswertverlust der Fläche, der sich beim Verkauf oder der Beleihungsfähigkeit durch die Banken zeigt. Auch Baumaßnahmen oder erneuerbare Energien sind im Vogelschutzgebiet so gut wie unmöglich.


Zwar betonen beide Landwirte, dass sie grundsätzlich sehr wohl die Notwendigkeit sehen, die Vögel zu schützen – angesichts der rüden Herangehensweise der Behörden sehen sie sich aber in der Pflicht, Widerstand zu leisten, um die Bewirtschaftbarkeit ihrer Betriebe für die nächsten Generationen zu sichern. Sie fordern flexiblere Naturschutzmodelle, die ihre Interessen besser berücksichtigen. Ihre Kritikpunkte:


Nutzungseinschränkungen:Finanziellen Folgen der Nutzungseinschränkungen müssen meist die Bauern tragen – das ist schlicht ungerecht. Starre Auflagen, die sich auf den Status quo im Betrieb stützen, bedrohen die langfristige Wirtschaftlichkeit. Niemand weiß z. B., welche Früchte in 20 Jahren lukrativ sind oder ob FFH neue Betriebszweige mit Publikumsverkehr verhindert. Manche Auflagen stehen sogar konträr zu anderen Anforderungen, wie etwa dem Greening oder dem Wasserschutz. Die Bewirtschaftungspläne erarbeiten die Naturschutzbehörden. Hier entsteht ein Einfallstor für immer neue unkalkulierbare Auflagen, die die Planungssicherheit bedrohen.


Schleichende Enteignung:Das Verbot von erneuerbaren Energien und betrieblichen Bauten im Außenbereich sowie der Schutzstatus an sich mindern das Einkommen. Zudem sinkt der Flächenwert bei Verkauf, Verpachtung und Beleihung. Viele Auflagen gehen über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinaus – das können Betroffene nicht entschädigungslos hinnehmen.


Naturschutz-Grundlagen: Schon bei der Ausweisung spielte nicht selten eine Rolle, ob vor Ort Beobachtungen vorlagen. So haben Behörden häufig relativ unkritisch u. a. aufgrund der Beobachtungen von Hobbyornithologen Flächen nach Brüssel gemeldet. Auch sind nicht alle Arten im Anhang der FFH-Richtlinie selten, wie etwa die Haselmaus. Andere Bestände erholen sich, wie z. B. der Biber. Teilweise stehen die Schutzmaßnahmen für unterschiedliche Arten untereinander in Konflikt.


Kommunikation: Die Ausweisung und Erarbeitung von Schutzplänen verläuft nicht transparent genug. Viele Landwirte haben den Ankündigungen vertraut, es gehe bei Natura 2000 „nur“ um die Erhaltung des derzeitigen Zustandes, jetzt zieht der Naturschutz aber kräftig die Zügel an. Die Fachkompetenz der Landwirte, die ihre Flächen am besten kennen, bleibt dagegen meist außen vor. Das ist für den Naturschutz kontraproduktiv: Viele Landwirte halten sich aus Angst vor der Unterschutzstellung mit freiwilligen Naturschutzmaßnahmen mittlerweile zurück.


Für Peter Rodde auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ein ineffizienter Teufelskreis: „Es ist ökologisch und ökonomisch einfach nur dumm, das spezielle Fachwissen der Landwirte als loyale Partner nicht im Sinne des Vogelschutzes zu nutzen, sondern sie ohne nachvollziehbaren Grund per se als Gegner zu definieren.“ Er fordert neue Konzepte, die Landwirte als Partner einbindet und zum Mitzumachen animieren.


Was will die EU ändern?

 

Auch die EU-Kommission ist mit Natura 2000 nicht richtig zufrieden. Sie sieht den Verlust der biologischen Artenvielfalt nicht ausreichend verhindert und rief deshalb 2015 zu einem „Fitnesscheck“ der Richtlinie auf, um das Naturschutzrecht zu überprüfen. Bauern, Naturschützer und Behörden sollten ihre Erfahrungen in einer Onlinebefragung mitteilen.


Mit insgesamt 500 000 Äußerungen erzielt die Befragung eine Rekordbeteiligung. Im Abschlussbericht kommt die Kommission selbstkritisch zu dem Ergebnis, dass Unsicherheiten in der Interpretation der Richtlinien, die unzureichende Einbeziehung der betroffenen Landwirte und fehlende Finanzmittel die Fortschritte verlangsamen. Trotz Kosten von fast 6 Mrd. € europaweit komme der Naturschutz nicht genug voran, durch zahlreiche Einsprüche und Einwendungen der betroffenen Nutzer gebe es einen Rückstand bei den Bewirtschaftungsplänen und den Vereinbarungen mit den Landbesitzern. Auch der Europäische Gerichtshof spart nicht mit Kritik am EU-Naturschutz.


Trotzdem hält Brüssel zur Entäuschung vieler Landwirte an den Richtlinien in ihrer jetzigen Form fest. Das gilt auch für den Anhang II der FFH-Richtlinie, in dem die mittels Schutzgebiet zu schützenden Arten festgelegt sind und für den Anhang IV, mit den streng geschützten Arten auch außerhalb von Schutzgebieten geschützt sind. Die Landwirtschaft hatte hier mehr Spielräume gefordert, um Arten mit wachsenden Beständen wie z. B. bei Biber, Wolf und Gänsen aus der Liste entlassen zu können. Doch dieses Fass wollte die EU wohl nicht aufmachen.


Als Ergebnis des Fitnesschecks gibt es nun nur einen Aktionsplan, der Änderungen in der Umsetzung vorsieht. Hauptpunkt ist dabei eine bessere Vereinbarkeit mit wirtschaftlichen Interessen und mehr Einbeziehung der Grundeigentümer. Dass die EU-Kommission den Naturschutzbehörden mit einer Leitlinie ihren Spielraum vor Ort verdeutlichen will, kann Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband in Berlin nur begrüßen: „Es ist offensichtlich, dass es bei der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien dringend mehr Kooperation geben muss. Bislang verstecken sich viele Naturschutzbehörden geradezu hinter Brüssel. Doch oft sind es nicht die EU-Richtlinien, sondern die Behörden selbst, die für die überaus strenge Umsetzung vor Ort verantwortlich sind. Sie nutzen vorhandene Spielräume nicht.“


Konkrete Aussagen zu mehr Finanzmitteln sucht man im Aktionsplan dagegen vergeblich. Nur das LIFE-Programm erhält 10 % mehr Mittel. Weiterhin will die EU-Kommission eine bessere Kommunikation mit den Landbewirtschaftern.


Die Chance, statt wie bisher auf Verordnungsnaturschutz jetzt vermehrt auf Vertragsnaturschutz zu setzen, hat die EU verstreichen lassen. Landwirte müssen sich mit dem Naturschutz arrangieren oder sich rechtlich wehren.


Wie als Landwirt reagieren?


Landwirt Weber aus Faha ist fest entschlossen, das Vogelschutzgebiet auszuhebeln. Einen Ansatzpunkt sieht er in der Schutzgebietsverordnung, die alle sechs Jahre eine Berichterstattung vorschreibt. „Doch diese Dokumente fehlen für unser Schutzgebiet“, berichtet der Landwirt. Zusätzlich strebt er eine Normenkontrollklage an. Allerdings ist es oft schwer, gegen die Unterschutzstellungen anzugehen (siehe Interview). Denn Natura 2000-Schutzgebiete können gleichzeitig auch Naturschutzgebiete sein, Landwirte müssen damit gegen zwei Systeme ankämpfen.


In jedem Fall ratsam ist, dass betroffene Landwirte bei der Erstellung von Managementplänen möglichst intensiv mitarbeiten. „Drängen Sie darauf, dass die Bewirtschaftungspläne nicht nur enthalten, was verboten ist, sondern eine fachgerechte Landwirtschaft für die zu schützenden Arten auch als förderlich festgeschrieben ist“, so Rechtsanwalt Dr. Tilman Giesen aus Kiel. Für einen finanziellen Ausgleich muss jeder Landwirt weiterhin für sich kämpfen.


Für Landwirt Rodde sind die Entwicklungen so ernüchternd, dass er sich ganz konkret die Frage nach der Zukunft des Betriebes stellt. Weil unkalkulierbare Auflagen wie ein Damoklesschwert über dem Betrieb hängen, hat sein Sohn bereits verkündet: „Ich übernehme den Betrieb nur, wenn das Vogelschutzgebiet weg ist!“ 


Wie funktioniert Natura 2000?


Natura 2000 ist Europas Naturschutznetz: Dazu gehören in Deutschland etwa 5 000 Gebiete nach der FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) und 800 Vogelschutzgebiete, auf insgesamt mittlerweile rund 16 % der Landfläche. FFH-Gebiete sind auszuweisen, wenn einer der 138 deutschen Lebensraumtypen oder eine der 92 Arten aus dem Anhang II der FFH-Richtlinie vorkommen.


Beim Vogelschutz sind es in Deutschland 110 geschützte Arten. Die EU schreibt ein strenges Artenschutzregime vor, die genaue Umsetzung vor Ort legen die Länder aber selbst fest. Deutschland hat die Grundsätze von Natura 2000 in die Naturschutzgesetze von Bund und Länder übernommen. FFH- und Vogelschutzgebiete können sich mit Nationalparks, Naturschutzgebieten etc. überschneiden, das muss aber nicht sein.


Momentan haben die Landwirte mit einer Welle von neuen Schutzgebietsverordnungen und Bewirtschaftungsplänen zu kämpfen. Die EU setzt die Länder dabei unter Zugzwang: Der Prozess soll bis 2018 vollständig abgeschlossen sein, sonst drohen Deutschland hohe Strafzahlungen.

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