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Wirkt sich das Nitraturteil auf die Düngeverordnung aus?

Nach dem Urteil gegen Deutschland wegen der Nitratbelastung ist die Debatte um die Folgen für die Landwirtschaft in vollem Gange. Wird die 2017 reformierte Düngeverordnung nochmal aufgeschnürt? Das Gericht hat sich nur auf die alte Rechtslage bezogen, dennoch steht die Frage im Raum, ob es dabei bleibt.

Lesezeit: 9 Minuten

Nach dem Urteil gegen Deutschland wegen der Nitratbelastung ist die Debatte um die Folgen für die Landwirtschaft in vollem Gange. Wird die 2017 reformierte Düngeverordnung nochmal aufgeschnürt? Das Gericht hat sich nur auf die alte Rechtslage bezogen, dennoch steht die Frage im Raum, ob es dabei bleibt.


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Die Bewertung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), der Deutschland wegen des Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie verurteilt hat, fallen höchst unterschiedlich aus. Unbestritten ist, dass sich das Urteil auf die Rechtslage bis zum Herbst 2014 bezieht. Das hat das EuGH selbst in seiner Urteilsbegründung dargelegt. Die Diskussion, ob die Reform der Düngeverordnung von 2017 ausreicht, um die Nitratrichtlinie künftig einzuhalten und eine erneute Klage zu verhindern, hat aber längst begonnen.


Klöckner kündigt Dialog mit EU-Kommission an


Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kündigte nach dem Urteil an, dass sie mit der Europäischen Kommission kurzfristig in einen Dialog treten wolle, um zur Frage der hinreichenden Umsetzung des Urteils und der Nitrat-Richtlinie im Gespräch zu bleiben. Auch das Bundesumweltministerium äußerte am Donnerstag, dass es mit dem BMEL zeitnah mit der Kommission darüber sprechen wolle, ob und inwieweit die 2017 beschlossenen Änderungen im Düngerecht zur Umsetzung des Urteils ausreichten. Klöckner sieht generell zunächst keinen Handlungsbedarf. „Das Urteil verwundert nicht: Es bezieht sich auf eine alte, in dieser Form nicht mehr existente Düngeverordnung. Es gab Gründe, die jetzt auch für das Urteil eine Rolle spielen, warum das Bundeslandwirtschaftsministerium im vergangenen Jahr die Düngeverordnung verschärft hat“, sagte sie am Donnerstagmittag. Im Grundsatz müsse gelten, dass der mit den Düngemitteln ausgebrachte Stickstoff bei der Pflanze ankomme und nicht ins Grundwasser gelange. Das BMEL habe dafür 2017 ein Dünge-Paket geschnürt, das der Landwirtschaft ein ökonomisch tragfähiges und zugleich ressourcenschonendes Wirtschaften ermögliche. „Die neue Düngeverordnung leistet somit einen wesentlichen Beitrag, die Belastungen im Grundwasser zu senken“, sagte Klöckner.


Bauernverband: „Neue Düngeverordnung wird ignoriert“


Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht sich durch das EuGH-Urteil bestätigt: „Das Urteil ist eine – wenn auch detaillierte – Bewertung einer längst überholten Rechtsgrundlage, nämlich der düngerechtlichen Vorschriften mit dem Stand von 2014. Es leistet daher keinen nennenswerten Beitrag zur Diskussion über die seit 2017 geltende neue Düngeverordnung“, sagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. Der EuGH bestätige wörtlich, dass die mit Gründen versehene Stellungnahme der EU-Kommission aus dem Jahr 2014, aber „später eingetretene Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt“ worden sind, so Krüsken weiter. „Deutschland hat gehandelt und neue weitreichende Anforderungen an die Düngung im Sinne des Gewässerschutzes geschaffen, die derzeit von den Landwirten bereits umgesetzt werden. Außerdem gehen wir davon aus, dass die EU-Kommission das neue Düngerecht mit den weitreichenden Änderungen im Sinne des Gewässerschutzes nicht ignorieren wird“, sagte Krüsken.


Bauernbund Brandenburg: „Wir brauchen einen Systemwechsel“


Der Bauernbund Brandenburg will nach dem Urteil die gesamte Düngeverordnung auf den Prüfstand gestellt sehen. "Neunzig Prozent der deutschen Bauern brauchen überhaupt keine Vorschriften für die Düngung", erklärte Bauernbund-Präsident Marco Hintze, Landwirt aus Krielow bei Potsdam. Der Fehler der Düngeverordnung, der sie rechtlich angreifbar mache, sei ihre flächendeckende Gültigkeit. "Die Entscheidung der Bundesregierung für die flächendeckende Variante führt zu der absurden Situation, dass in einem Land mit ganz überwiegend sauberen Gewässern alle Landwirte unter unsinnigen Auflagen leiden, während in den gefährdeten Gebieten diese Auflagen offensichtlich nicht ausreichen", so Hintze weiter. Der Bauernbund verlangt von der Bundesregierung jetzt einen Systemwechsel, nach dem künftig die Düngung in Problemregionen und auf Problembetrieben deutlicher reglementiert und kontrolliert werde. Die große Mehrheit der ganz normalen Bauern hingegen sollte von Auflagen befreit werden, meint Hintze: "Von Tierbeständen unter zwei Großvieheinheiten pro Hektar und unter den Grenzen der Umweltverträglichkeitsprüfung geht keine Gefahr aus. Die bäuerliche Kreislaufwirtschaft hat sich in Jahrhunderten bewährt", sagt er.


Ökoverbände: „Benachteiligung für Wasserschützer beseitigen“


Die Ökoverbände nehmen das Nitraturteil zum Anlass, um eine Ungleichbehandlung der landwirtschaftlichen Betriebe bei der Reduktion der Nitratbelastung zu beklagen. „Das Nitraturteil und die negativen Folgen könnte man verfehlter Politik der Vergangenheit anlasten, wenn das neue Düngerecht dem Problem jetzt endlich zu Leibe rücken würde. Das ist aber leider nicht der Fall“, sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Es müssten nur die Betriebe umsteuern, die das Grundwasser verschmutzten, so Löwenstein. „Wir haben schon mehrfach betont, dass die Düngeverordnung ausgerechnet wasserschützende Betriebe wie Bio-Höfe benachteiligt, obwohl diese ein Teil der Problemlösung sind.“ Kompost und Festmist würden genauso behandelt wie Gülle, obwohl die Dünger völlig unterschiedlich wirkten. Kompost und Festmist sorgen für Humus im Boden und geben den Nährstoff sehr langsam ab. Die gleiche Einstufung mit der leichter löslichen Gülle sei fatal. Die Betriebe könnten die Festlegung von Nährstoffen im Humus in der Nährstoffbilanz nicht berücksichtigen während Betriebe mit großem Gülleaufkommen die Stickstoffeinträge dank großzügiger Abschläge schönrechnen dürften. „Wir fordern Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf, schnellstmöglich Konsequenzen aus der wissenschaftlichen Kritik am Düngerecht zu ziehen“, so Löwenstein abschließend.


Spiering (SPD): „Ohrfeige für jahrzehntelange Realitätsverweigerung“


Der Agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Spiering, glaubt indes nicht, dass die Düngeverordnung von 2017 ausreicht. „Daher fordert die SPD-Bundestagsfraktion eine umfassende Revision der Regelungen zur Stickstoffausbringung“, sagte er nach der Urteilsverkündung. Es müsse eine schnelle, EU-konforme Überarbeitung des Düngegesetzes und der Düngeverordnung geben, so Spiering. Wissenschaftliche Studien sowie der Sachverständigenrat für Umweltfragen attestierten, dass die Bemühungen der Bundesrepublik nicht ausreichten, um auf das Nitrat-Problem angemessen zu reagieren. „Nach dem Nitrat-Urteil des EuGH muss jedem klar werden, dass es ein ‚weiter so‘ einfach nicht geben kann“, sagte Spiering. Um dem deutschen Steuerzahler vor Strafzahlungen von bis zu 240.000 Euro pro Tag beziehungsweise mehreren Milliarden Euro insgesamt zu bewahren, müsse die Bundeslandwirtschaftsministerin ernsthaftere Anstrengungen unternehmen, um die Nitratbelastung nachhaltig zu senken. „Weder die Allgemeinheit noch die Landwirte, die ordentlich arbeiten, dürfen für die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte in Haftung genommen werden“, sagte Spiering.


Ostendorff (Grüne): „Deutschland steuert neues Vertragsverletzungsverfahren zu“


Auch für die Grünen steht außer Frage, dass das Düngerecht jetzt noch mal angefasst werden muss. „Auch die neue Düngegesetzgebung reicht nicht aus, um das Grundwasser zu schützen. Das bestätigt das aktuelle Gutachten zur Bewertung des überarbeiteten Düngerechts von Prof. Taube im Auftrag des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Deutschland steuert also direkt auf ein neues Vertragsverletzungsverfahren zu“, sagte der Sprecher für Agrarpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Friedrich Ostendorff. Deutschland müsse deshalb nacharbeiten und die Düngegesetzgebung jetzt neu überarbeiten. „Besonders in den Tierhaltungskonzentrationsgebieten gefährdet Gülle unsere Grundwasserqualität erheblich, die Nitratfrachten müssen dort drastisch reduziert werden“, sagte er. Auf Grund einer jahrelangen „falschen Politik“ zahlten nun „Steuerzahler und die Landwirtschaftsbetriebe, die mit einer guten fachlichen und verantwortungsvollen Praxis zu einer Schonung von Umwelt und Grundwasser beigetragen haben“, so Ostendorff weiter.


BDEW: „Deutschland drohen Milliarden Strafzahlungen“


Bestätigt durch das Urteil fühlt sich auch die Wasserwirtschaft. „Im Unterschied zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist die EU-Nitratrichtlinie in Deutschland auch 25 Jahre nach Inkrafttreten nicht umgesetzt worden. Auf den permanenten Bruch europäischen Rechts kann in Deutschland niemand stolz sein“, sagte Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser, heute in Berlin. 28 Prozent der Messstellen hierzulande halten immer noch nicht den vorgeschriebenen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter im Grundwasser ein. „Schwerpunkt der Entscheidung ist das nicht ausreichende Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Nitratreduzierung. Dabei ist wesentlich, dass diese regelmäßig überprüft und nachjustiert werden müssen. Hierin sieht der Europäische Gerichtshof ein schweres Umsetzungsdefizit in Deutschland“, so Weyand. Aus seiner Sicht müsse jetzt „eine verursachungsgerechte und umweltgerechte Lösung“ her. „Auch das neue Düngerecht bringt keine wesentliche Reduzierung der Nitratbelastungen. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Prof. Taube, Universität Kiel, der auch Mitglied im Sachverständigenrat des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist“, so Weyand. Als einen der Hauptkritikpunkte führt er an, dass auch die neue Dünge-Verordnung weiterhin zulasse, dass die Obergrenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar überschritten werde.


Umweltverbände: „Stoffstrombilanz für alle Betriebe“


Die Umweltverbände Deutsche Umwelthilfe (DUH), Grüne Liga, NABU und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) mahnen eine weitergehende Verschärfung des Düngerechts an. „Deutschlands Nitrat-Debakel ist symptomatisch für das Versagen der Agrarpolitik. Jahrzehntelang hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass sich Umweltschutz für Landwirte nicht lohnt. Mit Blick auf unsere Felder brauchen wir dringend eine naturverträglichere Landwirtschaft – doch bislang sperrt sich Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner gegen den Systemwechsel, den ihre Beiräte angemahnt haben, auch bei den beginnenden Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik. Ignoriert die Bundesregierung weiter den Natur-Kollaps, werden neue peinliche Quittungen aus Luxemburg folgen“, sagte Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des NABU. Die Verbände fordern nun eine Obergrenze für die Düngung von 130 Kilogramm pro Hektar in den belasteten Gebieten und kürzere Einarbeitungsfristen für Wirtschaftsdünger, die Einführung der Stoffstrombilanz für alle Betriebe sowie die Einrichtung von mindestens fünf Meter breiten Pufferstreifen zu Gewässern.


WWF: „Gülle-Euro kann das Nitrat-Problem lösen“


Der WWF erneuerte aus Anlass des Urteils seine Forderung nach Einführung eines sogenannten Gülle-Euro. Mit Hilfe einer solchen Stickstoffüberschussabgabe könnte man das Nitrat-Problem in den Griff bekommen, ist sich der WWF sicher. Darüber hinaus brauche es verstärkte Kontrollen der geltenden Verordnung und die Einführung einer bundesweiten Datenbank. Außerdem bemängelt der WWF, dass bis dato für besonders belastete Regionen keine Stickstoff-Obergrenzen gelten. Im Gegenzug sollten für Betriebe, die mit Festmist arbeiten oder Tiere auf der Weide halten, günstigere Rahmenbedingungen geschaffen und bürokratische Hürden reduziert werden.

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