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Die Polen überflügeln uns!

Lesezeit: 6 Minuten

In Polen wächst die Puten- und Hähnchenmast seit Jahren viel schneller als sonst irgendwo in der EU. Und der Boom ist noch nicht vorbei. Was macht unsere osteuropäischen Nachbarn so stark? top agrar hat sich vor Ort umgeschaut.


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Europas Geflügelmäster schauen mit Sorge nach Polen. Das osteuropäische Land baut seit Jahren die Puten- und Hähnchenmast rasant aus. Heute steht Polen fast für ein Fünftel der Geflügelfleisch-Produktion in der EU, und der Trend geht weiter. Was machen die Polen besser als die traditionellen Geflügelspezialisten? Denn Deutschland, Frankreich, Italien oder auch Großbritannien konnten zuletzt kaum noch wachsen.


Erzeugung boomt!

Es ist gerade mal zehn Jahre her, da wurde Polen als Produzent und Exporteur von Geflügel-fleisch in der EU zwar wahr – aber nicht unbedingt ernst genommen. 2008 erzeugte Polen gut 800000 t Geflügelfleisch und war damit nur an Platz sechs in der EU. Auch im Export spielten die Osteuropäer höchstens die zweite Geige. Das hat sich grundlegend geändert. Heute ist Polen mit Abstand die Nr. 1 in der EU.


Der Vergleich mit Deutschland verdeutlicht die rasante Entwicklung. Noch 2010 erzeugte Polen in etwa so viel Hähnchenfleisch wie Deutschland (s. Übersicht 1). Seitdem hat sich die polnische Produktion deutlich abgesetzt. Im letzten Jahr haben unsere Nachbarn fast 600000 t mehr erzeugt als deutsche Produzenten, und der Abstand dürfte sich 2017 sogar noch vergrößern.


Bei den Puten ist es ähnlich. Noch ist Deutschland der größte Erzeuger in der EU. In den letzten zwei bis drei Jahren hat Polen aber kräftig aufgeholt und könnte im laufenden Jahr Deutschland erstmals überholen (s. Übersicht 2).


Verbrauch und Export:

Der rasante Aufstieg der polnischen Geflügelproduktion wird zudem schon lange nicht mehr durch den inländischen Absatz getragen. Der Pole ist zwar mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 30 kg ein passionierter Geflügelfleischesser, denn der EU-Schnitt liegt nur bei gut 22 kg. Aber schon seit 2009 kann sich Polen rein rechnerisch zu hundert Prozent selbst versorgen. 2015 lag Polens Selbstversorgungsgrad für Geflügelfleisch bereits bei rund 150%.


Deshalb ist der Export für Polen extrem wichtig: Bisher sind sie dabei auch sehr erfolgreich. Die Ausfuhren an Hähnchen- und Putenfleisch stiegen in den letzten Jahren immer schneller. EU-weit sind nur noch die Niederländer etwas exportfreudiger als unsere Nachbarn im Osten. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich Polen auch diesen Titel sichert (s. Übersicht 3).


Die Ausfuhren bleiben fast zu 90% in der EU. Hauptabnehmer war 2016 Deutschland mit insgesamt rund 16% der Ausfuhren. Das polnische Putenfleisch ist dabei besonders willkommen. Fast die Hälfte der frischen Teilstücke landen bei uns. Aber auch der Drittlandshandel gewinnt an Bedeutung. Im Gegensatz zu Deutschland hat Polen sogar eine Zulassung für China.


Die Prognosen für 2017 zeigen bisher, dass Polen weiterhin expandieren will. Es gibt unter Experten allerdings erste Zweifel, ob sich diese Pläne auch voll realisieren lassen.


Zumindest am Putenmarkt gibt es erste Bremsspuren. So ist der Schlupf von Putenküken von September bis November 2016 unter das entsprechende Vorjahresniveau gesunken.


Außerdem ist Polen auch auf Lieferungen geschlüpfter Hennenküken aus Deutschland angewiesen. Hier gab es vor dem Hintergrund der Geflügelgrippe zuletzt einige Lieferschwierigkeiten. Damit würde die Expansion in Polen zumindest abflachen. An einen Rückgang der Geflügelproduktion glaubt indes kaum jemand.


Preisdruck in ganz Europa:

Der Expansionsdrang Polens belastet dabei zunehmend den Markt. Die Erzeugerpreise für Hähnchen und insbesondere für Puten stehen immer stärker unter Druck. Laut Statistik erzielten polnische Putenerzeuger im vergangenen Jahr gerade noch 1,15 € pro kg LG im Schnitt. Das sind 20 Cent weniger als noch 2015 und ist selbst für die meisten polnischen Betriebe viel zu wenig. Auch bei den Hähnchen ging es zuletzt deutlich nach unten.


Dabei macht das Preisproblem nicht an der Grenze halt. In ganz Europa stehen die Erzeugerpreise für Geflügel derzeit unter Druck – auch bei uns (s. Übersicht 4 und 5; S. 158). Das Preisniveau in Deutschland ist aber deutlich höher. Der Preisabstand zu deutschen Erzeugerpreisen hat sich zuletzt sogar noch vergrößert.


Deutsche Geflügelmäster profitieren davon, dass sich der deutsche Lebensmittelhandel (LEH) im Frischfleischbereich weitestgehend auf deutsche Ware festgelegt hat. Das Problem ist nur, dass mindestens genauso viel Ware in den Außer-Haus-Verzehr geht. „Dort spielt die Herkunft des Fleisches leider keine Rolle“, beklagt Florian Anthes vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. (ZDG).


Exakte Daten dazu gebe es zwar nicht, aber er schätzt, dass zwischen 50 und 60% des Geflügelfleischs in Deutschland über Kantinen, Systemgastronomie usw. abgesetzt wird. Der ZDG fordert deshalb, dass die verpflichtende Herkunftskennzeichnung auf den Außer-Haus-Verzehr ausgeweitet wird. Nur so könne der Verbraucher auch erkennen, woher das Fleisch tatsächlich stammt.


Niedrigere Standards:

Doch was macht die polnische Geflügelbranche nun so wettbewerbsfähig? Dafür gibt es wohl zwei wesentliche Erklärungen:


Zum einen ist es der politische Wille. Die Regierung unterstützt die Geflügelhaltung im eigenen Land nach Kräften:


  • So werden in Polen Stallneubauten oft unbürokratischer und schneller ge-nehmigt als in Deutschland. Das spart Zeit und Kosten.
  • Noch schneller und günstiger soll der Umbau von Schweineställen in Geflügelställe laufen.
  • Außerdem soll der Staat den Ausbau der Branche jahrelang finanziell unterstützt haben. Die Rede ist von verlorenen Zuschüssen für Geflügelhalter oder EU-Mitteln zum Ausbau von Schlachtkapazitäten.
  • Zudem befürwortet die polnische Regierung den Export. So kommt es, dass einige Schlachtbetriebe in Polen eine China-Zulassung haben. Deutsche Exporteure schauen hingegen in die Röhre und müssen ihre Hühnerfüße als Hundefutter verwerten oder gar entsorgen.


Der andere, mindestens genauso wichtige Grund für die polnische Erfolgs-story sind die gesetzlichen Vorgaben:


  • So sind die Haltungsstandards für Geflügel deutlich niedriger. Vor allem bei der Besatzdichte pro Quadratmeter hat Polen im Vergleich zu Deutschland klare Vorteile. Zudem vermuten Branchenkenner, dass in Polen die Kontrollen etwas lascher sind, sodass Betriebe bei der Besatzdichte ihren Vorteil sogar noch ausbauen. Das sind aber Gerüchte.
  • Die Gehälter und Löhne in Polen sind deutlich niedriger. Der polnische Mindestlohn liegt bei unter 3 € pro Stunde.
  • Im Gegensatz zu deutschen Geflügelmästern dürfen polnische Betriebe weiterhin GVO-Sojaschrot einsetzen. Allein hierdurch sollen polnische Putenmäster einen Vorteil von 4 bis 5 Cent pro Kilogramm SG haben.


Die zahlreichen Standortvorteile verzerren den Wettbewerb in der EU immens. Das sehen selbst Unternehmen zunehmend kritisch. Deutschlands größter Geflügelschlachter, die PHW-Gruppe, betreibt Standorte auf beiden Seiten der Grenze und sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: „Die höheren Standards in der deutschen Geflügelhaltung müssen auf EU-Ebene gesetzlich verankert werden“, meint Dr. Ingo Styck, Geschäftsführer Marketing Wiesenhof. Zumindest unter EU-Herstellern dürfe der Wettbewerb nicht verzerrt sein.


Ein nachvollziehbarer Wunsch, der aber wohl nicht so bald in Erfüllung geht. Denn auf der polnischen Seite sieht man das naturgemäß etwas an-ders. Das zeigen auch unsere folgenden Reportagen. Andreas Beckhove

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