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Tierwohl: Geiz bleibt leider geil

Lesezeit: 4 Minuten

Wie viel Tierwohl bezahlt der Verbraucher wirklich? Forscher der Hochschule Osnabrück testeten den Verkauf von Tierwohlprodukten. Die Ergebnisse zeigen: Das Potenzial wird überschätzt.


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Glaubt man dem jüngsten Ernährungsreport des Bundesministeriums (BMEL), würde jeder zweite Deutsche 20 bis 50% mehr für ein Kilo Fleisch ausgeben, wenn es besonders tierfreundlich erzeugt wurde. Fast jeder Dritte würde sogar noch höhere Aufschläge akzeptieren. Das klingt gut, hat aber mit der harten Realität im Einzelhandel offenbar wenig zu tun. Das zeigt ein Testverkauf von Tierwohlprodukten der Hochschule Osnabrück. Demnach bleibt „Geiz leider geil“. Auch ein Label löst das Problem offenbar nicht.


Aufwändiger Praxistest


Um zu erfahren, was der Kunde wirklich will bzw. kauft, haben die Wissenschaftler in typisch deutschen Supermärkten der Region Minden-Hannover den tatsächlichen Verkauf von Fleischprodukten gemessen. 18 Edeka- und NP-Märkte (Discounter) boten dazu über neun Wochen SB-Schweinefleischprodukte mit hoher Verkaufsfrequenz standardisiert an. In den Kühltruhen fanden die Kunden Bratwurst, Gulasch und Minutensteaks in jeweils drei Preisstufen nebeneinander (s. Übersicht 1):


  • Preiseinstieg mit Handelsmarke: „Gut und Günstig“
  • Mittleres Preissegment: „Edeka Neu“ (Testprodukte)
  • Premiummarke: „Bio Janssen“ (Zwei-Sterne-Standard des Deutschen Tierschutzbunds).


Das Experiment sollte zudem zeigen, welche Faktoren die Nachfrage von neuen Tierwohlprodukten fördern. Deshalb wurden Supermärkte sowohl in unterschiedlichen städtischen als auch ländlichen Regionen ausgewählt. Zusätzlich variierten die Testprodukte in der Preishöhe. Außerdem wollten die Forscher messen, welche Rolle aufgedruckte Tierwohllabel und Werbung spielen. Die Testprodukte lagen in den Märkten deshalb zunächst (Woche 1 bis 5) ohne Werbemaßnahmen und danach (Woche 6 bis 9) mit Label und Werbung. Mit insgesamt 18000 erfassten Fleischverkäufen hat der Versuch eine sehr hohe Aussagekraft.


Zwei drittel kaufen günstig


Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd. In dem Realexperiment griffen nur knapp 30% der Kunden, wenn sie Schweinefleisch kauften, zu einem höherwertigen Artikel. Zu den Testprodukten, die mindestens 15 bis 20% teurer waren als das jeweils günstigste Produkt, griffen nur rund 16% der Käufer (s. Übersicht 2). 11% der Kunden kauften aber die Premiummarke, die mehr als doppelt so teuer war wie der Preiseinstieg. Unterm Strich achten dennoch mehr als zwei Drittel der Käufer nur auf den Preis. Die Ergebnisse des Praxistests widersprechen somit deutlich den meisten Umfragen, die zu einem umgekehrten Verhältnis kommen.


Label förderte Gesamt-verkauf nicht


Auch das Ergebnis zur Wirkung eines Tierwohllabels überrascht. Es gibt nämlich keinen klaren Effekt. Nach dem Referenzzeitraum ohne Tierwohlinformationen (1.–5. Woche) wurden dafür nicht nur die Siegel „Tierwohl ist Haltungssache“ auf die Test-Packungen gedruckt. Die Verbraucher konnten sich auch über Flyer darüber informieren, welche Tierwohlstandards hinter den Produkten stehen. Bei „Edeka Neu“, so der Hinweis, geben Landwirte den Tieren 10% mehr Platz, mehr Beschäftigungsmaterial und bieten komfortableren Stallboden als gesetzlich vorgeschrieben.


Im Test stieg der Verkaufsanteil der Edeka Neu-Produkte im Durchschnitt durch diese Informationen nicht messbar an, sondern sank sogar von 17% auf nur noch 15% (s. Übersicht 3). Genauer betrachtet, förderte das Label aber in einigen Situationen den Verkauf sehr wohl, z.B. bei hoher Kaufkraft und mittlerem Preisniveau. Negativ wirkte hingegen der 10 Cent-Aufschlag für Tierwohl beim Discounter-Kunden.


30 Cent Aufschlag sind OK


Tendenziell schnitt der Aufschlag von 30 Cent bzw. 9 bis 13% am besten ab (s. Übersicht 4). Der Verkaufsanteil für diese Produkte lag immerhin bei 18% gegenüber den genannten 16%. Merklich höhere Preisaufschläge schrecken demnach eher ab, während zu kleine Erhöhungen für den Kunden möglicherweise unglaubwürdig sind. In beiden Fällen gingen die Absätze etwas zurück.


In dem Praxistest zeigte sich allerdings auch, dass weitere Faktoren den Verkauf von Tierwohlprodukten ankurbeln können. Dies sind insbesondere:


  • ein mittleres Preisniveau
  • höherwertige Produktgruppen z.B. Gulasch statt günstiger Bratwurst.
  • kaufkräftige Regionen
  • Edeka-Center sind besser als Discounter.


Die genauen Gründe für diese Effekte gilt es noch zu erforschen. Klar ist allerdings schon jetzt, dass der Handel sehr genau prüfen dürfte, an welchen Standorten, mit welchen Tierwohlprodukten und zu welchen Preisen er das eigene Sortiment mit Tierwohlprodukten erweitern wird.


andreas.beckhove@topagrar.com

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