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"Mich stört das kleinkarierte Denken vieler Naturschützer"

Hans-Josef Fell, der Vater des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, tritt aus dem BUND aus. Im Interview mit top agrar wirft er einigen Naturschützern kleinkariertes Denken vor.

Lesezeit: 6 Minuten

top agrar: Der Umweltschutz lag und liegt Ihnen besonders am Herzen. Dem BUND nach eigenem Bekunden auch. Warum sind Sie dennoch aus dem Verband ausgetreten?

 

Fell: Die große, vor allem ehrenamtliche Naturschutzarbeit vieler BUND-Mitglieder und der Verbandsführung für den Arten- und Naturschutz, ja sogar für viele Erneuerbare-Energien-Projekte, schätze ich sehr und sie ist auch notwendiger denn je. Ich sehe aber einen Zielkonflikt zwischen dem lokalen und dem globalen Natur- und Artenschutz, zu Lasten des globalen Naturschutzes.


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Noch nie war der Artenschwund auf der Erde so dramatisch und vernichtend wie heute. Ursächlich sind vor allem Klimaveränderung und Flächenverbrauch. Beides wird maßgeblich durch unser heutiges fossiles und atomares Energiesystem verursacht, welches durch Klimagasemissionen die Artenvielfalt zerstört und über immer schlimmeren Flächenfraß für Erdöl, Erdgas, Kohle und Uranförderung ganze Naturräume großflächig entwaldet.


Mich stört das kleinkarierte Denken vieler Naturschützer, die ihren heimischen Wald von Windrädern und ihre Wiesen von PV-Freiflächenanlagen freihalten wollen, mich stören aber auch die pauschalen BUND Verbandspositionen gegen die emissionsfreie Wasserkraft oder das undifferenzierte Agitieren in Brüssel gegen die Biokraftstoffe in der EU. In der Wirkung steht sich der BUND an viel zu vielen Stellen selbst im Wege, um seine eigenen Verbandsziele – Klimaschutz und Atomausstieg – schnell zu verwirklichen.

 

top agrar: Ennoch zu Guttenberg, Mitgründer des BUND, ist bereits vor Jahren aus seinem Verband ausgetreten. Im Gegensatz zum BUND lehnte er den Bau von Windkraftanlagen ab. Sie hingegen bemängeln: Der Verband fokussiert sich zu stark auf den Naturschutz und gefährde dadurch den Ausbau der Ökostromanlagen. Hat der BUND ein gespaltenes Verhältnis zu den Erneuerbaren?

 

Fell: Ja, genau das ist der Punkt. Den Ausbau der Windkraft will zwar der BUND – aber nicht dort, wo der Wind weht, nämlich auf den Höhen der Mittelgebirge. Deshalb wird es zu wenig Windkraftflächen geben, um 100 % Erneuerbare Energien zu erreichen. So gibt es im windreichsten Gebiet Bayerns, in der Rhön, vor allem auf Betreiben des "Bund Naturschutz in Bayern" (BN) bis heute kein einziges kommerzielles Windrad. Auch die fehlende Unterstützung des BN für die Klagen gegen die neuen 10H-Abstandsregelung in Bayern führt letztendlich zu einer Verschärfung der Naturschutzkonflikte, denn das neue 10H-Gesetz lässt ja fast keine Windflächen in Bayern mehr übrig und die wenigen, die es noch geben wird, befinden sich vielfach in intakten Naturräumen.


Leider teilen zu viele Mitglieder die Denkweise von zu Guttenberg. Viele haben bis heute nicht begriffen, dass die herrlichen Naturschätze, wie z.B. die Buchenwälder in Deutschland, in den nächsten Jahrzehnten wegen der Klimaveränderung nicht mehr zu retten sein werden. Ein Hektar Waldrodung pro Windpark in den Buchenwäldern des Spessart, im Bayerischen Wald, in den Rocky Mountains oder im Kaukasus, werden die großen Restflächen dieser Wälder schützen helfen, da dies ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung und zur Bekämpfung der Naturzerstörung durch Rohstoffabbau ist.  

 

top agrar: Spiegelt sich im Verhalten des BUND auch die Haltung hunderttausender Bundesbürger wieder: Ja zu den Erneuerbare Energien, aber bitte nicht vor meiner Haustür und bitte nicht das Landschaftsbild verändern?

 

Fell: Auch weiterhin stehen über 80 % der Bundesbürger hinter dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, auch vor der eigenen Haustür. Das Sankt-Florians-Prinzip ist also viel weniger verbreitet, als oft dargestellt.


Allerdings greift es dann doch bei vielen Naturschützern, die ihr Herzblut für das lokale Biotop zur Abwehr einer Erneuerbaren-Energien-Anlage in ihrem Naturraum einsetzen und nicht merken, dass ihre Enkel dieses Biotop dann nicht mehr bewundern werden können. Viele von ihnen haben nie begriffen, dass über die giftigen Emissionen von Kohlekraftwerken wesentlich mehr Vögel getötet werden als durch den Flügelschlag der Windräder. Windparks kann man vogelschützend aufstellen und darüber allmählich die giftemittierenden Kohlekraftwerke abschalten.

 

top agrar: Nicht wenige Bürger befürchten, dass vor allem Biogas- und Windkraftanlagen nachhaltig das Landschaftsbild und die Artenvielfalt beeinträchtigen. Muss die Erneuerbare-Energien-Branche hier mehr aufklären, dass Energiegewinnung und Naturschutz sich nicht gegenseitig ausschließen?

 

Fell: Wer heute aus Gründen der Landschaftsästhetik Erneuerbare Energien ablehnt, hat nichts von der Dramatik der globalen Umweltzerstörung begriffen. Beleuchtet hat diesen Konflikt der jüngste Tod der Schwarzstorchjungen im Lohrer Stadtwald im Spessart. Ein großer Erfolg der Naturschützer war die Ansiedlung eines Schwarzstorchpaares, weshalb sie auch den Bau von Windkraft dort ablehnten. Doch die jungen Schwarzstörche sind nicht am Schlag des Windrades verendet, sondern schlicht vertrocknet in der außergewöhnlichen Hitzeperiode und Trockenheit dieses Sommers, was uns die Klimaerwärmung noch heftiger und häufiger bescheren wird.


Natürlich müssen auch Biogasanlagen mit nachhaltig angebauten Pflanzen gefüttert werden, doch das gilt auch für das Tierfutter und die menschliche Ernährung. Die Erneuerbare-Energien-Branche hat es leider noch nie verstanden, den gesellschaftlichen Mehrwert der Erneuerbaren Energien bewusst zu machen. Weder ökonomisch, dass heute die Erneuerbaren Energien die billigste Art der Stromerzeugung sind, noch ökologisch, dass Erneuerbare Energien ein wesentlicher Beitrag zum Artenschutz sind.


Regierende Politiker, Massenmedien und Verbände müssen endlich darüber aufklären, dass Energiegewinnung mit fossilen und atomaren Rohstoffen Natur und Ökonomie zerstört, die Umstellung auf 100 % Erneuerbare Energien aber unverzichtbar ist, um Natur- und Artenschutz, sowie den Erhalt unseres Wohlstandes überhaupt zu ermöglichen.

 

top agrar: Was muss der BUND aus Ihrer Sicht verändern?

 

Fell: Der BUND muss endlich die ernsthafte Diskussion mit allen gesellschaftlichen Gruppen darüber führen, wie Atomausstieg und Klimaschutz mit dem Ziel 100 % Erneuerbare Energien zu erreichen sind und nicht nur in seinen eigenen Arbeitsgruppen weltfremde Energiekonzepte aufstellen. Vor allem muss er lernen, dass Investoren in Wasserkraft, Pumpspeicherkraftwerke, Biogasanlagen, Photovoltaikfreiflächenanlagen oder Windkraftanlagen in Naturparks nicht geldgierige Naturzerstörer sind, sondern die tragende Säule für die eigenen Ziele.


Dann wird er Wege finden, wie man Politik beeinflusst, um die den lokalen Naturschutz beachtenden Zonierungszonen für Windkraftinvestitionen auch in Naturparks zu befördern. Er wird dann Wege finden, wie eine biologische Landwirtschaft den Ausbau der Biogasanlagen befördern kann. Er wird sehen, wie man moderne fließgewässerfreundliche und artenschützende Wasserkraft ausbaut und welchen unschätzbaren Wert die vielen Querverbauungen in den Gewässern für die Anhebung des Grundwasserspiegels haben, was bei einer weiteren Austrocknung der Landschaft durch Erderwärmung unverzichtbar ist.     


Herr Fell, vielen Dank für das Interview. Diethard Rolink


Lesen Sie auch den aktuellen Kommentar zum Austritt von Hans-Josef Fell aus dem BUND.

 


 

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