"Das Energiekonzept wird zurzeit viel zu stark aus dem Blickwinkel der Kernenergie und zu wenig aus dem Blickwinkel der Förderung von erneuerbaren Energien diskutiert", kritisiert Bundeskanzlerin Angela Merkel die aktuelle Diskussion. Wer das Gesamtkonzept anschaue, könne erkennen, dass es da eine faire Lastenverteilung gebe, teilte die Kanzlerin gestern mit.
Bis 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Strom 80 Prozent betragen. Stromerzeugung aus Kohle wird es dann nicht mehr geben. Derzeit beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch 16 Prozent. Deshalb brauche man eine Brückentechnologie, so Umweltminister Norbert Röttgen. Dazu habe die Bundesregierung das klimaverträglichste, effizienteste und langfristigste Energieprogramm vorgelegt, das es je gegeben habe, sagte Röttgen im "Deutschlandfunk"-Interview.
Das erkennt auch die Wissenschaft an: "Ich habe noch keine Regierung gesehen, die sich derart ambitionierte Ziele setzt. Das ist weltweit einmalig in dieser Dimension," analysiert Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Dies sei ein anspruchsvolles Ziel. Aber im Gegensatz zu früheren, politisch begründeten Szenarien der Energiepolitik beruhe dieser Fahrplan auf seriösen Fakten und realistischen Berechnungen. Und auf einem energiepolitischen Gesamtkonzept, das die Kernkraft nicht mehr isoliert betrachte, beteuert die Bundesregierung in einer Presseerklärung.
Die Frage von Laufzeitverlängerungen bei Kernkraftwerken "ist nur eines von vielen notwendigen Etappenzielen beim Umbau hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung," lobt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Hildegard Müller. Sie nennt das Programm einen "großen Schritt in die richtige Richtung".
Der aktuelle Anteil von 16 Prozent der erneuerbaren Energien am Strom sei bereits eine erfreuliche Steigerung. Vor zehn Jahren waren es erst vier Prozent. Aber realistisch könnten sie im Hauptlastbereich derzeit andere Energieformen laut Bundesregierung noch nicht ersetzen. Dazu bedürfe es weiterer großer Forschungsanstrengungen sowie des Baus von Anlagen. Außerdem müssten dafür Speicherkapazitäten und Versorgungsnetze bereit gestellt werden. Bis dahin bleibe die Kernenergie eine unverzichtbare Brücke - so kurz wie möglich und so lange wie nötig.
Die Verbindung zu den erneuerbaren Energien sei klar und einfach: Ein wesentlicher Teil der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung fließe in die notwendigen Investitionen auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Milliardenbeträge, die im Ergebnis über die Hälfte der Zusatzgewinne der Kraftwerkbetreiber abschöpfen.
Oft hilft der Blick von außen. So fasst die niederländische Tageszeitung TROUW zusammen: "Der Kompromiss ist insgesamt schlau. Energiekonzerne ... müssen Milliarden beitragen zur Erschließung nachhaltiger Energie. Wenn alles nach Plan läuft, machen sich die Kernkraftwerke selbst überflüssig."