Vor dem Hintergrund der Forderung der Grünen nach einem Verbot der Reserveantibiotika in der Nutztierhaltung hat der Vizepräsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt), Dr. Rainer Schneichel „dringend mehr Sachverstand“ in der Diskussion um Antibiotikaresistenzen angemahnt. „Das Thema Resistenzentwicklung rein emotional anzugehen, bringt weder eine Lösung für die Veterinärmedizin noch für den Humanbereich“, betonte Schneichel.
Der Tierarzt wehrt sich auch gegen den Vorwurf des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), wonach in der Tierhaltung Antibiotika systematisch eingesetzt werde: „Das würde illegales Verhalten voraussetzen, ist aber de facto per Arzneimittelgesetz verboten, da nur kranke Tiere nach erfolgter Untersuchung durch den Tierarzt behandelt werden dürfen.“
Hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Reserveantibiotika“ stellte Schneichel klar, dass es sich um eine rein deutsche Formulierung ohne jegliche Evidenz-Basierung handele. Zudem seien die kritischen antimikrobiellen Wirkstoffe aus der Humanmedizin wie Glykopeptide, Lipopeptide und Carbapeneme in der Tiermedizin überhaupt nicht zugelassen und auch durch Umwidmung nicht einsetzbar.
Unterschiedliche Dosierungen
Bei der polemischen Diskussion über das Thema Antibiotikaeinsatz würden zudem nur absolute Mengen herangezogen und nicht nach Wirkstoffen unterschieden, beklagte Schneichel. Lege man eine Dosierung von 2,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht eines modernen Antibiotikums in der Humanmedizin zugrunde, müsse ein 100 kg schwerer Mensch eine Gesamtmenge von 0,25 g am Tag einnehmen.
Werde ein 100 kg schweres Schwein mit Tetracyclinen behandelt, welche nicht zu den sogenannten Reserveantibiotika gehörten, führe die vorgeschriebene Dosierung von 125 mg pro Kilogramm Körpergewicht zu einem Einsatz von 12,5 g pro Tag.
„Auf dieser Basis Vergleiche in absoluten Zahlen zu machen, ist fachlich gesehen nicht möglich“, erläuterte der Tierarzt. Im Hinblick auf den Vorwurf, wonach einige Tierarztpraxen mehr über den Verkauf von Antibiotika als über die tierärztliche Bestandsbetreuung verdienten, warnte Schneichel, dass sich der tierärztliche Berufsstand im Bereich der Nutztier- und Landpraxis bei finanziellen Einbußen durch den Verlust des Verkaufs von Arzneimitteln stark ausdünnen würde, wie dies beispielsweise in Dänemark geschehen sei. Eine flächendeckende Versorgung der Tiere, auch unter zoonotischen und lebensmittelhygienischen Gesichtspunkten, wäre dann nicht mehr gewährleistet.
Strikte Anwendungsvorschriften
Schneichel betonte, die Tiermedizin in Deutschland sei seit jeher bemüht, den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung zu reduzieren. Dies geschehe unter anderem durch die Einhaltung der strikten Anwendungsvorschriften von Medikamenten bei Nutztieren sowie durch die bereits seit mehr als 15 Jahren etablierten Antibiotika-Leitlinien in Kombination mit den millionenfach ausgewerteten Resistenztests vor Anwendung eines Antibiotikums. Eine sachlich fachliche Aufklärung sowie die gemeinsame Bekämpfung von Resistenzen in der Human- und Veterinärmedizin im Sinne der „One-Health-Strategie“ sei der einzig richtige Weg, unterstrich der bpt-Vizepräsident.