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Erntedank ist schwierig

Ein Kommentar von Jan Grossarth von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben: Mit dem Erntedankfest hatte ich immer Schwierigkeiten. Ich wuchs in den Achtziger- und Neunzigerjahren im Überfluss auf und es war merkwürdig gegenwartsfern.

Lesezeit: 4 Minuten

Ein Kommentar von Jan Grossarth von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben:


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Mit dem Erntedankfest hatte ich immer Schwierigkeiten. Ich wuchs in den Achtziger- und Neunzigerjahren im Überfluss auf und es war merkwürdig gegenwartsfern, wenn in der Schule oder der Kirche Brotkränze, Ähren und Äpfel dekoriert wurden und wir „Danke“ singen sollten.


Dieses Danke war schwer nachzuempfinden. Es hieß dann zum Beispiel: Wir hier haben so viel, die in Afrika haben so wenig. Doch das war, wenn überhaupt, ein Grund sich zu schämen, aber nicht für Dankbarkeit. Wem gegenüber auch: Nestlé? Haribo? Dem Bauern, den man nicht kannte? Dem Bäcker? Dem schon eher für seine Freundlichkeit, weil er auch mal ein Brötchen verschenkte. Gott? Dem Gott, der den Kindern in Afrika nicht genügend gab? Das alles war sehr kompliziert. Es war eher ein Ritual, eine Höflichkeitsgeste, wenn auch eine wunderbar bunte und gut riechende.


Liegt es wirklich daran, dass alles im Überfluss da ist? Auch arme Leute sind nicht unbedingt dankbarer für ihr Brot. Wenn jemand hungert, und man ihm eine Erbsensuppe gibt, leidet er nachher weniger, ist eine Weile satt und zufrieden. Vielleicht aber in der nächsten Sekunde schon wieder unzufrieden, weil er jetzt klarer sieht, wie viel andere haben, er dagegen nicht.


Dankbarkeit ist mehr als das, was Arme empfinden, wenn Reiche ihnen ein Bröckchen hinwerfen. Dankbarkeit ist ein tiefes Glück als Reaktion auf ein Geschenk, das so groß ist, dass es die Seele berührt. Das kann das Brot allein nicht, sondern immer nur in Verbindung mit einer persönlichen Zuwendung.


Kann Erntedank so sein, oder ist das zu viel verlangt? In der vormodernen bäuerlichen Gesellschaft wurde jeder Regenguss zur rechten Zeit als Geschenk des Himmels empfunden. Eine gute Ernte erst recht. Die Ernte war ein existenzielles Thema und man konnte das Wetter nicht berechnen; es war lange vor Justus Liebig und bevor die DNA der Pflanzen bekannt war. Zeichen der Liebe und Großzügigkeit Gottes oder Geschenk einer beseelten Natur, je nach Sichtweise. Das mag aufgeklärten, auch gläubigen Menschen nicht mehr gelingen. Ist Erntedank deswegen vielleicht unmöglich geworden?


Nein, aber schwierig und erklärungsbedürftig. Landwirte bleiben zwar abhängig vom Regen und der Sonne, doch die Preise an den Terminbörsen schwanken viel stärker als die Ernten. Die Technik gibt ihnen ein Gefühl von Kontrollierbarkeit: Bewässerungssysteme, genaue Wetterprognosen, GPS-gesteuerte Erntemaschinen, unendlich verfügbarer Dünger, trockentolerante Pflanzen. Der Raum für Dankbarkeit ist – zum Glück für die Menschheit– geschrumpft. Und vielleicht geht es dem Landwirt wie dem Stadtkind. Der Überfluss und das naturwissenschaftliche Wissen trennt Gott und Regen voneinander.


Erntedank wird erklärungsbedürftig. Man kann es, religiös verstanden, als Metapher sehen für einen Gott, der schenkt wie ein Weizenfeld: aber seelisch, und persönlich. Man kann Erntedank aber auch einfach als einen schönen Brauch sehen, der die Farben des Herbstes auf den Wohnzimmertisch malt und nicht nur Kindern vermittelt, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass wir satt sind, und man sich deswegen auch nicht schämen muss, aber ein wenig Demut trainieren dürfte.


Sich die existenzielle Abhängigkeit in Erinnerung zu rufen ist der Anfang für Dankbarkeit, auch wenn man weiß, dass sie nicht so sehr am Regen hängt, aber an Erdöl und einem intakten Ökosystem. Doch Dankbarkeit ist, wie gesagt, noch mehr: ein seltenes und tiefes Glück, das nicht käuflich ist und aus dem Empfinden kommt, dass jemand meine Hoffnung und einen Mangel mit einem Geschenk beantwortet, ohne dass er das tun müsste – und zwar aus Liebe heraus. Deswegen ist ein bunter Herbstbrauch allein sehr erfreulich, aber viel zu wenig.

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