Der Großteil der europäischen Landwirte hat die Finanzkrise bisher gut überstanden; innerhalb einzelner Absatzmärkte kam es zwischenzeitlich aber zu Verwerfungen. Das geht aus einer Studie hervor, in der Dr. Martin Petrick und Mathias Kloss vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) die Auswirkungen der inzwischen mehr als fünf Jahre andauernden europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise auf den Agrarsektor untersucht haben.
Wie das IAMO vergangene Woche in Halle erklärte, lassen sich drei mögliche Einflusskanäle der Finanzkrise auf die Agrarwirtschaft unterscheiden: Erstens könne sich dadurch eine Kreditklemme für Agrarunternehmer einstellen, zweitens sei in Krisenzeiten ein Nachfrageeinbruch auch nach Agrarprodukten möglich und drittens könnten die durch die Krise hervorgerufenen Belastungen der öffentlichen Haushalte zu Einsparungen in der Agrarförderung führen.
Wie die Autoren der Studie festgestellt haben, sind die am schwersten von der Finanzkrise betroffenen Länder nicht unbedingt identisch mit denen, deren Agrarbetriebe besonders unter der Krise leiden. „Insbesondere in Griechenland, Irland, Italien und Spanien wird die Agrarwirtschaft von kleinen Betrieben mit einer niedrigen Investitionsquote dominiert“, erläuterte Petrick.
In nahezu allen Ländern der EU seien Landwirte zudem nur wenig verschuldet. Dadurch sinke die Abhängigkeit dieser Unternehmen von kurzfristigen konjunkturellen Veränderungen. Eine Ausnahme bildet nach Angaben der Autoren Dänemark. Hier seien Agrarunternehmer, verstärkt durch das sehr liberale Finanzsystem, besonders investitions- und risikofreudig. Die hohe Abhängigkeit vom Fremdkapital habe dort vor allem im Krisenjahr 2009 für einen Einbruch der Investitionen gesorgt.
Ohne Kredite kein Entwicklungspotential
Petrick und Kloss zufolge hatten auch andere europäische Landwirte nach Ausbruch der Finanzkrise mitunter Schwierigkeiten, an Kredite heranzukommen. Der Effekt habe sich jedoch in Grenzen gehalten, da eine geringe Verschuldung und niedrige Zinsen die meisten Agrarunternehmer vor zu hohen Risiken bewahrt hätten.
Die Wissenschaftler weisen ungeachtet dessen darauf hin, dass sich die beobachtete Kreditzurückhaltung nach der Krise als Entwicklungshemmnis erweisen könnte. Institutionelle Schwächen im Bankwesen und in der Kreditvergabe könnten strukturelle Veränderungsprozesse verlangsamen und weiterführende Modernisierungen blockieren. Gleichzeitig sei jedoch auch in Zukunft mit einer andauernden agrarpolitischen Stützung des Agrarsektors zu rechnen. Diese Maßnahmen werden Agrarunternehmer nach Einschätzung der Autoren voraussichtlich auch künftig vor den gravierendsten Folgen der Krise schützen.
Milchmarkt besonders betroffen
Wie die Wissenschaftler ferner feststellten, ist auch die europäische Lebensmittelindustrie relativ unbeschadet durch die Krise gekommen. Lediglich auf dem Milchmarkt habe die weltweite Finanzkrise 2008 zu einem drastischen Rückgang der Nachfrage geführt.
Dies lag nach Einschätzung Petricks vor allem am damaligen Preisgefüge: Während die weiterverarbeitende Industrie und der Einzelhandel bei sinkenden Erzeugerpreisen ihre Gewinnmargen erhöht hätten, sei die Nachfrage der Konsumenten nicht so weit angestiegen, dass dies die von Industrie und Handel an die Landwirte durchgereichten Preissenkungen ausgeglichen hätte. Dies habe zu massiven Protesten der Milchbauern und auch zu politischen Konsequenzen geführt.
„Die Politik reagierte auf die Krise am Milchmarkt nicht nur mit einem Milliardenrettungspaket; am Ende beschloss die Europäische Kommission sogar eine Umstrukturierung der Milchmärkte, einschließlich neuer Vorgaben für Vermarktungsverträge“, erklärte Petrick. (AgE/ad)