„Immer mehr Bundesländer machen bewusst Stimmung gegen die Grüne Gentechnik, schüren Ängste und täuschen die Verbraucher.“ Diese schweren Vorwürfe erhebt der frühere Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger, in einem Gastbeitrag in der WELT.
Mit zunehmender Tendenz würden sich deutsche Länderregierungen dem „technologiefeindlichen Zeitgeist beugen und massiv gegen die Wissenschaft stellen“, begründet der FDP-Politiker seine Provokation. Mittlerweile seien bereits fünf Länder dem Netzwerk gentechnikfreier Regionen beigetreten.
Dabei werde dem Verbraucher überhaupt nicht erklärt, dass die Anwendung der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung ein noch unausgeschöpftes Potenzial für den ökologischen Landbau, für verbesserten Umweltschutz, die Erhaltung der Artenvielfalt und die Gesundheit bietet. „Stattdessen fällt den Landesregierungen nichts Besseres ein, als eine Strategie zu entwickeln, die die Grüne Gentechnik dauerhaft aus der Landwirtschaft verbannt“, zeigt sich Rehberger, der 1984 auch Landwirtschaftsminister im Saarland war, entsetzt.
Die Strategie der Landesregierungen ist seiner Meinung nach dabei nicht nur wissenschaftsfeindlich. Sie führe auch die Verbraucher in die Irre. Denn während die Bundesländer als "gentechnikfreie Regionen" verkauft werden, seien rund 80 % aller Lebensmittel des täglichen Bedarfs mit der Gentechnik in Berührung gekommen. „Dies gilt insbesondere für Backwaren, für Milch und Milchprodukte, Rind- und Schweinefleisch.“ Auch die Pharmazie arbeite heute viel mit der Gentechnik. So würden über 140 Medikamente gentechnisch hergestellt, wie etwa Insulin für Zuckerkranke. Auch Baumwolle und Waschmittel seien ohne Gentechnik nicht mehr vorstellbar.
„Der Gipfel der Verbrauchertäuschung ist aber das Siegel Ohne Gentechnik“, ärgert sich Rehberger, der heute als Rechtsanwalt arbeitet. Produzenten dürften das Fleisch von Tieren, die lebenslang zum Beispiel mit gentechnisch verbessertem Soja gefüttert worden sind, mit dem Siegel Ohne Gentechnik versehen, wenn die Fütterung mit dem gentechnisch verbesserten Soja einige Monate vor der Schlachtung beendet worden ist.
„Doch darüber zu reden, ist für die meisten Verfechter gentechnikfreier Regionen ein Tabu, so der frühere Technologieminister. Schließlich profitiere von dieser angeblichen Gentechnikfreiheit eine ganze Reihe von politischen Parteien, weil sie diese gefordert und – soweit sie in den Länderparlamenten vertreten sind – mitbeschlossen haben.
Empört zeigt sich Rehberger in dem Aufsatz schließlich, dass die Gentechnikkritiker in der Politik gerne verschweigen, dass ein sofortiger Verzicht auf Gentechnik seiner Meinung nach unverzüglich zu einer Verknappung der Lebensmittel und zu einem Preisanstieg führen würde. „Die politischen Parteien, die sich für den "Ausstieg aus der Grünen Gentechnik" starkmachen, wären dann bestimmt die Ersten, die bei steigenden Preisen für die Grundnahrungsmittel nach kostspieliger staatlicher Intervention über die Sozialgesetzgebung rufen würden.“ (ad)