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Neue Ökoverordnung: „Die Vorschläge sind völlig praxisfremd!“

EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos will die erst 2009/2010 umgesetzte Bio-Kennzeichnungsverordnung schon wieder überarbeiten. U.a. soll es Grenzwerte für Pflanzenschutzmittelrückstände geben. Dagegen laufen die deutschen Öko-Verbände Sturm. top agrar sprach am Rande der Grünen Woche mit Bioland-Präsident Jan Plagge.

Lesezeit: 6 Minuten

EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos will die Bio-Kennzeichnungsverordnung überarbeiten. Dagegen laufen die deutschen Öko-Verbände Sturm. top agrar sprach am Rande der Grünen Woche mit Bioland-Präsident Jan Plagge.

 

top agrar: Sind Sie grundsätzlich gegen eine Novellierung der Verordnung?


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Plagge: Wir sind für eine sinnvolle Weiterentwicklung der Regeln. Wir lehnen aber die Total-Revision der Verordnung ab. Diese ist 2007 komplett neu geschrieben worden und trat erst 2009/2010 in Kraft. Bis eine Verordnung in allen Ländern Europas, bei Behörden, Kontrollstellen und bei den Unternehmen und Bauernfamilien ankommt und umgesetzt werden kann, dauert es Jahre. Erst in der Praxis stellt sich heraus, ob die Ziele und Annahmen einer Verordnung richtig waren und umgesetzt werden können.

Bei der jetzt geltenden Verordnung haben sich die meisten Ziele und Regeln bewährt. Nur in Teilbereichen gibt es Verbesserungsbedarf. Wir haben immer gefordert, dies auf Basis der bestehenden Verordnung zu tun. Das geht schneller und ist effizienter. Bauern und Unternehmen, die im Bereich des Biolandbaus und der Verarbeitung investieren, erwarten vom Gesetzgeber eine maßvolle und kontinuierliche Entwicklung von Verordnungen und keine ständigen Brüche.


top agrar: Welches sind die wichtigsten Kritikpunkte am Entwurf der Kommission?


Plagge:Die Kommission glaubt, die Verordnung komplett neu fassen zu müssen, weil sie die heutigen Regeln für nicht streng genug hält und daher die Verbrauchererwartungen nicht ausreichend erfüllt sieht. Brüssel ist der Meinung, dass bei strengeren Regeln das Vertrauen in die Produkte noch größer wäre und der Markt schneller wachsen würde.


Für uns ist es selbstverständlich, dass sich die Regeln weiterentwickeln und auch strenger werden. Wenn man sich die Entwicklung der Verordnung seit 1991 anschaut, ist das auch kontinuierlich geschehen. Eine schrittweise Entwicklung hat den Vorteil, dass sich die Bauern und Unternehmen auf diese Entwicklung besser einstellen können. Deshalb sieht die heutige Verordnung Übergangsregeln und in engem Rahmen auch länderspezifische Flexibilität vor.


Wie das in der Praxis funktioniert, zeigen die Vorschriften zum Saat- und Pflanzgut. Dies muss aus ökologischer Vermehrung stammen, wenn die entsprechenden Sorten verfügbar sind. Die Praxis hat dazu eine gut funktionierende internationale Datenbank aufgebaut, die sicherstellt, dass Ökosaatgut immer Vorrang vor konventionell ungebeiztem Saatgut hat. Diese Regelung hat bei uns dazu geführt, dass wir bei Getreide Schritt für Schritt zu einer fast 100%igen Versorgung mit ökologisch erzeugtem Saatgut gekommen sind.


Offenbar sind solche Regelungen der Kommission ein Dorn im Auge. Denn in weniger entwickelten Regionen Europas wird standardmäßig noch konventionelles Saatgut verwendet, weil es keine ökologische Ware gibt. Auch bei Gemüsesaatgut sind wir noch weit von einer 100%igen Versorgung mit Öko-Saatgut entfernt. Während es Apfelbäume schon ökologisch vermehrt gibt, sieht das bei Stein- und Beerenobst schon wieder ganz anders aus. Der Entwurf sieht vor, dass es künftig keine Ausnahmen oder Übergangsregeln mehr gibt. Das ist praxisfremd. Bei diesem Weg würden gerade viele kleinere und mittlere Betriebe aussteigen, damit hat dann doch keiner etwas gewonnen!


top agrar: Darüber hinaus soll es künftig noch Grenzwerte für Pflanzenschutzmittelrückstände geben. Wozu das? Die dürfen doch im Ökolandbau gar nicht eingesetzt werden.


Plagge: Das ist unser zweiter zentraler Kritikpunkt. Die Kommission will von der Prozessdefinition bei der Biolebensmittelproduktion abrücken. Sie will offenbar öko-spezifische Grenzwerte für im Ökolandbau nicht erlaubte Pestizide einführen. Sie begründet das mit der verständlichen Verbrauchererwartung, dass Bioprodukte möglichst rückstandsfrei sind. Das ist jedoch ein Versprechen, das wir Ökobauern nicht voll umfänglich geben können. Bioproduktion findet in derselben Natur und Umwelt statt, wie die gesamte Landwirtschaft. Alle Stoffe, die sich in der Umwelt befinden, treffen auch den Biobauern. Wenn wir verpflichtet werden, die Ernte jedes Feldes ins Labor zu schicken und alle Produkte von der Vermarktung auszuschließen, in denen sich solche Stoffe nachweisen lassen, kann niemand mehr Biolandbau betreiben. Dann lohnt sich nur noch konventionelle Landwirtschaft – eben jene Landwirtschaft, aus der solche Stoffe stammen. Das ist doch völlig widersinnig!


top agrar: Gibt es denn ein Rückstandsproblem im Ökolandbau?


Plagge: Nein. Die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung weisen ebenso wie das Monitoring des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN) für Bioprodukte im Vergleich zu konventionellen Produkten drastisch niedrigere Rückstandswerte aus. Das zeigt, dass die Anwendung dieser Stoffe an den Pflanzen selbst - die im Ökolandbau eben nicht stattfindet – ein erheblich höheres Rückstandsrisiko hat.


Es gibt noch viele weitere Punkte, die uns besorgen, weil sie vor allem kleine und mittlere Betriebe treffen. Das könnte dazu führen, dass viele Betriebe in der EU künftig keinen Ökolandbau mehr betreiben können.


top agrar: Welche Inhalte der geltenden Fassung müssen aus Ihrer Sicht überhaupt novelliert werden?


Plagge:Wir haben seit mehreren Jahren gefordert, dass die Regeln für den Import sowie die Kontrollbestimmungen weiterentwickelt werden müssen. Außerdem sind die Bereiche Geflügelhaltung und auch die Produktion in Gewächshäusern neu zu regeln. Hier liegen seit langem Vorschläge von Experten vor. Viele weitere Details sind offen, so z.B. wie mit der Frage der Ausläufe in der Schweinehaltung umgegangen wird.


top agrar: Sind die Öko-Verbände von der Kommission in die Beratungen mit einbezogen worden?


Plagge:Ja, wir waren bei allen Anhörungen beteiligt, ebenso Copa-Cogeca und andere Verbände. Es gab eine große Einigkeit bei allen Verbänden, dass wir keine Total-Revision wollen, sondern eine fokussierte Verbesserung der bestehenden Regelungen. Unsere Analysen und Einschätzungen finden sich bisher allerdings kaum in den Vorschlägen der Kommission wieder. Sie begründet ihren Vorschlag vor allem mit den Ergebnissen einer Online-Umfrage aus dem Frühjahr 2013, an der mehr als 40.000 EU-Bürger teilgenommen haben. Dabei hat sich gezeigt, dass die Verbraucher in der EU Biolebensmitteln auch unter der jetzigen Verordnung hohes Vertrauen entgegenbringen.


top agrar: Wie hat Agrarkommissar Dacian Ciolos auf Ihre Kritik reagiert?


Plagge:Es hat mehrere Gespräche gegeben. Kommissar Ciolos kennt unsere Kritik.


top agrar: Hat er sich bewegt?


Plagge:Nein. Bislang nicht.


top agrar: Ihre Bedenken bestehen also weiter fort?


Plagge:Ja.


top agrar: Werden Sie von Bund und Ländern in Ihrer Kritik unterstützt?


Plagge:Ja.


top agrar: Wie geht es jetzt weiter?


Plagge: Noch liegt ja kein offizieller Entwurf vor. Die Kommission ist hier am Zug. Wenn es nach Plan läuft, wird der Entwurf Ende März veröffentlicht, dann beginnen die Verhandlungen mit dem Agrarrat und dem EU-Parlament im Rahmen des Trilogs. Wir wollen Fortschritte im Rechtsrahmen für Ökobetriebe in der EU. Wir werden hier kein Bremser sein! Aber wir müssen dabei die Betriebe und Unternehmen in ganz Europa mitnehmen. Das müssen wir den Mitgliedsstaaten, der Kommission und dem EU-Parlament deutlich machen. Fast alle EU-Mitgliedstaaten wollen den Ökolandbau aufgrund seiner vielen Vorteile ausbauen. Dafür braucht es einen guten Rahmen.


Interview: Dr. Ludger Schulze Pals

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