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Prüfer dokumentieren massenhaft Mängel an Biogasanlagen

„Wie der Bericht aus einem Entwicklungsland“ liest sich laut den Stuttgarter Nachrichten die Zusammenfassung der Prüfberichte der Gewerbeaufsicht Baden-Württemberg, die in den letzten Jahren über 85 % der Biogasanlagen im Land kontrolliert hat.

Lesezeit: 6 Minuten

„Wie der Bericht aus einem Entwicklungsland“ liest sich laut den Stuttgarter Nachrichten die Zusammenfassung der Prüfberichte der Gewerbeaufsicht Baden-Württemberg, die in den letzten Jahren über 85 % der Biogasanlagen im Land kontrolliert hat.


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Insgesamt wurden an jeder zweiten Anlage Mängel festgestellt, das entspricht 42 % der 721 geprüften Anlagen, heißt es im Bericht des Agrarministeriums BW vom 5. August 2015. Abgefragt wurde die Einhaltung sicherheits- und genehmigungsrelevanter Vorschriften aus den Bereichen Immissionsschutz, Kreislaufwirtschaftsrecht, Explosionsschutz, Gewässerschutz, Baurecht, Gefahrstoffverordnung und Produktsicherheitsrecht. Die Überprüfungen zeigten, dass es sowohl bei der Errichtung als auch im Betrieb von Biogasanlagen Mängel gibt.


Besonders häufig wurden von den Prüfern ungenehmigte bauliche oder leistungserhöhende Änderungen an den Anlagen und überfüllte, undichte oder fehlende Fahrsilos bemängelt. Mängel an den Fahrsilos können dazu führen, dass wassergefährdender Silagesickersaft austritt.


Hinsichtlich der Einhaltung wasserrechtlicher Anforderungen stellten die Prüfer der Gewerbeaufsicht bei jeder vierten überprüften Anlage offensichtliche Mängel fest. Zwei Drittel davon betrafen die Fahrsilos. Außerdem traten häufig Mängel bei der Entwässerung der Lager- und Betriebsflächen oder bei den Leckage-Erkennungseinrichtungen auf.


Beanstandungen gab es auch bei der Betriebssicherheit der Anlagen. So hatte fast jeder fünfte Betreiber versäumt, seine Anlage auf Explosionssicherheit prüfen zu lassen, wie es die Betriebssicherheitsverordnung vorschreibt. Bei rund jeder siebten geprüften Anlage gab es zudem sicherheitsrelevante Schwachstellen, wie zum Beispiel die fehlende Dichtheitsprüfung von Rohrleitungen oder eine nicht funktionierende Gaswarnanlage.


Unfälle sind Folge „handgestrickter Anlagen und schlechter Wartung“


Laut den Stuttgarter Nachrichten ist ein Großteil der rund 900 Biogasanlagen im Südwesten in einem erbärmlichen Zustand. Unfälle seien die Folge: Im Jahr 2009 explodierte in Meiring bei Augsburg nach Schweißarbeiten ein Biogasmeiler. Die Detonation war so gewaltig, dass sie den Metalldeckel des Kraftwerks dutzende Meter durch die Luft schleuderte, bevor er in ein nahegelegenes Gewerbegebäude krachte und dieses schwer beschädigte.


Im baden-württembergischen Daugendorf ging 2007 eine Anlage in einem Feuerball auf. Trümmer verteilten sich im Radius von über hundert Metern, danach legte sich ein stinkender Gülleregen übers Land. Zum bislang folgenschwersten Unfall kam es 2005 im niedersächsischen Rhadereistedt. Nach dem Entladen eines Tankfahrzeugs mit tierischen Abfällen tötete eine giftige Schwefelwasserstoffwolke vier Menschen.


Beim bundesweit bislang größten Vorfall wurden Anfang 2010 im ostdeutschen Saalekreis gut 14 Millionen Liter Gülle freigesetzt. Mit Sandsäcker und Barrieren kämpften fast 50 Feuerwehrleute tagelang, um das Überschwappen der Gülleflut in einen nahegelegenen Fluss zu verhindern. Das gelang zwar mit Mühe und Not, dafür verwandelten sich die umliegenden Felder in ein miefendes Emsemble brackiger Gülleseen.

 

Derartige Großschadensfälle sind zwar die Ausnahme, aber an den oft handgestrickten Anlagen sickert, trieft oder funkt es meist irgendwo, schreiben die Stuttgarter Nachrichten weiter. „Die Probleme bei Biogasanlagen sind erheblich“, sagt Roland Fendler, der beim Dessauer Umweltbundesamt (UBA) für die Anlagensicherheit der Gülle-Brüter zuständig ist.


Biogasboom förderte Fusch und Eigenbaulösungen


Fast schon an der Tagesordnung ist nach Angaben des Experten, dass Gülle oder vergärende Pflanzenreste auslaufen. Gelange die aggressive Soße ins Grundwasser oder Bäche, herrsche für die Ökosysteme in der Umgebung Alarmstufe rot. Bundesweit seien seit Beginn des Biogasbooms schon viele Gewässer durch Biogasanlagen zerstört worden, sagt Fendler.


Der Fachmann begründet die schlechte Verarbeitung mit der Goldgräberstimmung  damals. Weil viel mehr Anlagen nachgefragt wurden, als die wenigen erfahrenen Hersteller liefern konnten, hätten die Firmen  an allen Ecken und Enden improvisiert. Neue, mit der komplexen Technologie unvertraute Anlagenbauer hätten schlüsselfertige Rund-Um-Sorglos-Pakete mit Rendite-Garantie versprochen. Diese seien dabei oft viel zu groß und störanfällig geraten.


Die Landwirte wiederum hätten anfangs geglaubt, die sensiblen Anlagen ohne großen Aufwand führen zu können. Manche hätten sich auch eigene Anlagen gebaut. „Es wurden Anlagen gebaut, die auf Dauer nicht funktionieren“, sagt auch Umwelttechnikerin Sarah Gehrig. Beide Fachleute sehen eine selten gekannte Laxheit Seitens mancher Anlagenbetreiber. Kaputte Verschleißteile würden schon mal in der heimischen Werkstatt selbst nachgebaut, statt explosionsgeschützter Teile, würden solche von der Stange verwendet. „Das ist billiger“, sagt Fendler.


Gehring rauft sich beim Blick auf die Biogasbranche die Haare: Nicht vorhandene Wartungspläne, fehlende Betriebstagebücher, ungesicherte Hähne an den explosives Methangas-produzierenden Gärmeilern. „Kein Wunder, dass phasenweise jede Woche etwas passiert“, sagt Gehrig. Mittlerweile lehnten es einige Versicherungen sogar ab, Policen für Biogasanlagen auszustellen. Andere hätten ihre Prämien saftig erhöht.


Dazu kommt: Behörden nahmen es bei der Kontrolle der explosiven Kraftwerke jahrelang nicht so genau. Gehrig spricht von einem „Kontrolldefizit“, das teils noch fortbestehe. Gerade das Umweltrecht habe sich in der jüngeren Vergangenheit weg von der Kontrolle und hin zu Betreiberverantwortung entwickelt, sagt sie. Mit der Kontrolle aller Anlagen sei die unter Sparzwang stehende öffentliche Verwaltung schlicht überfordert. Langsam würden die Behörden aber aufwachen, so die Zeitung abschließend.


Regierungspräsidium gibt Entwarnung bei Biogasanlagen


Die Biogasanlagen in der Region sind sicher, stellte dagegen das Regierungspräsidium Tübingen am Dienstag klar. Es gebe zwar immer noch Mängel bei vielen Anlagen, diese seien aber oft nur geringfügig. Beispielsweise gebe es Nachlässigkeiten bei der vorgeschriebenen Dokumentation oder kleinere Lecks. Eine Gefährdung bestehe beim Großteil der Fälle nicht, sagte der Pressesprecher des Regierungspräsidiums Tübingen, Daniel Hahn, dem SWR. Die Betriebe werden regelmäßig kontrolliert und, wenn ein Mangel vorliegt, später nachgeprüft.


"Es ist ein unerfreuliches Mängelbild, aber nicht außergewöhnlich besorgniserregend", kommentiert Hahn das Ergebnis. "Es wurden in keinem Fall so schwerwiegende Mängel festgestellt, dass eine Stilllegung gerechtfertigt gewesen sei." Der letzte große Schadensfall ereignete sich im Jahr 2007 bei einer Biogasanlage in Daugendorf, deren Fermenter beim Befüllen geborsten ist.


Die häufigsten festgestellten Mängel:

  • Bauliche oder leistungserhöhende Maßnahmen wurden ohne die erforderliche Zulassung durchgeführt.
  • Bei jeder vierten Anlage wurden Mängel hinsichtlich der Einhaltung wasserrechtlicher Anforderungen festgestellt.
  • Zwei Drittel der Mängel wurden an den Substratlagern festgestellt (überfüllte, undichte oder fehlende Fahrsilos).
  • Häufig traten Mängel bei der Entwässerung der Lager- und Betriebsflächen oder bei den Leckage-Erkennungseinrichtungen auf.
  • Bei etwa 11 % der überprüften Anlagen wurden vor Ort grobe Bauschäden oder andere bauliche Mängel festgestellt.
  • Festgestellte Mängel im Explosionsschutz waren bei knapp 7 % der überprüften Anlagen zum Zeitpunkt der Besichtigung noch nicht behoben.
  • Bei 6,5 %  konnte der Betreiber keine Betriebsanleitung in deutscher Sprache vorlegen.




 

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