"9 von 10 Puten in nordrhein-westfälischen Massentierhaltungen sind mit Antibiotika vollgepumpt, darunter oftmals nicht erlaubte Reserveantibiotika." So lautete heute Nachmittag die Meldung in den Nachrichten der NRW-Lokalradios.
Hintergrund ist ein neuer Fachbericht der Landesregierung, den Agrarminister Johannes Remmel am Dienstag vorgestellt hat. „Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Intensivtierhaltung ist weiterhin Alltag, obwohl wir in den letzten Jahren eine große Debatte über den zu hohen Einsatz von Medikamenten hatten. Wir können hier längst nicht mehr von Ausnahmen sprechen. Dieses Ausmaß ist nicht zu akzeptieren“, sagte Remmel medienwirksam.
Sein mittlerweile dritter Fachbericht zeige erneut einen alarmierenden Antibiotika-Einsatz in den Ställen. Hier müsse sich dringend etwas ändern und die Branchenverbände wären gut beraten, schnell und umfassend schon jetzt zu handeln.
„Der routinemäßige Einsatz von Antibiotika in der Tiermast ist gängige Praxis“, erklärte Dr. Thomas Delschen, der Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV), das im Auftrag des Verbrauchschutzministeriums auch diesen Fachbericht erstellte.
Antibiotikaeinsatz bei 92,8 Prozent der Durchgänge
Im Rahmen der Erhebung haben 20 Kreisordnungsbehörden für 516 Durchgänge in Aufzucht- und Mastbetrieben auswertbare Daten erhoben. Von diesen 516 Durchgängen wurden 479 (92,8 Prozent) antibiotisch behandelt, im Durchschnitt auch mehrmals. Einzelne Durchgänge erhielten in einem Mastdurchgang sogar bis zu 21 Behandlungen mit Antibiotika, so das Ministerium. Dabei kamen laut Bericht bis zu zehn verschiedene Wirkstoffe pro Durchgang zum Einsatz. Darunter seien auch Präparate, die nicht für die Behandlung von Puten zugelassen waren. Das LANUV prüfe derzeit im Hinblick auf einzelne Ergebnisse in einigen Fällen die Einleitung weiterer rechtlicher Schritte
Die Ergebnisse zeigten, dass ähnlich wie bei der Masthähnchen-Studie aus dem Jahre 2011 antibiotische Behandlungen die Regel und nicht mehr die Ausnahmen sind. „In deutschen Ställen werden mehr als elf Millionen Puten gehalten. Viele von ihnen leiden an Krankheiten, die offenbar mit gewaltigen Mengen von Antibiotika behandelt werden. In vielen Fällen ist das das Ergebnis aus Überzüchtung und unzureichenden Haltungsbedingungen. Das ist ein Systemfehler, doch die Bundesregierung scheint auf diesem Auge blind zu sein“, sagte Minister Remmel.
Die wichtigsten Ergebnisse der Putenstudie
- Von den betrachteten 516 Durchgängen wurden 479 (92,8 Prozent) antibiotisch behandelt
- In etwa 86 Prozent der Durchgänge, kam als Mastrasse Big 6 /BUT 6 zum Einsatz. Die Therapiedichte bei der am häufigsten eingesetzte Mastrasse Big 6/BUT 6 war im Vergleich mit den Rassen Converter und Big 9 durchschnittlich um 21 Prozent höher.
- Es wurden insgesamt 22 verschiedene Wirkstoffe eingesetzt: mit Abstand am häufigsten der Wirkstoff Benzylpenicillin, gefolgt von den Wirkstoffen Colistin, Amoxicillin und Enrofloxacin. Unter den vier am häufigsten eingesetzten Wirkstoffen befanden sich mit Colistin und Enrofloxacin zwei Wirkstoffe aus Substanzklassen, die erhebliche Bedeutung für den Menschen haben und als sogenannte „Reserveantibiotika“ bezeichnet werden. Sie sollten eigentlich der Humanmedizin vorbehalten sein.
- Bei etwa einem Drittel der Wirkstoffeinsätze (961 von 2.764) wurde ein nicht in Deutschland für Puten zugelassenes Präparat verwendet. Das ist nach dem Arzneimittelgesetz nur in Einzelfällen bei einem Therapienotstand zulässig.
- In 79 dieser 961 Fälle wurde ein nicht für Puten zugelassenes Präparat verabreicht, obwohl zum Zeitpunkt der Abgabe ein zugelassenes Präparat mit demselben Wirkstoff zur Verfügung steht. Ob hier strafbare Handlungen vorliegen, wird aktuell geprüft.
Die NRW-Landesregierung wird nun eine Bundesratsinitiative einbringen, in der sie die Bundesregierung auffordert, die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung mit rechtsverbindlichen Regelungen zur Putenhaltung zu ergänzen.