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Seltsame Siedler

Liebe Leser, ergänzend zu unserem Bericht „Seltsame Siedler“ im Juni-Heft (S. 120 ff.) finden Sie hier weiterführende Informationen zum Themenkomplex „Völkische Siedler/Gruppen/Netzwerke“ sowie ein Interview mit Anna Schmidt, Amadeo Antonio Stiftung, Berlin.

Lesezeit: 6 Minuten

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ergänzend zu unserem Bericht „Seltsame Siedler“ im Juni-Heft (S. 120 ff.) finden Sie hier weiterführende Informationen zum Themenkomplex „Völkische Siedler/Gruppen/Netzwerke“ sowie ein Interview mit Anna Schmidt, Amadeo Antonio Stiftung, Berlin.

 

Hintergrundinformationen zum Thema liefern die folgenden Webseiten und Broschüren:

 

VölkischeEnklaven nach NS-Vorbild, Elisabeth Siebert, Interview auf der Homepage derbpb, Bundeszentrale für politische Bildung



BrauneÖkologen, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin



VölkischeSiedler im ländlichen Raum, Amadeo Antonio Stiftung, Berlin



Presseschau„Völkische Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“, Regionalzentrum fürdemokratische Kultur, Evangelische Akademie der Nordkirche

 

Naturschutzund Rechtsradikalismus, Regionalzentrum für demokratische Kultur, EvangelischeAkademie der Nordkirche

 

Beratung und Begleitung



mit Anna Schmidt, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, Amadeo Antonio Stiftung, Berlin:

 

Frau Schmidt, Sie haben sich eingehend mit dem Phänomen „Völkische Siedler im ländlichen Raum“ beschäftigt. Wie viele Siedler leben in Deutschland? Wo leben sie?

Schmidt:Konkrete, statistisch belastbare Zahlen kann ich nicht nennen. Die Forschung ist noch nicht weit genug vorangeschritten. Meine Recherche in den Jahren 2014/15 hat aber gezeigt, dass vermutlich etwa 1000 Menschen mit völkischer Gesinnung in Deutschland leben. Folgende Bundesländer sind zu nennen: Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Bayern.

 

Wie erkenne ich „Völkische Siedler“ im Alltag?

Schmidt:Es ist schwer, sich allein auf Äußerlichkeiten zu beziehen. Erkennbar im Alltag ist, dass sich die Siedler auf traditionelle Geschlechterrollen beziehen und meist traditionell-zünftig kleiden. Meist tragen die Frauen lange Röcke, ihre Haare sind zu Zöpfen geflochten. Die Männer treten in Zimmermannshosen, Hemd und Weste auf. Sie pflegen das nordisch-germanische Brauchtum.


Runen, also die Schriftzeichen der germanischen Mythologie, sind oftmals als Schmuck oder Symbol an den Häusern bzw. in den Gärten auszumachen. Runen werden auch als Schmuck getragen.


Am eindeutigsten aber sind Äußerungen im Alltag – denn sie machen stutzig. Völkische Siedler verwenden häufig den Begriff der „deutschen Volksgemeinschaft“ – sie sehen diese in ihrer Existenz „bedroht“.

Sie werten Flüchtlinge ab, auch Homosexuelle und Menschen mit Handicaps. Sie sprechen sich gegen jegliche moderne Kultur und Technik aus. Diese Haltung ist mit einer vehementen Amerika-Kritik verbunden. Völkische Siedler vermeiden es zudem, Englisch zu sprechen. Das T-Shirt heißt für sie „T-Hemd“, die Pizza „Gemüsetorte“. Das Internet ist das „Weltnetz“, die E-Mail „Elektro-Post“.


Die sprachliche Ebene zeigt die undemokratische, rassistische und antisemitische Haltung am eindeutigsten.

 

Warum suchen Völkische Siedler den Rückzug im ländlichen Raum?

Schmidt:Für die Siedler ist dies kein Rückzug, es ist ein gezieltes Vorgehen.

In großen Städten wären sie mit sehr vielfältigen und modernen Lebensformen konfrontiert – doch diese lehnen sie strikt ab. Sie akzeptieren moderne, sehr individuelle Lebensentwürfe nicht.


Zudem möchten sie sich durch Gartenbau und eine kleine Viehzucht selbst versorgen. Diese Möglichkeit bietet nur das Land.


Außerdem liegen die Immobilienpreise für Häuser und Gehöfte in den dünn besiedelten Regionen, vor allem in Ostdeutschland, vergleichsweise niedrig.

Nicht zuletzt, so könnte man vermuten, lebt es sich auf dem Land ungestörter. Im Dorf und in der Einöde ist mit weniger Konfrontation zu rechnen. Unter Umständen rangiert die Sympathie der Dorfbevölkerung gegenüber einer traditionellen, altertümlich anmutenden Lebensführung sogar recht hoch.

 

Knüpfen die Siedler vor Ort Kontakte, sind offen und kontaktfreudig?

Schmidt:Das Privatleben ist privat, die völkischen Siedler bleiben gern „unter sich“. Engagiert treten sie aber dennoch in der Dorfgemeinschaft (Gemeindebeirat, Elternvertretung, Sport- oder Musikverein...) auf. Hier sind sie meist sehr kontaktfreudig, halten ihre politische Einstellung zunächst aber zurück. Eine Siedler-Familie umfasst meist 4 bis 6 Kinder, die Mütter sind im Sozialen sehr eingebunden. Die Siedler packen an und setzen sich ein, man schätzt sie als freundliche Nachbarn.


Sie streben an, sich auf der sozialen Ebene zu etablieren. So können sie langfristig mitbestimmen und Entscheidungen mitgestalten. Genau diese Taktik halte ich für äußerst problematisch. Wenn plötzlich undemokratische Forderungen („nur noch deutsche Kinder“) oder extreme Äußerungen zur Flüchtlingspolitik fallen, fehlt oft die Gegenstimme.

 

Welches Ziel verfolgen völkische Siedler? Was ist daran bedenklich?

Schmidt:Ihr Ziel ist es, sich vor Ort zu etablieren und weitere Gleichgesinnte nachzuziehen. Lässt man sie gewähren, kann es früher oder später passieren, dass sie die Geschicke der Dorfgemeinschaft nach ihren (undemokratischen!) Überzeugungen lenken.


Die rassistische Einstellung wird immer wieder zum Ausdruck kommen, denn alle Menschen, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen, werden sie ausgrenzen, verdrängen oder bedrohen wollen.

 

Ist die Einstellung von völkischen Siedlern eindeutig rechtsextrem?

Schmidt:Ja. Völkische Siedler propagieren die „deutsche Volksgemeinschaft“. Am besten ist für sie ein Mensch mit einem möglichst langen, deutschen Stammbaum. Diese Haltung ist zutiefst undemokratisch und menschenfeindlich.


Ihre Ideologie ist ferner mit dem „Territorium“ des „deutschen Volkes“ (deutscher Boden, deutsches Volk) verknüpft. Diese Blut-und-Boden-Ideologie verschafft dem „Bauerntum“ einen besonders hohen Stellenwert.

Völkische Siedler fürchten eine Überfremdung der Gemeinschaft, die in letzter Konsequenz das „Aussterben des deutschen Volkes“, den sogenannten „Volkstod“, herbeiführen würde.


Wer dem „deutschen Volk“ angehört, wird als überlegen angesehen. Wer ihm nicht angehört, wird rassistisch abwertet.

 

Warum spielen Landwirtschaft und Naturschutz/Umweltschutz eine wichtige Rolle?

Schmidt:Das hat zwei Gründe: Einerseits treten die Siedler als Selbstversorger auf. Sie bewirtschaften große Gärten bzw. Felder. Sie halten einige Nutztiere. Der Boden ist essentiell für sie, denn der „gesunde Boden“ ist Grundlage für ein „gesundes, deutsches Volk“.


Die Siedler haben zudem eine bestimmte Idee von „Natürlichkeit“. Sie dient stets dazu, das Volk zu ernähren und zu sichern. Der Naturschutz-Gedanke ist ein Steckenpferd. Es geht dabei nicht um die Wahrung der Schöpfung, sondern allein darum, die Existenz des deutschen Volkes sicherzustellen. Alles ist auf „das Deutsche“ konzentriert.

 

Sind völkische Siedler Landwirte im Haupterwerb?

Schmidt:Nein, sie sind überwiegend im handwerklichen Bereich z.B. als Tischler, Steinhauer oder Sattler tätig. Frauen üben vergleichsweise oft den Beruf der Hebamme aus. Der Gemüse- und Obstanbau der Siedler ist daher eher als Selbstversorgung anzusehen.

Häufig kommen die Siedler eher unerfahren aufs Land, bringen Qualifikationen aus ganz anderen Bereichen (Wirtschaft, Marketing, Finanzwesen) mit und müssen den Garten-/Ackerbau erst einmal lernen.

 

Woher kommen Geld und Kapital, um große Häuser und Gehöfte zu kaufen?

Schmidt:Es handelt sich bei den völkischen Gruppen um große Familienverbände. Diese unterstützen sich gegenseitig.


Zudem scheint es in der Gesellschaft zahlreiche Gönner für rechtsextreme Gruppierungen zu geben. Sie ermöglichen z.B. jungen Paaren den Start in die eigene Existenz.


Außerdem versucht man, die (Immobilien-)Kosten möglichst gering zu halten. Viele Handwerker-Aufgaben können Völkische Siedler aufgrund ihrer Fertigkeiten selbst erledigen.

In Zeitungen des rechtsextremen Spektrums kam es auch schon vor, dass man dazu aufrief, aufs Land zu ziehen und EU-Gelder aus Förderprogrammen für den ländlichen Raum anzufordern.

 

Das Interview führte Reingard Bröcker.

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