Der dramatische Preisverfall bei Milch zwingt Molkereien, neue Vermarktungswege zu suchen. Neue Produkte wie Heu- und Weidemilch versprechen hier laut Experten großes Potenzial.
So etwa Agrarökonom Achim Spiller. Gegenüber der Lausitzer Rundschau verweist er auf Studien, wonach die Weidehaltung von Kühen bei Verbrauchern hoch im Kurs steht, und sie bereit sind, etwa 18 Cent mehr für solche Milch im Laden zu zahlen. „Das ist ein guter Weg, um neue Produkte zwischen konventioneller Milch und Bio-Milch zu etablieren“, konstatiert der Professor von der Universität Göttingen. Die Mehrkosten für die Bauern schätzt Spiller auf einen halben bis drei Cent je Liter Milch im Vergleich zu reiner Stallhaltung, wie sie immer öfter anzutreffen ist.
In anderen Ländern sind solche Milchprodukte längst etabliert, etwa in Dänemark, Holland oder Österreich. In Deutschland seien sie bisher eine Nische, heißt es beim Milchindustrie-Verband. Zahlen zum aktuellen Marktanteil für Heu- oder Weidemilch gebe es daher nicht.
Für Ralf Hinrichs, Vorstand der Genossenschaftsmolkerei Ammerland, liegt das auch daran, dass etwa der Begriff „Weidemilch“ nicht klar definiert war. Das ist auch bei Verbraucherschützern wiederholt auf Kritik gestoßen. Ammerland in der Nähe von Oldenburg habe im vergangenen Jahr rund 700 Millionen Kilogramm Weidemilch verarbeitet, aber nur etwa ein Zehntel davon entsprechend vermarkten können - hauptsächlich in Holland. Große Erwartungen setzt er daher in ein neues Label für Weidemilch-Produkte aus dem Projekt „Weideland Norddeutschland“. Ziel sei, die Weidewirtschaft zum Wohl der Tiere zu erhalten und für Bauern 5 Cent mehr je Kilogramm Milch einzunehmen.
Nach Ansicht von Wissenschaftler Spiller wird entscheidend sein, neben Trinkmilch auch andere Produkte wie Butter oder Käse aus solcher „Premium“-Milch herzustellen und mit Mehrerlös zu vertreiben.
Praxisbeispiel 1: Herzgut Landmolkerei
Sich von der Standard-Massenmilch abzusetzen, daran arbeitet auch die Herzgut Landmolkerei im thüringischen Rudolstadt seit Jahren. Sie setzt auf eine spezielle Fütterung der Kühe, wodurch die Milch mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten soll. Die Bauern bekommen dafür einen Aufpreis von 3 bis 4 Cent je Kilogramm Milch, wie Vorstand Rita Weimann der Lausitzer Rundschau erzählt. Die Milch wird zu Butter und Joghurt verarbeitet.
Bis Jahresende wollen die Rudolstädter komplett auf Milch ohne Gentechnik im Futter umstellen. Laut Weimann entstehen für die Lieferanten keine Mehrkosten, weil sie schon auf Soja im Futter verzichten. Bisher fehlte aber das Zertifikat. Für nachgewiesen gentechnikfreie Milch könne im Handel ein höherer Preis erzielt und den Bauern ein Zuschlag gezahlt werden, sagt sie. Auch mit Weidemilch liebäugelt Weimann. Dazu stehe sie in Kontakt mit einem Lieferanten.
Praxisbeispiel 2: Kohrener Landmolkerei
Sechs Milchbauern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt haben ihre eigene Molkerei gegründet. Neben herkömmlicher Milch werden dort auch Heu- und Weidemilch produziert, die im Handel derzeit etwa doppelt so viel kosten wie Standardmilch.
Die Kohrener Landmolkerei im sächsischen Penig verarbeitet 40 Mio. Liter Milch im Jahr. Der Anteil höherpreisiger Heu- und Weidemilch mache aber erst etwa 35 % aus; Tendenz steigend. Für normale Milch zahlt sie den gleichen Preis wie Müller Milch. Zuletzt seien das 23 Cent je Liter gewesen. Für die Anlieferung von Heumilch, bei der auf Silage und Gentechnik im Futter verzichtet wird, gibt es einen Zuschlag von 5 Cent, für Weidemilch eineinhalb Cent mehr.