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„Für höhere Milchpreise ist Differenzierung nötig“

Lesezeit: 10 Minuten

Milch mit höheren Produktionsauflagen, pflanzliche Produkte als Käsealternative und ein kritischer Blick auf Exporte: Der Allgäuer Käsehersteller Hochland macht vieles anders – und ist erfolgreich.


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Herr Stahl, Hochland erzielt die besten Gewinnmargen aller Molkereien in Deutschland (vgl. top agrar 7/2019, Seite R7). Was ist Ihr Erfolgsrezept?


Stahl: Die Studie der Universität Göttingen berücksichtigt nicht alle Unternehmen. Hochland möchte Menschen begeistern – mit Produkten, Marken und Innovationen. Alles Weitere, wie die guten Ergebnisse oder Auszahlungspreise, sind die logische Konsequenz (Übers. 1). Aber auch auf uns können schwierige Jahre zukommen.


Sie sind Vorreiter bei der nachhaltigen Milchproduktion. Wie wichtig ist das?


Stahl: Sehr wichtig. Wir haben uns schon 1996 nach der Öko-Audit-Verordnung zertifizieren lassen, was der ökologischen Säule der Nachhaltigkeit entspricht. Und wir haben schon in den 1970er-Jahren eine Gewinnbeteiligung für Mitarbeiter eingeführt, was unser soziales Engagement untermauert. Wir spüren, dass Nachhaltigkeitsthemen an Resonanz in der Bevölkerung gewinnen. Natürlich ist das weltweit betrachtet von Land zu Land unterschiedlich und es gibt auch z.B. innerhalb Deutschlands ein unterschiedliches Bewusstsein dafür. Aber unterm Strich wächst die Anzahl an Menschen, für die eine nachhaltige Wirtschaftsweise wichtig ist.


Seit Anfang des Jahres verzichten Ihre Lieferanten auf den Einsatz von Totalherbiziden sowie auf das Ausbringen von Gärresten, weil darin Mikro-plastik stecken könnte. Warum?


Stahl: Die Verbraucher und unsere Mitarbeiter wollen das nicht. Nach der Entscheidung haben wir viel Zuspruch bekommen, z.B. von unserer Belegschaft. Mich persönlich haben alte Schulkameraden angesprochen, von denen ich vorher 20 Jahre lang nichts mehr gehört hatte. Der Vorschlag zum Verzicht auf Gärsubstrat kam übrigens von den Milchlieferanten.


Gilt das auch für Zukauffutter?


Stahl: Nein, nur für Futter von den eigenen Flächen.


Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie in der Grünlandregion relativ einfach diese Maßnahmen umsetzen können, Hochland sich damit profiliert, aber den Standard für die gesamte Branche nach oben treibt. Wie reagieren Sie?


Stahl: Auf das Ausbringen von Gärsubstraten, die Plastik enthalten könnten, können Sie überall in Deutschland verzichten. Es mag sein, dass sich das Verbot von Totalherbiziden in unserer Region einfacher umsetzen lässt als z.B. in einer Ackerbauregion. Aber es braucht immer Pioniere, um etwas zu verbessern. Und wir möchten hier bei den Ersten mit dabei sein, sogenannter First Mover. Wir sind überzeugt, dass wir Differenzierung benötigen, um höhere Milchpreise zu erreichen.


Bei diesen Sätzen schießt den meisten Landwirten die GVO-freie Milchproduktion in den Kopf: Zuerst ein Differenzierungskriterium, jetzt nahezu Standard, zum Teil ohne Vergütung.


Stahl: Das ist doch eine normale Entwicklung, wie in jeder Branche: Es gibt eine Innovation, die der Markt zunächst mit einem Aufschlag honoriert. Dann sinken die Kosten der Innovation und irgendwann ist sie Standard. Vergleichen Sie das mit Airbags im Auto: Anfangs waren sie eine Sonderausstattung mit Zusatzkosten, heute zahlt niemand einen Aufpreis dafür.


Die ganzjährige Anbindehaltung sehen Sie ebenfalls kritisch – obwohl auch rund 10% Ihrer Landwirte noch so melken. Wie wollen Sie das lösen?


Stahl: Da sind wir Überzeugungstäter: Wenn Kühe 365 Tage im Jahr angebunden sind, ist das nicht tiergerecht und dem Verbraucher nicht zu erklären – er will das nicht. Wir haben den Standortnachteil, dass wir noch viele ganzjährige Anbindestallbetriebe haben. Allerdings haben diese meist nicht so viele Tiere und können deshalb mit vertretbarem Aufwand einen Auslauf und Weidegang ermöglichen. Dabei unterstützen wir sie. Diese sogenannte Kombinationslösung halten wir für einen tragbaren Kompromiss.


Reicht das? Schließlich treiben einzelne Molkereien sowie Lebensmittelhändler die „Anbindestall-freie Milch“ voran?


Stahl: Die Kombinationslösung ist ein sinnvoller Zwischenschritt. Die Anbindehaltung wird allerdings ganz verschwinden – vermutlich schneller, als Bauernverband und Politik lieb ist.


Ganz neu haben Sie auch Tierwohl-Milch nach den Kriterien des Deutschen Tierschutzbundes. Warum?


Stahl: Nach der Insolvenz des Milchhändlers B.M.G. im März 2018 wollten Landwirte aus Baden-Württemberg ihre Milch zu uns liefern. Das machte für uns aber nur Sinn, wenn wir uns mit der Milch differenzieren können. Deshalb haben wir gemeinsam mit den Milcherzeugern entschieden, die Milch nach den Kriterien des Tierschutzbundes zertifizieren zu lassen.


Die Tierwohl-Milch fließt unter anderem in Produkte der Marke Liebkost. Was steckt da genau hinter?


Stahl: Liebkost ist ein Start up-Unternehmen mit rund zehn Personen in Berlin. Mit der Marke wollen wir Impulsgeber sein für Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft. Die Produkte unterscheiden sich in der Verpackung, in der Transparenz bei Produktion und Verarbeitung bis hin zum Verkauf. In diesem Pilotprojekt lernen wir, was die Verbraucher von nachhaltigen Produkten erwarten, was machbar ist und auch, was sie bereit sind, zu zahlen. Klar ist: Wir brauchen höhere Verkaufspreise, um die höheren Kosten aller Beteiligten der Wertschöpfungskette zu decken. Die ersten Liebkost-Produkte gibt es seit Mitte Mai in Berlin.


Neben Tierwohl beherrscht das Thema Klimaschutz sämtliche Debatten. Welche Antworten hat Hochland darauf?


Stahl: Wir arbeiten mit dem Zentrum für nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) zusammen und haben zu Beginn den CO2-Fußabdruck unserer drei Käsewerke in Deutschland und Frankreich ermittelt. Aktuell nehmen wir mit Hochland Deutschland am Programm „ZNU goes Zero“ teil und wollen bis 2020 den CO2-Fußabdruck unserer drei Werke auf null senken. Neben der Reduktion, beispielsweise durch die Umstellung auf regenerative Energien, kooperieren wir mit der Organisation Plant-for-the-Planet, die unter anderem Aufforstungen unterstützt.


Sie halten es für denkbar, dass die Diskussionen um den Klimaschutz die Fleisch- und Milchproduktion in Deutschland reduziert. Warum?


Stahl: Die Weltbevölkerung wächst Richtung 10 Mrd. Menschen, die Essgewohnheiten in vielen Teilen der Erde passen sich dem Westen an. Klar ist: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch und Fleisch kann weltweit nicht auf das Niveau der EU oder USA steigen, weil dafür schlichtweg die Fläche fehlt und der Ressourcenverbrauch zu hoch ist. Deutschland hat in vielen Regionen eine sehr intensive Nutztierhaltung. Zum Teil stößt diese an Grenzen, wie die Nährstoffüberschüsse zeigen. Die Kosten, diese Probleme in den Griff zu bekommen, trägt die Allgemeinheit. Das könnte sich ändern. Die Wirtschaft müsste diese externen Kosten mit einrechnen. Im Fachjargon heißt das Internalisierung externer Kosten. Wir plädieren in Deutschland dafür, nur noch so viel Milch zu produzieren, wie die Fläche erlaubt. Das würde in einigen Regionen eine weniger intensive Wirtschaftsweise bedeuten.


Welche Konsequenzen hätte das für die deutsche Milchbranche?


Stahl: Es wird weiter zwei Verbrauchertypen geben: Die einen sind bereit, für Mehrleistungen auch mehr zu bezahlen. Und die anderen schauen nur auf den Preis, weil ihnen Tierwohl, Umweltschutz usw. nicht so wichtig sind oder weil sie sich das nicht leisten können. Vereinfacht ausgedrückt wird es auch zwei Molkereitypen geben: Die einen gehen mit Innovationen auf die Verbraucherwünsche ein. Sie sind mit kleinen Mengen und kurzen Produktlebenszyklen unterwegs, können aber die Wertschöpfung erhöhen. Die anderen setzen auf Massenprodukte und Kosteneffizienz. Für sie steht die Produktivität im Fokus. Die Hochland-Strategie ist: Wir investieren, um auch kleinvolumige Innovationen mit höherer Wertschöpfung zu produzieren.


Ist Hochland deshalb in die Produktion von veganen Produkten als pflanzliche Käse-Alternative eingestiegen?


Stahl: Es gibt einen Trend zu pflanzlichen Produkten. Einige Verbraucher möchten sich ganz oder teilweise vegan ernähren – aber nicht auf Käse verzichten. Wir steigen dann in neue Bereiche ein, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss sich eine Nachfrage entwickeln, und wir können ein Angebot schaffen, das auf unseren Stärken basiert. Das ist beim Thema vegane Ernährung der Fall. Wir bieten Produkte, die wirklich schmecken – das kommt beim Verbraucher an.


Was machen Sie genau?


Stahl: Wir haben das Tochterunternehmen E.V.A. gegründet, das vegane Produkte unter der Marke Simply V produziert und vermarktet. Die Produkte stellen wir mit Mandeln und Kokosfett her, ohne Soja und Palmöl. Es gibt vegane Alternativen zu Frischkäse, Schnittkäse, Reibekäse und Parmesan.


Der Wursthersteller Rügenwalder Mühle will künftig 40% seines Umsatzes mit vegetarischen Produkten erzielen. Wird Hochland die Rügenwalder Mühle der Milchwirtschaft?


Stahl: Nein, davon sind wir noch weit entfernt, auch wenn wir überproportionale Wachstumsraten erreichen.


Beim Absatz Ihrer Milchprodukte arbeiten Sie eng mit Aldi zusammen. Aktuell wertet der Handel seine Eigenmarken massiv auf und bietet sich einen erbitterten Preiskampf bei Markenartikeln. Wie hart trifft Sie das?


Stahl: Wenn Markenartikel günstiger werden als Handelsmarken, frage ich mich, wo das Geld für Forschung und Innovationen herkommen soll. Denn der Treiber für Marken sind Innovationen und das Eingehen auf Verbraucherwünsche. Dafür braucht es Standhaftigkeit bei Preisverhandlungen. Der Marktanteil der Handelsmarken ist in den letzten Jahren weiter gestiegen.


Wie reagieren Sie?


Stahl: Wir investieren in unsere Marken, sowohl durch Innovationen als auch durch die Weiterentwicklung des bestehenden Sortiments. Außerdem produzieren wir selbst Handelsmarken und partizipieren somit ein Stück weit an der Entwicklung. Unsere internationale Ausrichtung gibt uns Stabilität: Rund zwei Drittel unseres Umsatzes erzielen wir außerhalb von Deutschland. Und wir verstärken das Food Service-Geschäft, also alles, was nicht über den Handel geht. Dazu zählt u.a. der Absatz an die weiterverarbeitende Industrie, an Hotels sowie Gasstätten und an Schnellrestaurants wie McDonalds. Da sich die Verzehrsgewohnheiten ändern, die Menschen weniger zuhause und mehr unterwegs essen, sehen wir einen wachsenden Markt.


Könnte eine Sektorstrategie oder Branchenorganisation den Preiskampf im deutschen Handel entschärfen?


Stahl: Um es klar zu sagen: Diese Preisschlachten sind schädlich und ärgerlich. Aber wie soll eine Sektorstrategie oder Branchenorganisation das lösen? Zumal das Kartellamt Preis- und Mengenabsprachen ausdrücklich verbietet! Außerdem halten sich die Wettbewerber aus dem Ausland ohnehin nicht an Regeln einer deutschen Branchenorganisation und bringen ihre Produkte auf den deutschen Markt.


Was ist Ihre Lösung?


Stahl: Die Kreativität und Innovationskraft der Milchbranche in unserer sozialen Marktwirtschaft.


Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner will modernere Lieferbeziehungen mit Preis- und Mengenangabe zwischen Landwirt und Molkerei. Warum tun Sie sich so schwer damit?


Stahl: Mit unserem Partner Bechtel, mit dem wir den Grünländer-Käse produzieren, haben wir schon einmal einen Festpreis für drei Jahre angeboten. Das Interesse der Landwirte war damals zu gering. Wir treiben das Thema aber weiter voran. Bei der Menge bleiben wir dabei, dass der Landwirt alles liefert und wir alles abnehmen. Denn die Milchmengenplanung ist weitaus komplexer, als manche Vertreter im Landwirtschaftsministerium sich das vorstellen: Erstens geht es nicht um Rohmilch, sondern um die Milchkomponenten. 2017 und 2018 haben wir z.B. händeringend nach Milchfett gesucht, wohingegen wir einen Überschuss an Milcheiweiß hatten. Da müsste ich zu den Landwirten sagen: Produziert bitte mehr Milchfett und weniger Milcheiweiß. Zweitens hat die Saisonalität und das Wetter einen großen Einfluss. Wenn, wie z.B. letztes Jahr, das warme Wetter bis Oktober anhält, verkaufen wir viel mehr Weißkäse als in normalen Jahren – und das kann niemand zuverlässig voraussagen. Drittens ist es immer möglich, bei den Verhandlungen mit dem Handel einen Lieferkontrakt zu verlieren, was sich ebenfalls nicht planen lässt.


Und was ist, wenn Berliner Politiker die Verträge künftig vordiktieren?


Stahl: Deshalb steigen die Milchpreise jedenfalls nicht.


Apropos Milchpreise: Wie ist Ihre Prognose für das zweite Halbjahr 2019?


Stahl: Ich wage keine Prognose für das zweite Halbjahr. Es gibt zu viele Faktoren, die den Milchpreis beeinflussen.


patrick.liste@topagrar.com

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