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Kälberzucht

Intensive Kälberaufzucht – und was wollen die Kälber?

In der Kälberaufzucht halten sich viele Meinungen: „Kälber müssen früh zum Wiederkäuer erzogen werden.“ Oder „Je weniger Milch sie bekommen, desto mehr fressen sie.“ Aber stimmt das?

Lesezeit: 10 Minuten

Professorin Dr. Anke Schuldt, Dr. Regina Dinse   


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Gesunde, leistungsstarke Milchkühe erfordern eine intensive Kälber- und Jungrinderaufzucht. Ein hohes Tränkeanrecht von mehr als 8l ist dafür eine Grundvoraussetzung. Es stellt sich die Frage, in welcher Höhe und wie lange dieses angeboten werden muss. Da Kälber junge Säugetiere sind und es zu ihrem Wohlbefinden gehört, ihr Saugbedürfnis befriedigen zu können, sollte bei der Erstellung von Tränkeplänen auch ihr natürliches Verhalten berücksichtigt werden.

 

Es ist bekannt, dass die metabolische Programmierung, die über das gesamte Leben wirkt, in den ersten Lebenswochen stattfindet. Daraus wurde abgeleitet, dass in dieser Zeit hohe Tränkemengen verabreicht werden müssen. Danach sollen die Kälber früh an eine hohe Beifutteraufnahme gewöhnt werden, um sich schnell zum Wiederkäuer zu entwickeln. Die Einsparung von Kosten für Vollmilch oder Milchaustauscher spielt dabei eine große Rolle. Aber was wollen die Kälber? Machen sie die frühe „Erziehung zum Wiederkäuer“ mit? Wie sieht es aus, wenn die Kälber „selbst entscheiden können“, wann sie wie viel Tränke und Beifutter aufnehmen? An der Hochschule Neubrandenburg wurden dazu Untersuchungen in Praxisbetrieben durchgeführt. Ziel der Untersuchungen ist es, einen Tränke- und Beifutterplan zu erarbeiten, der hinsichtlich der Höhe und Dauer des Tränkeanrechts und der Beifuttermengen von den natürlichen Bedürfnissen der Kälber ausgeht und deshalb ihr Verhalten einbezieht. Dazu wurden Daten zur Tränkeaufnahme erhoben und die täglich aufgenommene Futtermenge gewogen sowie das Verhalten der Kälber erfasst. Von Betrieb 1 wurden aus den Aufzeichnungen der Tränkeautomaten die Tränkemengen sowie die Besuche an der Abrufstation pro Tag und Kalb sowie die Sauggeschwindigkeit ausgewertet. Das maximale Anrecht wird in diesem Betrieb bis zum 49. Lebenstag (LT) bzw. zum Ende der 7. Lebenswoche angeboten. Die Kälber wurden bis zum 65. Lebenstag abgetränkt. Die Tränke wird bei Abruf in einer Konzentration von 160g Milchaustauscherpulver (MA, 50% Magermilchanteil) je l Wasser angemischt.  Die Untersuchungen zum Verhalten der Kälber fanden in Betrieb 2 statt. Das MA hatte ebenfalls einen Magermilchanteil von 50% und wurde in einer Konzentration von 155 g/l Wasser angeboten. Das maximale Anrecht von 10l Milchaustauschertränke (MAT) stand bis zum 28. Lebenstag zur Verfügung. Vom 29. LT an erfolgte das allmähliche Abtränken bis zum 69. LT. Über den gesamten Zeitraum der Gruppenhaltung wurde das Verhalten der Saugkälber mittels Überwachungskameras aufgezeichnet. Anschließend wurden die Videos in der Hochschule Neubrandenburg angeschaut und das Tränke- und Beifutteraufnahmeverhalten mit der Software interact (Version 16, Mangold International GmbH) codiert.  Die vorgelegte Beifuttermenge wurde in beiden Betrieben täglich für jeweils die gesamte Gruppe erfasst (Tab. 1). Aus diesen Daten wurde die täglich aufgenommene Beifuttermenge je Tier und Tag berechnet. Die Altersdifferenz der Kälber betrug in den Gruppen maximal 2 Wochen. Alle Daten wurden mit dem Programm Excel 2010 statistisch bearbeitet.



Tränkemenge je Tränketag, Besuche an der Abrufstation und Sauggeschwindigkeit


Um die tägliche MAT-Aufnahme in Abhängigkeit vom Tränkeanrecht vergleichen zu können, wurden die Datensätze der Phase des maximalen Anrechts von Kälbern in Betrieb 1 nach dem Eingewöhnen an die freie Aufnahme von der Abrufstation, d.h. vom 15. bis 49. LT, verglichen (Abb. 1 und 2). Bei begrenztem Anrecht von 10l pro Tag nahmen die Kälber an 48% der Tränketage weniger als 8l MAT auf, bei einem täglichen Anrecht von 12l an 62%. Bei einem Anrecht von 10l MAT nahmen die Kälber an 26% der Tage das volle Anrecht in Anspruch, würden vielleicht auch mehr MAT abrufen. Bei einem Anrecht von 12l MAT wurde die Aufnahme des vollen Angebots von 12l im Vergleichszeitraum nur an 4% der Tage registriert.  Nur 2% der Kälber nehmen im Durchschnitt 10l MAT und mehr auf (Abb. 2a und b). Bisher hat kein Kalb über den gesamten Zeitraum das volle 12l Anrecht abgerufen. Somit reicht das Angebot von 12l für eine maximale MAT-Aufnahme der Kälber aus. Die Verschiebung in den Anteilen der Kälber, die weniger als 8l, 8 bis 9,9l sowie 10l MAT und mehr abriefen, ist auf das Tränkeverhalten in den ersten vier Lebenswochen zurück zu führen.



Kälber brauchen ca. 5 Tage, um einen Rhythmus in der Tränkeaufnahme einzustellen (Abb. 3a bis c). Bei einem Anrecht von 10l steigt die täglich aufgenommene MATMenge bis zum 30. LT, danach bleibt sie bis zum Abtränken auf hohem Niveau. Bei einem Anrecht von 12l steigt die Tränkeaufnahme langsamer bis zum 40. Tag an und bleibt im Durchschnitt signifikant unter der MAT-Aufnahme der 10l-Kälber.  Die moderatere Zunahme der täglich aufgenommenen Tränkemenge bei nahezu unbegrenztem täglichen Anrecht von 12l ist wohl auf die Sauggeschwindigkeit zurück zu führen (Abb. 3b), die bis zum 20. Lebenstag signifikant niedriger ist als bei einem Tränkeanrecht von 10l. Die 12l-Kälber machen die Erfahrung, dass sie jederzeit Milch aufnehmen können, wenn sie die Abrufstation besuchen. Bei einer Obergrenze von 10l erleben die Kälber häufiger, ohne Anrecht – aber mit dem Bedürfnis zu saugen – die Abrufstation verlassen zu müssen. Der nächste Besuch mit Anrecht verläuft dann nach mehreren erfolglosen Versuchen hektisch und dadurch in höherer Geschwindigkeit und mit höherer Tränkemenge. Dies führt schließlich dazu, dass die mittlere MAT-Aufnahme an den Tagen des vollen Anrechts von 10l bis zum 35. LT höher ist als bei 12l. Auch im weiteren Verlauf der Tränkezeit bedeutet das hohe Anrecht von 12l weniger Stress für die Kälber. Vom etwa 35. LT bis zum Abtränken suchen 10l- Kälber signifikant häufiger die Abrufstation auf (Abb. 3c). Die Zahl der Besuche der 12l-Kälber bleibt bei durchschnittlich 6 pro Tag, während sie bei Begrenzung auf 10l MAT pro Tag nach dem 35. LT auf 9 im Tagesmittel ansteigt. Da die Software der Tränkeautomaten nicht zwischen Besuchen mit und ohne Anrecht trennt, ist anzunehmen, dass die Zahl der „Blindbesuche“ zu diesem Anstieg führt. Auch das Abtränken verläuft bei einem Anrecht von 12l hinsichtlich der Besuche an der Abrufstation moderater als bei dem 10lAnrecht. Positive Wirkung hat auch die Verlängerung der Abtränkphase vom 60. bis

zum 65. Tag. Die Tränkemenge und die Sauggeschwindigkeit gehen allmählich zurück und die Besuche an der Abrufstation steigen nicht so drastisch an wie bei dem Anrecht von 10l bis zum 60. Tag.



Tränke- und Beifutteraufnahmeverhalten


Bis zur 7. Lebenswoche stehen die Kälber je Tränkeaufnahme 7 bis 8 min an der Abrufstation (Abb. 4). Danach geht die mittlere Dauer signifikant zurück. Die 8. Lebenswoche ist auch hinsichtlich der Beifutteraufnahme das Alter, in dem sich die Dauer einer Fresszeit signifikant verändert. Von anfänglich unter 4 min steigt sie auf ca. 6 min in der 9. und auf ca. 9 min in der 10. Woche an. Am Beispiel der Trogfutteraufnahme soll dies noch detaillierter erläutert werden (Abb. 5). Kurze Fressperioden von weniger als 3 min finden bis zur 7. Lebenswoche zu mehr als 50% statt. Perioden von 15 min und mehr kommen praktisch bis zur 8. Woche nicht vor. In der 9. Woche steigt deren Anteil auf 6% und in der 10. Woche auf fast 20% aller Futteraufnahmezeiten. Bilder wie in Abbildung 6 sieht man frühestens in der 8. Woche: alle Kälber stehen zusammen 20 min und mehr am Trog und fressen. Diese Entwicklung ist unabhängig vom Tränkeanrecht zu beobachten, denn die Kälber wurden bei diesen Untersuchungen bereits vom 29. Lebenstag an abgetränkt. Trotzdem können sie die geringere Tränkeaufnahme nicht mit höherer Festfutteraufnahme ausgleichen.



Tränke- und Beifutteraufnahmemengen


In Abbildung 7 ist die je Kalb täglich aufgenommene Tränke- und Beifuttermenge bei frühem Beginn des Abtränkens (29. LT) und späterem Beginn (50. LT) dargestellt. In den ersten 6 Lebenswochen nehmen die Kälber nur bis 0,5kg Trockenmasse (TM) über Aufzuchtfutter, Anwelksilage (AWS), Heu und TMR auf. Obwohl die mittlere MATAufnahme beim Beginn des Abtränkens am 29. Lebenstag in der 7. Lebenswoche bereits auf 6,5l abgesunken ist, liegt die TM-Aufnahme mit 0,6kg nur wenig über der Menge bei noch vollem Anrecht (12l) und einer mittleren Tränkeaufnahme von 8,4l. Die früher abgetränkten Kälber haben in dieser Woche über MAT und Beifutter 21,9 MJ ME pro Tag aufgenommen, bei den später abgetränkten waren es 23,9 MJ ME (Tab. 2). Damit wird die geringere MAT-Aufnahme nicht über eine höhere Beifutteraufnahme kompensiert. In der 8. Lebenswoche steigt die Beifutteraufnahme jeweils um 0,5kg TM an. Ab der 9. Lebenswoche sinkt die MAT-Aufnahme auf 2,7 bzw. 4,1l und die Beifutteraufnahme steigt auf 1,4 bzw. 1,6kg TM. In der 10. Woche ist eine deutliche Zunahme der täglichen Beifutteraufnahme auf 2,3-2,4kg TM zu verzeichnen. Die Differenzen zwischen der TM-Aufnahme in den ersten 4 Wochen zu den Wochen 8 bis 10 sind bei beiden Varianten signifikant. Auch diese Auswertung zeigt, dass die Festfutteraufnahme der Kälber nicht vom Tränkeanrecht, sondern vom Alter bzw. Entwicklungsstand der Kälber abhängt. Da die Kälber bis zur 7. Lebenswoche nur jeweils kurze Zeit am Raufutter knabbern und geringe Mengen fressen, sollte nur Heu und Anwelksilage bester Qualität angeboten werden. TMR sollte erst mit Beginn der 8. Woche eingesetzt werden. Die TMR, die auch nach dem Absetzen gefüttert wird, sollte zunächst neben der AWS im Trog vorgelegt und nicht damit vermischt werden, damit sich die Tiere allmählich daran gewöhnen können. Außerdem haben die jüngeren Kälber in der Gruppe so noch die Möglichkeit, ausschließlich AWS zu fressen. Ab der 9. Woche werden die Kälber nur noch mit TMR, Kraftfutter und Heu gefüttert.



Tabelle 2: Energie- und Proteinaufnahme pro Tier und Tag im Wochendurchschnitt aus MAT und Beifutter (gXP und MJ ME)





 Tränke- und Beifutterplan


Aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen können Empfehlungen für einen Tränke- und Fütterungsplan abgeleitet werden (Abb. 8). In der Gruppenhaltung sollte bis zum 49. Lebenstag ein Tränkeanrecht von 12l angeboten werden. In der Einzelhaltung reichen 8 bis 10l Mischkolostrum oder MAT, da die Kälber ihre Tränkeaufnahme bis zum 40. Tag steigern. Wenn den Kälbern nur 8l am Tag verabreicht werden können, sollten sie ab dem 10. Tag in die Gruppenhaltung umgesetzt werden, bei 10l ist dies ab dem 14. Tag möglich. Vom 50. bis mindestens 65. Lebenstag, gern auch bis zum 70. Tag, wird abgetränkt, sodass die Kälber spätestens am 71. Tag abgesetzt sind. Das Milchaustauscherpulver sollte 30 bis 50% Magermilch enthalten und mit 155 bis 160g je l Liter Wasser angemischt werden. Es kann mit ca. 50kg MA pro Kalb kalkuliert werden. Der Beifutterplan berücksichtigt das Futteraufnahmeverhalten und die frühe Gewöhnung an Festfutter, um die Pansenentwicklung zu fördern. Vom ersten Lebenstag an wird den Kälbern frisches Heu bester Qualität über Raufen angeboten. Hier darf keine Vorratsfütterung erfolgen, da die jungen Kälber zunächst nur am Heu knabbern. Bis zur 7. Lebenswoche werden Kälberaufzuchtfutter und Anwelksilage täglich frisch vorgelegt. Die Menge richtet sich nach der Aufnahme durch die Kälber – vor der Fütterung sollte ein kleiner Rest im Trog liegen. Ab der 8. Lebenswoche wird in langsam steigender Menge eine TMR gefüttert, die auch in der intensiven Kälberaufzucht nach dem Absetzen zum Einsatz kommt. Sie sollte 10,5 – 11,0 MJ ME je kg TM und 145 - 160 g

XP je kg TM enthalten. Die Kraftfuttervorlage sollte in dieser Zeit allmählich abnehmen. Die in der Abbildung 8 angezeigten Mengen sind Orientierungswerte. Maßgeblich für die vorzulegende Menge ist in jedem Fall der Bedarf der Kälber, der sich an der Menge des Restfutters ablesen lässt.



Abbildung 8: Tränke- und Beifutterplan für Kälber mit einem Tränkeanrecht von 12l bis zum 49. Lebenstag

 

 

Fazit


Die mutterlose Kälberaufzucht muss sich an Bedarf und Bedürfnis der Kälber orientieren. Da diese nicht im Widerspruch zu ökonomischen Gesichtspunkten der Kälberaufzucht stehen, sollte den Kälbern ein Tränkeanrecht von 12l bis zum 49. Lebenstag angeboten werden. Die Fütterung fester Futtermittel erfolgt nach Aufnahme, wobei erst von der 8. Lebenswoche an die TMR der intensiven Kälberaufzucht zum Einsatz kommen sollte.

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