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Side by Side-Melkstand: Hoher Durchsatz, viel Ärger

Seit Jahren schauen viele Milcher-zeuger über den großen Teich, um ein-mal selbst zu erleben, wie man dort mit Hochleistungskühen Milch produziert.

Lesezeit: 9 Minuten

Seit Jahren schauen viele Milcher-zeuger über den großen Teich, um ein-mal selbst zu erleben, wie man dort mit Hochleistungskühen Milch produziert. Mit der Kuhkomfort-Welle und der TMR-Fütterung schwappten auch immer mehr Side by Side-Melkstände bis nach Deutschland. Inzwischen beobachten wir jedoch in vielen Betrieben Probleme mit dem Melken und der Eutergesundheit. Während einer Studienreise nach Wisconsin (USA) wollte ich sehen, wa-rum unsere Landwirte nach solch einer Reise oft nur noch vom Melken in einem Side by Side-Melkstand träumen und dann nicht selten tief enttäuscht sind, wenn sich der Erfolg bei ihnen zu Hause nicht einstellt. Euter werden nicht leer Auf den ersten Blick lässt sich die Ent-scheidung für den Side by Side leicht nachvollziehen. Die Vorteile eines Paral-lelMelkstandes sind überzeugend: geringer Platzbedarf niedrigere Investitionskosten gute Übersicht und kurze Wege schneller Tierwechsel kurze Melkzeiten Hinzu kommen noch einige Verkaufs-argumente der Melktechnikindustrie, die sich bei genauerer Betrachtung aller-dings nicht als Vorteile, sondern vielmehr als Nachteile erweisen: stabilste Vakuumbedingungen, durch den sehr kurzen Milchschlauch (aber schlecht für die Zitzen). mehr Melkplätze je Melker bedienbar (die oft nicht wirklich gebraucht wer-den). sichere Fixierung der Tiere (schlecht für die Entspannung der Kühe und die Milchabgabe). gute Erreichbarkeit der Euter durch die Hinterbeine (sehr schlecht, wenn die Kühe nicht ganz hinten stehen. Und wo hängt der Schwanz?). Doch weshalb ist dann das Melken in so vielen hiesigen Parallel-Melkständen so unbefriedigend und warum rate ich bei Melkstandplanungen immer wieder drin-gend davon ab, solche Melkstände ohne zwingende Gründe zu bauen? Alle aufgeführten Vorteile beziehen sich nur auf den Melker oder auch den Investor. Kein einziger Vorteil betrifft die Kühe wenn man mal davon absieht, dass sie nach dem Melken ganz schnell den unbeliebten Platz wieder verlassen können. Die Kühe stehen eng nebeneinander und werden an eine Kotrinne zurückge-drückt. Sie müssen erdulden, was hinter ihnen geschieht. Sie sehen nicht, wann, wer, was von ihnen will. Wer behauptet, dass Kühe unter diesen Umständen ent-spannt sind und die Euter richtig leer wer-den, der hat noch nie leere Euter gesehen. Auch in Wisconsin waren leere Euter in Side by Side-Melkständen eher die Ausnahme. Dafür fielen sehr schlechte Zitzen mit Ausstülpungen und Zitzen-verhärtungen auf. Die oft sehr großen Euter wurden durch die Kotrinne einge-drückt. Sie waren nach dem Melken oft fest und verspannt und auf keinen Fall leer. In extremen Fällen war der Ab-druck der Kotrinne nach dem Melken am Euter noch sichtbar. Doch trotz alledem hatten auch diese Betriebe sehr hohe Milchleistungen zwi-schen 10 000 und 13 000 Liter pro Kuh und Jahr wie passt das zusammen? Andere Bedingungen in den USA Die amerikanischen Großbetriebe ar-beiten unter Bedingungen, die in unseren Familienbetrieben nicht immer realisiert werden können. So werden die Kühe in den USA dreimal am Tag gemolken, lie-gen meist in sehr sauberen Sandboxen und leben in hellen, luftigen Ställen. Außerdem werden sie mit Hormonen ge-spritzt, die bei uns nicht zugelassen sind. Wenn ein Euter drei Mal am Tag gemol-ken wird, spielt der Entleerungsgrad für die Milchleistung und Eutergesundheit eine geringere Rolle als bei Zwischen-melkzeiten von ca. 12 Stunden. Zudem haben die amerikanischen Kü-he in der Regel keinen Schwanz mehr, der dem Melker (oft noch voller Kot) beim Melken im Weg ist, wenn das Melkzeug von hinten angesetzt werden muss. Teil-weise unterscheiden sich auch die Futter-mittel hinsichtlich Eiweiß- und Energie-gehalt. Oft erleben die Kühe keine drei Laktationen, d. h. der Zuchtfortschritt ist sehr hoch und die Herden sind ausge-glichener. Kranke Kühe werden in sepa-raten Abteilen gehalten, teilweise sogar in eigenen Melkständen gemolken oder auch sehr schnell gemerzt. Das sind Bedingungen, unter denen der Infektionsdruck in den Herden nie-drig bleibt. Wenn eine Kuh geschädigte Zitzen hat, ist es ein Unterschied, ob sie sich in eine keimarme, saubere Sandbox legt, oder in einer unsauberen Tiefbox (z. B. bei Spaltenboden) mit Kot und Ausflussresten in Berührung kommt. Weil Sand anorganisch, kalt und trocken ist, sind die Lebensbedingungen für Krankheitserreger sehr schlecht. Nasses Stroh und unsaubere Gummimatten sind dagegen vor allem im Sommer wahre Brutstätten für Erreger. Der Keimdruck auf die Zitzen ist entsprechend hoch und führt im Zusammenhang mit schlechter Zitzenkondition zu Euterinfektionen. Zitzen werden stark beansprucht Doch weshalb werden die Zitzen in ei-nem Side by Side-Melkstand so stark be-ansprucht, wo die Milch doch frei ablau-fen kann und so die stabilsten Vakuum-verhältnisse an den Zitzen vorherrschen? Die Antwort ist einfach und doch von vielen Melktechnikfirmen noch lange nicht akzeptiert: Das stabile zitzenendige Vakuum während der Entlastungsphase führt zu Zitzenausstülpungen, Verhär-tungen an den Zitzenspitzen und schä-digt die innere Auskleidung des Strich-kanals. Durch den hohen Differenzdruck zwi-schen Zitze (oft über 40 kPa) und Melk-becherzwischenraum (0 kPa) drückt der Zitzengummischaft mit einem zu hohen Druck auf die Zitzenspitzen, die das auf Dauer natürlich nicht unbeschädigt aus-halten. Das Problem lässt sich etwas ver-ringern durch sehr hohe Milchflüsse, Gleichtaktpulsation und einen längeren, ansteigenden Milchschlauch. Doch die geringe Melkplatzbreite bei Parallelauf-stellung setzt Grenzen, vor allem auch in der Schlauchführung. Der Milchschlauch darf nicht so steil ansteigen, dass die hin-teren Viertel zu stark entlastet werden. Je nach örtlichen Gegebenheiten sind zusätzlich angebrachte Stangen über Kopfhöhe oder Umlenkrollen eine Hilfe, um mit höhenverstellbaren Seilen (Zelt-leinenprinzip, Gegengewicht) die Milch-schläuche aufzuhängen. Von Vorteil ist dabei, wenn die Schläuche erst nach dem Ansetzen der Melkzeuge hochgehängt werden können, weil sie so bei der Euter-vorbereitung nicht im Weg sind. Wer die Milchleitung nach oben ver-legen kann, spart sich viel Ärger mit her-umhängenden langen Milchschläuchen. Da die Milch vom Sammelstück dann nur ca. 1 m hoch in die Milchleitung trans-portiert werden muss, sind größere Va-kuumverluste nicht zu erwarten. Im Gegenteil, unter diesen Bedingungen kommt es zu zyklischen (also nicht zu unkontrollierten) Vakuumschwankungen an den Zitzen. Mit anderen Worten: Es steht im Saugtakt selbst bei 40 kPa Nenn-vakuum noch genügend Melkvakuum auch für höchste Milchflüsse zur Verfü-gung. Reduziert wird hauptsächlich die Druckdifferenz beim Falten der Zitzen-gummis und damit verringert sich der Druck auf die Zitzen. Klartext: Die hoch verlegte Milchleitung führt in Melkständen, in denen die Melkzeuge von hinten angesetzt werden, zu vernünftigen zit-zenendigen Vakuumverhältnissen. Jeder Melker weiß, dass am Anfang massiver Eutergesundheitsprobleme oft geschädigte Zitzenspitzen stehen. Des-halb sollte die Qualität der Melktechnik nicht nur danach beurteilt werden, wie schnell gemolken wird und was die An-schaffung kostet, sondern auch danach, wie leer die Euter werden und welche Veränderungen an den Zitzen zu be-obachten sind. Keine Gruppenfixierung kaufen Wenn aus dringenden Gründen (Platz-not, Herdengröße) ein Parallelmelkstand gebaut werden muss, dann sollte unbe-dingt eine Ausführung mit Einzelfixie-rung gewählt werden. Je unterschiedlicher die Körpermaße einer Herde sind, desto nachteiliger wirkt sich eine Gruppenfixie-rung auf Einzeltiere aus. Meist müssen die jungen, rahmigen Tiere den Druck für die ganze Gruppe abfangen. Sie stehen sehr zusammenge-presst, die Kotrinne drückt sich ins Euter und in die Schenkel. Kleine Tiere stehen trotzdem zu weit vorn, kleine Melker müssen sich weit über die Grubenkante lehnen, um die vorderen Viertel errei-chen zu können. Wer schon einen Melkstand mit Grup-penfixierung hat, tut gut daran, die Tiere nur soweit zu fixieren, dass die größten Kühe kurz vor der Kotrinne stehen. Eine Hand muss noch leicht dazwischen pas-sen. Wer das aus technischen Gründen nicht umsetzen kann, sollte die Kühe zu-mindest nach dem Ansetzen der Melk-zeuge wieder nach vorn lassen. Schauen Sie Ihren Kühen beim Mel-ken mal in die Augen! Ist der Kopf ge-senkt, der Blick starr und haben Sie den Eindruck, dass die Kühe nur darauf war-ten, dass der Brustbügel hochgeht, dann sollten sie unbedingt etwas ändern! Tasten Sie nach dem Melken auch mal die Euter ab. Wenn sie den Drüsenbe-reich nicht fühlen können, weil die Euter verspannt und fest sind, dann verschen-ken Sie viel Milch. Bei chronischen Mas-titisfällen muss so ein Zustand auf jeden Fall schnell behoben werden, weil sonst nahezu jede Euterbehandlung erfolglos bleiben wird. Vor dem Kauf scharf rechnen Obwohl ich kein Betriebswirtschafter bin, rate ich allen, die einen Melkstand planen, sich vorher genau zu überlegen, aus wieviel Liter Milch die Melkplätze fi-nanziert werden müssen. Das gilt nicht nur bei Neuinvestitionen, sondern auch für die laufende Wartung und die Er-satzbeschaffung. Viele kleine Betriebe kaufen zu große Melkstände. Immer wieder treffe ich auf hoch mechanisierte Melkstände, in de-nen nur drei bis vier Kühe einen Melk-platz finanzieren müssen. Besser wäre es, wenn sich die Kosten auf 8 10 oder mehr Kühe verteilen würden. Wer hier bei Problemen Melktechnik ersetzen muss oder nachrüsten will, melkt sehr lange nur für die Melktechnikfinanzie-rung. Gerade Side by Side-Melkstände werden aufgrund der günstigen Platzver-hältnisse oft überdimensioniert und die Auslastung der Melktechnik ist dann zu gering. Wenn Sie unbedingt Zeit sparen müssen, können Sie es vielleicht an anderer Stelle mit weniger finanziellem Aufwand und geringerem Risiko tun. Das Melken Ihrer Kühe steht am Ende vieler auf-wändiger Vorarbeiten denken Sie nur daran, wie lange es dauert, bis eine Kal-bin die erste Milch gibt. Deshalb bezie-hen Sie in die Anforderungsliste für zukünftige Melkanlagen auch die Bedürf-nisse Ihrer Kühe mit ein. Streben Sie ei-ne ökonomisch vertretbare aber auch tiergerechte Milchgewinnung an. Eine Melkstand, in dem Tiere zusammenge-presst werden, die Zitzen ausfransen und die Euter vor Angst und Schmerzen ver-krampft sind, zählt mit Sicherheit nicht dazu. Fazit Side by Side-Melkstände haben ihre Berechtigung nur unter ganz bestimmten Bedingung: In möglichst ausgeglichenen Herden, bei dreimaligem Melken, hohen Milchflüssen, bei gutem Management und optimaler Ausrichtung der Melk-technik. In vielen Betrieben sind diese Bedin-gungen (noch) nicht gegeben, so dass die Probleme nicht lange auf sich warten las-sen: fehlende Milchleistung, melkunwilli-ge Tiere, veränderte Zitzen und häufige Euterentzündungen. Wer sich für solche Melkstände entscheidet, muss zuerst die Bedingungen im Stall optimieren. In Familienbetrieben mit 40 bis 100 Kühen ist der Fischgrätenmelkstand die bessere Alternative.

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