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Tuberkulose: Droht ein Seuchenzug?

Lesezeit: 8 Minuten

Die Tuberkulose hat die Rinderhalter im Oberallgäu fest im Griff. Sogar bundesweit werden nun Maßnahmen ergriffen. Droht ein neuer Seuchenzug?


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Anfang der 1950er-Jahre war sie bereits einmal das Schreckgespenst in deutschen Rinderställen. Nun ist die Tuberkulose offenbar wieder zurück. Denn seit Herbst 2012 treten vermehrt Fälle im Oberallgäu auf. Wie dramatisch ist die Lage wirklich?


Zunächst die Fakten:

Bei Routineuntersuchungen im Oberallgäu wurden 2012 mehrere Tuberkulose-Fälle bei Rotwild festgestellt, ebenso im benachbarten österreichischen Lechtal.


Als der Erreger dann auch bei Allgäuer Rindern auftrat, reagierten die zuständigen Behörden prompt: Sie ordneten Reihenuntersuchungen bei allen 2 000 Rinderhaltern im Landkreis an, um den Durchseuchungsgrad festzustellen.


Die aktuellen Ergebnisse geben Anlass zur Sorge: Von den bisher knapp 44 000 getesteten Rindern wurden über 740 mit Verdacht auf TBC gekeult. Mehr als 190 Betriebe waren oder sind betroffen, sie wurden zeitweise gesperrt und durften weder Vieh noch Milch abliefern. Auch in benachbarten Landkreisen in Baden-Württemberg wurden einige positive Fälle festgestellt, die jedoch auf Tierzukäufe aus Bayern zurückzuführen sind.


Knapp die Hälfte der Tiere im Oberallgäu wurden bisher untersucht, 2 % von ihnen mit einem positiven oder fragwürdigen Testergebnis. Der Gesetzgeber schreibt aber eine Grenze von 0,1 % vor, damit eine Region als TBC-frei gelten kann. Auf den ersten Blick ist die Lage also eindeutig: Das Allgäu hat ein TBC-Problem. Doch bei genauerem Hinsehen wird die Lage komplizierter.


Tests waren fehlerhaft:

Denn im März stellte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelheit (LGL) auf ein anderes TBC-Testverfahren um. Gegenüber top agrar erklärte die Behörde, der Wechsel sei „aufgrund der praktischen Erfahrungen bei der Anwendung“ erfolgt. Gregor Schneider, Fachanwalt für Agrarrecht aus München, sieht die Fehler eindeutig im Testverfahren: „Die Fehlerquote beträgt bei dem alten Testverfahren mittels Haut- und Bluttests bis zu 40 %. Es wurden also zahlreiche gesunde Tiere gekeult.“ Tatsächlich haben die bakteriologischen Nachuntersuchungen im Labor seit November 2012 nur bei 17 Betrieben den TBC-Verdacht bestätigt.


Hintergrund: Tiere, die positiv auf die Tests reagieren, müssen keinesfalls einen aktiven Erreger in sich tragen. Vielmehr deutet das Ergebnis nur darauf hin, dass das Immunsystem schon einmal mit TBC in Kontakt war. Getötet werden die Tiere aber bereits im Verdachtsfall.


Mit dem Einsatz des neuen Testverfahrens, dem sogenannten Simultantest, bei dem eine Hautreaktion den TBC-Befund anzeigt, hat sich die Stimmungslage unter den Landwirten wieder beruhigt, so der Eindruck von Dr. Hans-Jürgen Seufferlein, Geschäftsführer des Verbandes der Milcherzeuger Bayern (VMB). Das LGL sieht allerdings noch keine Trendwende: Die Anzahl positiver TBC-Fälle sei ähnlich hoch geblieben. Allerdings können ebenfalls Fehlerquoten von bis zu 20 % auftreten, bemerkt Schneider.


Berlin wird aktiv.

Mitte März brachte das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Eilverordnung auf den Weg, die den Landwirten Entlastung von den langen Betriebssperren bringen soll.


Dauerte diese bei positivem TBC-Befund bisher mindestens 16 Wochen, kann sich diese Frist nun auf bis zu sechs Wochen verringern. Voraussetzung ist, dass alle Tiere mit einem fragwürdigen Befund getötet werden. Und bei der Nachuntersuchung aller Rinder über sechs Monate im Bestand dürfen keine positiven Ergebnisse auftauchen.


„Diese Regelung hat den Landwirten bereits eine deutliche Erleichterung verschafft“, sagt Dr. Seufferlein. Denn für die Landwirte steht die Existenz des Betriebes auf dem Spiel, wenn mehr als 16 Wochen keine Milch abgeholt wird – von den psychischen Folgen ganz zu schweigen.


Auch auf Ebene der Bundesländer wurde vereinbart, alle Rinder, die innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem Allgäu geliefert wurden und älter als zwei Jahre sind, auf Tuberkulose-Erreger zu untersuchen. Zusätzlich gibt es im Bundesrat eine Initiative, wonach bundesweit alle Rinder über 30 Monate innerhalb von drei Jahren getestet werden sollen. Deren Ausgang ist allerdings noch völlig offen, genau wie die Entfristung der Eilverordnung, die am 15. September ausläuft. „Bis zum Bundesratstermin Ende Juli muss eine tragfähige Lösung her“, fordert Dr. Hans-Jürgen Seufferlein.


Doch trotz all dieser Maßnahmen: Der Status „TBC-frei“ der Bundesrepublik ist nach Aussagen der Behörden nicht bedroht.


Milchförderfonds hilft:

Den betroffenen Landwirten hilft das wenig. Sie brauchen Unterstützung, um die Folgen der Milchsperren abzumildern. In diesen Fällen springt der Bayerische Milchförderfonds ein, wenn der betroffene Landwirt Mitglied im Verband der Milcherzeuger Bayern ist. Dieser ersetzt 80 % des Milchgeldes über einen Zeitraum von maximal 16 Wochen. Die fehlenden 20 % steuern in den meisten Fällen die Molkereien bei, bis auf wenige Ausnahmen. Auf die Mehrwertsteuer müssen die Landwirte allerdings verzichten.


Die Milch von gesperrten Betrieben ist verkehrsfähig. Denn durch das Pasteurisieren werden eventuell enthaltene Erreger abgetötet, teilt das LGL mit. Für die Verbraucher besteht keine Gefahr. Daher wird die Milch auch nicht entsorgt, sondern getrennt erfasst und zu Milchpulver und Butter verarbeitet. Die daraus erzielten Erlöse fließen anschließend zurück in den Milchförderfonds, der so wieder aufgestockt wird.


VMB-Geschäftsführer Dr. Seufferlein, begründet diese Strategie so: „Wir haben einen klaren Trennungsstrich für die Milch aus betroffenen Betrieben gezogen. Und die Molkereien bekommen erst gar keine Probleme mit Exportauflagen.“


Der Schaden ist angerichtet.

Während die Ausfälle des Milchgeldes weitestgehend geregelt sind, bekommen die Züchter die Auswirkungen der Tuberkulose deutlich zu spüren.


So haben die Preise für Braunvieh bereits deutlich nachgegeben, Zuchtverbände klagen über massiv zurückgehende Umsätze. Hinzu kommt die psychologische Komponente: Weil das Allgäu als Braunvieh-Hochburg gilt, wird diese Rasse sowohl im In- als auch im Ausland sofort mit der Tuberkulose in Verbindung gebracht, selbst wenn der Betrieb gar nicht im Allgäu liegt. „Selbst wenn es bisher keine infektiösen TBC-Fälle gab, sind wir gezwungen, rigoros Tests durchzuführen und positive Tiere zu merzen, um wieder Verhandlungsargumente zu haben und Vertrauen herzustellen“, sagt ein Händler gegenüber top agrar.


Auch züchterisch hinterlassen die bisher durchgeführten Tötungen einen Kahlschlag. So seien ganze Zuchtlinien ausgerottet worden, berichtet der Händler weiter. Zwar laufen die Erstattungen durch die Tierseuchenkasse bisher reibungslos, jedoch ersetzen diese keine jahrelang aufgebaute Top-Genetik.


Rechtliche Bedenken:

Rechtsanwalt Gregor Schneider kritisiert das Vorgehen der Behörden scharf und meldet rechtliche Bedenken an. Begründung: „Bisher wurden ausschließlich Erreger der Ziegen-TBC bei den Rindern gefunden. Diese tauchten bis März allerdings nicht in der Tuberkulose-Verordnung auf und rechtfertigen so auch keine Reihenuntersuchungen in den Rinderbeständen.“


Hinzu komme, dass der Gesetzgeber überhaupt keine flächendeckenden Untersuchungen zur TBC-Bekämpfung vorsehe. Gedeckt seien lediglich stichprobenartige Untersuchungen an den Schlachthöfen. „Die Allgäuer Behörden haben monatelang ohne Rechtsgrundlage beprobt und Betriebe gesperrt“, sagt Schneider weiter. Erst mit der Eilverordnung ist der betreffende Erregerstamm namens M. caprae in die Rindertuberkulose-Verordnung übernommen worden.


Andreas Kaenders, Pressesprecher des Landratsamtes Sonthofen, hält dagegen: „Die Reihenuntersuchungen sind nötig, um Klarheit über die Verbreitung der Tuberkulose zu bekommen. Unser Vorgehen war rechtlich sauber.“ Dass die zuerst angewandten Testverfahren fehlerhaft waren, räumt er aber ein: „Wir haben uns auf den Rat von Fachleuten verlassen. Durch die neuen Tests haben wir jedoch nachgebessert.“


Und auch das Friedrich-Löffler-Institut, das sich in Deutschland mit Fragen der Tiergesundheit befasst, sieht die Behörden in der Pflicht, aktiv etwas gegen die TBC-Fälle zu unternehmen. „Da es sich bei der Rindertuberkulose um eine Zoonose, also eine zwischen Tier und Mensch übertragbare Infektionskrankheit handelt, sind Reihenuntersuchungen und Tötungen im Verdachtsfall berechtigt“, erklärte eine Sprecherin gegenüber top agrar. Eine Ansteckungsgefahr für den Menschen bestand bisher allerdings nicht, da keine „offene Tuberkulose“ festgestellt wurde (siehe Kasten).


Woher kommt die TBC?

Unklarheit besteht darüber, wie die TBC überhaupt in die Rinderställe gelangen konnte. Möglicherweise fand die Infektion während der Weidesaison statt, als die Rinder Kontakt mit Rotwild hatten. Einig sind sich die Seuchenexperten nur darüber, dass sich kaum nachweisen lässt, welche Tierart zuerst befallen war.


Jägerschaft und das Landratsamt Sonthofen haben sich jedoch vorsorglich auf eine Erhöhung der Abschusspläne für Rotwild im Oberallgäu geeinigt, auch in Österreich werden mehr Tiere geschossen. Dabei wird der Rotwildbestand ebenfalls auf Tuberkulose untersucht. Nach aktuellem Stand wurden ca. 4 % der Tiere positiv getestet.


Die Tuberkulose-Untersuchungen an den insgesamt 90 000 Rindern im Landkreis Oberallgäu sollen bis zum Spätherbst abgeschlossen sein. Und auch im Landkreis Ostallgäu wird ab Mai flächendeckend beprobt. Umfang der Tests: gut 107 000 Tiere auf 2 350 Betrieben.


Bald bayernweite Tests?

Parallel dazu werden in elf weiteren Landkreisen im Voralpengebiet 1 000 Stichproben genommen. Zeitgleich sind Untersuchungen aller weiblichen Rinder über zwölf Monate in diesem Gebiet angelaufen. Zeigt sich ein ähnliches Bild wie im Oberallgäu, sind auch flächendeckende Untersuchungen in ganz Bayern nicht mehr ausgeschlossen. Beschlüsse dazu sind frühestens Ende Mai zu erwarten.


Ob die finanzielle Schlagkraft des Bayerischen Milchförderfonds und der Tierseuchenkasse einer flächendeckenden TBC-Untersuchung in ganz Bayern gewachsen ist, bleibt zu hinterfragen. So gibt Dr. Seufferlein zu bedenken, dass beide ganz oder teilweise aus Bauerngeldern finanziert werden. Da die Untersuchung von öffentlichem Interesse ist, wird die Politik gefordert.T. Gronau

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