Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

News

Koschere Milch von Schwarzbunten Kühen

Ein norddeutscher Landwirt stellt als einziger in Deutschland frische Milchprodukte her, die den jüdischen Speisevorschriften entsprechen. In der Meierei Kruses Hofmilch im Schleswig-Holsteinischen Rellingen herrscht Hochbetrieb. Milchkannen werden scheppernd abgestellt, Schöpfkellen auf Nirostableche geknallt.

Lesezeit: 7 Minuten

Ein norddeutscher Landwirt stellt als einziger in Deutschland frische Milchprodukte her, die den jüdischen Speisevorschriften entsprechen.

 

In der Meierei Kruses Hofmilch im Schleswig-Holsteinischen Rellingen herrscht Hochbetrieb. Milchkannen werden scheppernd abgestellt, Schöpfkellen auf Nirostableche geknallt. Ein süßlicher Duft liegt in der feuchten Luft. In weißen Gummistiefeln und mit Haarnetzen auf dem Kopf eilen Hans-Hinrich Kruse und seine Mitarbeiter über den gekachelten Boden. Milch muss nach gefüllt, die Molke abgegossen und der Bruch gewaschen werden. Stimmt die Temperatur?  Und der PH-Wert? Shmuel Havlin steht seelenruhig inmitten der Hektik – und schaut zu. Auf dem Kopf trägt er eine Kippa, die schwarzen Halbschuhe stecken in blauen Überziehern aus Plastik.


Das Wichtigste zu den Themen Rind + Milch mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Der stellvertretende Rabbiner der jüdischen Gemeinde im nahen Hamburg kontrolliert, ob die Produkte von Kruses Hofmilch koscher sind, also nach dem jüdischen Reinheitsgebot hergestellt. Wenn alles seine Ordnung hat, klebt er später im Kühlcontainer ein kleines Siegel auf die Verpackungen von Milch, Quark, Frisch- und Hartkäse. „So können die Verbraucher sicher sein, dass die Produkte wirklich nach unseren strengen Regeln hergestellt wurden“, sagt er und blinzelt durch die leicht  beschlagenen Brillengläser. Das ist wichtig für eine wachsende Zahl von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland, die Kruse mit koscheren Frischmilchprodukten beliefert.


Was bedeutet eigentlich Koscher?


Doch was besagen die Regeln für koschere Lebensmittel? Milchprodukte dürfen ausschließlich von wiederkäuenden Lebewesen mit gespaltenen Hufen stammen, wie Kuh, Schaf oder Ziege. Die Milch von Stuten zum Beispiel wäre nicht erlaubt. Die Gefahr, dass ein Hersteller diese untermischt, besteht allerdings heute kaum noch, da Stutenmilch erheblich teurer als die von Kühen ist.


Abgesehen davon muss koschere Milch unter strengen Hygiene- und Qualitätsmaßstäben sowie unter Aufsicht eines Rabbiners hergestellt werden. In der Tora, auf die die jüdischen Speisevorschriften zurück gehen, ist der Verzehr von Blut verboten. Shmuel Havlin findet sich deshalb Sonntags früh um fünf Uhr zum Melken ein, um zu kontrollieren, dass die Euter der Kühe frei von Verletzungen und Entzündungen sind. Das ist der Tag, an dem bei Kruse für die koscheren Produkte gemolken wird. Die Milch kommt in einen extra geleerten Tank, der 24 Stunden leer stehen und mit 100 Grad heißem Wasser gereinigt werden muss, ebenso wie alle Leitungen. Beides kontrolliert Shmuel Havlin. 


Aufwändiger sind die Umstellungen in der Molkerei. Am Sabbat muss die Anlage ruhen, bevor am Montag koschere Produkte aus der am Sonntag gemolkenen Milch hergestellt werden. „Darauf mussten wir uns einstellen und Freitags mehr arbeiten“, erklärt Hans-Hinrich Kruse.


Fleisch- und Milchprodukte dürfen nach den Speisevorschriften nicht zusammen gegessen werden und  niemals in Berührung kommen. Das Lab für den Käse stammt deshalb nicht aus einem Kälbermagen, sondern aus dem Reagenzglas. Kruse bezieht es bei einem dänischen Biotechnologiekonzern. „Abgesehen davon gehören die meisten Vorgaben für uns zum Standard.“ Hans-Hinrich Kruse nickt zufrieden und wischt sich mit den Händen über die weiße Schürze. Die Zertifizierung durch den Rabbiner ist für ihn eine Bestätigung seiner eigenen strengen Grundsätze.


Milch von den eigenen Tieren


Kruses Holfmilch stammt ausschließlich von Kühen oder Ziegen des Hofes. 250 Schwarzbunte Kühe grasen zwischen Frühjahr und Herbst auf den umliegenden Weiden, die überwiegend in Landschafts- und Wasserschutzgebieten liegen. Im Winter stehen sie in großen, komfortablen Ställen. In der hofeigenen Molkerei wird die Kuh- und Ziegenmilch pasteurisiert und ohne weitere Behandlung am nächsten Tag ausgeliefert. "Diese ganzen Zusätze für Milchprodukte, die in der Industrie verwendet werden, die gibt es bei mir nicht", sagt Hans-Hinrich Kruse. Wären sie drin, dann wären die Produkte auch nicht koscher.


Die Familie Kruse bewirtschaftet den Hof in fünfter Generation. Der Sohn betreibt die Milchviehhaltung, die Tochter den Hofladen. Vor neun Jahren begann Vater Hans-Hinrich Kruse mit dem Aufbau der eigenen Meierei. Heute beschäftigt diese zehn Mitarbeiter. Die Meierei verarbeitet ein Drittel der Hofmilch, zwei Drittel gehen an eine Großmolkerei. Dort stimmen Preis und Quote zwar zurzeit. Aber es hat auch sehr schwierige Zeiten für Milchproduzenten gegeben. Und da fährt man mit der Eigenvermarktung besser.


Ziegenmilchprodukte sind Hit auf dem Wochenmarkt


Auf dem Hof stehen Lieferwagen mit dem Logo von Kruses Hofmilch. Sie beliefern Kindergärten, Eisdielen oder Supermärkte. Zudem verkauft Kruse seine Hofmilch direkt an Endverbraucher auf Wochenmärkten im nahen Hamburg. Dort finden auch seine frischen Ziegenmilchprodukte guten Absatz. „Die sind ein echter Magnet für unsere Marktstände, damit bieten wir etwas, was die wenigsten haben.“ Um sich in die Haltung der Tiere einzuarbeiten, hat Hans-Hinrich Kruse mit fünfzig Jahren noch einmal ein Praktikum absolviert, auf einem Ziegenhof in Bentheim. Die Augen des heute 61-Jährigen leuchten, wenn er von den agilen Tieren erzählt. Angefangen hat er mit zehn Ziegen, heute sind es einhundert. 


Auf dem Wochenmarkt hat ihn vor drei Jahren auch der Hamburger Rabbiner Shlomo Bistritzky gefragt, ob er sich vorstellen könne, koschere Milchprodukte herzustellen. Er konnte und nahm die Herausforderung an. „Herr Kruse ist sehr kooperativ, flexibel und gewissenhaft, bei der Produktion ist er immer anwesend“, sagt der Rabbiner. Hans-Hinrich Kruse versorgt mittlerweile Menschen jüdischen Glaubens in ganz Deutschland und Europa mit seinen koscheren Milchprodukten.   


In Hamburg, wo etwa 8000 Juden leben, sind seine Abnehmer unter anderem eine jüdische Schule und ein Edeka-Markt im Grindelviertel. Vor kurzem hat hier sogar ein Geschäft für koschere Lebensmittel eröffnet. Vor dem Holocaust gab es in dem Quartier rund um die Hamburger Universität ein lebendiges jüdisches Leben, mit Synagogen, Talmundschulen, Kindergärten und koscheren Restaurants. Langsam beginnt hier wieder eine kleine jüdische Gemeinde zu wachsen.


Absatz läuft, Erwartungen aber noch nicht erfüllt


Kruses Hofmilch beliefert aber zum Beispiel auch das Hilton in Dresden, in dem zweimal pro Jahr ein Koch aus Israel ein koscheres Gourmetwochenende veranstaltet. Regelmäßig hält bei Kruse auf dem Hof auch ein Lieferwagen von Händlern aus Schweden, die in ganz Europa koschere Lebensmittel einkaufen.

Zwar haben Lebensmittelkonzerne in Deutschland und Europa koschere Produkte im Angebot, weil das vor allem wichtig für den Export in die USA ist  -  selten aber handelt es sich dabei um Frischprodukte.

In Deutschland mussten Juden lange auf Milchpulver oder H-Milch aus Belgien zurückgreifen, bevor Hans-Hinrich Kruse mit der Herstellung von koscheren Frischmilchprodukten begann.


Das Absatzvolumen, das er sich als Alleinhersteller von koscheren Frischmilchprodukten in Deutschland erwartet hatte, konnte er allerdings bislang nicht erzielen. Zwar wächst der Anteil Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland. Doch längst nicht alle halten sich an die strengen Speisevorschriften. Oder wenn dann nur zu besonderen Anlässen wie dem Passahfest.


Trotzdem profitiert der meiernde Landwirt aus Schleswig-Holstein von seiner koscheren Produktion. Sein Käse eignet sich auch für strenge Vegetarier, da das Lab frei von tierischen Produkten ist. Auch nichtjüdische Kunden an den Marktständen verbinden den Begriff koscher mit rein und hochwertig. Und gerne schauen die Kollegen von der Presse vorbei.  Die rauben ihm allerdings auch seine kostbare Zeit.


Und deshalb muss sich Hans-Hinrich Kruse jetzt schnell wieder um den großen Kessel mit dem Käsebruch kümmern.


Text: Klaus Sieg; Fotos: Jörg Böthling


Mehr in der Fotostrecke 

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.