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Mit Fleischqualität auf der Überholspur

Lesezeit: 9 Minuten

Dr. Jens van Bebber und seine Frau Katja Bodenkamp mästen Duke of Berkshire-Schweine. Das Fleisch ist zarter, marmorierter und hebt sich geschmacklich deutlich vom Standard ab. Bei ihrem Abnehmer, dem Kölner Handelshof, haben sie damit einen Nerv getroffen.


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Viele Lebensmittelhändler nutzen Rabattangebote bei Fleisch- und Wurstwaren gerne als Köder, um Verbraucher in ihre Läden zu locken und den Umsatz zu steigern. Jede Woche flattern zig Millionen Werbezettel mit Billigstangeboten in die Briefkästen der deutschen Haushalte. „Heute 30, 50 oder 70% billiger“, so lautet die Rabattschlacht-Botschaft, die jedem Schweinehalter ein Dorn im Auge ist.


Auch beim Kölner Unternehmen Handelshof ist Fleisch ein wichtiger Umsatzbringer. In den 16 deutschen Filialen werden monatlich rund 1000 t Fleisch gehandelt. Im Gegensatz zu den Discountern und Supermärkten bietet der Konzern, der ausschließlich gewerbliche Unternehmen aus den Bereichen Gastronomie, Hotellerie, Großverbraucher und Handel beliefert, auch eine Vielzahl von qualitativ hochwertigen Fleischprodukten an. So gehören unter anderem verschiedene hochpreisige Serano-Schinken, Nackensteaks vom Ibérico-Schwein, Dry Aged Steaks vom heimischen Rind oder Wachtelbrüste zur Angebotspalette. Und wer es besonders exotisch liebt, findet außerdem Känguru-Steaks oder Straußen-Filets in den Kühltheken.


Dirk Nennen, Mitglied der Geschäftsleitung und gelernter Metzgermeister, setzt bewusst auf die Karte Fleischqualität. „Wenn Restaurant- oder Küchenchefs bei uns einkaufen, suchen sie auch nach Fleisch, das sich geschmacklich von der Standardware abhebt. In der Gastronomie will jeder seinen Gästen etwas ganz Besonderes bieten“, schildert Nennen seine Erfahrungen.


Um die teils ausgefallenen Wünsche seiner Kunden auch im Bereich Schweinefleisch besser erfüllen zu können, suchte der Händler mehrere Jahre nach dem richtigen Produkt. Das Problem war, dass bei Schweinefleisch Standardware den Markt beherrscht.


Dann hatte Nennen Glück. Im Jahr 2013 lernte er eher zufällig Landwirt Dr. Jens van Bebber aus Samern in Niedersachsen kennen. Der Mäster spielte schon länger mit dem Gedanken, die Fleischqualität wieder stärker in den Mittelpunkt seiner Produktion zu rücken. „Ich wollte Fleisch mit einer besonderen Geschmacksnote produzieren und meinen Kunden ein echtes Genuss-erlebnis liefern“, beschreibt van Bebber seine Ziele. Auch die Haltung der Schweine wollte der Unternehmer ändern. „Meine Frau und ich wollten weg von der vielfach kritisierten konventionellen Haltung und unseren Mastschweinen Einstreu, Außenklimafeeling und mehr Platz bieten“, erinnert er sich.


Händler trifft Landwirt:

Mit seinen Ideen stieß der Landwirt bei Dirk Nennen sofort auf offene Ohren. Nach einem ersten lockeren Gedankenaustausch setzten sich beide an einen Tisch und überlegten gemeinsam, wie sie aus ihren Vorstellungen ein Geschäftsmodell entwickeln könnten. Der Manager des Handelshofes machte dabei klar, dass ihm bestimmte Vorgaben wichtig sind. Er forderte unter anderem mehr Fläche pro Tier, Außenklima, Stroh, den intakten Ringelschwanz und die Sauen mussten frei abferkeln können.


Um das garantieren zu können, mussten die konventionellen Mastställe des Betriebes van Bebber umgebaut werden. Der Landwirt war dazu bereit, wollte vorab aber auch die Sicherheit haben, dass ihm seine Schweine abgenommen werden. Beide Seiten vereinbarten daher vertraglich, dass der Handelshof alle Schweine des Landwirts kauft. „Ohne die feste Zusage hätte ich das nicht gemacht, die Vermarktung muss immer vorher gesichert sein“, rät Jens van Bebber Berufskollegen.


Nachdem alles unter Dach und Fach war, wurden in den Jahren 2015 und 2017 zwei konventionelle Gebäude aus den 1970er-Jahren zu Offenfrontställen umgebaut. Jeder Maststall bietet gut 1000 Schweinen Platz. Rechts und links des Zentralganges befinden sich heute die Mastbuchten mit den verschiedenen Funktionsbereichen. Jedem Tier stehen 1,6 m2 Stallfläche zur Verfügung, der Boden ist größtenteils planbefestigt. Nur im Kotbereich liegen Betonspalten, auf denen die Schweine koten. Als Abdeckung für den Liegebereich am Gang kann ein Deckel heruntergelassen werden, der die Schweine vor Kälte schützt. An den Seitenwänden hängen Windschutznetze, die je nach Witterung automatisch hoch- oder heruntergefahren werden.


Beide Ställe sind komplett frei be- und entlüftet, wodurch der Landwirt ca. 100000 kWh Strom pro Jahr spart. Auch im Hinblick auf die Emissionen punktet der Stall. Dank der klar definierten Funktionsbereiche ist der Ammoniakausstoß geringer als in den alten Ställen. „Das liegt an der wesentlich kleineren Kotfläche, die Tiere benutzen immer die gleiche Ecke und verteilen ihren Urin und Kot nicht mehr wie früher in der ganzen Bucht“, schildert Jens van Bebber seine Beobachtungen.


Intakter Ringelschwanz:

Damit die Tiere beschäftigt sind, wirft der niedersächsische Unternehmer täglich etwa 80 g Stroh pro Tier in die Buchten. „Dank des Strohs und unserer Bodenfütterung können wir mit intaktem Ringelschwanz mästen und haben keine Probleme mit Schwanzbeißen. Der Grund ist, dass die Tiere ihre arteigenen Bedürfnisse besser ausleben können und sie deshalb ihre Buchtenkollegen in Ruhe lassen“, freut sich der Mäster. Bei seinem System fällt das Futter von der Futterkette direkt auf den Boden, wo die Schweine es mit der Rüsselscheibe zunächst hin und her schieben und danach auffressen. „Durch die Bodenfütterung fördern wir das natürliche Wühl- und Suchverhalten der Tiere“, erklärt van Bebber die Zusammenhänge.


Seine gut 5000 Ferkel bezieht er vom ostfriesischen Sauenhalter Johannes Erchinger, der die Tiere ganzjährig im Freiland laufen lässt. Dieser hält Large-White-Sauen, die von einem Berkshire-Eber im Natursprung besamt werden. Züchter der Schweine ist der niederländische Tierarzt Dr. Kees Scheepens, der als sogenannter Schweineflüsterer auch in Deutschland bekannt ist.


Die Kreuzung der beiden Rassen sorgt dafür, dass sich das Fleisch der Tiere geschmacklich deutlich von der sonst üblichen Marktware abhebt. Es hat feinere Fasern, ist zarter, marmorierter und insgesamt dunkler. Es wird heute im Rahmen des Qualitätsprogramms „The Duke of Berkshire“ exklu-siv vom Handelshof vermarktet.


Sechs Mann in einem Boot:

Bevor die ersten „Dukes“ vor knapp drei Jahren vermarktet werden konnten, musste die Frage geklärt werden, wer die Schweine schlachtet und zerlegt. Die großen Schlachtunternehmen zeigten wenig Interesse, weil kleine Chargen den Betriebsablauf behindern.


Niko Brand vom gleichnamigen Schlachtunternehmen im niedersächsischen Lohne war hingegen sofort bereit, die Tiere zu verarbeiten. „Mir gefiel die Idee, Fleisch aus artgerechterer Haltung mit besonders gutem Geschmack auf den Markt zu bringen. Für unser mittelständisches Unternehmen sind solche Nischenprodukte interessant. Wir wollen, dass in Zukunft etwa 50% der bei uns geschlachteten Schweine aus der Nischenproduktion stammen. Momentan verarbeiten wir 800 Nischen-Tiere wöchentlich. Der Nischenmarkt ist die Zukunft für viele Mittelständler“, ist der junge Unternehmer überzeugt.


Als sechster Partner sitzt Stefan Kasteel mit im Boot. Der Unternehmer aus Mönchengladbach zerlegt die Schweine nach den Vorgaben des Handelshofes. Auch Kasteel sieht die Zukunft seines Betriebes in der Nische. „Als Mittelständler können wir sehr schnell auf die wechselnden Anforderungen des Marktes reagieren. Wenn der Handelshof andere Zuschnitte benötigt, ändern wir die Schnittführung. Das war beim Start nicht ganz einfach, aber nun läuft es“, erklärt der Geschäftsführer.


Fleisch-Verkostung:

Wer Schweine auf eigene Faust abseits der sonst üblichen Wege vermarktet, muss dafür werben. Jens van Bebber und seine Partner nutzen ganz unterschiedliche Kanäle. Ein wichtiger Weg ist das Internet. Auf den Webseiten des Handelshofs und auf der Internetseite www.offenstall.com werden das Duke of Berkshire- bzw. das Offen-stall-Konzept ausführlich beschrieben. „Wir zeigen gegenüber unseren Kunden bewusst größtmögliche Transparenz. Unsere Käuferklientel will nicht die Katze im Sack kaufen“, betont Händler Dirk Nennen.


Neben dem Internet gibt es Werbeflyer und Betriebsführungen. „Jeder, der sich für unseren Weg interessiert, ist willkommen“, so Landwirt van Bebber. Auch die Gastronomen rühren die Werbetrommel. In sogenannten Opening-Events, bei denen sie ihren Gästen das Berkshire-Fleisch gezielt anbieten, machen sie Werbung für die geschmackvolle Ware. „Das kommt gut an. Wenn die Leute einmal auf den Geschmack gekommen sind, haben wir sie als Kunden meist gewonnen. Die Nachfrage und der Umsatz steigen jedenfalls stetig“, beobachtet Dirk Nennen.


Nische bietet Potenzial:

Der Handelshof-Manager ist sich aufgrund der vielen positiven Erfahrungen bei der Vermarktung von Genussfleisch mittlerweile sicher, dass Geschmack und guter Genuss in Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen werden.


Auch Niko Brand hat dazu eine klare Meinung: „Die Zeiten ändern sich, der Verbraucher wird seinen Fleischverzehr weiter einschränken, dafür will er aber bewusster genießen. Das ist die Chance für die, die es satt haben, ihre Tiere immer nur abzuliefern anstatt aktiv zu vermarkten“, lässt er keine Zweifel daran aufkommen, dass die Karte Genuss die Trumpfkarte der Zukunft ist. Dirk Nennen ergänzt: „Der fehlende Geschmack ist auch der Grund, warum sich die Bioschiene so schwer tut. In diesem Segment wird fast nur mit Tierwohl geworben, nicht aber mit Genuss.“


Dass Geschmack tatsächlich zum neuen Zugpferd beim Fleischverkauf werden könnte, dafür spricht auch die Tatsache, dass die Discounter zusehends Interesse zeigen. Aldi, Lidl und Co. fragen heute gezielt nach Fleischwaren, bei denen der Geschmack im Vordergrund steht. Diese verpacken sie dann besonders schön, um den Stellenwert der Ware nochmals hervorzuheben.


Qualität kostet:

Natürlich kostet der höhere Aufwand der sechs Partner Geld. Die Mast dauert mit gut 130 Tagen rund zehn Tage länger als üblich, und die Besatzdichte im Stall wurde glatt halbiert. Auch die Verarbeitung ist aufwendiger. Dirk Nennen spricht von zwei- bis dreimal so hohen Kosten in der gesamten Kette. Alle Beteiligten betonen aber, dass sie mit ihrem Konzept Geld verdienen. Wie viel am Ende tatsächlich übrig bleibt, darüber schweigen sich alle lieber aus. Dafür verraten sie aber die aus ihrer Sicht zwei wichtigsten Gründe für den Erfolg:


  • Bei immer mehr Verbrauchern setzt sich nach und nach die Einsicht durch, dass mehr Tierwohl und mehr Geschmack nicht zum Nulltarif zu haben sind. Hinzu kommt, dass gerade Restaurantbesucher eher bereit sind, etwas mehr Geld für ein besonders leckeres Stück Schweinefleisch zu bezahlen.
  • Durch die enge Zusammenarbeit von Landwirt, Schlachter, Zerleger und Händler wurde eine geschlossene Produktionskette aufgebaut. So können die Vorzüge des Fleisches gezielt beworben werden, die Ware ist kein anonymer Massenartikel mehr. Am Ende lassen sich so höhere Preise durchsetzen.


Ginge es nach Jens van Bebber, hätte er bereits weitere Ställe zu Offenfrontställen umgebaut. Die Nachfrage ist da, doch leider machen ihm die Genehmigungsbehörden das Leben schwer. „Wir dürfen die Statik der bestehenden Mastställe nicht verändern, auch ein Abriss und der Neubau mit mehr Tierwohl sind derzeit nicht realisierbar“, klagt er. Locker lassen will er aber nicht, dazu läuft das Vermarktungsprogramm „The Duke of Berkshire“ zu erfolgreich. „Unser Weg hat Potenzial, dafür werden wir weiter kämpfen“, macht van Bebber unmissverständlich klar.Kontakt:


marcus.arden@topagrar.com

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