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Braunvieh am Scheideweg

Lesezeit: 10 Minuten

Rückläufige Besamungszahlen, verschiedene Zuchtziele und mangelndes Vertrauen in die Zuchtwerte. Die Rasse Braunvieh steckt in einer tiefen Krise. Wie kommt sie da wieder raus?


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Es brodelt in der Braunvieh-Szene. Allein der Rückgang der Kühe gleicht einem Aderlass: In den letzten zehn Jahren sind der Rasse in Deutschland, Österreich und der Schweiz 60000 Kühe verloren gegangen! Das sind mehr als die Gesamtzahl der Braunvieh-Kühe in Österreich!


Derzeit stehen in den drei Ländern noch rund 334000 Braunvieh-Kühe unter Milchleistungskontrolle. Das entspricht einem Rückgang von 15 %. Demgegenüber konnten die Rassen Fleckvieh und Holstein ihre Populationen deutlich ausbauen (Übersicht 1). Ein ähnlicher Trend bei den Besamungszahlen: Mit knapp 109000 Erstbesamungen machten die beiden bayerischen Besamungsstationen Memmingen und Greifenberg im Jahr 2017 sogar 35% weniger Besamungen als noch vor zehn Jahren.


Mehr Fleischbesamungen:

Ein sehr hoher Anteil der Braunvieh-Kühe wird in Deutschland und Österreich inzwischen mit Fleischrassebullen, vor allem mit Weißblauen Belgiern (WBB), belegt. Im vergangenen Jahr lag er bei rund 20%! Auch die Einkreuzung von Fleckvieh ist mit 5% beachtenswert. Hauptgrund dafür dürfte die geringere Wertschöpfung aus dem Verkauf von Braunvieh-Bullenkälbern und Schlachtkühen sein. Denn die Preise für reinrassige Nutzkälber waren zuletzt mit 2,65€/kg nur halb so hoch wie für Fleckvieh (5,70€/kg). Und selbst WBBKreuzungen erlösten zuletzt nur 5€/kg netto. Braunvieh-Mastkälber sind gegenüber Fleckvieh trotz gleicher Rentabilität in der Bullenmast wenig gefragt.


„Der Anteil an Fleischrasse-Besamungen ist aufgrund der neuen Düngeverordnung zuletzt noch einmal gestiegen, weil viele Bauern jetzt ihren Viehbestand abstocken müssen. Ich schätze, dass wir inzwischen bei 35% sind“, berichtet Helmut Goßner, Geschäftsleiter der Besamungsstation Greifenberg. In Österreich führen sogar zwei WBB-Stiere die Liste mit den meisten Besamungen auf Braunvieh-Kühe an. Unter den Top 7 sind insgesamt drei WBB-Bullen zu finden.


In der Schweiz sieht die Situation anders aus: Dort kann das Braunvieh seine Vorteile als Doppelnutzungsrasse noch ausspielen. Aufgrund des geschlossenen Fleischmarktes erzielen Braunvieh-Kühe dort enorme Schlachtpreise bis zu 3000 CHF.


In allen übrigen Regionen entwickelt sich die Rasse allerdings weg von der Doppelnutzung hin zur Milchrasse. Das belegt auch der genetische Trend, bei dem der Fleischwert seit Jahren stabil ist. „Vielen Betrieben, zum Beispiel im Tiroler Oberland, ist die Rasse inzwischen zu milchbetont“, sagt Rudi Hussl, Tierzuchtdirektor der Landwirtschaftskammer Tirol.


Einige davon hätten auf Fleckvieh oder Grauvieh umgestellt, da hier die Schlachterlöse höher seien. Auf der anderen Seite ginge den großen Betrieben in den Gunstlagen die Leistungssteigerung zu langsam. Daher holen sich viele von ihnen Holsteins in den Stall.


Vermehrt wandern auch Holsteins aus der West- in die Ostschweiz, ein traditionelles Braunvieh-Zuchtgebiet. In Bayern entscheiden sich dagegen viele Bauern für Fleckvieh. „Die Rasse bringt einen Mehrerlös bei der Schlachtung und hat das Braunvieh gebietsweise sogar in der Milchleistung überholt“, berichtet Helmut Goßner.


Milchleistung hinkt hinterher:

In der Tat liegt Fleckvieh in der absoluten Milchleistung in Bayern und Österreich auf gleichem Niveau wie Braunvieh (Übersicht 2).


Trotz der höheren Inhaltsstoffe in der Milch gibt es auch in der Menge an Fett- und Eiweiß keine Vorteile mehr für die Rasse – zumal der hohe Kappakasein-Gehalt in der Milch weiterhin vom Markt nicht honoriert wird. Holsteins sind in allen Ländern in der Milchleistung und bei der Inhaltsstoffmenge klar überlegen.


Diese Beobachtungen kann Züchter Thomas Unsinn, der in Wessobrunn in Bayern alle drei Rassen hält, bestätigen. „Die Holsteins geben gut 1500 kg, Fleckvieh knapp 1000 kg mehr Milch. Beim Eiweiß liegen Braunvieh und Fleckvieh gleichauf bei 3,5%, die Holsteins bei 3,3%. Würde ich meine Kühe streng nach wirtschaftlichem Nutzen selektieren, wäre das Braunvieh schnell verdrängt“, sagt er. Der Vorsitzende der bayerischen Jungzüchter beklagt zudem, dass Braunvieh-Kühe mit hoher Milchleistung in seinem Bestand sehr anfällig für Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsprobleme seien.


Ein Blick auf den stagnierenden genetischen Trend der Töchterfruchtbarkeit gibt ihm recht. Braunvieh gilt nach wie vor als gesunde Fitnessrasse. Mit ihrer Hitzetoleranz, den harten schwarzen Klauen und dem umgänglichen Temperament kommt sie auch mit schwierigen Haltungsbedingungen zurecht und ist daher auch im Export sehr gefragt.


Bei der Lebensleistung top:

Die Leistungsberichte zeigen, dass die Rasse leichtkalbig ist, eine gute Persistenz sowie eine lange Nutzungsdauer hat. In Bayern ist Braunvieh nach wie vor die Rasse mit der höchsten Lebensleistung von 29220kg Milch. Beim wirtschaftlich aussagekräftigeren Parameter, der Lebenstagsleistung, sind jedoch die Holsteins überlegen. In Baden-Württemberg und in der Schweiz sind die Holsteins auch in der Lebensleistung besser.


In Österreich wird das Braunvieh mittlerweile sogar in Nutzungsdauer, Lebensleistung und Lebenstagsleistung vom Fleckvieh überholt. Bei der Eutergesundheit weist Fleckvieh z.B. durchgehend niedrigere Zellzahlen auf. „Ich hatte auf meinem Betrieb schon große Probleme mit der Eutergesundheit meiner Braunvieh-Kühe, vor allem bei Kühen mit zu guter Melkbarkeit“, berichtet Johann Unterkircher, BraunviehZüchter aus Absam in Tirol mit 30 Kühen.


Interessen zu unterschiedlich:

Beim Vergleich von Leistung und Funktionalität hat das Braunvieh in allen drei Alpenländern gehörig zu tun, um mit den anderen großen Rassen mitzuhalten. Hinzu kommen unterschiedliche Anforderungen der Braunvieh-Züchter an die Rasse. Während die Produktionsbetriebe in allen drei Ländern Milch melken wollen, spielt die Exterieurzucht vor allem in der Ostschweiz, in Vorarlberg, in Teilen des Allgäus und Tirols noch eine große Rolle.


Dort haben Tierschauen noch einen hohen Stellenwert: Kleinräumig werden sehr gute Preise für Top-Tiere bezahlt, viele Jungzüchter begeistern sich von klein auf für die Rasse. „Doch irgendwann wird aus einem Jungzüchter ein Betriebsleiter“, meint Roman Auer, der selbst 70 Kühe melkt und Präsident der Interessengemeinschaft Brown Swiss Züchter (IGBS) ist. „Dann kann er den Aufwand für Schauen nicht mehr betreiben. Der Betrieb muss wirtschaftlich laufen.“ Auer wünscht sich für seine Herde eine akzeptable Milchleistung, will aber – wie die meisten Schweizer Braunvieh-Züchter – im Exterieur und vor allem im Euter keine Kompromisse eingehen.


Das Exterieur hat auch in Bayern bei der Bullenmutterauswahl und der gezielten Paarung einen hohen Stellenwert. Der Zuchtfortschritt bei den Besamungsbullen war in der Exterieur-Gesamtnote und den Eutermerkmalen in den letzten Jahren gut. Laut Dr. Reiner Emmerling, LfL, geht diese Entwicklung allerdings auf Kosten der anderen im Gesamtzuchtwert (GZW) enthaltenen Merkmale, unter anderem der Milchleistung (siehe Kasten unten).


Wenig Vertrauen in Zuchtwerte:

Dass immer seltener Tiere mit hohen Zuchtwerten auflaufen, merken auch die Züchter. So liegt der durchschnittliche GZW der ersten Genotypisierung der weiblichen Nachzucht über Braunvieh-Vision (Kasten Seite 13) derzeit zwar bei 110 Punkten, die besten 10% erreichen jedoch nur 121,8!


Züchter Thomas Unsinn: „Wenn die besten Rinder nur noch 125 GZW erreichen und damit 10 bis 20 Punkte unter den Spitzentieren der anderen Rassen liegen, führt das zu einer emotionalen Unzufriedenheit.“ Er und viele andere Praktiker haben das Vertrauen in die Zuchtwerte als alleinigem Auswahlkriterium verloren. „Wenn Jungrinder mit 130 GZW als Spitzentier typisiert werden, die Mutter aber unter 6000 kg Milch gibt, dann lässt das manchen Landwirt zweifeln“, erklärt Unsinn, der auch als Anpaarungsberater arbeitet.


Immer wieder verlieren zudem genomische Jungvererber deutlich an Zuchtwertpunkten, vor allem im Leistungsbereich. Daher achten die Betriebe bei der Bullenauswahl wieder vermehrt auf das Pedigree. „Obwohl dies in der Zuchtwertschätzung schon einbezogen wird! Berücksichtigt man viele zusätzliche Kriterien außerhalb des GZW, verschenkt man jedoch Zuchtfortschritt in ökonomisch wichtigen Merkmalen“, warnt Dr. Emmerling.


Junge Genetik Mangelware:

Zum Mangel an weiblichen Tieren mit hohen GZW kommt hinzu, dass konkurrenzfähige genomische Jungvererber derzeit in Bayern Mangelware sind. Denn der Einsatz genomischer Jungbullen ließ nach dem ersten Hype deutlich nach.


Die Züchter griffen wieder vermehrt zu nachkommengeprüften Bullen und so sank der Anteil an Besamungen mit genomische Jungvererber (GJV) auf 40%. Seit Kurzem steigt der Einsatz zwar wieder. Allerdings können sich kaum neue Bullen im geprüften Segment etablieren. So sind aktuell die Top 7 der meisteingesetzten nachkommengeprüften Bullen in Bayern dieselben wie im Vorjahr. In Österreich sind noch fünf Bullen der Top 8 gleich.


Auch die Trefferquote, bei den Genotypisierungen einen guten Bullen zu finden, hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und liegt nun bei 1:26. Vor fünf Jahren lag das Verhältnis noch bei 1:18.


Etwas anders ist die Situation in Baden-Württemberg, dort werden 90% der Besamungen mit GJV durchgeführt. Dem dortigen Zuchtprogramm gelang es, sich im genetischen Trend vom Nachbarland abzuheben. Aktuell stellt die Rinderunion Baden-Württemberg (RBW) bei den genomischen Jungvererbern vier der Top 5.


Gute Genetik schwer zu finden:

Die Entwicklung zeigt dennoch, dass es immer schwieriger wird, gute Genetik zu finden. Einer der Gründe dafür ist, dass es bei rückläufigen Besamungszahlen eine große Herausforderung ist, die Zuchtprogramme finanziell aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass deutlich weniger Kandidaten typisiert werden und die Anzahl der Besamungsbullen deutlich zurück gegangen ist. Durch das lange Generationsintervall auf der weiblichen Seite trägt eine Bullenmutter erst mit dem 4. Kalb den möglichen Kandidaten aus. Und von diesen geht wiederum mindestens ein Viertel verloren, weil die Landwirte das bis zu acht Wochen dauernde Untersuchungsintervall nicht abwarten wollen.


Wie geht es weiter?

Die große Frage ist nun, ob und wie die zuständigen Rasseorganisationen und Verbände die Vielzahl an Herausforderungen meistern wollen. Der Druck ist hoch. Von den verantwortlichen Zuchtleitern bekommt man dazu keine Aussage. Sie lassen Presseanfragen von Südplus unbeantwortet.


Der Tiroler Tierzuchtdirektor Rudi Hussl wird dagegen deutlich: „Wir brauchen international eine klare Zieldefinition! Für mich ist der Trend in Richtung Milch ganz klar. Mit einer breiten Aufstellung nach dem Motto ‘Für jeden a bissl was‘ wird es nicht funktionieren. Denn die Population ist zu klein, um sich weiter aufzuspalten.“ Derselben Meinung ist auch Bernhard Luntz vom Institut für Tierzucht, LfL Bayern: „Meines Erachtens müssten sich die Braunvieh-Züchter noch internationaler aufstellen und mehr kooperieren.“


Was wollen die Bauern?

Die Bauern aus Deutschland und Österreich drängen in Richtung Milcheinsatzleistung, Milchsicherheit und bessere Fruchtbarkeit. „Deutsches Braunvieh steht international für Leistung, Eiweißmenge und Fitness. Das muss auch in Zukunft so sein, um als Milchrasse gegenüber Fleckvieh und Holsteins wieder konkurrenzfähig zu sein“, fordert Helmut Goßner von Greifenberg.


Auch in der Schweiz ist die wirtschaftliche Braunvieh-Kuh gefragt. In einer Umfrage führen Zellzahl, Fruchtbarkeit, Langlebigkeit und Milchleistung die Rangliste der wichtigsten Kriterien an. „An der Milchleistung müssen wir arbeiten“, ist Roman Auer überzeugt. „Dazu müsste man die Gewichtung im GZW ändern. Denn momentan werden Bullen mit Inhaltsstoffen und Fruchtbarkeit nach vorne gereiht, obwohl sie kaum Leistung vererben.“


Lernstichproben als Chance:

Eine enorme Chance für die Rasse sehen die Experten in der flächendeckenden Typisierung der weiblichen Nachzucht. Dass sich möglichst viele Züchter daran beteiligen, sei von enormer Bedeutung. „So eine Chance mit 25000 geförderten Typisierungen bekommen Sie nie wieder“, appelliert Emmerling. Wenn damit neue, junge Spitzengenetik gefunden und schnell genutzt wird, kann das der Braunvieh-Zucht zu einem großen Schritt nach vorne verhelfen!


Felicitas Greil


Kontakt: silvia.lehnert@topagrar.com

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