Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Pflanzenbautagung

Prof. Tiedemann: "Die Leistungen der Landwirtschaft zur Welternährung werden ignoriert"

Deutliche Worte fand der Wissenschaftler von der Uni Göttingen vor Ackerbauern in Sindelfingen zur aktuellen Debatte um den Pflanzenschutzmittel-Einsatz.

Lesezeit: 4 Minuten

Warum mischt sich die Wissenschaft mit ihren Fachargumenten für den Pflanzenschutz nicht stärker in die aktuelle, sehr einseitig geführte Diskussion in der Öffentlichkeit ein? Dieser Frage aus dem Publikum musste sich Prof. Andreas Tiedemann von der Georg-August-Universität Göttingen bei der 51. Pflanzenbaulichen Vortragstagung am vergangenen Donnerstag in Sindelfingen stellen.

Denn der "bekennende Vertreter eines wissenschaftlich basierten Pflanzenschutzmitteleinsatzes" brachte einige schlagende Argumente, die für diese ackerbauliche Maßnahme sprechen:

Das Wichtigste zum Thema Süd extra freitags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

  • Durch die Ertragssicherungs-Effekte von Pflanzenschutzmitteln konnten laut einer Studie der Universität Leuven global gesehen die Erträge bei Weizen um 19 %, bei Reis um 32 %, bei Mais um 33 %, bei Kartoffeln um 42 % und bei Sojabohnen um 27 % gesteigert werden.
  • Die Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft steht in direktem Zusammenhang zur Hungerbekämpfung und damit zur Entwicklung der Weltbevölkerung.
  • Bei über 96 % der Pflanzenschutzmittel ist keine Giftigkeit mehr gegeben, zudem gibt es derzeit einen großen Trend in der Forschung zur Verbesserung unerwünschter Nebenwirkungen.
  • Aufgrund der geringeren Erträge des Ökolandbaus ist für die gleiche Lebensmittelproduktion die doppelte Fläche nötig. Denn laut einer Studie von 2011 bis 2014 liegt das Ertragsniveau bei Ökoweizen gegenüber konventionellem Weizen erst bei 43 %. Ökogerste erzielt 50 % vom Ertrag konventioneller Ware, Raps 55 %, Kartoffeln 54 %.
  • Würde Deutschland auf einer Fläche von ca. 20 % auf den Bioanbau umsteigen, bedeutet dies umgerechnet einen Flächenimport von 815 000 ha, bei einer 100 %igen Umstellung wären es 6,5 Mio. ha. "Je nach Art der Umnutzung bedeutet das einen Nettoverlust an globaler Artenvielfalt", so Tiedemann. Durch den Mehrbedarf an Fläche hätten wir einen signifikanten Verlust an natürlichen Habitaten und damit an Biodiversität.

Innovationen auf Talfahrt

"Warum brauchen wir angesichts dieser Erfolgsgeschichte überhaupt eine Agrarwende?" fragte Prof. Andreas Tiedemann ins Publikum. Die Wohlfahrtseffekte durch den Pflanzenschutz würden von der Gesellschaft ignoriert. Mittlerweile würden die Akzeptanz des Pflanzenschutz und Ängste die Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln beeinflussen.

Wohin das letztlich führe, sei bereits jetzt dramatisch: "Die Innovationsfähigkeit der Pflanzenschutzmittelbranche geht auf Talfahrt. Nur noch fünf bis sechs Firmen bemühen sich um Innovationen beim Pflanzenschutz." Ein Grund dafür sei, dass sich die Entwicklungskosten für ein Pflanzenschutzmittel seit dem Jahr 2000 fast verdreifacht hätten und die Kriterien für die Zulassung immer weniger wissenschaftlich basiert seien.

Zur Bekämpfung eines Schädlings brauche man Mittel aus mindestens drei Resistenzklassen. Bei Fungiziden sei das vielfach noch gegeben, bei Herbiziden und Insektiziden sehe die Verfügbarkeit schon deutlich schlechter aus. Zwei Drittel aller Schaderreger-Kultur-Kombinationen sei bereits nicht mehr durch zugelassene Pflanzenschutzmittel abgedeckt. "Durch zunehmende Resistenzen haben wir einen Verlust an Produktivität und Profitabilität."

Zu viel Euphorie bei IP?

Prof. Andreas Tiedemann warnte auf dem Podium auch vor zu viel Euphorie in Bezug auf den Integrierten Pflanzenschutz (IP). "Bei luftbürtigen großräumig agierenden Schädlingen und Pathogenen kommt der IP an seine Grenzen. Der Rapsglanzkäfer beispielsweise fliegt 12 km!" Hinzu käme die Gefahr neuer invasiver Rassen und die natürliche Evolution von Erregern.

"Es gibt keine produktive Landwirtschaft ohne Pflanzenschutz." so sein Fazit. Alle vorbeugenden Maßnahmen und die Resistenzzüchtung hätten Grenzen in Bezug auf die Effizienz, lange Vorlaufzeit und begrenzte genetische Ressourcen. Die Innovationen wie Biologicals, Gentechnik oder Robotertechnik kämen bisher erst für begrenzte Einsatzbereiche in Frage und würden bereits zum Teil ebenfalls unter Akzeptanzproblemen leiden. "Die Hauptlast des Pflanzenschutzes werden diese Maßnahmen nicht tragen können."

Muss der Karren erst an die Wand fahren?

Natürlich bringe man diese Argumente auch in die öffentliche Debatte ein, bekräftigte Tiedemann. "Doch die Medien funktionieren nach dem Prinzip Aufmerksamkeit und die Politik kann sich nicht an die Wissenschaft und damit an die objektive Wahrheit halten, denn sie funktioniert nach dem Mehrheitsprinzip und muss daher vor allem die öffentliche Meinung im Blick haben", beantwortete Tiedemann die wohl brennendste Frage aus dem Publikum.

Jeder Einzelne sei gefordert, mehr Realismus in die Debatte zu bringen. "Jeder Landwirt muss kommunizieren, was er tut und zum authentischen Kommunikator werden." Die Alternative sei, den Karren komplett an die Wand zu fahren und das bedeute letztlich, dass der Obstbau am Bodensee und der Weinbau am Kraichgau verschwinden würden.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.