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Übeltäter Kläranlage?

Lesezeit: 8 Minuten

Kläranlagen leiten durch ihre Abläufe teils erhebliche Nährstofffrachten in die Oberflächengewässer. Wie hoch diese tatsächlich sind und wie das Verhältnis zu bewerten ist, zeigt unser Faktencheck.


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Erhebliche Nährstofffrachten, die Kläranlagen in Oberflächengewässer leiten, Fäkalien und Toilettenreste, die ungeklärt in Flüsse gelangen sowie Meldungen über undichte Kanalisationen – das sind die Themen, die die Landwirte nicht nur in den sozialen Netzwerken umtreibt. Sie stellen sich die Frage, in welchem Umfang diese Einträge an der Nitrat- und Phosphor-Misere teilhaben, die zurzeit scheinbar ausschließlich der Landwirtschaft zugeschrieben wird. Um diese Frage zu beantworten und einen umfassenden Überblick über die Sachlage zu geben, haben wir neben intensiver Recherche einen Fragenkatalog an das BMEL, das BMU/UBA (zuständige Behörde) und den BUND verschickt (weitere Details finden Sie auch unter www.topagrar.com/klaeranlagen2019).


Fakt ist: Mit rund 9,3 Mrd. m³ Abwässern, die Kläranlagen jährlich in Deutschland einleiten, gelangten 2016 laut Statistischem Bundesamt 70653 t Stickstoff (N) und 6413 t Phosphor (P) in Oberflächengewässer wie Flüsse und Meere. Bezogen auf Stickstoff käme der Eintrag ca. 17 Mio. m³ Kuhgülle gleich. Damit ließen sich 485000 ha Silomais düngen.


Abwasser und seine Wege


Abwasser als Schmutzwasser aus privaten Haushalten und Industrie sowie Regenwasser von versiegelten Flächen gelangt entweder in getrennten Kanälen oder zusammen in sogenannten Mischwasserkanälen zu den Kläranlagen. In Deutschland sind ca. 42% der verbauten Kanalisationen Mischkanäle. Innerhalb der Bundesländer variiert dieser Wert aber stark. So beträgt der Anteil in Baden-Württemberg 80%, in Nordrhein-Westfalen 47% und in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein nur gut 6%.


In den Kläranlagen erfolgt die Reinigung der Abwässer in drei, manchmal auch in vier Stufen (mechanische, biologische und chemische Verfahren). Das gereinigte Wasser (Ablauf) gelangt danach in den Vorfluter, sprich die Oberflächengewässer. Je nach Größe der Kläranlage werden unterschiedliche Anforderungen an die maximalen Nährstoffkonzentrationen des ausgeleiteten Wassers gestellt.


Dabei richtet sich die Größeneinteilung nach sogenannten Einwohnerwerten (EW). Diese ergeben sich aus der Einwohnerzahl und der angesetzten Abwasseremission. Die Abwasserverordnung (AbwV) schreibt in Anhang 1 jedoch erst ab den beiden größten Klassen 4 und 5 mit EW größer 10000 Anforderungen für die maximale Konzentration von N und P im eingeleiteten Wasser vor. Hier gilt:


  • Klasse 4: 18 mg/l Nges. und 2 mg/l Pges.,
  • Klasse 5: 13 mg/l Nges. und 1 mg/l Pges.


Der Anteil an Kleinkläranlagen ohne Anforderungen an die Einleitkonzentration variiert je nach Bundesland stark. Doch selbst in Mecklenburg-Vorpommern, wo es strukturell noch viele Kleinkläranlagen gibt (91,3% bis zu 10000 EW), reinigen diese nur einen sehr kleinen Anteil Abwasser (16%). Somit entfallen auf Kläranlagen der Klasse 4 und 5 (> 10000 EW) 84% des Abwassers. Dennoch kann auch der vergleichsweise kleine Anteil an unzureichend geklärten Abwässern zu massiven Problemen führen, wenn diese dauerhaft in kleine, wenig Wasser führende Bäche geleitet werden.


Laut Umweltbundesamt (UBA) arbeiten die Länder gerade daran, entsprechend dem aktuellen Stand der Technik neue Mindestanforderungen für das Einleiten festzulegen. Diskutiert werden strengere Auflagen für große Anlagen sowie Mindestanforderungen für Kleinkläranlagen.


Kläranlagen rüsten auf


In den vergangenen Jahren haben Kläranlagen viel in Technik investiert und somit ihre Reinigungsleistung deutlich verbessert. Im Zeitraum von 1985 bis 2014 gingen die N- und P-Einträge über die Punktquellen um mehr als 300000 t Nges./Jahr (ca. 80%) und mehr als 50000 t Pges./Jahr (ca. 85%) zurück. Die aktuellen Abbauleistungen der Kläranlagen über 2000 EW liegen je nach Bundesland zwischen 80 bis 90% bei Stickstoff und 95 bis 98% bei Phosphor.


Auch wenn die Anlagen rein prozentual viel heraus reinigen, summieren sich die absoluten Frachten dennoch. Laut Lagebericht zur „Beseitigung kommunaler Abwässer“ leitet z.B. Sachsen-Anhalt 1244 t Nges./Jahr und 9855 t Pges./Jahr, Hessen 5969 t Nges./Jahr und 376 t Pges./Jahr in die Vorfluter (beides Stand 2018). In Niedersachsen gelangten 2017 noch 2203 t Nges./Jahr und 238 t P/Jahr alleine in die Weser (Übersicht 1 und 2).


Ins Verhältnis gesetzt


An der Gesamtbelastung der Oberflächengewässer machen die Mengen aus geklärten Abwässern bundesweit aktuell 17% bei Stickstoff und 30% bei Phosphor aus. Dadurch, dass sich die Punkteinträge in den vergangenen Jahren stark verringert haben, kommt bei Stickstoff nun einem anderen Eintragspfad mehr Bedeutung zu. Der N-Anteil, der durch Grundwasserzufluss in die Oberflächengewässer gelangt, stieg, bezogen auf die Gesamteinträge dadurch auf ca. 52% (250000 t/a, im Mittel der Jahre 2015/2016) und ist damit der relevanteste Eintragspfad.


Je nach Gewässer, kann es im Einzelnen deutliche Unterschiede geben. Während die Nährstoffeinträge in NRW in der Emscher fast ausschließlich aus Siedlungsentwässerungen kommen, ist der Eintrag bei Issel, Erft und Niers aus dem Grundwasser besonders hoch, da es diese Flüsse intensiv speist. Dabei werden die Nitrateinträge aus dem Grundwasser überwiegend der Landwirtschaft zugeschrieben.


Anders stellt sich die Situation bei Phosphor dar (Übers. 3). Hier verursachen die Kläranlagen noch immer fast die Hälfte aller P-Einträge. Welcher Anteil der Landwirtschaft tatsächlich zukommt, ist umstritten. Die Modellrechnungen sind für P nicht so genau, wie für N. 2018 war bekannt geworden, dass die in Hessen gemessenen P-Einträge nicht mit den modellierten Rechnungen zusammen passten. Laut UBA müssen Kläranlagen bei Phosphor noch weitere Maßnahmen unternehmen, um die Belastung zu reduzieren.


Badeverbot wegen Fäkalien


Einen Teil der genannten Gesamtbelastung verursachen Einträge von Mischwasserüberläufen. Kläranlagen kommen bei stärkeren Regenfällen oft an ihre Kapazitätsgrenzen. Dann leiten sie das Schmutzwasser der Mischwasserkanäle ungefiltert in die Gewässer. Damit gelangt nicht nur das Niederschlagswasser, sondern auch das Abwasser der Haushalte samt Toiletteninhalten in die Flüsse.


Nach Auswertungen der Länder Bayern und Baden-Württemberg kommt es hier jährlich ca. 20 mal zu sogenannten Entlastungsereignissen, in dessen Folge die Kläranlagen Mischwasser einleiten. Laut Angaben der zuständigen Behörde UBA ergibt sich daraus ein Anteil von ca. 2% (ca. 9000 t/Jahr) des Stickstoffes und 8% (ca. 1680 t/Jahr) des Phosphors am Gesamteintrag durch Kläranlagen. Diese Verunreinigungen nehmen aber regional ein so großes Ausmaß an, dass in vielen Flüssen das Baden z.T. dauerhaft verboten ist. In Berlin hat der Spreekanal zwar Badewasserqualität, nach starkem Regen ist er aber durch Fäkalien belastet. Ähnliches gilt für Ruhr und Neckar. Das in Essen eröffnete Naturbad muss nach stärkeren Niederschlägen für mindestens vier Tage gesperrt werden, bis sich die Wasserqualität regeneriert hat.


Es trifft aber nicht nur die Schwimmer. Auch Angler berichten über unappetitliche Dinge, die sie am Haken haben. Der bremerische Deichverband schreibt auf seiner Internetseite, dass Kanufahrer sich nach der Mischwassereinleitung häufig in einer Brühe aus Fäkalien und toten Fischen wiederfinden.


Kanalisationen undicht


Die Problematik der Mischwasserüberläufe verschärft sich noch durch einen weiteren Aspekt. Die Kanalisationskanäle, die das Abwasser zu den Kläranlagen führen, sind z.T. marode. Gerade bei den 30% der Leitungen, die bis Ende der 50er Jahre verlegt wurden, verrotten die Abdichtungen, sodass Fremdwasser in die Kanäle dringen kann. Nach Hochrechnungen weisen 20% aller Kanalhaltungen kurz- bis mittelfristigen Sanierungsbedarf auf.


Tritt Fremdwasser ein, übersteigen die Abwassermengen der Kläranlagen gerade bei stärkeren Niederschlägen schneller die Kapazitätsgrenze und es kommt zu ungeklärten Mischwasserausträgen. Darüber hinaus liegen ein nicht unerheblicher Teil der Abwasserleitungen im Grundwasser oder Grundwasserschwankungsbereich. Alleine in Bayern macht das ca. 20% der Misch- und Schmutzwasserkanäle aus. Diese Leitungen stehen, sollten sie Leckagen aufweisen, im direkten Kontakt mit dem Grundwasser. Das belastet die Kapazität der Kläranlagen, aber es führt auch zu Einträge in das Grundwasser. In der Regel wirken undichte Kanäle wie Drainagen, die eher Wasser aufnehmen, als abgeben. Dass der Eintrag durch Leckagen nur einen kleinen Teil der Gesamtbelastung ausmacht, belegt nach UBA-Angaben eine von den Bundesländern beauftragte aber noch nicht veröffentlichte Studie.


Politik und Verbände


Sowohl BMU und UBA als auch der BUND weisen auf top agrar-Anfrage klar darauf hin, dass sie die Landwirtschaft nicht alleine als Verursacher der Nährstoffeinträge sehen und damit nicht in der alleinigen Verantwortung das zu ändern. Gerade in puncto P-Einträge müsse bei den Kläranlagen weiter nachgebessert werden.


Alle drei stellen aber klar, dass die Kläranlagen bereits massive Anstrengungen unternommen hätten und die Punkteinträge sich bereits deutlich reduziert haben, wohingegen sich bei den Nitratwerten im Grundwasser in den letzten 30 Jahren keine signifikante Minderung gezeigt habe.


Eine Sprecherin des BMEL äußerte sich zu unser Anfrage wie folgt: „Frau Klöckner konzentriere sich darauf, dass die zu hohen Nährstoffeinträge aus der Düngung in das Grundwasser reduziert und das EuGH-Urteil gegen Deutschland umgesetzt wird. Kläranlagen sind weder Gegenstand der EG-Nitratrichtlinie, noch entwässern sie ins Grundwasser und können daher hier auch nicht herangezogen werden.“


anne-katrin.rohlmann@topagrar.com

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