Laut Weltbiodiversitätsstudie sind 1 Mio. Arten vom Aussterben bedroht. Diesen Trend umzukehren, ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, meint Agrarökologe Prof. Dr. Josef Settele.
Über 15000 Studien und andere Quellen hat der Weltbiodiversitätsrat ausgewertet, um die globale Lage der Arten zu analysieren. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie?
Settele: Wir haben im Rahmen dieser Studie den Schwerpunkt nicht nur auf Arten, sondern insbesondere auch auf die Funktionsweise von Ökosystemen gelegt sowie deren Bedeutung für den Menschen. Setzt sich der gegenwärtige Trend fort, ist zu erwarten, dass etwa 1 Mio. Arten aussterben. Des Weiteren ist z.B. festzustellen, dass drei Viertel der Landökosysteme und zwei Drittel der Meere vom Menschen bereits heute stark verändert wurden. Degradierung hat die Produktivität von 23% der globalen Landoberfläche reduziert. Bestäuber erbringen für den Menschen global Leistungen im Wert von 500 Mrd. € pro Jahr. Diesen Betrag müssen wir abschreiben, wenn uns die Arten verloren gehen. Weil zudem Wälder und Küstenlebensräume schwinden, sind 100 bis 300 Mio. Menschen erhöhten Flut- und Sturmrisiken ausgesetzt.
Wer oder was sind die Haupttreiber für den weltweiten Artenverlust?
Settele: Wichtig ist uns die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Treibern. Nach Analysen der Literatur sind derzeit bei den direkten Treibern die veränderte Land- und Meeresnutzung am wichtigsten, gefolgt von direkter Ausbeutung (z.B. Fischerei), Klimawandel, genereller Verschmutzung und Effekten invasiver Arten.
Diese direkten Treiber werden von den indirekten bestimmt. Zu ihnen zählen die nationalen Entwicklungsschwerpunkte, das Bevölkerungswachstum (kombiniert mit dem Pro-Kopf-Verbrauch), technische Innovationen und – besonders kritisch – Fragen des Regierungshandelns und der Verantwortlichkeit. Eine zentrale Rolle spielt auch die verstärkte globale Vernetzung – gepaart mit einer Produktion an einem Ende der Welt, um die Anforderungen entfernter Konsumenten in anderen Regionen zu erfüllen.
Wie ist die Lage in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
Settele: Der Bericht nimmt solche Vergleiche nicht vor. Der Rückgang der Artenvielfalt ist in Deutschland aber seit Jahrzehnten gravierend. Oft betrifft er Arten, die historisch durch die Landnutzung nach Deutschland gelangten und an die Kultursysteme angepasst waren. Bundesweit, und letztlich auch in großen Teilen Europas, ist eine Vereinheitlichung der Arten festzustellen. Da wir in Deutschland kaum Arten haben, die nur bei uns vorkommen, sind wir in der glücklichen Lage, nicht direkt für das vollständige Aussterben in unserem Land verantwortlich zu sein. Allerdings tragen wir durch internationale Verflechtungen, wie z.B. Soja-Importe aus Südamerika, durchaus zum Aussterben von Arten in Regionen bei, die sich durch eine sehr hohe Vielfalt einzigartiger Tiere und Pflanzen auszeichnen.
Welche Maßnahmen sind nötig, um den Artenrückgang in Deutschland zu bremsen?
Settele: Der Rückgang von Arten hängt zuallererst mit dem Verlust von Lebensräumen zusammen. Diese müssen wir erhalten oder wieder herstellen. Das betrifft Lebensräume in der intensiv genutzten Agrarlandschaft, wie Randstreifen oder Hecken, genauso wie Elemente traditioneller Kulturlandschaften, wie Weidelandschaften. Zudem ist mehr Störung und Unordnung wichtig, wie z.B. auf Truppenübungsplätzen. Auch eine extensivere Nutzung öffentlicher Flächen bis hin zu Gärten wäre positiv. Diese Maßnahmen sind umso effizienter, je weniger sie mit Einträgen von Nährstoffen und Schadstoffen einhergehen.
Was kann die Landwirtschaft tun, um möglichst kurzfristig die Artenvielfalt zu erhöhen?
Settele: Effizient wäre, kurzfristig den Pestizideinsatz – insbesondere die Anwendung von Insektiziden – weiter zu senken und den integrierten Pflanzenbau voranzutreiben. Potentiale bietet vor allem der integrierte Pflanzenschutz. Das dient der generellen Reduktion von Schadstoffen in unserer Umwelt, neben dem direkten Effekt, vor allem auf die Nicht-Zielarten in der Landschaft.
Grundsätzlich darf man den Artenrückgang in Deutschland aber nicht isoliert von anderen Ländern betrachten. Es gilt, die eigentlichen Ursachen anzugehen, also die zuvor genannten indirekten Treiber.
Wer muss handeln?
Settele: Der Bericht des Weltbiodiversitätsrates setzt auf die Zusammenarbeit über Sektoren hinweg und auf eine Kooperation zwischen Politik, Industrie und Gesellschaft als gemeinschaftliche Aufgabe. Es geht nicht darum, den einzelnen Landwirt, Politiker, Verbraucher oder Industriellen an den Pranger zu stellen.
Zudem stellen wir negative Subventionen heraus, die z.B. einseitig die Produktion auf Kosten der Nachhaltigkeit fördert. Die Verantwortung eines jeden ist gefragt – nicht zuletzt die des Verbrauchers und der Lebensmittelkonzerne. Wir brauchen einen „transformativen Wandel“ als Grundlage für eine nachhaltige Zukunft. Auch wenn dies zunächst unerreichbar erscheint, wurde es doch von allen 132 Mitgliedstaaten des Weltbiodiversitätsrates, inklusive Deutschland, USA, China, Brasilien, Russland, bei den Verhandlungen in Paris Anfang Mai so im Konsens verabschiedet. Das Interview führte Matthias Bröker
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Laut Weltbiodiversitätsstudie sind 1 Mio. Arten vom Aussterben bedroht. Diesen Trend umzukehren, ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, meint Agrarökologe Prof. Dr. Josef Settele.
Über 15000 Studien und andere Quellen hat der Weltbiodiversitätsrat ausgewertet, um die globale Lage der Arten zu analysieren. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie?
Settele: Wir haben im Rahmen dieser Studie den Schwerpunkt nicht nur auf Arten, sondern insbesondere auch auf die Funktionsweise von Ökosystemen gelegt sowie deren Bedeutung für den Menschen. Setzt sich der gegenwärtige Trend fort, ist zu erwarten, dass etwa 1 Mio. Arten aussterben. Des Weiteren ist z.B. festzustellen, dass drei Viertel der Landökosysteme und zwei Drittel der Meere vom Menschen bereits heute stark verändert wurden. Degradierung hat die Produktivität von 23% der globalen Landoberfläche reduziert. Bestäuber erbringen für den Menschen global Leistungen im Wert von 500 Mrd. € pro Jahr. Diesen Betrag müssen wir abschreiben, wenn uns die Arten verloren gehen. Weil zudem Wälder und Küstenlebensräume schwinden, sind 100 bis 300 Mio. Menschen erhöhten Flut- und Sturmrisiken ausgesetzt.
Wer oder was sind die Haupttreiber für den weltweiten Artenverlust?
Settele: Wichtig ist uns die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Treibern. Nach Analysen der Literatur sind derzeit bei den direkten Treibern die veränderte Land- und Meeresnutzung am wichtigsten, gefolgt von direkter Ausbeutung (z.B. Fischerei), Klimawandel, genereller Verschmutzung und Effekten invasiver Arten.
Diese direkten Treiber werden von den indirekten bestimmt. Zu ihnen zählen die nationalen Entwicklungsschwerpunkte, das Bevölkerungswachstum (kombiniert mit dem Pro-Kopf-Verbrauch), technische Innovationen und – besonders kritisch – Fragen des Regierungshandelns und der Verantwortlichkeit. Eine zentrale Rolle spielt auch die verstärkte globale Vernetzung – gepaart mit einer Produktion an einem Ende der Welt, um die Anforderungen entfernter Konsumenten in anderen Regionen zu erfüllen.
Wie ist die Lage in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
Settele: Der Bericht nimmt solche Vergleiche nicht vor. Der Rückgang der Artenvielfalt ist in Deutschland aber seit Jahrzehnten gravierend. Oft betrifft er Arten, die historisch durch die Landnutzung nach Deutschland gelangten und an die Kultursysteme angepasst waren. Bundesweit, und letztlich auch in großen Teilen Europas, ist eine Vereinheitlichung der Arten festzustellen. Da wir in Deutschland kaum Arten haben, die nur bei uns vorkommen, sind wir in der glücklichen Lage, nicht direkt für das vollständige Aussterben in unserem Land verantwortlich zu sein. Allerdings tragen wir durch internationale Verflechtungen, wie z.B. Soja-Importe aus Südamerika, durchaus zum Aussterben von Arten in Regionen bei, die sich durch eine sehr hohe Vielfalt einzigartiger Tiere und Pflanzen auszeichnen.
Welche Maßnahmen sind nötig, um den Artenrückgang in Deutschland zu bremsen?
Settele: Der Rückgang von Arten hängt zuallererst mit dem Verlust von Lebensräumen zusammen. Diese müssen wir erhalten oder wieder herstellen. Das betrifft Lebensräume in der intensiv genutzten Agrarlandschaft, wie Randstreifen oder Hecken, genauso wie Elemente traditioneller Kulturlandschaften, wie Weidelandschaften. Zudem ist mehr Störung und Unordnung wichtig, wie z.B. auf Truppenübungsplätzen. Auch eine extensivere Nutzung öffentlicher Flächen bis hin zu Gärten wäre positiv. Diese Maßnahmen sind umso effizienter, je weniger sie mit Einträgen von Nährstoffen und Schadstoffen einhergehen.
Was kann die Landwirtschaft tun, um möglichst kurzfristig die Artenvielfalt zu erhöhen?
Settele: Effizient wäre, kurzfristig den Pestizideinsatz – insbesondere die Anwendung von Insektiziden – weiter zu senken und den integrierten Pflanzenbau voranzutreiben. Potentiale bietet vor allem der integrierte Pflanzenschutz. Das dient der generellen Reduktion von Schadstoffen in unserer Umwelt, neben dem direkten Effekt, vor allem auf die Nicht-Zielarten in der Landschaft.
Grundsätzlich darf man den Artenrückgang in Deutschland aber nicht isoliert von anderen Ländern betrachten. Es gilt, die eigentlichen Ursachen anzugehen, also die zuvor genannten indirekten Treiber.
Wer muss handeln?
Settele: Der Bericht des Weltbiodiversitätsrates setzt auf die Zusammenarbeit über Sektoren hinweg und auf eine Kooperation zwischen Politik, Industrie und Gesellschaft als gemeinschaftliche Aufgabe. Es geht nicht darum, den einzelnen Landwirt, Politiker, Verbraucher oder Industriellen an den Pranger zu stellen.
Zudem stellen wir negative Subventionen heraus, die z.B. einseitig die Produktion auf Kosten der Nachhaltigkeit fördert. Die Verantwortung eines jeden ist gefragt – nicht zuletzt die des Verbrauchers und der Lebensmittelkonzerne. Wir brauchen einen „transformativen Wandel“ als Grundlage für eine nachhaltige Zukunft. Auch wenn dies zunächst unerreichbar erscheint, wurde es doch von allen 132 Mitgliedstaaten des Weltbiodiversitätsrates, inklusive Deutschland, USA, China, Brasilien, Russland, bei den Verhandlungen in Paris Anfang Mai so im Konsens verabschiedet. Das Interview führte Matthias Bröker