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Droht ein Wirkstoff-Kahlschlag aus Brüssel?

Lesezeit: 6 Minuten

Die EU-Kommission will verschärfte Kriterien für die Zulassung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen festlegen. Dies könnte das Aus für viele Fungizide, Herbizide und Insektizide bedeuten. Die Entscheidung darüber soll Mitte 2014 fallen.


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Jedem Landwirt ist noch der rasante Wirkungsverlust der Strobilurine im Gedächtnis. Als Hoffnungsträger gestartet, wirkten sie schon nach wenigen Jahren nicht mehr sicher gegen Mehltau, Septoria und DTR. Eine einzige Punktmutation des Pilzes genügte, um die Wirksamkeit aller Strobis zu überwinden. Bei der neuen Fungizidklasse der Carboxamide ist es ähnlich. Bereits eine genetische Änderung kann die Wirksamkeit auf Null setzen.


Bei jeder Fungizidstrategie ist daher ein effektives Resistenzmanagement fast überlebenswichtig, damit die Wirkstoffe möglichst lange nutzbar bleiben. Zurzeit profitieren z. B. die Carboxamide von den „älteren“ Azolen und umgekehrt. Durch die Kombination unterschiedlicher Azole mit Carboxamiden lässt sich der Wirkverlust verlangsamen.


Genauso sind die Herbizide und Insektizide auf ein funktionierendes Resistenzmanagement angewiesen. Das zeigt die schnelle Resistenzentwicklung bei Fuchsschwanz, Windhalm und mittlerweile sogar bei Kamille. Immer mehr Resistenzen gibt es auch beim Rapsglanzkäfer. Von Pyrethroiden lässt er sich jedenfalls kaum noch beeindrucken.


Damit könnte jetzt bald Schluss sein. Denn Brüssel plant eine deutlich verschärfte Pflanzenschutz-Gesetzgebung. Sie könnte das mühsam aufgebaute Resistenzmanagement ins Wanken bringen. Denn wichtige Wirkstoffgruppen, wie z. B. die Azole, könnten nach den EU-Plänen künftig wegfallen. Im schlimmsten Fall wären dann einige Krankheiten oder Unkräuter kaum noch bekämpfbar. Worum geht‘s und was steht auf dem Spiel?


Strengere Bewertung:

Obwohl Pflanzenschutzmittel in Deutschland bereits einem strengen Zulassungsverfahren unterliegen, hat Brüssel mit der EU-Pflanzenschutzverordnung EG 1107/2009 erstmals sogenannte Ausschlusskriterien (Cut-off-Kriterien) zur Wirkstoffbewertung eingeführt. Erklärtes Ziel ist es, dadurch den Verbraucher- und Umweltschutz weiter zu verbessern sowie den Pflanzenschutz innerhalb der EU zu vereinheitlichen.


Neu bei dieser Art der Wirkstoffbewertung ist Folgendes: Es gilt nicht mehr – wie bisher – das tatsächliche Risiko, das von einem Wirkstoff ausgeht, sondern die mögliche Gefahr des unverdünnten Stoffs für Mensch, Tier und Umwelt. Das heißt: Weg von der Risikobewertung, hin zum Vorsorgeprinzip.


Viele der zum Teil bereits festgelegten Ausschlusskriterien erfüllen die Wirkstoffe wegen der strikten Zulassungsregeln schon seit Längerem. So sind in Deutschland z. B. keine schwer abbaubaren, organischen Stoffe zugelassen.


Wirkstoffe auf der Kippe!

Dramatische Folgen für den Pflanzenschutz könnte aber das Ausschlusskriterium „Wirkungen auf den Hormonhaushalt“ (endokrine Wirkung) haben. Eine Definition zur endokrinen Wirkung von Wirkstoffen sollte – so der ursprüngliche Plan – bereits Ende 2013 vorliegen. Bisher hat die EU-Kommission einen ersten Vorschlag vorgelegt, der es allerdings in sich hat.


Demnach will die EU künftig keine Wirkstoffe mehr zulassen, die in Verdacht stehen, sich schädlich auf das Hormonsystem auszuwirken. Natürlich erhält ein Wirkstoff, der nachweislich eine hormonschädigende Wirkung hat, richtigerweise auch nach derzeitigem Recht keine Zulassung. Der EU-Vorschlag sieht aber nun vor, dass bereits ein nicht belegbarer Verdacht für eine Nichtzulassung ausreicht. Das würde das Ende vieler, wichtiger Wirkstoffe bedeuten.


Diese Pläne bewerten viele Fachleute kritisch. Denn so ein System ließe bei der Mittelzulassung große Spielräume und ist sehr anfällig für Fehlinterpretationen. Eine erste Folgenabschätzung auf Basis der EU-Vorschläge hatte die britische Zulassungsbehörde „Pesticide Safety Directorate“ (PSD) veröffentlicht. Im schlimmsten Falle droht Folgendes:


  • Deutlich weniger Pflanzenschutzmittel in Europa.
  • Rund 37 Wirkstoffe wären betroffen und würden vom Markt verschwinden. Ob dies mit Zulassungsende der Produkte, also schleichend, erfolgt oder zu einem festen Stichtag, ist noch offen.
  • Die Gruppe der Fungizide, vor allem der Triazol-Fungizide, würde es am stärksten treffen. Ein Beispiel: Von den 50 marktbedeutenden Getreidefungiziden würden wegen des Ausschlusskriteriums „endokrine Wirkung“ 24 relativ sicher wegfallen, bei weiteren elf Mitteln wäre der Verlust wahrscheinlich.
  • Ein Resistenzmanagement, das derzeit z. B. mithilfe der FRAC-Einstufung (teilt die Fungizide in Wirkklassen ein, um Resistenzen vorzubeugen) gut funktioniert, wäre mit nur wenigen Sub-stanzklassen kaum noch möglich.
  • Der Wegfall von bis zu drei Insektizidwirkstoffen würde die Schädlingskontrolle weiter erschweren.


Lässt sich die Lücke schließen?

Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Industrie zumindest einige der wegfallenden Wirkstoffe kurzfristig ersetzen kann. Diese Einschätzung halten viele Experten aber für unzutreffend. Sie begründen dies damit, dass die Zulassungsanforderungen in den letzten Jahren immer weiter gestiegen sind. Das bremst die Innovationsgeschwindigkeit. Viele neue Produkte enthalten bekannte Wirkmechanismen. Von „älteren“ Mitteln unterscheiden sie sich häufig nur in den Wirkstoffgehalten oder in der Formulierung.


Dass die Abstände, in denen neue Wirkstoffe entwickelt und zugelassen werden, immer länger werden, belegt die Übersicht. Mittlerweile dauert die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs wegen der hohen Zulassungshürden im Schnitt 10 Jahre und kostet rund 200 Mio. €.


Wie sich immer strengere Zulassungshürden auswirken, zeigen die vergangenen 30 Jahre. Im Jahr 1984 gab es noch 1 823 Pflanzenschutzmittel und 302 Wirkstoffe, im Jahr 2012 waren es dagegen nur noch 729 Mittel und 261 Wirkstoffe. Bei den Herbiziden ist die letzte wirklich neue Klasse fast 30 Jahre alt. Das belegen Erhebungen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.


Der Zeitplan:

Die endgültige Definition zur „endokrinen Wirkung“ von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen will die EU-Kommission Mitte 2014 festlegen. Je nach Schärfe der Definition entscheidet sich dann, wie viele Wirkstoffe wir künftig noch zur Verfügung haben werden. Die Federführung in Brüssel liegt bei der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (GD Sanco).


Die Folgenabschätzung für den ersten von der Kommission vorgelegten Vorschlag erfolgt noch in diesem Herbst. Bei diesem Impact Assessment (Kasten auf Seite 61) wird die Öffentlichkeit beteiligt. So können sich Unternehmen, Bauernverbände, Umweltorganisationen und auch einzelne Landwirte an der Diskussion beteiligen und sollten dies auch tun.


Ansatzpunkte für Kritik gibt es jedenfalls reichlich: So stehen die Vorschläge z. B. nicht im Einklang mit dem WTO-Handelsabkommen, da ein Wirkstoffkahlschlag die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte in der EU schwächen würde. Zudem sind die EU-Vorschläge nicht mit dem derzeit geltenden Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz vereinbar. Dieser hebt sogar hervor, dass Pflanzenschutz und ein funktionierendes Resistenzmanagement für die Produktion von gesunden pflanzlichen Produkten absolut nötig sind.


Matthias Bröker


Auf Seite 64 stellt sich EU-Gesundheits- kommissar Tonio Borg unseren Fragen.

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