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Interview

EU-Zulassungssystem: „Wir wollen schneller werden“

Lesezeit: 7 Minuten

Das Zulassen von Pflanzenschutzmitteln muss künftig schneller gehen. Mit welchen Maßnahmen das BVL den Zulassungsstau abbauen will, fragte top agrar Dr. Martin Streloke.


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Die Wiederzulassung und vor allem die Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel gehen nicht voran. Die Landwirte warten auf neue, wirksame Mittel, die ihnen den integrierten Pflanzenschutz und das Resistenzmanagement erleichtern. Wie viele Zulassungsanträge befinden sich zurzeit in der Warteschleife?


Dr. Streloke: Aktuell sind 543 Anträge auf Zulassung oder Erweiterung einer bestehenden Zulassung in Arbeit. Davon sind 253 verfristet. Natürlich handelt es sich dabei nicht in allen Fällen um Mittel mit neuen Wirkstoffen. Es werden auch viele Mittel mit bekannten Wirkstoffen beantragt.


Die Terminüberschreitungen sind für das BVL selbstverständlich nicht akzeptabel. Zusammen mit den drei beteiligten Behörden setzen wir alles daran, die Situation zu verbessern. In vielen Fällen können wir Härten für die Landwirtschaft durch Verlängerungen bestehender Zulassungen vermeiden. Man muss allerdings auch sagen: Wir haben derzeit 759 zugelassene Mittel am Markt.


Gesetzlich ist eine Bearbeitungszeit von maximal 120 Tagen vorgegeben. Eine Prüfung (EU-Audit) der EU-Kommission zeigt, dass man in Deutschland für die Bearbeitung aber durchschnittlich 757 Tage benötigt. Was sind die Gründe dafür und welche Ansätze gibt es, die Fristen künftig einzuhalten?


Dr. Streloke: Die Frist von 120 Tagen gilt für den Fall, dass ein Mitgliedsstaat die Zulassung eines anderen übernimmt. Dem Mitgliedsstaat, der den Antrag bewertet und die erste Zulassung erteilt, gewährt das EU-Recht eine Frist von 12 bis 18 Monaten – je nachdem, wie lange der Antragsteller benötigt, um eventuelle Datenlücken zu schließen.


Ein Grund für Fristüberschreitungen ist ein hoher Antragseingang in den letzten Jahren, den wir nicht vorhergesehen haben. Darauf waren wir personell nicht eingestellt. Hinzu kommt, dass die EU-Verordnung den Behörden in der Antragsbearbeitung sehr viel an Berechnungen, Bewertungen und Dokumentationen abverlangt.


Zudem ist der Grad der Harmonisierung in der EU noch nicht befriedigend. Es gibt zu viele Alleingänge bei den Risikobewertungen und Risikomanagement-Maßnahmen in den Behörden der Mitgliedsstaaten. Deshalb hakt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Mitgliedsstaaten. Um die Lage künftig zu verbessern, müssen die zuständigen Behörden der EU-Staaten effektiver zusammenarbeiten und auch mal Kompromisse eingehen.


Zu verbessern sind zusätzlich die internen Prozesse in und zwischen den deutschen Behörden – auch im BVL. Hierzu wurden Sofortprogramme aufgelegt, um die Anzahl der nicht fristgerecht entschiedenen Anträge deutlich zu reduzieren.


Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sollte die Zulassungspraxis in der EU harmonisieren und damit vereinheitlichen und beschleunigen. Das Gegenteil ist der Fall. Warum ist eine Harmonisierung des Verfahrens mit Deutschland nicht möglich, obwohl doch der Rechtsrahmen dafür steht?


Dr. Streloke: Das EU-Recht mit der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gilt für alle Mitgliedsstaaten. In dem umfangreichen Regelwerk aus Durchführungsverordnungen und technischen Leitfäden stoßen wir aber immer wieder an Bestimmungen, die nicht eindeutig sind. Die Mitgliedsstaaten legen sie fachlich oder juristisch unterschiedlich aus. Manchmal fehlen auch harmonisierte formale oder fachliche Prozeduren. Die Behörden der Mitgliedsstaaten versuchen derzeit zusammen mit den EU-Institutionen, diese Lücken in der Harmonisierung zu schließen. Das ist zeit- und ressourcenintensiv. Dazu kommt, dass die Kompromissbereitschaft in verschiedenen Behörden und Themenbereichen nur wenig ausgeprägt ist.


Deutschland verlangt, anders als andere EU-Staaten, bei Pflanzenschutzmitteln mit mehreren Wirkstoffen eine vollständige Neubewertung nach der Genehmigung des ersten Wirkstoffs. Die EU sieht das erst beim letzten Wirkstoff vor. Eine Synchronisation und kombinierte Bewertungen mit anderen EU-Staaten sind so nicht möglich. Warum die Doppelarbeit?


Dr. Streloke: Wenn die betreffenden Wirkstoffe innerhalb eines Jahres erneut genehmigt werden, dann soll nach den EU-Regelungen die Überprüfung nur einmal erfolgen – und zwar nach Genehmigung des letzten Wirkstoffs. Auch die zuständigen deutschen Behörden werden sich künftig an diese technische Leitlinie halten.


Eine Ausnahme könnten Fälle sein, bei denen man durch einen weiteren Wirkstoff sehr hohe Risiken für Gesundheit und Umwelt erwartet.


Im Audit-Bericht steht, dass es besonders für generische Pflanzenschutzmittel schwierig sei, eine Zulassung zu bekommen. Ist das so? Wenn ja, warum?


Dr. Streloke: Alle Anträge, egal ob von Erstantragstellern oder Zweitantragstellern, durchlaufen im BVL dasselbe Verfahren mit denselben Ablauf- und Zeitplänen. Wenn sich die Anträge von Zweitantragstellern in der Bearbeitung verzögern, hat das individuelle Gründe: Es kann z.B. daran liegen, dass die Verwertungsrechte an Studien des Erstantragstellers noch zu klären sind.


Welche konkreten Maßnahmen will das BVL kurzfristig umsetzen, um die Zulassungspraxis zu beschleunigen?


Dr. Streloke: Das BVL hat bereits vor dem EU-Audit mit Gegenmaßnahmen begonnen. Nach dem Antragseingang geben wir eine schnellere Rückmeldung zu formalen und technischen Mängeln, die die Antragsteller dann auch zügiger beheben können. Das entlastet die Bewertungskapazitäten in den beteiligten Behörden. Um die Entscheidungen zu vereinheitlichen, wurde zudem die Mitarbeit Deutschlands in der zentralen EU-Zulassungszone gestärkt. Außerdem konnten wir die Personalkapazität erhöhen. Das Sofortprogramm zum Abbau der verfristeten Anträge hatte ich bereits erwähnt.


Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat Ende vergangenen Jahres in zwei Verfahren klargestellt, dass bei der Übernahme von Zulassungsentscheidungen anderer Mitgliedsstaaten das Prinzip des Vertrauens gelten muss. Dies wird nun vom BVL und den drei beteiligten Behörden in den laufenden Verfahren umgesetzt. Ich bin überzeugt, dass dies das Verfahren spürbar beschleunigen wird.


Welche konkreten Maßnahmen planen die Beteiligungsbehörden (UBA, BfR und JKI), um den Zulassungsstau abzubauen? Gibt es dazu aktuell Gespräche?


Dr. Streloke: Zwischen dem BVL und den drei beteiligten Behörden finden regelmäßige Sitzungen auf fachlicher Leitungsebene statt. Dazu kommt ein Austausch im täglichen Geschäft. Über Verbesserungen in den Abläufen beraten die Behörden gemeinsam.


Darüber hinaus gibt es Maßnahmen, welche die einzelnen Häuser verantworten. Darunter fällt z.B. die Aufstockung von Personal.


Stimmt es, dass die Aufgaben bei der Risikoabschätzung und beim -management zwischen dem UBA und dem BVL nicht klar abgegrenzt und nur im Konsens zu entscheiden sind, was wiederum zu Verzögerungen führt? Falls ja, wie soll das Problem gelöst werden?


Dr. Streloke: Diese Beobachtung steht im Bericht der EU-Auditoren. Tatsache ist, dass das UBA – anders als die beiden anderen Behörden – gesetzlich den Status einer Einvernehmensbehörde hat. Das BVL ist somit stärker an die Bedingungen gebunden, die das UBA an seine Zustimmung zur Zulassung nach der Risikobewertung knüpft. Unterschiedliche Auffassungen zum Risikomanagement erfordern eine Verständigung mit dem UBA. Das kann zu Verzögerung führen. Allerdings laufen diese Abstimmungen auf direkten Wegen. Erst kürzlich haben sich die Präsidenten beider Häuser auf weitere Maßnahmen verständigt.


Die EU schlägt in ihrem Audit „Schnellverfahren für Zulassungserweiterungen“ oder das Zusammenfassen ähnlicher Anträge zur Bearbeitung vor. Sind das Ansätze, um Zulassungsstaus zu vermeiden?


Dr. Streloke: Für Ausweitungen von Zulassungen auf geringfügige Verwendungen („Lückenindikationen“) besteht bereits ein vereinfachtes Verfahren. Bei der insgesamt großen Arbeitsbelastung kommt es aber auch hier momentan zu Verzögerungen. Das parallele Bearbeiten ähnlicher Anträge erfolgt in den Behörden, wenn es eine sachliche Begründung dafür gibt. Allerdings muss das BVL auf die Gleichbehandlung der Antragsteller achten und kann nicht willkürlich die Reihenfolge der Bearbeitung ändern.


Das Gespräch führte top agrar-Redakteur Matthias Bröker

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