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Nitratmessnetze – alles Augenwischerei?

Lesezeit: 9 Minuten

Wie gestaltet Deutschland seine Grundwassermessnetze? Wie machen es andere EU-Länder? Wie entwickeln sich die Werte? top agrar gibt Antworten zu der komplexen Thematik.


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Seit Deutschland verschärfte Düngeregeln bei der EU-Kommission eingereicht hat, flammt die lange schwelende Diskussion über die Nitratmessstellen neu auf. Das Nitratmessnetz schade den deutschen Landwirten. Deutschland messe an falschen Stellen und zu wenig. Andere Länder machen alles anders. Das sind einige Vorwürfe. Aber ist das wirklich so?


Das Thema Nitratmessstellen ist sehr vielschichtig. Verschiedene Messstellennetze bedienen unterschiedliche Verordnungen und Ziele. Daher muss man schon sehr genau hinsehen, um belastbare Aussagen treffen zu können.


Deutsche Messstellennetze


Um die Nitratgehalte des Grundwassers zu überwachen, gibt es eine sehr große Anzahl von Messstellen in Deutschland. Für die Einrichtung und den Betrieb sind die einzelnen Bundesländer verantwortlich. Die verschiedenen Messnetze greifen in der Regel auf bestehende Messstellen zurück. Jedes Messnetz dient einem anderen Zweck. Zu unterscheiden ist zwischen dem Messnetz für die Europäische Umwelt- agentur (EUA), dem EU-Nitratmessnetz und dem Wasserrahmenrichtlinien-Messnetz (WRRL).


  • EUA-Messnetz: Es soll einen allgemeinen Überblick über die Grundwasserbeschaffenheit in Deutschland geben und dient der jährlichen Berichterstattung an die Europäische Umweltagentur. Die 1215 Messstellen sollen die Verteilung jeglicher Landnutzung repräsentieren. Sie erfassen daher sowohl Einflüsse von Siedlung (9%) und Wald (30%), als auch von Grünland (11%), Acker (45%) und Sonderkulturen (1%) sowie sonstigen Flächen (4%). Die Anzahl der Messstellen in den einzelnen Bundesländern ergibt sich aus der jeweiligen Flächengröße.


Dieses Messnetz hat direkt erst einmal nichts mit der Landwirtschaft zu tun, sondern gibt die allgemeine Grundwasserbelastung in Deutschland wieder.


  • EU-Nitratmessnetz: Alle Messstellen dieses Messnetzes sind immer auch Messstellen des EUA-Messnetzes. Das EU-Nitratmessnetz bezieht sich direkt auf die Landwirtschaft. Mit diesen Daten bewertet die EU-Kommission alle vier Jahre, wie effektiv die Maßnahmen des Aktionsprogramms sind, mit denen die Nitratrichtlinie umgesetzt wird. Deutschland und andere Staaten (u.a. Österreich, Dänemark, die Niederlande und Irland) entschieden sich 1991 dafür, das Aktionsprogramm (in Deutschland im wesentlichen die DüV) für ihr gesamtes Gebiet anzuwenden. In diesem Falle fordert die EG-Nitratrichtlinie, die Messnetze so auszulegen, dass bei den Messstellen ein Zusammenhang zwischen den Messwerten und der landwirtschaftlichen Nutzung besteht.


Zunächst betrieb Deutschland ein sogenanntes Belastungsmessnetz mit 162 Messstellen. Diese lagen nur an Messpunkten, an denen von einer erhöhten Grundwasserbelastung auszugehen war. Die EU bemängelte in ihrem Bericht 2012 die zu geringe Messstellendichte Deutschlands. Daraufhin weitete man 2015 das Messnetz auf 697 Messstellen aus. Es weist nun 2 Messstellen/1000 km2 auf. Das entspricht 3,7 Messstellen/1000 km2 landwirtschaftliche Fläche. Gleichzeitig wandelte man das Belastungsmessnetz in ein repräsentatives Messnetz um. Dieses spiegelt die gesamte landwirtschaftliche Situation in der Fläche wider und nicht nur die belasteten Gebiete. Für die Ausgestaltung stimmten sich die Bundesländer untereinander ab.


Beprobt wird das oberflächennahe Grundwasser, je nach Grundwasserstand in 5 bis 20 m Tiefe. In diesen Tiefen zeigen die Werte menschliches Handeln, also die Nitratausträge aus der Nutzung der landwirtschaftlichen Fläche auf. Je tiefer man misst, um so größer ist der Einfluss geologischer oder hydrogeologischer Effekte (u.a. Nitrat- abbau, Einfluss der Sickerwassermengen). Gleichzeitig lassen sich bei der Beprobung des oberflächennahen Grundwassers Effekte von nitratreduzierenden Maßnahmen schneller nachweisen, als in tieferen Schichten. Deutschland erhoffte sich, so möglichst schnell Erfolge präsentieren zu können.


In den aktuellsten EU-Bericht (Betrachtungszeitraum 2012-2015) flossen die Messdaten des neuen EU-Nitratmessnetzes bereits ein.


  • WRRL-Messnetz: Dieses weitere Messnetz betrifft die WRRL, die 2000 in Kraft trat. Sie hatte zum Ziel, einen europäisch einheitlichen Ordnungsrahmen zu schaffen, um gute Gewässerzustände zu erreichen. Aufgabe des WRRL-Messnetzes ist, die einzelnen Grundwasserkörper in Deutschland u.a. hinsichtlich ihrer Nitratbelastung zu bewerten. Damit lassen sich gefährdete Gebiete für Maßnahmen abgrenzen. Die Größe eines Grundwasserkörpers ist durch die hydrogeologischen Begebenheiten festgelegt.


Die Messergebnisse des WRRL-Messnetzes entscheiden darüber, ob ein Grundwasserkörper rot (nitratbelastet) oder grün (unbelastet) ist. Bisher galt: weisen 1/3 der Messstellen (bzw. Fläche) mehr als 50 mg/l Nitrat auf, wird der Grundwasserkörper rot „geschaltet“. Da die 1/3-Regelung aber nicht ganz den Vorgaben der WRRL entsprach, liegt der Grenzwert nun bei 20% der Messstellen/Fläche. Ob ein Grundwasserkörper rot ist oder nicht, bewerten die zuständigen Landesämter alle sechs Jahre neu. Dies steht jetzt aktuell wieder an.


Die Anzahl der Messstellen je Grundwasserkörper hängt von der Größe und Art der Deckschicht ab. Jede Messstelle hat in etwa ein gleich großes Einzugsgebiet. Mit insgesamt 7165 Messstellen weist das WRRL-Messnetz eine deutlich höhere Dichte auf, als das EU-Nitratmessnetz. Alle Grundwasserkörper sind zunächst mit insgesamt 4892Überblicksmessstellen ausgestattet. Hinzu kommen 2273 operative Messstellen an Orten, an denen eine erhöhte Belastung auftritt. Der überwiegende Teil der EU-Nitratmessstellen findet sich auch im WRRL-Messnetz wieder.


Wie groß ist das problem?


Die Ergebnisse des flächen- und nutzungsrepräsentativen EUA-Messnetzes bilden die Nitratverteilung im Grundwasser jeglicher Landnutzung in Deutschland ab. Laut Nitratbericht 2016 lieferte der größte Anteil der Messstellen (64,5 %) Werte unter 25 mg/l Nitrat. Allerdings wiesen im Zeitraum 2012 bis 2014 insgesamt 18,1 % der Messstellen Werte über 50 mg/l Nitrat auf. Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum ergab sich kaum Veränderung (18,3 %). Von den 1215 Messstellen sind 517 nicht der Landwirtschaft zugeordnet (Siedlung, Wald und Sonstiges). Von ihnen überschreiten, nach Angaben des Umweltbundesamtes, 5,7% den Schwellenwert von 50 mg/l Nitrat. Das betrifft vor allem Siedlung und Industrie.


Das EU-Nitratmessnetz liefert die Daten, mit denen die EU-Kommission die Umsetzung der EG-Nitratrichtlinie bewertet und die damit direkt der Landwirtschaft zugeordnet sind. Die Messungen am neuen EU-Nitratmessnetz ergaben, dass 48,3 % der Messstellen Nitratkonzentrationen unter 25 mg/l Nitrat aufweisen. Das klingt zwar positiv. Solche Werte sollten aber der Normalfall sein. Daher bewertet die EU-Kommission nur die Daten, die zum Handeln zwingen. Also den Anteil der Messstellen, mit Werten oberhalb des Schwellenwertes von 50 mg/l Nitrat. Und vor allem wie sich diese entwickeln. Genau hier liegt Deutschlands Problem. Im Zeitraum 2012 bis 2014 überschritten im deutschen EU-Nitratmessnetz 28 % der Messstellen den Wert von 50 mg/l Nitrat. Von den 697 Messstellen, die das EU-Nitratmessnetz repräsentieren, gibt es von 692 Messstellen auch Werte aus dem Zeitraum 2008 bis 2012. Hier zeigt sich ein nahezu identisches Bild (Übersicht 2). 48,3 % der Werte liegen unter 25 mg/l Nitrat und 28 % über 50 mg/l Nitrat.


Zwischen den Zeiträumen gab es nahezu gleich viele Messstellen, an denen die mittleren Nitratgehalte stark zu- (16,3%) bzw. stark abnehmen (15,9%). Abnehmende bzw. zunehmende Tendenzen gab es sowohl an belasteten, als auch an unbelasteten Messstellen. An knapp 40% der Messstellen blieben die Konzentrationen unverändert.


Die Daten des WRRL-Messnetzes ergeben zusätzlich, dass 27,1% der Grundwasserkörper keinen guten chemischen Zustand, aufgrund zu hoher Nitratkonzentration, erreichen. Ein Grundwasserkörper wird dann als „rot“/belastet eingestuft, wenn 20% der Fläche eine Nitratbelastung oberhalb des Schwellenwertes von 50 mg/l Nitrat aufweist.


Der Blick auf die Karte (Übersicht 1, Seite 51) zeigt, dass dies vor allem in Regionen mit hohem Anfall an organischen Düngern der Fall ist (u.a. Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen). Aber auch intensiver Gemüseanbau hinterlässt seine Spuren (u.a. Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg). In Teilen Sachsen und Sachsen-Anhalts bereiten die sehr geringen Niederschlagsmengen und der Qualitätsweizenanbau Probleme. Hier fehlt es schlichtweg an der Verdünnung durch Regen.


Der Druck auf die deutsche Landwirtschaft resultiert vor allem daraus, dass kein positiver Trend bei den Ergebnissen des EU-Nitratmessnetzes zu erkennen ist. Die EU-Kommission bewertet die Novellierung der DüV 2017 als nicht ausreichend, um diese Problematik in den Griff zu bekommen. Daher muss Deutschland nachbessern.


Gerade EU-Länder, die bereits für ihre Landwirtschaft über Düngereglementierung einschneidende Maßnahmen ergriffen haben, sehen wegen möglicher Wettbewerbsverzerrung genau hin, wie die EU-Kommission mit Deutschland verfährt. Deutschland steht mit Werten von unverändert 28% belasteten Messstellen im EU-Vergleich nicht gut da (Übersicht 3). Liegt es daran, dass andere Länder alles anders machen?


Wie messen andere Länder?


Die Nitratrichtlinie enthält zwar bestimmte allgemeine Überwachungsvorschriften. Die Verantwortung für die Festlegung des Überwachungsprogramms und der Strategie (Standort der Messstellen, Netzdichte, Probenahmen usw.) liegt jedoch bei den Mitgliedstaaten. Die Überwachungsintensität (Überwachungsnetzdichte und Probenahmehäufigkeit) schwankt zwischen den Mitgliedstaaten stark. Auch die EU-Kommission verweist in ihrem aktuellen Bericht darauf, dass die Mitgliedstaaten bei der Gewässerüberwachung uneinheitlich vorgehen. Darauf lassen die übermittelten Daten schließen.


Die Übersicht 4 bestätigt diese Feststellung exemplarisch für einige EU-Länder. Die mittlere Messnetzdichte liegt in der EU-28 bei 8 Stationen/1000 km2 Landfläche. Deutschland liegt mit 2 Stationen weit unter dem Durchschnitt, während Länder wie Dänemark, Österreich oder die Niederlande viel mehr Messstellen melden.


Im Zeitraum 2012 bis 2015 verzeichneten 13,2% der von den EU-Staaten gemeldeten Messstellen einen Nitratwert von über 50 mg/l Nitrat. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Übersicht 4). Irland und Finnland weisen nahezu keine Messstellen auf, an denen der Schwellenwert überschritten wird. Das ist zum einen der landwirtschaftlichen Struktur der Länder geschuldet. Inwieweit die Auslegung des Messnetzes darauf Einfluss nimmt, ist schwer zu beurteilen. Zumindest in Finnland ist die Messstellendichte sehr gering. Deutschland und Spanien hingegen stechen mit über 20% Messstellen, die über 50 mg/l Nitrat aufweisen, deutlich negativ hervor.


Die 50% der Messstellen welche in Deutschland zwischen 2004 und 2007 über 50 mg/l Nitrat lagen, sind nicht vergleichbar, weil sie dem Belastungsmessnetz in Deutschland geschuldet sind. Die Daten ab 2008 stammen aber aus dem repräsentativen Messnetz. Obwohl es offiziell erst 2015 eingerichtet wurde, existierten die Messstellen bereits davor, sodass auf die Werte zurückgegriffen werden konnte.


Die EU-Kommisssion erwähnt in ihrem Bericht, dass die Messwerte um so höher sind, je flacher die Entnahmetiefe war. Das lässt darauf schließen, dass die Länder auch in diesem Punkt unterschiedlich vorgehen.


Was lässt sich ableiten?


Es wäre Aufgabe der EU, bei der EG-Nitratrichtlinie nachzubessern und auf einheitliche Messstandards zu drängen. Die EU-WRRL, die knapp zehn Jahre nach der EG-Nitratrichtlinie in Kraft trat, ist diesbezüglich schon weiter entwickelt und einheitlicher.


Doch trotz aller Unterschiede zwischen den Ländern: Die EU-Kommission beurteilt vor allem die Entwicklung an den Messstellen der einzelnen Mitgliedstaaten. Sie bezieht dabei auch die jeweilige landwirtschaftliche Intensität ein. Damit ist es weniger erheblich, ob alle gleich messen, sondern wichtiger, dass das Messnetz repräsentativ für die landwirtschaftliche Struktur des Landes ist und die Daten durchgehend einheitlich erhoben werden.


anne-katrin.rohlmann@topagrar.com

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