Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Aus dem Heft

Pflanzenschutz: Von der Substanz bis zum Produkt

Lesezeit: 10 Minuten

Lassen sich neue Wirkstoffe so schnell entwickeln, wie alte zurzeit wegfallen? Welche Herausforderungen bis zur Zulassung zu meistern sind, haben wir einen Hersteller gefragt.


Das Wichtigste zum Thema Ackerbau dienstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Der viel diskutierte Wirkstoffverlust schlägt nun richtig zu. Hingegen scheint es kaum neue Substanzen zu geben – und das in einer Zeit, in der Resistenzen bei Ungräsern, Schädlingen und Pilzen zunehmen.


Doch warum dauert es so lange, bis neue Wirkstoffe – möglichst sogar mit neuem Wirkmechanismus – auf dem Markt sind? Und welche gesetzlichen Sicherheitsbestimmungen gelten bei der Entwicklung mittlerweile? Um diese Fragen zu klären, sprachen wir mit Wissenschaftlern und Experten der BASF. Nachfolgend beschreiben wir den Weg eines Pflanzenschutzmittels vom neuen Molekül bis zur Zulassung. Dabei skizzieren wir auch die wachsenden Herausforderungen in den jeweiligen Entwicklungsschritten.


Frühe Forschung: die Suche nach der Nadel im Heuhaufen


In der ersten Phase der Wirkstoffentwicklung geht es darum, Substanzen zu finden, die gegen einen Schadorganismus wirken. Dazu gehen Wissenschaftler wie folgt vor: Entweder suchen sie aus einem großen Pool von Substanzen diejenigen heraus, die auf verschiedene Pathogene wie z.B. den Krautfäulepilz wirken (Organismus-basierter Ansatz). Oder sie konzentrieren sich auf Substanzen, deren Wirkmechanismus bekannt ist (z.B. weil die Wirkstoffgruppe gut erforscht ist). Gleichzeitig müssen die Forscher schon jetzt die Nebenwirkungen identifizieren.


Insgesamt untersuchen die Wissenschaftler in dieser frühen Phase nicht selten mehr als 100000 Verbindungen, um später einen Wirkstoff auf den Markt bringen zu können (siehe Übersicht 1). Um die enorme Anzahl an Verbindungen testen zu können, nutzen Biochemiker vollautomatische Screening-Anlagen. Diese sind in der Lage, in kurzer Zeit enorm viele Substanzen auf ihre biologische Aktivität zu prüfen.


Können die Forscher in diesem Vorab-Screening Substanzen ausfindig machen, die eine gewisse Wirkung auf ein Pathogen haben, werden diese weiter optimiert. Dazu bedienen sie sich moderner 3D-Modellierungsprogramme, mit denen sich Molekülstrukturen am Computer designen lassen. Hilfreich hierbei ist eine Systematik, die die Beziehung zwischen chemischen Strukturen eines Moleküls und deren Aktivität darstellt, die sogenannte „Structure-Activity Relationship“, kurz SAR.


Anhand der am Computer projizierten Modelle synthetisieren Chemiker dann die Substanzen im Labor. Für ein einziges Fungizid z.B. können so etwa 30000 bis 50000 Verbindungen entstehen. Da über die Gruppe der Azole viel bekannt ist, war der Modifizierungsaufwand im Falle des neuen Wirkstoffs Revysol mit nur rund 4000 Verbindungen verhältnismäßig gering.


Diese synthetisierten Verbindungen durchlaufen anschließend etliche weitere Tests auf Wirkung und Nebenwirkungen. Zuerst nur im Labor, später im Gewächshaus gegen die Pilze auf den Kulturpflanzen. Bestehen sie diese Tests, folgen weitere Untersuchungen im Freiland. Da die Nebenwirkungen mittlerweile genauso wichtig sind wie die angestrebte Wirkung, fallen bei jedem Übergang von einem Testsystem zum nächsten viele Substanzen weg. Bis in die Freilandversuche schafft es nur ein Bruchteil der ursprünglichen Verbindungen – oft bleibt nur eine Handvoll übrig.


Fragt man nach der größten Herausforderung im Bereich der frühen Forschung, sind sich die Experten einig: das Finden neuer Wirkmechanismen. Dies beeinflusst die landwirtschaftliche Praxis direkt, weil nur damit ein nachhaltiges Resistenzmanagement möglich ist. Zusätzlich geht es bei den Wissenschaftlern immer um die Frage: „Lassen sich Wirkung und Nebenwirkung einer Substanz trennen“ Des Weiteren ist es teils sehr schwer, unterschiedliche Ansprüche an ein Pflanzenschutzmittel zu vereinen. So ist es z.B. gewünscht, dass ein Fungizid eine lange Dauerwirkung auf der Kulturpflanze besitzt. Im Boden oder auf Strohresten soll es sich jedoch möglichst zügig abbauen.


Der Zeitaufwand für die Phase der frühen Forschung ist unterschiedlich. Im Falle von Revysol dauerte es rund vier Jahre, bis die Wissenschaftler 4000 Verbindungen designt, synthetisiert und getestet hatten und am Ende fünf aussichtsreiche Kandidaten identifizieren konnten (siehe Übersicht 2 auf Seite 70).


Ökotoxikologie – die Prüfung auf die belebte Umwelt


Generell handelt es sich bei Pflanzenschutzmitteln um biologisch wirksame Substanzen. Weil man sie meist per Spritzanwendung in der Umwelt ausbringt, gilt es zu klären, ob bzw. wie sich das auswirkt. Dazu dient neben den Tests in der frühen Forschung ein Bewertungsverfahren innerhalb der Zulassung, das jedes Mittel durchlaufen muss. Die Ergebnisse legen später auch die Bedingungen fest, unter denen man das Produkt anwenden darf (Aufwandmengen, Abstandsauflagen usw.). Das Verfahren besteht aus zwei Kernelementen: zum einen aus einer Risikobewertung für den Menschen (Verbraucher, Anwender u.a.) und zum anderen aus einer Risikobewertung auf die belebte Umwelt. Die wissenschaftliche Basis, um das Umweltrisiko zu bewerten, ist die Ökotoxikologie.


Die Wirkung einer Substanz auf jede einzelne Art experimentell zu untersuchen, ist bei rund 48000 Tier- und 10300 Pflanzenarten allein in Deutschland nicht möglich. Daher wenden Wissenschaftler das Konzept von Stellvertreterarten an, welche die Tier- und Pflanzenwelt der Agrarlandschaft repräsentieren und die obendrein besonders empfindlich und gut zu prüfen sind. Die Forschungsfelder der Ökotoxikologie lassen sich wie folgt aufteilen:


  • Boden: In diesem Bereich untersucht man die Beziehung zwischen der Substanz und den im Boden lebenden Indikatororganismen. Dazu zählen z.B. Springschwänze, Regenwürmer oder Milben. Um zu prüfen, wie sich wichtige Funktionen wie Bodenfruchtbarkeit verändern könnten, kann der Streuabbau experimentell betrachtet werden.16


  • Gewässer: Hier möchte man feststellen, ob oder inwieweit sich die gefundene Substanz auf die im Wasser lebenden trophischen Ebenen auswirkt – das heißt, wie Algen, Pflanzen, Wasserkrebse oder andere Wirbellose und Fische auf die Applikation reagieren. Für Molekülstrukturen, die sich mit diesen Studien nicht ausreichend bewerten lassen, kommen weitere zum Einsatz. Ein Beispiel: Es gibt Wirkstoffe, die sich schnell im Sediment ablagern. Bei diesen prüft man zusätzlich den Effekt auf Sedimentbewohner wie z.B. auf die Larven der Zuckmücke.17


  • Terrestrische Organismen: In diesem Bereich untersucht man nützliche Insekten wie Wild- und Honigbienen, Schlupfwespen, Florfliegen oder räuberisch lebende Milben, aber auch Vögel und Wildpflanzen. Man unterscheidet Versuche, bei denen der Wirkstoff über die Nahrung aufgenommen wird oder bei denen ein Kontakt über die Haut mit dem Wirkstoff stattfindet.18


Unabhängig vom Bereich variieren die Forscher je nach Indikation, Art oder Profil des Moleküls den Fokus der Untersuchungen. In allen Bereichen beginnt man jedoch mit Tests unter standardisierten Laborbedingungen. Diese bilden Worst-Case-Szenarien ab, z.B. indem die Forscher die empfindlichsten Lebensstadien betrachten, die der Exposition nicht ausweichen können. Meist ermittelt man hier eine sogenannte Dosis-Wirkung-Beziehung, deren Wert in der darauffolgenden Risikobewertung verwendet wird. Neben Studien, die die direkten (akuten) Effekte auf einen Organismus erfassen, gibt es auch Studien, bei denen chronische Effekte oder die Reproduktion im Fokus stehen.


Um Labordaten auf verschiedene Anwendungsszenarien übertragen und um andere nicht getestete Arten abdecken zu können, werden in der Risikobewertung Sicherheitsfaktoren einbezogen. Zeigen sich in dieser ersten Prüfstufe unter standardisierten Bedingungen Effekte der Substanz, folgen in der Regel aufwendigere, aber auch realitätsnähere Untersuchungen. Die höchste Prüfstufe erfolgt meist unter Freilandbedingungen und umfasst nicht nur zusätzliche Arten, sondern oft auch Biozönosen. Die Prüfung kann daher dauern – eine Saison, ein Jahr oder länger.


Pro Wirkstoff werden im Mittel ca. 40 bis 50 Studien in der Ökotoxikologie durchgeführt, im Einzelfall können es aber auch deutlich mehr sein. Alle Tests sind standardisiert und konform mit Richtlinien wie z.B. mit denen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Die Kontrolle auf Einhaltung der Richtlinien erfolgt innerhalb des Zulassungsprozesses.


Laut den Experten liegt die größte Herausforderung darin, dass sich die Bewertungsmaßstäbe immer schneller ändern, oft mehrfach innerhalb eines Bewertungsprozesses. Neue Testmethoden benötigen oft mehrere Jahre, bis sie entwickelt und mit vielen Laboratorien auf Verlässlichkeit validiert sind. Diese Zeit ist dann oft nicht vorhanden.


Erst die Formulierung macht das Mittel


Der Wirkstoff hat bis hierhin zwar schon sehr viele Tests durchlaufen, allein ist er jedoch noch kein Pflanzenschutzmittel. Denn der reine Wirkstoff ist meist nicht applizierbar und wirkt nicht ausreichend – dazu braucht es erst die richtige Formulierung.


Betrachtet man z.B. den europäischen Markt für Getreidefungizide, sind dort die Emulsionskonzentrate (EC) weit verbreitet. Um diese herzustellen, löst man den Wirkstoff in einem Öl oder in anderen nicht wasserlöslichen Lösungsmitteln. Da sich das zugegebene Öl nicht mit Wasser vermischt, sind noch weitere Zusätze erforderlich. Zum Einsatz kommen dann sogenannte Emulgatoren. Diese sorgen dafür, dass beim Verdünnen mit Wasser in der Spritze die Formulierung mit dem Wasser eine homogene und applizierbare Mischung bildet.


Die Formulierung kann je nach Anwendung noch weitere Additive enthalten. Mit diesen lassen sich vor allem drei Eigenschaften beeinflussen:


  • Wie gut bleibt ein Tropfen auf dem Blatt haften (Retention)?27


  • Wie gut kann sich eine Substanz auf dem Blatt verteilen und wie gut lässt sich das Blatt benetzen (Spreading)?28


  • Wie gut kann eine Substanz durch die Wachsschicht der Blätter in das Innere der Pflanze gelangen?29


Zu guter Letzt beeinflusst die Formulierung auch Eigenschaften wie die Lagerstabilität. Um z.B. den Wirkstoff Revysol ideal zu formulieren, testeten die Wissenschaftler 400 Varianten, aus denen sie 30 vielversprechende Kandidaten identifizierten. Diese Hoffnungsträger mussten sich dann in weiteren Feldversuchen in den unterschiedlichsten Regionen behaupten.


Registrierung – eine Mammutaufgabe


Parallel zur Entwicklung eines Pflanzenschutzmittels laufen bereits die Arbeiten zur Registrierung und Zulassung. Der Ablauf folgt dabei gesetzlichen Rahmenbedingungen und basiert auf Entscheidungen europäischer und nationaler Behörden. Nachfolgend stellen wir das Verfahren in Kürze vor:


Möchte ein Anbieter für einen Wirkstoff die Zulassung erwirken, reicht er die dafür erforderlichen Unterlagen bei einem berichterstattenden Mitgliedstaat ein. Dieser erstellt einen Entwurf eines Berichts, welcher der Europäischen Zentralbehörde (EFSA) und den anderen EU-Mitgliedstaaten zur Kommentierung vorgelegt wird. Am Ende der Bewertung erstellt die EFSA einen zusammenfassenden Bericht und schickt alle Unterlagen an die EU-Kommission. Diese legt dem „Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Nahrungsmittel und Futter“ (SCoPAFF) einen Vorschlag zur Genehmigung oder Nicht-Genehmigung des Wirkstoffs vor. Dieser Ausschuss, in dem Experten aller Mitgliedsländer vertreten sind, entscheidet letztlich darüber, ob der Wirkstoff eine Zukunft hat oder nicht. Generell muss eine erste Genehmigung nach zehn Jahren erneuert werden, alle weiteren spätestens nach 15 Jahren.


Um Produkte, die den Wirkstoff enthalten, in einem EU-Land einsetzen zu dürfen, muss der Hersteller zusätzlich Produktzulassungen in den jeweiligen Ländern beantragen. Mit der Einführung der sogenannten zonalen Zulassung durch eine EU-Verordnung können Antragsteller dies nun für mehrere Mitgliedstaaten einer Zone gleichzeitig tun. Dabei bewertet ein EU-Land das Mittel stellvertretend und die anderen erteilen dann auf dieser Basis die Zulassung in einem verkürzten Verfahren. Dazu wurde die EU in drei Zonen eingeteilt: die Nordzone, die zentrale Zone (zu der auch Deutschland gehört) und die Südzone.


Speziell für die Produktzulassung in Deutschland sind vier nationale Behörden zuständig. Das Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) ist die Zulassungsstelle für Deutschland. Sie arbeitet zusammen mit


  • dem Umweltbundesamt (zuständig für den Naturhaushalt),
  • dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in gesundheitlichen Aspekten und
  • dem Julius Kühn-Institut (JKI), das die Wirksamkeit, den Nutzen und die Nachhaltigkeit prüft.


Mit der Zulassung endet jedoch nicht die Verantwortung des Staates. Denn Nahrungs- und Genussmittel unterliegen der amtlichen Lebensmittelüberwachung der Bundesländer. Diese prüfen z.B., ob Anbauer, Importeure und der Handel die gesetzlichen Höchstgehalte einhalten. Die Daten werden dem BVL übermittelt.


Fazit


Die Entwicklung eines Pflanzenschutzmittels ist vor allem wegen der aufwendigen Suche nach dem richtigen Wirkstoff und den mittlerweile sehr hohen Sicherheitsstandards in der EU ein langwieriger Prozess – oft dauert er über zehn Jahre. Das beschriebene Prüf- und Bewertungssystem kann sicherlich ein gewisses Restrisiko nicht ausschließen, es ist aber das weltweit solideste und garantiert ein hohes Maß an Sicherheit.


daniel.dabbelt@topagrar.com und matthias.broeker@topagrar.com

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.