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Stärkekartoffeln: Kampf ums Überleben

Lesezeit: 9 Minuten

Abspringen oder dabei bleiben – vor dieser Frage stehen Kartoffelanbauer jetzt. Warum das einstige Standbein vieler Betriebe bröckelt, darüber ­berichtet top agrar.Verschenke Lieferrechte für Stärkekartoffeln, zahle 100 € bei Abnahme eines Lieferrechts zu“ – so annoncieren derzeit einige Stärkekartof-felerzeuger in landwirtschaftlichen Wo-chenblättern. Der Unmut über die schlechte Rentabilität des Anbaus wächst. Während viele Landwirte ihre Anbaufläche bereits eingeschränkt haben (siehe Übersicht 1), sind andere weiter an die Lieferverpflichtungen aus den Verträgen gebunden. Es kommt aber noch schlimmer: Denn der Druck auf die Stärkebranche nimmt weiter zu. Ab 2012 entkoppelt Brüssel die Erzeuger- und Verarbeitungsprä-mien von der Produktion. Bislang bekommt die Fabrik EU-Zuwendungen von 22,25 €/t Kartoffelstärke und der Erzeuger 66,32 €/t. Wie sieht der weitere Fahrplan aus? Sonderregelung für 2012 Nach aktueller Rechtslage bekommen die Landwirte noch bis einschließlich 2011 die derzeit gekoppelten Prämien für Stärkekartoffeln (39,79 €/t EU-Mindestpreis + 14,80 €/t gekoppelte Prämie bei 19,9 % Stärke + evtl. Zulagen der Fabriken). Im Jahr 2012 wird dann vollständig entkoppelt. Damit fallen das Quoten- und Mindestpreissystem sowie die obligatorischen Anbauverträge mit Flächenbindungen weg. Entscheidend ist die Frage, wie der Bund das Prämienvolumen in den Folgejahren verteilt. Für das Jahr 2012 haben Bundestag und Bundesrat kürzlich folgende Sonderregelung beschlossen: Zugunsten der Stärkekartoffelerzeuger wird die Erzeugerbeihilfe in 2012 einmalig als betriebsindividueller Betrag (Top up) den Betrieben zugewiesen. Die Höhe ergibt sich dabei aus der im Anbauvertrag 2011 vereinbarten Stärkemenge multipliziert mit dem Prämiensatz von 66,32 €/t. Beispiel: Bei 45 t/ha Ertrag und 20 % Stärkegehalt der Kartoffeln sind das umgerechnet knapp 600 €/ha. Dieser Betrag würde dann letztmalig in 2012 den Stärkekartoffel-Anbauern zugeteilt. Das übrige Prämienvolumen – die Fabrikprämie, die Beihilfen für Trockenfutter, Eiweißpflanzen sowie Hanf und Flachs – wird dagegen bereits in 2012 auf alle Zahlungsansprüche der Region als Flatrate verteilt. Dadurch fehlen den Fabriken bereits in 2012 umgerechnet rund 200 €/ha. In Niedersachsen und Bayern würde sich dadurch beispielsweise der Wert aller Zahlungsansprüche leicht um 3 €/ha erhöhen. Endgültiges Aus ab 2013 „Ab 2013 wird es keine Sonderregelungen mehr geben“, erklärt Dr. Hubertus Wolfgarten vom BMELV in Bonn. „Die bisherigen Stärkekartoffel-Prämien erhöhen dann den Wert aller Zahlungsansprüche.“ In Niedersachsen steigt der Wert dadurch beispielsweise von 352 auf 366 €/ha. Im Bundesdurchschnitt liegt das Prämienvolumen in 2012 bei 344 €/ha. Den Bundesländern mit Stärkekartofel-Erzeugung geht künftig aber ein Teil dieser Prämie verloren. Denn das gesamte Prämienvolumen (Stärkekartoffeln + die weiteren entkoppelten Prämien), das sich zur anstehenden Entkoppelung auf etwa 81 Mio. € pro Jahr beläuft, soll zwischen den Ländern begrenzt umverteilt werden (ca. 5 %). Auf diese Weise erhalten insbesondere das Saarland und Rheinland-Pfalz, dessen Flächenprämien im Ländervergleich am unteren Ende der Länderskala rangieren, einen Aufschlag. Damit soll sich der Abstand zwischen den Prämienniveaus der Länder im Bundesgebiet etwas verringern. Welche Konsequenzen haben die Beschlüsse für die Stärkekartoffelerzeuger? Fakt ist, dass die Betriebe mit der Sonderregelung in 2012 noch Luft zum Atmen behalten. Denn sie bekommen den entkoppelten Prämienanteil als Top up, Mindestpreis- und Quotensystem fallen aber weg. Ab 2013 fehlen den Betrieben jedoch auf einen Schlag ca. 600 €/ha! Dem gegenüber steht nur eine leichte Erhöhung der Zahlungsansprüche. Will die Industrie ihre Anbauer halten, muss sie daher mindestens diese 600 €/ha bzw. rund 14 €/t Stärkekartoffeln ausgleichen. Wie wollen die drei großen Kartoffelstärke-Hersteller AVEBE, Emsland-Group und Südstärke ihre Stärkekartoffellieferanten künftig bei der Stange halten? Stärkefabriken drosseln die Mengen „Uns ist klar, dass wir den fehlenden Betrag ausgleichen müssen, um mit Anbaualternativen wie Mais konkurrieren zu können“, sagt Hubert Eilting, Geschäftsführer der Emsland Group in Emlichheim. Das Problem am Markt sieht er darin, dass Kartoffelstärke stark mit preisgünstigerer Mais- und Weizenstärke konkurriert. Zudem ist sie auch weltweit gesehen ein Nischenprodukt, denn der Anteil der Kartoffelstärke am Stärkeweltmarkt (65 Mio. t) beläuft sich nur auf 3 bis 4 %. Allerdings sieht Eilting auch folgende positive Marktsignale: In bestimmten Bereichen ist die höherwertige Kartoffelstärke nicht durch Mais- oder Weizenstärke austauschbar. Wachstumsmärkte sind vor allem Lebensmittelfertigprodukte und Stärke für Textilien. Wegen derzeit anziehender Konjunktur verstärkt sich die Nachfrage. Folge: Die Stärkevorräte sinken, die Preise ziehen deutlich an. Jedes Jahr investiert die Emsland Group 3 bis 5 % ihres Umsatzes in die Entwicklung neuer Spezialprodukte. Kartoffelstärke wird zum Nischenmarkt „Wir rechnen damit, dass wir Kartoffelstärke nach 2012 nur noch im Premiumsegment vermarkten können“, so Eilting. „Dafür reichen aber rund 65 bis 85 % der bisherigen Stärkemengen aus.“ Ob Fabrikstandorte geschlossen werden müssen, bleibt vorerst offen. Über das künftige Preismodell für Stärkekartoffeln gibt es dagegen bei der Emsland Group bereits Vorstellungen: Mit den Landwirten sollen jährlich kündbare Rahmenverträge abgeschlossen werden. Inhaltlich sollen sie sich an die bisherigen Lieferverträge anlehnen, so dass es weiterhin Qualitätszuschläge, z. B. für hohe Stärkegehalte, frühe Lieferung oder wenig Schmutz geben wird. j Derzeit plant die Emsland Group, einen Teil der Menge fix über diese Verträge anzukaufen (A-Kontingent). Der Preis wird sich an konkurrierenden Alternativfrüchten wie Mais orientieren. Als Puffer soll es voraussichtlich einen A-Kontingentpreis abzüglich 10 bis 15 % geben. Mit einer eventuell notwendigen Restmenge will man sich bei Bedarf eindecken. Der zweite große Kartoffelstärke-Hersteller, die niederländische AVEBE, will ab 2012 ebenfalls ihre Stärkekartoffelmen-ge zurückfahren. „Wir werden die Men-gen auf 80 % drosseln“, so Bert Jansen, Vorstandsvorsitzender der AVEBE. „Die Stärke geht dann in Märkte mit höherem Mehrwert, wie z. B. in den Food Bereich.“ Daneben will AVEBE künftig weiter die Kosten runterschrauben und innovative Produkte aus Kartoffelstärke am Markt platzieren. Dazu können sie sich auch eine engere Zusammenarbeit mit dem Konkurrenten Emsland-Group vorstellen. Beide haben eine etwa zu 90 % identische Produktpalette und arbeiten bereits bei der Vermarktung von Pülpe eng zusammen. Die Gestaltung des Preissystems ab 2013 steht bei der AVEBE noch nicht fest. Bei den Auszahlungspreisen für Stärkekartoffeln weiß Jansen, dass sie nach 2012 mindestens 600 €/ha ausgleichen müssen, um ihre Anbauer zu halten. Neben niedrigeren Mengen wollen sie dazu auch kürzere Kampagnen fahren. Letztendlich entscheidet aber wohl der künftige Stärkepreis am Weltmarkt darüber, ob die AVEBE die klaffende Lücke schließen kann. Ärgerlich und teuer könnte das für Anbauer werden, die ihrer Lieferpflicht aus den Anbauverträgen nachkommen müssen. Denn die erworbenen Genossenschaftsanteile beinhalten neben dem Lieferrecht eine Lieferpflicht – auch bei niedrigen Preisen. Aus Frust darüber verschenken derzeit einige Anbauer in Deutschland ihr Lieferrecht. Abnehmer finden sie in Holland, weil hier noch das historische Prämienmodell gilt. Demnach erhalten holländische Stärkekartoffelanbauer nicht nur in 2012 die Zahlungen als betriebsindividuellen Betrag, sondern auch darüber hinaus. Der Anbau bleibt für sie daher länger lukrativ – ein klarer Wettbewerbsnachteil für deutsche Landwirte. Ab wann die holländische Regierung ihr Vorgehen ändert, ist derzeit noch ungewiss. Das einzige Unternehmen, dass die Stärkemengen nicht drosseln will, ist die Südstärke mit den Standorten Sünching und Schrobenhausen. „Wir geben künftig weiterhin die 580 000 t Quote an unsere 1 750 anbauenden Landwirte“, erklärt Josef Königbauer, Geschäftsführer der Südstärke. Er ist davon überzeugt, dass die Kartoffelstärke wegen ihrer Reinheit in einigen Bereichen unverzichtbar bleibt. Um den Prämienabbau ausgleichen zu können, will er die Kosten senken. Weil das allein aber nicht reicht, hofft auch er auf anziehende Stärkepreise. Die momentane Situation könnte ihm dabei Recht geben. „Auch nach 2012 schließen wir mit den Landwirten jährliche Verträge ab“, so Königbauer. „Wenn es der Marktverlauf erlaubt, sind auch Nachzahlungen für die Anbauer drin.“ So gab es z. B. im Jahr 2009 – zur Überraschung vieler Landwirte – eine nachträgliche Zahlung von 0,60 €/dt Kartoffeln. Was allerdings der Markt künftig hergibt, ist ungewiss. Welche Alternativen? Diese Unsicherheit macht den Betrieben derzeit schwer zu schaffen. Einige Stärkekartoffelerzeuger haben ihren Anbau daher bereits eingestellt, andere wollen folgen. Das Problem sind vor allem die hohen Vollkosten des Anbaus bei jahresbedingt schwankenden Erträgen. Wie die Kostenstruktur auf den Betrieben aussieht, hat Arnold Krämer, Leiter der Bezirksstelle Emsland der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, beispielhaft für emsländische Betriebe ermittelt. „Bei uns liegen die Vollkosten bei rund 3 000 €/ha“, weiß der Berater. Allerdings gibt es einzelbetrieblich erhebliche Unterschiede. So ist die Bandbreite der aus Betriebszweigabrechnungen ermittelten Kosten wesentlich größer als bei anderen Ackerbau-Betriebszweigen. Einen Überblick über die Vollkosten des Stärkekartoffelanbaus aus dem Emsland zeigt Übersicht 2. Besondere Bedeutung haben die Kosten für Fläche, Kapital und Arbeit. Müssen regional hohe Pachten gezahlt werden, schnellen die Vollkosten in die Höhe. Kombiniert mit unterschiedlich hohen Erträgen und Direktkosten ist daher die Rentabilität und damit die Zukunft des Stärkekar­toffelanbaus stark von der einzelbetrieblichen Situation abhängig. Ein Umschwenken auf Getreide- oder Maisanbau ist häufig schwierig, weil Investitionen in Spezialgebäude und -maschinen oft noch nicht abgeschrieben oder bezahlt sind. Ein verstärkter Speise- und Industriekartoffelanbau statt Stärkekartoffeln ist in der Regel nur möglich, wenn regionale Absatzwege über Genossenschaften oder Händler vorhanden sind. Empfehlung: Wer sich nicht vollständig von den Stärkekartoffeln verabschieen will, muss Kosten senken. Gleichzeitig sind Erträge von durchschnittlich 45 bis 50 t/ha bei 19 bis 20 % Stärke die künftige Hürde für jeden Anbauer. Wer sich das nicht zutraut, sollte systematisch auf den Ausstieg hinarbeiten. In Veredlungs- und Biogasregionen mit hohen Pachtpreisen sollte die Arbeitskraft dann besser im Stall oder in der Energieerzeugung eingesetzt werden. Die große Unbekannte bei diesen einzelbetrieblichen Überlegungen ist aber die Entwicklung des Getreidepreises in den nächsten Jahren. Denn daran wird sich der Preis für Kartoffelstärke orientieren. Steigt er wie vor drei Jahren plötzlich stark an, könnte selbst bei hohen Pachtpreisen der Anbau kurzfristig wieder interessant werden.Matthias Bröker

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