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Von der Windschutzhecke bis zum Hühnerwald

Lesezeit: 8 Minuten

Der Anbau von Bäumen auf Acker- und Grünland bekommt mehr politischen Rückenwind. Pioniere aus ganz Deutschland zeigen, wie die Agroforstwirtschaft gelingt.


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Auf dem Weg zum Melken knabbern die 70 Milchkühe von Familie Riecken aus Großbarkau bei Kiel gern nochmal kurz an den Bäumen wie Hasel, Bergahorn oder Eberesche. Rechts und links vom Triebweg stehen aber auch Erlen, Vogelkirschen, Edelkastanien, Holunder und Wildkirschen als Wegzehrung für die Tiere. „Wir haben diese Futtergehölze bewusst angebaut, um das Futterspektrum der Tiere zu erweitern“, erklärt Felix Riecken, der den Hof von seinen Eltern gerade übernimmt. Die „Futterlaubhecke“ ist eine von drei Agroforstprojekten, die Familie Riecken im Jahr 2020 umgesetzt hat.


Eine weitere Maßnahme war der Anbau von Edelkastanien zur menschlichen Ernährung. „Sie gelten als interessante Alternative zu Getreide als Kohlenhydrat“, erklärt der junge Hofnachfolger, der damit eine Nische besetzen will. Als Drittes hat er auf einer Kuhweide Obstbäume wie Apfel, Birne, Mirabelle, Reneklode, Kirsche und Pflaume gepflanzt. Das Obst vermarktet er über den Hofladen.


Maßnahme gegen die Dürre


Reiner Guhl aus Perleberg in der brandenburgischen Prignitz will mit Pappelreihen auf dem Acker die Winderosion bremsen und der anhaltenden Trockenheit begegnen. „Wir müssen viel beregnen, haben aber trotzdem Probleme mit der Ertragssicherheit. Der bisherige Ackerbau muss sich auf den Klimawandel einstellen“, ist er überzeugt. Neben Pappeln plant er, Kastanien, Nussbäume, Sanddorn oder Apfelbäume zu pflanzen, auch um deren Früchte zu ernten und zu vermarkten.


Auch die Region Nordbayern war in den vergangenen Jahren von der Trockenheit stark betroffen. Das Team des Bauernhofs von Familie Frey in der Nähe von Miltenberg (Unterfranken) hat deshalb schon 2017 auf 4,5 ha einen Hühnerauslauf mit Wildhecken und Obstbäumen angelegt. Mitte April kamen auf einem ihrer Äcker drei Baumstreifen mit über 2000 Bäumen dazu, die die Spezialfirma Lignovis gepflanzt hat. Da die Bäume immer wieder nachtreiben, können sie nach ca. 15 Jahren gefällt und zu Hackschnitzeln oder Pfostenholz verarbeitet werden.


Viele Vorteile


Die Betriebe Riecken, Guhl und Frey sind nur einige der Betriebe, die Bäume oder Gehölze auf dem Acker oder auf Grünland anbauen. Diese „Agroforstsysteme“ bieten mehrere Vorteile:


  • Sie sorgen für mehr Struktur in ausgeräumten Landschaften. Das fördert nicht nur die Artenvielfalt, sondern bremst den Wind und reduziert damit die Erosion von Ackerboden.
  • Rechts und links von den Baumreihen lassen sich auf dem Acker Blühstreifen anlegen, von denen Niederwild und Insekten profitieren oder sich Nützlinge ansiedeln können.
  • Wie verschiedene internationale Studien zeigen, bringen Bäume und Ackerkulturen allein betrachtet zwar weniger Ertrag als die jeweilige Einzelkultur. Aber in Kombination ist der Ertrag pro Hektar insgesamt höher. Dafür sorgen u.a. das veränderte Mikroklima auf der Fläche, der abgebremste Wind, eine höhere Regenwurmdichte, der Nährstoffeintrag durch das Laub und viele weitere Synergieeffekte.
  • Die Produktion von Holz oder Früchten (Obst, Nüsse usw.) sind eine neue Einkommensalternative.
  • Holz lässt sich als Energieholz (Hackschnitzel) oder Stamm- bzw. Wertholz vermarkten.
  • Baumreihen können Weidetieren Schatten spenden oder – v.a. bei Freilandhühnern – Unterschlupf bieten.


Hühnerwald aus Pappeln


Einen Hühnerwald aus Pappeln hat beispielsweise Jochen Hartmann aus Lüneburg angelegt. Der Betrieb hat insgesamt sieben mobile Hühnerställe mit 2800 Tieren. „Die Hühner ruhen sich im Sommer gern unter den Bäumen aus oder scharren im Herbst im Laub“, hat er festgestellt. „Im Gegenzug können Hühner auch in Apfel- oder Kirschplantagen dafür sorgen, Schädlinge wie die Kirschessigfliege einzudämmen“, ergänzt Agroforstberater Burkhard Kayser aus Minden.


Aktuell hat sich die Pappel zur Anlage von „Hühnerwald“ etabliert. „Die schnellwachsende Art bildet schon in drei Jahren einen dichten Bestand und ist kostengünstig. Es lassen sich aber auch andere Baumarten integrieren“, erklärt Michael Weitz vom Dienstleister Lignovis aus Hamburg.


Achtung bei Drainagen!


Die Wahl der Kombinationspartner hängt von verschiedenen Faktoren ab:


  • Zunächst ist das Nutzungsziel wichtig. Geht es z.B. um Wind- oder Erosionsschutz, Artenvielfalt oder Wertholzanbau? Wie sollen Holz oder Früchte geerntet und verwertet werden? Davon hängt ab, welche Gehölzarten in welchem Abstand gepflanzt werden.
  • Als Ackerfrucht sollten gerade bei Agroforstsystemen mit geringen Abständen zwischen den Gehölzstreifen Pflanzen gewählt werden, die von dem Schatten profitieren. „Mais als C4-Pflanze z.B. reagiert dagegen negativ auf Verschattung“, sagt Berater Kayser.
  • Die Abstände zwischen den Baumreihen sollten so groß sein, dass sie zu der eingesetzten Maschinen-Arbeitsbreite passen. Bei einem 24 m breiten Spritzgestänge sollten die Bäume also mindestens auf 24 oder 48 m gepflanzt werden, um die Zahl der Überfahrten zu reduzieren.
  • Bäume sollten möglichst in Nord-Süd-Richtung gepflanzt werden. So wandert der Schatten im Tagesverlauf gleichmäßig über die Fläche. Stehen die Bäume in Ost-West-Richtung, verschattet die nach Süden gerichtete Baumreihe etwa die halbe Ackerfläche. „Das kann zu einer ungleichmäßigen Abreife der Früchte führen“, sagt der Berater.
  • Auch wird bei Nord-Süd-Ausrichtung der meist aus Westen wehende Wind am effektivsten abgebremst.
  • Wichtig zu beachten: Agroforst und Drainagen vertragen sich nicht, die Wurzeln können in die Rohre wachsen oder Leitungen zerstören. „Wenn man weiß, wo die Drainageleitung liegt, sollte man mit der Baumreihe mindestens 10 m Abstand halten“, rät Kayser.


Das richtige Pflanzen


Auch sollte man auf die Anforderungen der einzelnen Baumarten achten: Pappeln sind wasserliebend und gedeihen besonders bei erreichbarem Grundwasseranschluss. Pappeln und Weiden, die im Kurzumtrieb alle 3 bis 4 Jahre geerntet werden sollen, werden am besten per Steckling gepflanzt. Bei einzelnen Agroforststreifen und dem Hühnerwald, haben sich dagegen längere Ruten und eine ca. 60 cm tiefe Pflanzung als praktikabel erwiesen, weil sie insgesamt unempfindlicher sind und die Hühner die oberen Triebe nicht abpicken können.


Edelkastanien müssen noch tiefer gepflanzt werden. Denn sie bilden eine lange Pfahlwurzel aus. „Wir haben speziell angezogene Setzlinge verwendet, die in langen Pflanzgefäßen ausgesät wurden. Sie hatten einen 50 cm langen Trieb, aber eine ca. 1 m lange Pfahlwurzel, für die wir jeweils ein langes Pflanzloch gebohrt haben“, berichtet Felix Riecken.


Mit der richtigen Pflege (Wurzelschnitt durch Pflug oder Tiefenlockerer) lässt sich verhindern, dass Bäume und Ackerkulturen um Wasser und Nährstoffe konkurrieren.


Je nach Art des Agroforstsystems ist ein Baumschutz wichtig wie z.B.: Draht um die Wurzeln von Obstbäumen gegen Wühlmäuse, Zäune oder Stammschutz gegen Wildverbiss sowie Stangen zum Schutz vor den Kühen, die sich gern an den Pflanzen scheuern. „Bei unserer Futterlaubhecke mit 1300 Pflanzen auf 1300 m² haben wir 2400 € für das Pflanzgut, aber 4500 € für den Baumschutz ausgegeben“, rechnet beispielsweise Riecken vor. Auf dem Acker ist der Baumschutz deutlich günstiger.


Bürokratischer Aufwand


Ein großes Problem für viele Landwirte ist die Bürokratie, z.B. beim Agrarantrag. „Für Agroforstsysteme gibt es keine Codierung, das ist extrem aufwendig“, sagt Jochen Hartmann. Seine Baumreihen mit Pappeln für den Hühnerwald muss er einzeln als „Gehölzstruktur“ eingeben. Auch „Niederwald mit Kurzumtrieb“ ist als Angabe möglich. Allerdings fallen darunter nur bestimmte Baumarten. Zudem müssen sie spätestens alle 20 Jahre auf den Stock gesetzt werden, damit die Fläche nicht den Ackerstatus verliert und als Forst eingestuft wird. „Aufpassen muss man auch, wenn man sie als Hecke bzw. geschütztes Landschaftselement angibt. Denn dann darf man den Aufwuchs nicht mehr entfernen“, erklärt Experte Kayser.


Politik sucht Lösungen


Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) begrüßt, dass die Politik Agroforst mehr Rückenwind verleihen will (siehe Zusatzinfo „GAP-Reform“).Wichtig sei, Rechtssicherheit für die Anlage und Bewirtschaftung von Agroforstsystemen zu schaffen. Diese sei als wichtige Voraussetzung für die verstärkte Umsetzung der Agroforstwirtschaft in der landwirtschaftlichen Praxis dringend notwendig. Sehr wichtig ist hierbei, dass eine Förderung der gesamten Agroforstfläche – einschließlich der Gehölzkulturfläche – gefordert wird, und zwar sowohl über die 1. als auch die 2. Säule der GAP. „Es bleibt zu hoffen, dass die rechtlichen Probleme, die jetzt bestehen, wenn auf landwirtschaftlichen Flächen Bäume gepflanzt werden und diese auch landwirtschaftlich genutzt werden sollen, ab 2023 gelöst sind“, betont auch Staatssekretär Prof. Dr. Ludwig Theuvsen vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.


Der ehemalige Wissenschaftler der Uni Göttingen, der schon früh selbst zu Agroforstsystem geforscht hat, ist überzeugt, dass es gerade auf Standorten mit Wassermangel eine Alternative zur Feldberegnung ist. Zudem könnte es für „rote Gebiete“ oder für Moorstandorte neben der Agro-Photovoltaik und dem Biomasseanbau in Feuchtgebieten (Paludikultur) eine geeignete Ergänzung sein. Er hofft, dass verlässliche Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie dafür sorgen, dass mehr Agroforstflächen angelegt werden.


Denn die unsichere Lage verbunden mit einer oft schlechten Rentabilität und langer Kapitalbindung würden das Anbausystem zumindest aus ökonomischer Sicht bei vielen Landwirten unattraktiv machen. „Neben der Ökonomie müssen aber auch noch andere Hürden aus dem Weg geräumt werden, wie die mangelnde Akzeptanz der Verpächter oder die fehlenden Wertschöpfungsketten“, sagt Theuvsen.


Zudem wurde Agroforst derzeit politisch nur beim Anbau auf dem Acker diskutiert. Es hätte aber auch auf Grünland Effekte, z.B. bei der Beschattung von Weidetieren.


hinrich.neumann@topagrar.com

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