Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat für sieben Insektizide Zulassungen für Notfallsituationen nach Art. 53 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gegen die Glasflügelzikaden als Bakterienvektor erteilt.
Vor allem für Betriebe, die jetzt schon mehrere Jahre teils enorme Ertragseinbußen im Zuckerrübenanbau verzeichnet haben, sind die Notfallzulassungen ein Hoffnungsschimmer. Wohlwissend, dass die Insektizide alleine das Problem nicht lösen werden.
Dankbar äußert sich auch der Vorsitzende der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker (WVZ) Dr. Stefan Streng: „Die jetzt erteilten Ausnahmegenehmigungen helfen akut." Doch auch er sieht die Versorgung heimischer Lebensmittel gefährdet wenn keine langfristige Eindämmung gelinge. „Nur mit einem gut abgestimmten Maßnahmenpaket, zu dem auch reguläre Zulassungen für Pflanzenschutzmittel gehören, können wir unsere wertvolle Ackerfrucht schützen“, so Streng
Sieben Mitte, vier Wirkstoffe
Aktuell sind im Zuckerrübenanbau zur Bekämpfung von Glasflügelzikaden als Überträger bakterieller Krankheitserreger keine Pflanzenschutzmittel regulär zugelassen. Für eine ausreichende Bekämpfung dieser Insekten sind mehrere Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Wirkungsmechanismen notwendig, um eine nachhaltige Bekämpfung sicherstellen zu können.
Diese Mittel haben jetzt eine Notfallzulassung erhalten:
Mospilan SG (Acetamiprid) vom 31.03. bis 28.07.2025 mit 0,25 kg/ha ab BBCH 12-39 der Zucker-/Futterrübe; 1x Anwendung; Wartezeit: 28 Tage
Danjiri (Acetamiprid) vom 01.04. bis 29.07.2025 mit 0,25 kg/ha ab BBCH 20-49 der Zucker-/Futterrübe; 1x Anwendung; Wartezeit: 28 Tage
Carnadine 200 (Acetamiprid) vom 31.03. bis 28.07.2025 mit 0,25 l/ha ab BBCH 12-39 der Zucker-/Futterrübe; 1x Anwendung; Wartezeit: 28 Tage
SIVANTo prime (Flupyradifurone) vom 14.04 bis12.08.2025 mit 0,25 l/ha ab BBCH 12 bis 19 der Zuckerrübe;1. Anwendung; Die Wartezeit ist durch die Anwendungsbedingungen und/oder die Vegetationszeit abgedeckt, die zwischen Anwendung und Nutzung (z. B. Ernte) verbleibt bzw. die Festsetzung einer Wartezeit in Tagen ist nicht erforderlich.
Karate Zeon (lambda-Cyhalothrin) vom 01.04. bis 29.07.2025 mit 0,075 l/ha ab BBCH 19 der Zuckerrübe; 2x Anwendungen im Abstand von 14 Tagen; Wartezeit: 28 Tage
Kaiso Sorbie (lambda-Cyhalothrin) vom 01.04. bis 29.07.2025 mit 0,15 kg/ha ab BBCH 31-49 der Zucker-/Futterrübe; 1x Anwendung; Wartezeit: 28 Tage
Decis forte (Deltamethrin) vom 01.04. bis 29.07.2025 mit 0,075 l/ha ab BBCH 12-39 der Zuckerrübe; 1x Anwendung; Wartezeit: 90 Tage
In enger Absprache mit den Pflanzenschutzdiensten der Bundesländer wurde je nach Befallsintensität ein Konzept abgestimmt, um bedarfsgerecht auf diese neuartige Befallsssituation reagieren zu können. Die Flächenangaben wurden zuvor von den Pflanzenschutzdiensten der Bundesländer ermittelt und zusammengestellt.
Anwendung erst nach Warndienstaufruf
Alle im Rahmen dieser Notfallzulassungen zugelassenen Mittel dürfen nur nach vorherigem amtlichen Warndienstaufruf der zuständigen Behörden angewendet werden. Diese Warndienstaufrufe basieren auf Monitoringdaten, die flächendeckend erhoben werden.
Zum Schutz des Naturhaushalts, der Bienen sowie der Gesundheit von Anwendern, Arbeitern, Anwohnern und Umstehenden wurden diese Notfallzulassungen mit zusätzlichen Risikominderungsauflagen versehen. Hierzu gehören unter anderem Mindestabstände und die Ausbringung mit verlustmindernder Technik.
Allgemeine Informationen zu Notfallzulassungen sowie Datenblätter veröffentlicht das BVL auf seiner Internetseite.
Hintergrundinformationen:
In einigen Regionen Deutschlands tritt ein neuartiger Krankheitskomplex auf. Die beiden Krankheiten Stolbur und „Syndrome Basses Richesses“ (SBR) werden durch die Bakterien Candidatus Phytoplasma solani und Candidatus Arsenoponus phytopathogenicus ausgelöst. Die bakteriellen Erreger werden durch die sich rasch ausbreitende Schilf-Glasflügelzikade in Zuckerrüben und weiteren betroffenen Kulturen übertragen.
Das Besondere am aktuellen Schadgeschehen ist das meist gemeinsame Auftreten beider bakterieller Erreger. Für die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade kommt erschwerend hinzu, dass sie sich als Krankheitsüberträger (Vektor) binnen weniger Jahre mit der Kartoffel und verschiedenen Gemüsearten wie Karotten und Rote Beete neben der Zuckerrübe bereits weitere Wirtspflanzen erschlossen hat und sich an diesen ebenfalls voll entwickeln kann.
Die bakteriellen Erreger lassen sich nicht direkt bekämpfen.
Biologie und Mobilität des Vektors setzen dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Grenzen, da der Zikadenzuflug in mehreren Wellen über die gesamte Vegetationsperiode erfolgt, die Übertragung der bakteriellen Erreger sehr schnell stattfinden kann und sich das Wirtspflanzenspektrum stetig ausweitet. Ein umfangreiches Monitoringkonzept wurde bereits etabliert, um die regionalen Flughöhepunkte für eine effiziente Bekämpfung zu bestimmen.
Zur Eindämmung der Zikadenpopulation und Vermeidung einer weiteren Ausbreitung der Krankheitserreger sind regional aber auch kultur- und spartenübergreifend abgestimmte Strategien erforderlich, die möglichst alle bisher identifizierten Gegenmaßnahmen umfassen müssen. Im Rahmen umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf Bundes- und Landesebene wird zudem intensiv nach weiteren Bekämpfungsoptionen gesucht