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Agrarwissenschaftler stehen neuer Düngeverordnung kritisch gegenüber

Wie sehen Deutschlands Agrarwissenschaftler die neue Düngeverordnung? Das Science Media Center Germany gGmbH (SMC) hat Stimmen von einigen Agrarunis gesammelt.

Lesezeit: 7 Minuten

Der Bundesrat hat am Freitag gegen den Widerstand der Bauern die neue Düngeverordnung verabschiedet. Damit könnte die Grundlage gelegt sein, um dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland durch die EU-Kommission wegen zu hoher Nitrat-Belastung des Grundwassers eine entscheidende Wende zu geben.

Uptmoor: "Düngereduktion bringt viele Nachteile"

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Prof. Dr. Ralf Uptmoor von der Uni Rostock hält es für sinnvoll, die neuen Regeln erst zum 1. Januar 2021 umzusetzen, weil die Betriebe sich nicht innerhalb einer laufenden Vegetationsperiode umstellen müssen und ab Herbstaussaat konkret an den neuen Richtlinien orientieren können. „Ob die Corona-Pandemie für die Verschiebung der Umsetzung der Düngeverordnung als Begründung taugt, ist eine andere Frage. Aufgrund des Einreiseverbotes fehlende Erntehelfer, Traktorfahrer und so weiter stehen viele Betriebe aktuell vor Problemen, die eigentlich nicht zu bewältigen sind. Die Düngeverordnung ist da weit weniger gravierend“, so Uptmoor.

„Die Reduktion der Düngung um pauschal 20 % unterhalb des pflanzenbaulichen Bedarfs in Regionen mit hoher Nitratbelastung im Grundwasser scheint zunächst sinnvoll, denn in der Regel wird erwartet, dass die Stickstoffabfuhr mit dem Ertrag um weniger als 20 % sinkt. Die Maßnahme bringt aber viele Nachteile mit sich“, so der Professor weiter. So könne es zum einen passieren, dass aus Qualitäts- und Brotweizen Futterweizen wird, weil die notwendigen Proteingehalte nicht erreicht werden. Zum anderen könnten Gemüseproduzenten zum Beispiel beim Brokkoli die vom Markt geforderten Qualitäten nicht mehr erreichen, was wiederum dazu führt, dass mehr Erntereste und damit mehr Stickstoff auf dem Feld verbleibt. Hier sind seiner Meinung nach auch Handel und Verbraucher gefordert, ihre Qualitätsansprüche den Gegebenheiten anzupassen.

Das vorhandene bzw. für die Verordnung herangezogene Nitratmessnetz hält Uptmoor für „ziemlich gut“. Auch sind seiner Meinung nach die Ursachen für hohe Nitratwerte im Grundwasser häufig eindeutig auszumachen. „So ist zum Beispiel das Problem in den Vieh-intensiven Regionen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens hausgemacht. Hätte man dort schon vor vielen Jahren konsequenter reagiert, wären die aktuellen Probleme zumindest weniger ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund fehlt mir das Verständnis für die Argumentation mit der Auswahl der Messstellen“, so der Wissenschaftler.

Möckel: Mit der neuen VO drohen sogar höhere Nährstoffeinträge

Eine interessante Sichtweise führt Dr. Stefan Möckel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig an. „Die neuste Novelle könnte mit der Streichung der Flächenbilanzobergrenzen (bisher § 9 DüV) in der Fläche zu höheren Nährstoffeinträgen in die Umwelt führen, da die Stoffstrombilanz-Verordnung mit ihren ökologisch zu hohen Bilanzobergrenzen nicht nachgebessert wird. Ob daher insgesamt die Ziele der Nitrat-Richtlinie – maximal 50 Milligramm Nitrat pro Liter – tatsächlich erreicht werden, bleibt abzuwarten“, so Möckel.

Seiner Meinung nach greifen die Novelle und die Diskussion mit ihrer Fokussierung auf die Nitrat-Richtlinie und Gewässer insgesamt zu kurz, da sie die weitreichenden ökologischen Auswirkungen von Nährstoffüberschüssen und diesbezügliche Schutzverpflichtungen Deutschlands nicht in den Blick nehmen. Hierzu gehören laut Möckel neben den Klimawirkungen insbesondere die zu hohen Nährstoffeinträge in terrestrische Ökosysteme, welche die Erreichung der internationalen, europäischen und deutschen Naturschutzziele – unter anderem die Konvention über die biologische Vielfalt CBD, die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung 2007 – gefährden.

„Ökologisch wie rechtlich sind zwei Hauptaufgaben zu lösen: die Reduzierung der Gesamtnährstoffemissionen und der ausreichende Schutz lokaler Ökosysteme vor übermäßigen Nähreinträgen entsprechend ihrem Erhaltungszustand und ihrer spezifischen Vulnerabilität. Diese Aufgaben erfordern einen breit aufgestellten Instrumentenmix, der weit über eine Düngeverordnung des Bundes hinausgeht“, sagte der Wissenschaftler.

Dittert: „Schlechter Kompromiss für die Bauern“

Prof. Dr. Klaus Dittert von der Georg-August-Universität Göttingen hält die neue Verordnung für einen „schlechten Kompromiss für die Landwirtschaft“. „Die Düngeverordnung 2017 war ein sehr wichtiger und effektiver Schritt für die Verbesserung der Situation in Deutschland, wenngleich sie handwerklich noch einige Mängel aufwies, die aus meiner Sicht 2020 hätten revidiert werden sollen. Zum Teil werden sie nun revidiert.“

Kernpunkt der aktuellen Änderung sei nun die pauschale Kürzung der Stickstoff-Düngung um 20 % in den roten Gebieten. Damit werde eine Änderung beschlossen, die von der Landwirtschaft in den roten Gebieten als pauschale Bestrafung empfunden wird, und die – was in seinen Augen erheblich schwerwiegender sei – für die Betroffenen keine Anreize setzt, sich auf das eigentliche Problem zu fokussieren, nämlich die Nährstoffüberschüsse, so Dittert weiter.

„Aus der landwirtschaftlichen Forschung in Trinkwassergewinnungsgebieten kennen wir inzwischen zahlreiche, effektive Maßnahmen, um Nährstoffüberschüsse sehr gering zu halten, ohne dabei die landwirtschaftlichen Erträge zu vernachlässigen. Eine pauschale Verminderung der Düngung um 20 % ist nicht das Mittel der Wahl, sondern die gezielte Nutzung wissenschaftlicher und pflanzenbaulicher Erkenntnisse zur Überschussminderung. Je nach Anbaukultur, Boden, Struktur des landwirtschaftlichen Betriebes und Klima sind diese Maßnahmen unterschiedlich. Wenn man den Bilanzüberschuss zum entscheidenden Kriterium macht, so setzt man für die Landwirtschaft Anreize, alle vorhandenen Erkenntnisse und Talente in dieser Richtung einzusetzen. Im Laufe der Zeit besteht zudem die Option, die zulässigen Überschüsse weiter herabzusetzen“, erklärte der Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie.

Er habe die Hoffnung, dass nun vor dem Hintergrund der sehr ungerechten Minus-20-Prozent-Regelung zügig ein wirklich sinnvolles Instrumentarium geschaffen und in den Bundesländern implementiert wird, so dass diese Kompromisslösung in wenigen Jahren durch ein effektives und gerechtes Konzept ersetzt werden kann.

Kage: „Pauschale Reduktion wird Ziel verfehlen“

Insbesondere die pauschale Reduktion der Stickstoffdüngung um 20 % in den sogenannten ‚Roten Gebieten‘ wird die Nitratkonzentration nach Ansicht von Prof. Dr. Henning Kage von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nur wenig mindern können, habe jedoch – je nach Kulturart – deutliche Ertrags- und teilweise Qualitätsminderungen zur Folge. Hier könne er die Kritik der Landwirte gut nachvollziehen.

„Ebenso kritisch sehe ich das generelle Verbot der Düngung auf tagsüber auftauenden Böden. Hierdurch werden Erträge, aber auch die Bodenstruktur negativ beeinflusst. Es wäre ausreichend gewesen, diese Maßnahme auf Flächen mit größerer Hangneigung zu begrenzen oder Abstandsauflagen auszusprechen.“

Die ebenfalls sehr kritisch gesehene Begrenzung beziehungsweise das teilweise ausgesprochene Verbot der Herbstdüngung hält Kage für letztlich sinnvoll, insbesondere vor dem Hintergrund der Kontrolle der Stickstoffmengen, die im Herbst ausgebracht werden. Fachlich sei eine Herbstdüngung in bestimmten Fällen nicht zu kritisieren – zum Beispiel zu Zwischenfrüchten, manchmal zu Winterraps. Die Möglichkeit, Gülle im Herbst auszubringen, könne jedoch auch für eine reine Entsorgung von überschüssiger Gülle missbraucht werden, gibt Kage zu bedenken.

„Gut nachvollziehbar sind daher die Verlängerungen der Sperrfristen für die Ausbringung organischer Dünger. Hier müssten aber Übergangsfristen für die notwendige Schaffung zusätzlichen Lagerraums geschaffen werden“, erklärt der Leiter der Abteilung Acker- und Pflanzenbau, Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung.

Vogel für Ausgleichsmaßnahmen

Positiv wertet die neue Düngeverordnung dagegen Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel von der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg: „Die vorgesehenen Maßnahmen scheinen mir gut umsetzbar. Das beschriebene Dilemma zwischen optimalem Ertrag und Stickstoff-Überschuss bedeutet jedoch auch Ertragseinbußen bei reduzierter Düngung, weshalb sich die Landwirte auch begründet beschweren. Hier müssen Ausgleichsmaßnahmen gefunden werden, so dass sich ein für den Landwirt ökonomisch ‚optimaler‘ Ertrag nicht nur in ‚Dezitonnen pro Hektar Getreide‘, sondern in diesem Fall auch in ‚Milligramm Stickstoff pro Liter im Grundwasser errechnet‘. Es gibt die Hoffnung, dass die zukünftige EU-Agrarpolitik vermehrt solche Wege geht.“

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